Astronomie in die Schule – aber wie?

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Astronomie in die Schule! Eine nicht gerade neue Forderung, im Jahr der Astronomie jedoch öfter und lauter zu hören. Viele Astronomen und Physiker plädieren für ein eigenes Schulfach „Astronomie“ neben dem herkömmlichen Physikunterricht. Doch wie sinnvoll ist das?

Vor einigen Wochen schon hat Andreas Müller das Thema angesprochen. Er als Astrophysiker befürwortet einen Astronomieunterricht, auch wenn er einige Schwierigkeiten, die die Einführung eines neuen Fachs mit sich führen würde, nicht verschweigt. Als Voraussetzung dafür nennt er eine „sorgfältige und vollständige Überarbeitung der Lehrpläne“, was nicht sehr präzise und daher auch kaum bestreitbar ist.

Auf den ersten Blick erscheint es  überraschend, dass es neben den Befürwortern auch Physiker und Astronomen gibt, die ein Schulfach Astronomie kritisch sehen und sogar ablehnen. Was sollte aus Sicht eines Naturwissenschaftlers an dieser Forderung falsch sein? Unterstellt, dass sich Befürworter wie Kritiker in ihrem Ziel, nämlich der Förderung der naturwissenschaftlichen Ausbildung, einig sind, so stellt sich die Frage, ob dies ausgerechnet durch ein zusätzliches Schulfach erreicht werden kann.

Nein, meint etwa Gerhard Sauer, Vorstandsmitglied im Verein Science on Stage e.V., in einem jüngst im Physik-Journal, der Mitgliederzeitschrift der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, veröffentlichten Leitartikel. Astronomische Inhalte sollten seiner Meinung nach zwar in den Unterricht einfließen – aber nicht als eigenständiges Fach, sondern als Ergänzung des Physikunterrichts. Denn an Schulfächern, so Sauer, mangelt es keineswegs, im Gegenteil:

Mann muss sich nur den Schulalltag aus Sicht der Kinder vor Augen halten: eine Stunde Französisch, vielleicht eine Doppelstunde Deutsch, eine Stunde Chemie, dann Sport, Englisch und zum krönenden Anschluss Physik. In der Welt der Erwachsenen mutet sich niemand eine solche Abfolge disparater Anforderungen zu. Schüler aber, […] müssen sich täglich damit auseinandersetzen.

Ein mehr an Fächern (der VDI schlug etwa ein Fach „Technik“ vor, und dann und wann ist von „Wirtschaft“ als Schulfach die Rede) sei daher nicht zumutbar: „Wer neue Fächer einfordert, muss sich dazu äußern, was dafür wegfallen soll“.

Dass zur Allgemeinbildung (die die Schule ja vermitteln soll) neben technischen und naturwissenschaftlichen Zusammenhängen noch so manch anderes gehört, steht außer Frage. Jeder Einschnitt wäre daher schmerzlich. Ein Abiturient, der sich mit Mitochondrien, Neutronensternen oder Hedge-Fonds auskennt, von Goethe und Shakespeare aber keinen Schimmer hat, kann auch nicht das Bildungsziel einer modernen Gesellschaft sein.

Es mangelt nicht an Fächern, aber woran? Das zentrale Dilemma, so Sauer, ist, dass unser Wissen zwar immer schneller wächst, „die verfügbare Zeit, innerhalb derer sich Schüler dieses Wissen aneignen sollen […] dagegen nicht.“ An dieser Beobachtung lässt sich kaum zweifeln, doch Sauers Antwort darauf ist kaum überzeugend. Anstatt für ein eigenständiges Fach plädiert er für die Integration astronomischer Inhalte in den Physikunterricht – doch auch das löst das genannte Grundproblem nicht: Das Zeit-Dilemma bleibt bestehen, nur eine Nummer kleiner: Auch der Physikunterricht kann nicht endlos neue Inhalte aufnehmen, ohne das andere zum Opfer fielen.

Man könnte man sich also fragen, ob die Schulzeit nicht generell zu kurz ist, um alles das zu lernen, was wichtig ist oder dafür gehalten wird. Allein der Gedanke klingt unerhört: die politische Marschrichtung zielt auf die Verkürzung der Schul- und Ausbildungszeit ab, nicht auf ihre Verlängerung, und das völlig zu Recht. Wer heute eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, muss damit rechnen, nach Schule, Hochschule und Promotion (bei Männern nicht zu vergessen u. U. ein Jahr staatlicher Zwangsdienst) erst mit Anfang dreißig die erste Stelle als „richtiger“ Wissenschaftler antreten zu können.

Was also tun? Hier bleibt Sauer eine überzeugende Antwort schuldig. Das Problem wird sich nicht lösen lassen, so lange nur an der Quantität „Zeit“ und an der Ausrichtung der Fächerinhalte herumgedoktort wird. Das ist Kosmetik, nicht mehr. In Wirklichkeit mangelt es der Schule an einer didaktischen Antwort auf die immer raschere Zunahme des menschlichen Wissensschatzes und die immer schneller voranschreitende Diversifizierung der wissenschaftlichen Disziplinen. Kurzum: Es fehlt der Schule eine Antwort auf den Informationsoverload.

Astronomie in der Schule, ob als eigenes Unterrichtsfach oder als Teil der Physik – aus Sicht der Betroffenen sind das zunächst einmal noch mehr Formeln und Begriffe, noch mehr Zusammenhänge, die es für die nächste Klausur auswendig zu lernen gilt. Um sie danach vergessen zu können. So läuft heute die „Ausbildung“ an Schulen und dank Bologna auch zunehmend in den Hochschulen: Massenhaft zusammenhangloses Zeug pauken, Prüfung bestehen, vergessen, und weiter. Warum muss ein Student des Georessourcenmanagements im zweiten Semester den Comptoneffekt der Quantenphysik kennen? Antwort: Er muss es nicht, er soll nur die passende Formel eine Weile im Kurzzeitgedächtnis behalten, um sie in einer Klausur auf ein Blatt Papier schreiben zu können. Naturwissenschaftliche Ausbildung als Memoryspiel. Das ist vertane Lebenszeit – für Lernende und Lehrende.

Einem Schulfach Astronomie erginge es nicht anders, zumindest wenn es so unterrichtet wie in der Schule gemeinhin üblich, und das ist zu erwarten. Für die meisten Schüler wäre es nur eine weitere Pflichtübung. Ein paar Dutzend Formeln mehr zum Auswendiglernen – das motiviert keinen Schüler, ein Studium aufzunehmen, wenn er es nicht ohnehin schon vorhatte. Die wenigen, die sich für das Thema  interessieren (die gibt es auch ohne Schulfach Astronomie), wären weiterhin tendenziell unterfordert.

Natürlich sollten gewisse physikalische und auch astronomische Grundlagen zur Allgemeinbildung zählen. Dass die Sonne ein Stern ist, wie Tag, Nacht und die Jahreszeiten entstehen, dass wir uns in einem Sonnensystem innerhalb einer Galaxie befinden – diese Dinge sollte ein Abiturient wissen und erst recht jemand, der ein Universitätsstudium abgeschlossen hat, egal welcher Fachrichtung. Dazu braucht man aber weder ein Studium der Astronomie noch ein gleichnamiges Unterrichtsfach. Wenn ein Mediziner nicht erklären kann, wie ein Neutronenstern aufgebaut ist oder ein Betriebswirtschaftler die Definition des Parsec nicht kennt, ist das völlig in Ordnung. Schließlich kann ein Astronom auch keine Herzoperation durchführen. (Einen Kaufhauskonzern ruiniert er allerdings noch mit links, das nur nebenbei. Vielleicht nur nicht so schnell wie ein Topmanager.)        

Es ist ein Irrtum zu glauben, man müsse Schüler und Studenten nur lange genug mit Wissen vollstopfen, um aus ihnen gute Wissenschaftler, Ärzte und Ingenieure zu machen. Hauptsache Wissen, möglichst viel, möglichst ohne großen Zusammenhang, ohne Zeit oder Gelegenheit, das Gelernte zu reflektieren oder zu hinterfragen. Schnell und effizient zum Abschluss, wenn nötig auch mit finanziellem Druck oder der Angst vor dem Versagen, das Klassenziel nicht erreichen zu können. Nur: So funktioniert Wissenschaft nicht, und so arbeitet kein erfolgreicher Wissenschaftler. So werden erst recht keine Ideen geboren.

Ein guter Naturwissenschaftler ist kein wandelndes Lexikon. Er hat gelernt, Naturabläufe aufmerksam zu beobachten, sie zu analysieren, zu beschreiben. Er kennt selbstverständlich die Vorarbeiten seiner Kollegen und die „Lehrbuchmeinung“. Aber er weiß auch, dass Wissenschaft ein dynamischer Prozess ist, er hinterfragt scheinbar althergebrachtes, und probiert auch mal neue Ideen, Modelle und Methoden aus. Er hat Formeln und Gleichungen nicht einfach auswendig gelernt sondern ihre Struktur verstanden, Symmetrien und Analogien verinnerlicht. Und er kann Querbezüge zu scheinbar völlig artfremden Gebieten herstellen. Ein guter Wissenschaftler weiß auch etwas zu den seiner Tätigkeit zu Grunde liegenden Methoden und Mechanismen zu sagen. (Mag sein, dass es Ausnahmen gibt, und Professoren, die Popper für einen vulgären Ausdruck halten.) Wo lernt man als angehender Wissenschaftler so etwas noch? In der Schule jedenfalls nicht. Auch ein Schulfach Astronomie, eingebunden in das System Schule, wird das nicht ändern.

Und doch könnte die Astronomie als solche gerade in dieser Beziehung eine enorme Bereicherung sein. Es gibt keine zweite Wissenschaft, die so breit gefächert und so tansdiziplinär aufgestellt ist. Die Naturgesetze, die die Abläufe im atomaren und subatomaren Bereich steuern, spiegeln sich in den Spektren der Sterne und Galaxien wieder. Und keine Wissenschaft zeigt so deutlich das Abenteuer, das die Wissenschaft der Menschheit aufgetragen hat. Von den ersten Teleskopen bis zu den Maschinen, die Menschen bis zum Mond gebracht haben, vom geozentrischen Weltbild bis zum beschleunigt expandierenden Kosmos: Gerade die Astronomie und ihre Teilgebiete zeigen die rasante Entwicklung der menschlichen Erkenntnis. Was für ein erfrischender Unterschied zum stumpfen Formelnlernen!

Astronomie gehört in die Schule – aber richtig! Es mangelt nicht an der Menge oder der Auswahl der naturwissenschaftlichen Fakten. Es mangelt an der richtigen Vermittlung dessen, was Naturwissenschaft ist und was Naturwissenschaftler tun. Schule schafft es allzuoft nicht, zu vermitteln, warum die Beschäftigung mit naturwissenschaftlichen Fragestellungen für unser tägliches Leben wichtig ist. Es fehlt ein Unterricht, der für Naturwissenschaft begeistert und sie nicht als Verfütterung von Wissenshäppchen begreift. Gerade die Astronomie hat das Potential, junge Menschen für die Naturwissenschaften zu begeistern. Es ist letztlich zweitrangig, ob dies in einem eigenen Fach oder als Teil des Physikunterrichts geschieht. Die Schule selbst muss sich ändern. 
 

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Mit dem Astronomievirus infiziert wurde ich Mitte der achtziger Jahre, als ich als 8-Jähriger die Illustrationen der Planeten auf den ersten Seiten eines Weltatlas stundenlang betrachtete. Spätestens 1986, als ich den Kometen Halley im Teleskop der Sternwarte Aachen sah (nicht mehr als ein diffuses Fleckchen, aber immerhin) war es um mich geschehen. Es folgte der klassische Weg eines Amateurastronomen: immer größere Teleskope, Experimente in der Astrofotografie (zuerst analog, dann digital) und später Reisen in alle Welt zu Sonnenfinsternissen, Meteorschauern oder Kometen. Visuelle Beobachtung, Fotografie, Videoastronomie oder Teleskopselbstbau – das sind Themen die mich beschäftigten und weiter beschäftigen. Aber auch die Vermittlung von astronomischen Inhalten macht mir großen Spaß. Nach meinem Abitur nahm ich ein Physikstudium auf, das ich mit einer Diplomarbeit über ein Weltraumexperiment zur Messung der kosmischen Strahlung abschloss. Trotz aller Theorie und Technik ist es nach wie vor das Erlebnis einer perfekten Nacht unter dem Sternenhimmel, das für mich die Faszination an der Astronomie ausmacht. Die Abgeschiedenheit in der Natur, die Geräusche und Gerüche, die Kälte, die durch Nichts vergleichbare Schönheit des Kosmos, dessen Teil wir sind – eigentlich braucht man für das alles kein Teleskop und keine Kamera. Eines meiner ersten Bücher war „Die Sterne“ von Heinz Haber. Das erste Kapitel hieß „Lichter am Himmel“ – daher angelehnt ist der Name meines Blogs. Hier möchte ich erzählen, was mich astronomisch umtreibt, eigene Projekte und Reisen vorstellen, über Themen schreiben, die ich wichtig finde. Die „Himmelslichter“ sind aber nicht immer extraterrestrischen Ursprungs, auch in unserer Erdatmosphäre entstehen interessante Phänomene. Mein Blog beschäftigt sich auch mit ihnen – eben mit „allem, was am Himmel passiert“. jan [punkt] hattenbach [ät] gmx [Punkt] de Alle eigenen Texte und Bilder, die in diesem Blog veröffentlicht werden, unterliegen der CreativeCommons-Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.

1 Kommentar

  1. Astronomische Weltbilder in Bayern

    Wenn Sie sich den Lehrplan der 10. Klasse Gymnasium in Bayern ansehen, werden Sie bemerken, dass es in Physik auch einige Stunden gibt, welche sich mit “Astronomischen Weltbildern” befassen. Für Schüler, welche das Naturwissenschaftlich-technologischen Gymnasium besuchen, gibt es sogar noch weiterführenden Unterricht (Kosmologie). Natürlich handelt es sich hier nur um Grundlagen, aber wie Sie schon sagten, kann man kaum noch mehr in die Lehrpläne rein quetschen. Mit 34 Stunden Fachunterricht plus 2 Intensivierungsstunden in der Woche, sind die Schüler wohl mehr als ausgelastet.
    Übrigens, das Fach Wirtschaft gibt es schon längst und auch ein Fach welches sich Natur und Technik nennt, gehört für die jüngeren Schüler zum Pflichtunterricht.

    http://www.isb-gym8-lehrplan.de/…ac5f8536192b611

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