Optimale Grundlagenforschung. Oder: Nicht in Programme, in Köpfe investieren!
BLOG: GUTE STUBE
Kann man als Wissenschaftler irgendwo auf der Welt genau das tun, was man eigentlich möchte: Wissen allein aus Neugierde schaffen? Ohne den Zwang, verwertbare Ergebnisse hervorbringen zu müssen, Produkte zu entwickeln, Antworten auf vorgegebene Fragen zu finden?
Gestern Nachmittag war ich auf Einladung der Deutschen Gesellschaft der Freunde des Weizmann-Instituts zu Gast in Weinheim. Im dortigen Hermannshof sprach der Präsident des Weizmann-Instituts, Prof. Daniel Zajfman. Sein Vortrag hatte den etwas platitüdenhaften Titel „The Business of Science. Building a Better World“ – enthielt aber dafür umso mehr gute Gedankenanstöße, wie man Wissenschaftlern optimale Bedingungen für ihre Arbeit schafft.
Daniel Zajfman am 26.02.2009 im Hermannhof in Weinheim
Grundlagenforschung sei Forschung allein um des Wissens willen, betonte der Physiker. Die Neugierde allein motiviere die beteiligten Personen; niemals gehe es um die Entwicklung neuer Technologien oder etwa Medikamente. Insofern sei etwa auch die Entwicklung des iPhone keine Wissenschaft. Annähernd dasselbe Produkt hätten ganz andere Entwickler in anderen Ländern in quasi derselben Zeit zur Marktreife gebracht, wenn sie dieselbe Aufgabenstellung und Ausstattung erhalten hätten. Grundlagenforschung hingegen kenne keine Aufgabenstellungen. Die beteiligten Wissenschaftler fördern Wissen zutage, dessen Beschaffenheit sie sich selbst zuvor nicht vorstellen konnten. Dennoch können ihre Entdeckungen Jahre oder Jahrzehnte später und in den Labors ganz anderer Menschen bedeutende neue Anwendungen ermöglichen. Insofern sei vielen Grundlagenforschern die Gabe zueigen, unerwartet wichtige Entdeckungen zu machen. (Im Englischen hat diese Fähigkeit sogar einen Namen: „serendipity“. Im Deutschen fehlt ein entsprechender Begriff.)
Der Zugang der meisten Grundlagenforscher an ihre Untersuchungsgegenstände sei spielerisch, erläuterte Zajfman. Sie fragen „Wie funktioniert die Natur?“ und beginnen auszuprobieren. Und um solche Forschung optimal zu stimulieren, müsse man in Köpfe investieren – so lautete die zentrale Botschaft des Nachmittags. Der Begriff „Wissenschaftsförderung“ sei hohl, denn Geldsegen auszuschütten auf Fächer, Forschungsprogramme oder Institute sei weit ineffektiver als in erstklassige Geister, in konkrete Menschen zu investieren. Eben diese Strategie verfolge man in Rehovot, rund 20 Kilometer südlich von Tel Aviv, wo das Weizmann-Institut beheimatet ist: Man holt exzellente Köpfe nach Israel. Diese erhalten dann alle Freiräume, ihre Kreativität zu entfalten – zu untersuchen, was sie persönlich interessiert. Ausschuss- und Verwaltungsarbeit fallen für sie fast nicht an.
Zurzeit sind 250 Wissenschaftler bei insgesamt 2600 Mitarbeitern in Rehovot tätig, dazu kommen 1000 handverlesene Graduate Students aus allen Teilen der Welt. Man lebt gemeinsam auf dem Campus, der interdisziplinäre Austausch zwischen den vier Kernbereichen Physik, Chemie, Biologie und Mathematik ergebe sich so von selbst.
Von solchen Verhältnissen können hiesige Universitäten freilich nur träumen. Und so waren sich anwesende Vertreter der Universität Heidelberg und Prof. Zajfman in der anschließenden Diskussion auch schnell einig: Die Strukturen an unseren Universitäten verhindern gute Forschung, statt sie zu fördern.
Beispiele?
Interessanter Artikel, danke! Hat Herr Zajfman auch konkrete Beispiele für seine steile These gebracht, dass die Neugierde allein ausreicht, um „zufällig“ (Stichwort: Serendipity) auf bedeutende Anwendungen zu stossen?
Beispiele
Zajfman brachte u.a. die Entdeckung der Röntgen-Strahlen als Beispiel. Und dann noch dies hier: Wenn Michael Faraday F&E (Forschung und Entwicklung) gemacht hätte, gäbe es heute kein elektrisches Licht, sondern nur hervorragende Kerzen.
Nachtrag
Mein Kollege Reinhard Breuer machte mich heute auf ein sehr interessantes Interview aus der SZ vom Wochenende aufmerksam. Darin geht es um die müßigen, weil halbherzigen Versuche der FU Berlin, den Biologen und Grundlagenforscher Thomas Tuschl, den manche bereits als Nobelpreis-Kandidaten handeln, von der New Yorker Rockefeller University in die Bundeshauptstadt zu holen, auf dass er seine Grundlagenforschng künftig auf deutschem Boden vorantreibe. Hier nur EIN Zitat von Tuschl, das bereits Bände spricht: “Aber das Problem war nicht das Geld, sondern dass eine Universität, wenn sie einen Wisenschaftler unbedingt haben will, auf ihn eingehen muss. Und das ist nicht passiert.” Andere Forschungseinrichtungen machen eben das zu ihrem Markenzeichen: auf Köpfe individuell eingehen …