“Eine deutsche Diskussion”

BLOG: GUTE STUBE

Salon der zwei Kulturen
GUTE STUBE

Wolfgang Prinz, Direktor am Leizpiger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, ist einer der bekanntesten deutschen Psychologen. Als solcher beschäftigt er sich seit Jahren auch mit den Themen Bewusstsein und Willensfreiheit. Den freien Willen vergleicht er dabei gern mit einem Einhorn: Er erscheine uns als ein gegebenes Naturding, sei aber in Wahrheit nur ein kulturelles Konstrukt. Im Rahmen einer großen Podiumsdiskussion bei den Münchner Wissenschaftstagen bat ich Prof. Prinz, den Vergleich noch einmal zu erläutern und außerdem die Relevanz der oft in der Debatte angeführten Libet-Experimente einzuschätzen. Letztere hält Prinz für überhaupt nicht aussagekräftig bei der Gretchenfrage der Hirnforschung der letzten Jahre. Warum er dennoch meint, dass es keinen freien Willen gibt, verrät er in diesem Mitschnitt.

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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

12 Kommentare

  1. Artefakte & Libet

    Wow, anregende Debatte und gelungene Nachfrage! (-;

    Was Libet angeht, würde ich Prof. Prinz folgen: Dass Libet durch das Aufzeigen von Verzögerungseffekten einen freien Willen (wesentlich verstanden als Veto-Instanz) “nachgewiesen” hat, erschien und erscheint mir nicht ganz schlüssig, insofern ja ggf. auch die Veto-Instanz eine neurobiologische Grundlage haben dürfte.

    Naturgemäß faszinierender finde ich jedoch sogar den Ansatz, den freien Willen, Bewusstsein etc. als Artefakte zu beschreiben, die in der sozialen Interaktion kulturell geschaffen werden. Das läuft doch m.E. genau auch auf jene Forschungen hinaus, die derzeit Evolutionspsychologen im Bezug auf übernatürliche Akteure wie Ahnen oder Gott unternehmen, siehe
    http://www.wissenslogs.de/…-28/gott-im-kopf-wozu

    Nur haben wir dabei auch gelernt (oder sind dabei (-; ): Abgesehen davon, dass Naturwissenschaft aus sich keine völlig abschließenden Existenz- und schon gar keine Nichtexistenzbeweise hervorbringen kann, haben diese interaktiv konstruierten Artefakte die irritierende Eigenschaft, dass sie empirisch beobachtbar auf die grundlegenden “Naturtatsachen” rückwirken.

    Biologische Körper verändern ihr Verhalten, weil sie den freien Willen für gegeben halten oder nicht, Einhorn-Geschichten lieben oder nicht, an Gott glauben oder nicht. Insofern scheinen mir die Artefakte selbst kein funktionsloses Beiprodukt zu sein, sondern eine emergierte Realität zu konstituieren.

    Sprich: Natur- und Sozialwissenschaften können und sollen die Konstruktionsregeln von Artefakten beschreiben – auch in ihrem verhaltensprägenden Eigengewicht werden diese dadurch jedoch nicht verschwinden. Und es ist letztlich eine Frage des Blickwinkels, ob wir sie nur als naturalistisch abgeleitet betrachten oder umgekehrt als nächste (und vielleicht nicht einmal abschließende) Stufe eines universellen Emergenzprozesses.

  2. Wir können über alles reden…….;-)

    …solange wir nicht definieren, was wir unter “Bewusstsein”, “freiem Willen” etc. verstehen….ist jede Aussage darüber weder richtig oder falsch – sondern einfach nur spekulative “Gedankenspielerei”….

    So wird auch der freie Wille oder das Bewusstsein selbst korrekterweise zum “Einhorn”, wenn ich hier in der Metapher bleiben möchte.

    und schon hat uns das Münchhausen-Trilemma wieder erfasst und es ist auch zu befürchten, dass es bei dieser Thematik kein “Entrinnen” aus dem Albert’schen Trilemma gibt……

  3. Ist eigentlich,…

    …mal ganz ernsthaft in die Runde gefragt, die Bezeichnung “kulturelles Konstrukt” automatisch synonym mit “nicht im eigentlichen Sinne existent”?

    Schließlich entstehen ja sehr viele Dinge aus der Interaktion mit dem Rest der Welt, also warum soll der freie Wille nicht im Wesentlichen kulturell erzeugt sein?

    Oder anders gefragt: Hätte ein einzelner Mensch in einer leeren Welt einen freien Willen?

  4. @ Lars: Genau…

    …den Punkt sehe ich auch: Wenn etwas doch Auswirkungen auf Naturtatsachen hat, kann es doch nicht einfach als nichtexistent abgetan werden.

    Genau das gilt aber für die genannten “Artefakte”…

  5. Interessante Diskussion & Brückenschlag

    Was ich als Physiker daran spannend finde ist, dass freier Wille als Produkt der Interaktion von Menschen, (physikalisch gesprochen) demnach als eine Art “Kollektivphänomen” interpretiert werden könnte. Kollektive Phänomene sind auch in der Physik für eine ganze Reihe interessanter Effekte verantwortlich (Hydrodynamik, Supraleitung, Schwingungen im Atomkern uvm.).
    Beiden Disziplinen, Neuro-/Psychologie und Physik, gemein scheint zu sein: Die Wechselwirkung von vielen Bausteinen produziert also eine vollkommen neue Qualität – etwas, was auch mit dem wieder in die Schlagzeilen gekommenen Begriff der Emergenz in Verbindung gebracht wird.
    Ich entnehme weiterhin den Äußerungen von Herrn Prinz, dass die Libet-Experimente auch kritisch gesehen werden können. Das beruhigt mich. Denn mich hat diese auf sehr wackeligen Annahmen basierende Interpretation immer gestört. Denn woher weiß man denn, dass Begrifflichkeiten wie “Wille”, “Entscheidungszentrum” etc. experimentell wirklich sauber erkannt wurden?

    Beste Grüße,
    Andreas Müller
    (KOSMOlogs – Einsteins Kosmos)

  6. “empirische Daten”

    Gute Frage; und lahme Antwort: ist man immer noch nicht über Libet aus den 1970er Jahren hinaus in der “deutschen Diskussion”?

    Dann sehe ich wirklich keine Gefahr für die Willensfreiheit, auch nicht in Form von Einhörnern.

  7. @ Stephan: Hilferuf an den Philosophen

    Eine echte Bitte, Anfrage, Petition: Wann lesen wir von Dir, hier in den Scilogs und beyond, den wegweisenden Artikel über Emergenz und die Realität interpersonaler Artefakte?

  8. @ Michael: Danke,

    ich fühle mich geschmeichelt. Wäre ich in so einer priveligierten Position wie mancher Staatsbeamter, ich würde gleich eine Fortsetzung von “Gedankenlesen” schreiben (einen Namen und Themen weiß ich auch schon). So stehen aber erst einmal ein paar andere Arbeiten auf dem Plan, um mich für die nächsten Stufen zu qualifizieren.

    Davon abgesehen weiß ich nicht, ob ich über die “Realität interpersonaler Artefakte” genau das denke, was du dir erhoffst.

  9. @ Stephan: öööhm…

    Ich würde mir einfach neue Einsichten erhoffen, eine abgeschlossene Meinung dazu habe ich noch gar nicht. Das ist ja das Schöne am interdisziplinären Dialog: Meistens erhält man etwas viel Spannenderes als Gefälligkeitsgutachten! Und gerade Du hast ja mein Interesse an den Emergenz-Theorien mit-entacht! (-;

  10. Die audiovisuelle Komplettdokumentation

    Die audiovisuelle Komplettdokumentation der genannten Podiumsdiskussion während der Münchner Wissenschaftstage 2007 findet sich online hier; das oben hier nicht (mehr) aufrufbare Statement von Prof. Prinz wird da in dem zweiten oder direkt von hier aus aufrufbaren Videomitschnitt wiedergegeben. (Schriftlich hatte er seine Überlegungen bereits 2004 im vierten Heft des 55. Jahrgangs der Psychologischen Rundschau auf den Seiten 198-206 dargestellt; eine Dokumentation des Textes davon ist hier zu finden.)

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