Wissenswerte 2009 – Die Zukunft des Wissenschaftsjournalismus
BLOG: GUTE STUBE
Wo sehen Sie den Wissenschaftsjournalismus in drei Jahren? Diese Frage stellte die Wissenschaftspressekonferenz (wpk) mir und anderen Redakteuren im Vorfeld der diesjährigen Wissenswerte. Das ist ein wichtiger Branchentreff, der in jedem Herbst in Bremen stattfindet und Forscher, Journalisten und Öffentlichkeitsarbeiter zwei Tage lang miteinander ins Gespräch bringt. Morgen und übermorgen werden am Stand der wpk die erbetenen Statements der angemorsten Experten auf die Frage nach der Zukunft des Wissenschaftsjournalismus präsentiert. Meinen Beitrag zu dem allgemeinen Stimmungsbild möchte ich auch in der Guten Stube zur Diskussion stellen – zumal ich in diesem Jahr leider nicht persönlich nach Bremen reisen kann. Also:
Wo sehen Sie den Wissenschaftsjournalismus in drei Jahren? Mein Statement dazu:
- Wissensjournalismus wird weniger.
- Wissenschaftsjournalismus wird wichtiger. Weil:
- Wissenschaftskommunikation wird wesentlich.
Mal schaun, ob ich mit dieser Prognose aus der Distanz die Gespräche in der Hansestadt einen Tick beflügeln kann.
Widerspruch oder Missverständnis?
Ihre Feststellung, dass einerseits Wissenschaftsjournalismus weniger und andererseits wichtiger wird, erscheint auf den ersten Blick widersprüchlich. Meinen Sie dies tatsächlich in dem von mir verstandenen widersprüchlichem Sinne? Welche Annahmen stecken hinter Ihren Feststellungen?
@ Armand
Wissensjournalismus wird weniger nicht Wissenschaftsjournalismus. Wobei ich mich frage, was mit Wissensjournalismus genau gemeint ist.
Wissens- und Wissenschaftsjournalismus
Liebe Frau Armand,
wie Kollege Huhn schon richtig feststellte, spreche ich von drei verschiedenen Dingen: Wissensjournalismus, Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftskommunikation.
Wissensjournalismus wird weniger.
Damit meine ich, dass das in den letzten Jahren gewachsene Angebot an populären “Wissen”s-Formaten, seien sie gedruckt oder gesendet, mittelfritig wieder schrumpfen wird. Aus mehreren Gründen.
WissenSCHAFTSjournalismus – das ist in meinen Augen ein etwas anderer Journalismus: weniger auf den Spaß und die Faszination von Wissen(schaft) abzielend, sondern fachlicher, sehr nah an der Forschung, auf kritische Berichterstattung abzielend.
Ob WissenSCHAFTSjournalismus ebenfalls weniger wird, darüber schweige ich mich bewusst aus. Ich hoffe, dass es nicht so ist! Denn, wie ich ja explizit festhalte: WissenSCHAFTSjournalismus wird wichtiger.
Liebe Grüße
Carsten Könneker
Wer ist denn Renate Fiehn? Hat die hier kommentiert? Finde sie nicht…
Vermutlich meint sie mit den Gründen die Turboentwicklung, die sich eventuell bald wieder rückwärts bewegt. Der Trend zu Wissensmagazinen (nicht Wissenschafts-) ist ja eignetlich erst mit Galileo entstanden. Danach kamen dann auch andere – wie immer, wenn was funktioniert.
Und vielleicht meint sie, dass sich da auch wieder einige Magazine verabschieden werden.
Ist nur Vermutung, die mir spontan iengefallen ist.
@Sören
Die Dame hatte mich angemailt. Meine Antwort ist verunglückt. Hier nochmal richtig – Du hast sie ja schon in Teilen vorweggenommen:
Die Frage lautete, warum ich meine, dass das Angebot an Wissens-Formaten wieder schrumpfen wird.
Zum einen ist es für “Wissen”-Magazine schwierig, eine eigene unverwechselbare Handschrift zu entwickeln. Viele der Angebote sind sich zu ähnlich – was Themen und Machart angeht.
Zum anderen beobachten wir die Flut an neuen populären Wissenstiteln gerade im Printbereich, weil in den Verlagen Not herrscht. Die herkömmlichen Magazine (Frauen-, Männer-, Wochen-, Programm- und sonstige Zeitschriften) sind extrem abhängig vom anzeigengeschäft. Da erscheint es den Strategen natürlich zunächst mal klug, andere Formate, die mehr vom inhalt, vom Vertrieb leben, auszuprobieren. Wissen also! Nur tragen sich bestimmt am Ende nicht alle diese Angebote…
Fließende Grenzen: Wissen->Wissenschaft?
Die Unterscheidung Wissens- und Wissenschaftsjournalismus
war mir bis dato nicht bekannt. Zwar wird im Wortgebrauch hier eine “scharfe” Grenze gezogen, in der Praxis wirft diese Unterscheidung jedoch massive Interpretationsprobleme auf.
Wenn man “Wissenschaft” als die Erweiterung des Wissens durch Forschung definiert, sieht man sich mit dem Problem konfrontiert, dass auch “Forschung” sehr unterscheidlich hinsichtlich Qualität und Reichweite definiert werden kann.
Wissenschaftsjournalismus – aus der Sicht meiner Fachdiszipline (Erziehungswissenschaften/Psychologie) und Interessensgebiete ( Neurowissenschaften -Medizin – Gesundheitswesen) leidet bereits daran, dass die Ursprungswissenschaften mit unterschiedlicher Qualität im universitären Bereich betrieben werden. Unmengen an Forschungsergebnissen schlummern völlig unverwertet in Archiven und Wissensbestände werden oft nicht einmal intradisziplinär miteinander in Verbindung gesetzt. Ich denke dabei an die zahlreichen intradisziplinären Aufsplittungen z.B. in der Psychologie und dem damit verbundenen Umstand, dass zwangsläufig fachspezifische “Tunnelblickswissenschaften” generiert werden, was heißen soll, dass z.B. ein auf Arbeits- und Organisations- oder auf Forensische Psychologie spezialisierter Psychologe oftmals nur geringe Kenntnisse in den Bereichen Entwicklungs-, Erziehungs- und Pädagogische Psychologie aufweist. Eine intradisziplinäre Wissensvernetzung sieht das Fach nur in geringem Umfang vor, was an den bereits stark ausdifferenzierten Lehrbüchern für Studenten abzulesen ist.
Daher müsste man schon hier “nur” von “mit Forschungsergebnissen angereichertem Wissen”, jedoch noch nicht von Wissenschaft sprechen.
Aus dieser Perspektive ist der qualitative Unterschied zwischen Wissen und Wissenschaft nicht mehr groß. Die Grenzen sind fließend. Im Bereich Erziehungswissenschaften und Psychologie erleben nach wie vor irgendwelche einfach aufgebauten Erziehungsratgeber mit geringem wissenschaftlichen Fundament einen Verkaufsboom, während fundierte wissenschaftliche Literatur mit ihrer sehr enttäuschenden Botschaft:
“die Wissenschaft ist nicht in der Lage irgendwelche Erziehungsrezepte zu verteilen, da Erziehung ein komplexer, multifaktoriell bedingter Prozess ist und erzieherische Situationen auch von retroaktiven Sozialisationsvorgängen überlagert werden”
weder Gehör, noch Abnehmer findet.
Das Interesse an Journalismus – egal ob Wissenschafts- oder Wissensjournalismus – resultiert m.E. aus den subjektiven Interessens- und Befindlichkeitslagen der jeweilig in Frage kommenden “Wissensabnehmer”.
Hier generiert ggf. die gesamtgesellschaftliche Situation, sofern wir von Wissenschaftsgebieten welche am Menschsein und seiner Lebensgestaltung interessiert sind sprechen, die aktuellen Interessenslagen.
Wieder ein Beispiel aus meinem Arbeitsfeld:
Der aktuell vorherrschende erzieherische Machbarkeitsglaube führt zu einer starken Verunsicherung in Familien und geht quer durch alle pädagogischen Berufszweige.
Kindliche Verhaltensweisen, auch wenn diese als völlig normal betrachtet werden können, generieren zu “therapiebedürftigen” Verhaltensauffälligkeiten, sobald finanzielle oder vermeintlich therapeutische Mittel und Methoden zur Verfügung stehen. Dieses Beispiel ist für mich ein Hinweis, dass Wissenschaft nicht mehr an der Forschung orientiert in die Praxis umgesetzt wird, sondern bereits selbst zu vermeintlichem “Wissen” degeneriert ist……
Das Interesse an Journalismus – egal ob Wissenschafts- oder Wissensjournalismus – resultiert aus den subjektiven Interessens- und Befindlichkeitslagen der jeweilig in Frage kommenden “Wissensabnehmer”.
Liebe Frau Armand,
ehrlich gesagt, ich weiß nicht, ob es die von mir vorgenommene Unterscheidung in den Begriffen “Wissenschaftsjournalismus” und “Wissensjournalismus” “offiziell” gibt. Natürlich habe ich meinen 3-Klang zugespitzt formuliert. Man möchte ja zum Nachdenken anregen …
Ich sehe einen Unterschied zwischen beiden in der Funktion des Journalisten – und bin mir im Klaren, dass ich im Folgenden erneut vereinfache und mich auf dünnes Eis begebe: Wissensmagazine, seien sie gedruckt oder gesendet, verkaufen Wissenschaft über die Inszenierung in Wort und Bild. Die Journalisten versuchen, der Wissenschaft eine ästhetische, unterhaltsame, oft sogar “lustige” Seite abzugewinnen. So nehme ich jedenfalls viele der Angebote wahr. Und manche machen das richtig gut!
Dennoch glaube ich, dass diese neuen Formate nicht alle überleben werden. Die Gründe dafür habe ich oben erläutert: kein Markt für alle, keine hinreichende red. Abgrenzung derverschiedenen Formate voneinander.
Liebe Grüße
CK
Angebot + Nachfrage…
Lieber Herr Könneker,
ich möchte gerne zu Ihrer Feststellung
Dennoch glaube ich, dass diese neuen Formate nicht alle überleben werden. Die Gründe dafür habe ich oben erläutert: kein Markt für alle, keine hinreichende red. Abgrenzung derverschiedenen Formate voneinander.
noch einmal etwas nachhaken, wobei Sie sicherlich die “Szene” hier weit besser im Blick haben als ich:
Meinen Sie Ihre Feststellung in dem Sinne, dass durch das Verwischen der Grenzen und durch das Problem “jeder macht alles” ein wechselseitiges Konkurrenzverhältnis verursacht wird und im Endeffekt sich die Anbieter dadurch untereinander den Nachfragemarkt zerstören.
anders ausgedrückt:
Kann man sagen, dass auf dem Sektor des Wissenschaftsjournalismus eine ähnliche Entwicklung stattgefunden hat, wie auf dem Markt der Boulevard-Zeitschriften und dass Sie aufgrund dieser Entwicklung davon ausgehen, dass ein klar strukturierter Wissenschaftsjournalismus als Sieger aus jenem vernichtenden Konkurrenzkampf hervorgehen könnte?
Re: Angebot und Nachfrage
Liebe Frau Armand,
es sind ja 2 Argumente. Das eine betrifft die Größe des Marktes/der Nachfrage für “Wissen”-Magazine. Ich beschränke mich im Folgenden auf gedruckte. Hier haben wir in den letzten Jahren einen erstaunlichen Familienzuwachs beobachtet: SZ Wissen, ZEIT Wissen, SPIEGEL Wissen, HÖRZU Wissen, Science Illustrated, Wunderwelt Wissen, Welt der Wunder … Die meisten dieser Titel wurden als “Line Extensions” einer bestehenden Mutterpublikation auf den Markt gebracht. Am Beispiel des SPIEGEL lässt sich das Kalkül dahinter ganz gut veranschaulichen. Der herkömmliche gedruckte SPIEGEL leidet (wie die meisten Publikumszeitschriften) stark unter der durch die Wirtschaftskrise drastisch verstärkten Anzeigenflaute. Da brechen zig Prozent des Jahresumsatzes einfach mal weg. Das erschüttert einen Verlag – und wie gesagt, es sind sehr viele Verlage betroffen. Vor allem natürlich die, die wesentlich vom Anzeigengeschäft leben. Da überlegt man also u.a., wie man sein Geschäft neu ausrichten kann, neue Produkte lancieren kann, um das Risiko zu streuen.
Wissenstitel versprechen, etwas weniger abhängig zu sein vom Anzeigengeschäft. Denn Wissen ist “kostbar”, man kann es sammeln, die Leser bezahlen für ein Heft mehr usw. M.a.W.: Die Verlage suchen aktuell nach redaktionellen Produkten, die sich weitgehend durch Abo und Kioskverkauf rechnen, wo man also nicht auf 50% und mehr Anzeigenerlöse angewiesen ist.
Dennoch bräuchten all diese Titel, um zu überleben, im Schnitt vermutlich mindestens 100.000 verkaufte Hefte pro Ausgabe, je nach Aufwand auch deutlich mehr. So groß ist der Markt aber nicht; die SZ hat daher ihren Wissenstitel bereits wieder eingestellt. und die Zahl derer, die derzeit ebenfalls rote Zahlen schreiben, dürfte überwiegen. Hier könnte sich also ein Verdrängungswettbewerb entwickeln, bei dem am Ende ein kleineres Angebot an Wissenstiteln für die Leser steht.
Und jetzt das 2., das redaktionelle Argument: Die Titel sind in meinen Augen zu verwechselbar. Es gelingt kaum einem von ihnen, sich als Wissensmagazin so von den anderen abzuheben – was Inhalte, Themenmix, Bebilderung, Art der Rubriken, Aufbereitung der Texte usw. angeht -, dass ich mir vorstellen könnte: Hier entsteht etwas richtig Neues, was sonst niemand auf die Leser loslässt. Zugespitzt formuliert: Sie könnten sehr viele Texte vom einen Medium nehmen und es in das Layout des anderen gießen – und die meisten Leser würden nicht merken, dass der fragliche Artikel “anders” gemacht ist, einen Fremdkörper bildet. (Zugespitzt formuliert, wohlgemerkt.)
Ergo: Zu viele Verlage mit derselben (für sich betrachtet rationalen) Strategie, ein insgesamt zu kleiner Markt für die Fülle an Angeboten – und kein Titel in Sicht, der redaktionell so hervorsticht, dass ich erwarten würde, er könnte den anderen signifikant Leserschaft abspenstig machen.
Wobei ich ausdrücklich hinzufügen möchte, dass es innerhalb der genannten neuen Titel Gruppen gibt. Will sagen: Ein einzelner Titel ist nicht mit allen anderen weitgehend verwechselbar, aber zumindest mit einigen aus der Gesamtmenge.
Liebe Grüße
Ihr CK