Wissenschaft, plakativ

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Salon der zwei Kulturen
GUTE STUBE

Im öffentlichen Raum stößt man immer wieder auf Plakate, die Wissenschaft oder Forschende zum Gegenstand erheben. Nein, ich rede nicht von Reklame für Science Festivals oder ähnliches, also von Wissenschafts-PR, sondern im Gegenteil: von Werbung, die sich auf Kosten von Wissenschaft als System bzw. ihrer Protagonisten als Personen aufschwingt, dieses oder jenes zu promoten. Wissenschaft erscheint dann als Chiffre für etwas Negatives, Fremdes, Hermetisches, bisweilen auch Subversives oder Aggressives.

BASE-Werbeplakat, November 2011
BASE-Werbeplakat: Wissenschaft – nichts für Sympathieträger?

Das BASE-Plakat, das mir 2011 unterkam, ist meiner Meinung nach ein besonders dämliches Beispiel, weil das Produkt, das hier beworben wurde, ohne Wissenschaft, ohne Grundlagen- wie Anwendungsforschung, gar nicht existierte. Viel ärgerlicher aber: Es suggeriert, dass junge, dynamische Menschen wie der abgebildete Twen besser nichts mit Wissenschaft zu schaffen hätten. Sympathische junge Leute wie der 29-jährige Mark (so zu lesen im Kleingedruckten des Plakats) und Wissenschaft haben nichts gemein. Anders formuliert: Cool sein und sich für Wissenschaft zu interessieren oder sie gar selbst zu betreiben schließen sich aus. Was für eine verquere Botschaft!

BILD-Plakat während des Kachelmann-Prozesses
“BILD”-Plakat während des Kachelmann-Prozesses 2011

Das Plakat der Bildzeitung, über das ich während des Kachelmann-Prozesses vor dem Mannheimer Landgericht 2010/11 stolperte, ist hingegen fast schon zu komisch, als dass man sich darüber ernsthaft aufregen könnte. Amüsant nicht nur, dass der betreffende Gutachter, Hans Markowitsch, streng genommen gar kein Hirnforscher, sondern Psychologe ist, sondern auch die Vorstellung vor meinem geistigen Auge, dass ein ‘Forscher im weißem Kittel’ Deutschlands prominentestem Wettermoderator zu Leibe rückt.

 

Nachtrag am 25.08.2014: Am Wochenende habe ich unter dem Eindruck des Posts und der Kommentare noch einen kleinen Fund gemacht. Der Schnappschuss stammt aus einer Filiale einer großen Drogeriekette. Ich studierte gerade das Angebot an Babynahrung… Auch diese Einblendung von “Forschern” auf dem Produkt selbst finde ich bemerkenswert, aber aus anderen Gründen.

Schnappschuss in einem Regal für Babynahrung in einer Drogerie
Produkt aus einem Regal für Babynahrung

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Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

7 Kommentare

  1. Zur ersten Werbung: Man spricht – vom englischen kommend – von “Raktenwissenschaft” oder kurz “Wissenschaft”, wenn man etwas sehr kompliziertes, dessen Verständnis viel Zeit erfordert, meint.
    Sowas wie “das Ausfüllen der Formulare ist keine Raktenwissenschaft”. Das ist natürlich nicht abwertend gegenüber den Wissenschaften gemeint, sondern trägt dem Rechnung, dass Wissenschaft nunmal vergleichsweise kompliziert ist. Zumindest einige Wissenschaften, wenn man details berücksichtigt.
    Natürlich gibt es auch außerhalb der Wissenschaften sehr komplizierte Fälle.

    Das zweite Plakat ist noch wesentlich ambivalenter… Jedenfalls hat ein großer Teil der Bevölkerung einfach die Erwartung, dass die Wissenschaft bei der Wahrheitssuche im Strafprozess hilft und sogar endgültige Beweise liefert.

  2. Dr. Markowitsch hat sich wohl bereits mehrfach hirnforscherisch bekannt gemacht:
    -> http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-52417857.html (fand der Schreiber dieser Zeilen jetzt nicht so-o knorke das Interview, auch den per BILD beschriebenen und im Artikel webverwiesenen Vortrag vor Gericht (‘Wenn es in Kindheit oder Jugend traumatische Erlebnisse gab, kann es zu Gedächtnislücken kommen.’) nicht)

    Und BASE beackert halt den Markt, wollte wohl Einfachheit hervorstellen, wobei sich die Wissenschaft idealtypisch eben um diese bemüht, realiter also nicht immer; könnte also noch knapp gehen, das: ‘auf Kosten der Wissenschaft’.

    Für Niveau hat man ja die SciLogs oder andere ähnlich wissenschaftsnahe Verbundsysteme des Webs…

    MFG
    Dr. W

  3. Eine Gegenkampagne müsste den Flair und die Coolness der Nerds herausstellen. Etwa so: “Die Woche durch an der Zukunft arbeiten, in der Freizeit ein Smartphone unter einer Flatrate von BASE nutzen. Sei Cool, Bleib Cool, Bleib BASE”

  4. Markowitsch… klingt wie Malkovich, John. Being or not being M.

    Bedrängt hat er ihn? Angesichts des vor Gericht verhandelten “Gegenstandes” könnte man auf Ideen konnen…

    Übrigens kann ja jeder ein Wissenschaftler sein. Weils kein geschützter Beruf sei…oder so. Also auch der Psychologe – wenn der denn die Muße dazu hätte.
    Bei Aufforderung, bei seinen Leisten zu bleiben, käme “Wissenschaftler” nicht als gültiges Ausschlußkriterium vor.

  5. Hallo Carsten! Kein Hirnforscher, sondern Psychologe? Ist das nicht eine zu enge Definition des Hirnforschers? Ich will da jetzt nicht darauf rumreiten, aber mich interessiert wirklich, ob Du hier eine bestimmte Einteilung meinst? (Ich verrate sie auch Stephan Schleim nicht weiter.)

  6. Hallo Markus,
    ich meinte mit “streng genommen” seinen Werdegang (Studium der Psychologie) und die Aufhängung in seiner Fakultät an der Uni Bielefeld (Abteilung für Psychologie). Natürlich ist eine strenge Unterscheidung “dieser ist Hirnforscher, jener ist Psychologe” unsinnig, wenn es sich um stark interdisziplinär denkende und methodisch arbeitende Forscher wie Hans Markowitsch handelt. Viel spannender die Frage, ob die Kollegen bei der Bildzeitung bewusst lieber den “Hirnforscher” herausstellten als den “Psychologen”, weil die erhoffte Wirkung evtl. eine andere ist in einer Überschrift oder auf einem Plakat.

    Liebe Grüße nach Berlin
    Carsten

    • Welches Studium müsste man den Abschließen, um (ohne erst den Werdegang einzubeziehen) von einem Hirnforscher zu reden?

      Das Nichtvorhandensein dieses Studiengangs (zumindest in der Breite, es sind nur ganz wenige Ausnahmen und dort, wie in Magdeburg zum Beispiel, beginnen sie meist erst ab Bachelor) ist nämlich ein Problem.

      Denn die interdisziplinäre Hirnforschung mag für Drittmitteleinwerbung attraktiv sein –wie der neue SciLogs-Blog HirnNetze hoffentlich zeigen wird. Doch Hirnforschung auf Sicht einer (langfristigen) Karriereperspektive ist fast schon gefährlich. Zumindest ohne sich gleichzeitig deutlich in einer Disziplin zu verorten geht es kaum weiter. Um beim Beispiel Magdeburg zu bleiben, die Fakultät für ist für Naturwissenschaften und das Institut für Biologie. Da mag der Studiengang Neurowissenschaften heißen, die institutionellen Strukturen reflektieren das nicht.

      Deswegen darf gerade nicht der Eindruck entstehen, jemand sei kein/e Vollbluthirnforscher/in weil sie oder er Physiologe, Mathematiker, Biologe, Ingenieur, Physiker, Psychologie, Informatiker, Mediziner, Philosoph … ist.

      Aber hier führt das nun zu weit. Diese Diskussion könnte man gleich mal in HirnNetze aufnehmen.

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