Helmut Wicht: Warum ein Wissenschaftler bloggt

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Salon der zwei Kulturen
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Das wurde ja mal Zeit: Helmut Wicht besucht mich in der Guten Stube! Am 15.10. werden wir beide zusammen mit den Wissenschaftsjournalisten Volker Stollorz und Kathrin Zinkant auf dem ZEIT Bildungsforum der Frankfurter Buchgmesse über Wissenschaftsblogs, ihren Sinn und Unsinn, debattieren (ZEIT Bildungsforum, Halle 3.1 L105, 14.00 Uhr – 15:00 Uhr). Ich hatte Helmut Wicht im Vorfeld gefragt, warum ein Wissenschaftler überhaupt auf die Idee kommt zu bloggen – und wem die Bloggerei etwas bringt. Lesen Sie, was der Neuroanatom von der Uni Frankfurt dazu meint.

 

Warum bloggt ein Wissenschaftler?

Warum EINER bloggt, das weiss ich: Ich kann sagen, warum ICH es tue. Und wenn ich ehrlich sein soll, dann gereichen mir – in meiner beruflichen Funktion als (Neuro-)wissenschaftler und Hochschulehrer – die Gründe meiner Bloggerei womöglich zur Schande.

Helmut Wicht Dreißig Beiträge habe ich in knapp einem Jahr geschrieben. In keinem geht es um den harten Kern der Wissenschaft, nirgendwo Daten, Zahlen, Fakten oder "latest news from the bench". Aber auch kein Wissenschaftsjournalismus – kein Versuch, die komplexe Materie meiner neurowissenschaftlichen Unternehmungen dem geneigten Publikum verständlich zu machen. Was bei der Bloggerei herausgekommen ist, ist zweierlei. Zum einen eine Reihe von "Miniaturen", Kurzgeschichten und Glossen aus dem Lehr- und Forschungsbetrieb. Kaum Analysen, eher Anekdoten und Analekten. Zum anderen – das ergab sich durch die Gegenwart von bloggenden Philosophen im Umfeld meines Blogs – habe ich mich in einigen Beiträgen auf genuin philosophisches Terrain vorgewagt.

So. Wenn ich jetzt (Obacht! Es folgt Wissenschaftskritik) den klassischen wissenschaftlichen Kurzschluss mache, und mir angucke, was bei meinen Experimenten herausgekommen ist, um es dann mit dem gleichzusetzen, was ich eigentlich herausfinden wollte, wenn ich also so auf die Resultate meiner Bloggerei schaue, dann werden mir auch die Gründe dafür klar:

Ich mach’s für hauptsächlich für mich. Weil ich eitel bin, und gelesen werden möchte. Ich mach’s aber auch, weil ich der Ansicht bin, dass die "Transparenz" der Wissenschaft sich nicht in der Verständlichmachung ihrer Resulate erschöpft. Die entstehen nicht im luftleeren Raum, es gibt ein ökonomisches und ein soziales Umfeld. Das ist trivial. Es gibt aber auch ein "atmosphärisches" Umfeld, Wissenschaft hat einen "ästhetischen Habitus und Gestus". Um den geht es mir. Und es geht mir freilich auch darum, das, was ich so denke und schreibe, zur Prüfung zu stellen: auf seine Resonanz, Konsistenz und Ästhetik hin.

Ja, ich bin eigentlich ein unwissenschaftlicher Blogger. Eher einer, der versucht, seine literarisch-ästhetischen Ambitionen auszuleben und sich dazu an wissenschaftliche Themen hält. Ist das eine Schande für einen Wissenschaftler? Nein, eher ein Ventil: Denn das Kerngeschäft der Wissenschaft, die Konstatierung des schieren Faktums, ist unendlich langweilig. Mir zumindest. Das Faktum ist fad. Seine Relationen sind relevant!


Bringt Bloggen der Wissenschaft was?

Nö. Nicht in dem (wie üblichen engen) Feld der Spezialisierung, in dem ich mich bewege. Keiner meiner "peers" (Kollegen meiner "Alters- und Gewichtsklasse") bloggt, kaum einer von denen liest Wissenschaftsblogs. Mithin kann ich im Blog meine Wissenschaft nicht "machen" oder "ernsthaft kritisch diskutieren".

Oder vielleicht doch? Popularisierung, Transparenz? (s.o.) Ich weiss nicht so recht. Die Reichweite ist doch arg gering. Ein paar tausend Klicks auf die 30 Artikel die ich schrieb … nun ja, vielleicht doch nicht ganz so schlecht. Meine geniun wissenschaftlichen Publikationen bringen es auf weit weniger Aufmerksamkeit.

Es ist halt auch die Frage, was man will, was man erwartet. Ich erwarte wenig. Jedenfalls nicht, dass Blogs zum allseinseligmachenden Demokratie-, Transparenz-, Verständnis- und Diskussionswerkzeug innerhalb der Wissenschaft werden. Ich glaube auch nicht, dass sie wirklich kompetenten Wissenschaftsjournalismus ersetzen können. Was sie aber können, was sie jetzt schon tun, ist: Fenster öffnen. Besser gesagt: dort Fensteröffnungen brechen, wo vorher keine waren. Der Laie kann auf den Wissenschaftsbetrieb schauen, ohne in die bodenlosen Sümpfe der Fachpublikationen hinabsteigen zu müssen. Wenn’s gut läuft, dann bekommt er zwar vielleicht nicht en detail mit, WAS der Wissenschaftler da gerade denkt, aber doch einen Eindruck davon, WIE er denkt, wie er tickt. Der Wissenschaftler bekommt eine Vorstellung davon, welche Resonanz das, was er da so treibt und meint, bei fachfremden Personen erzeugt. Die Grenzen zwischen "drinnen" und "draußen" werden durchlässiger, es entstehen Bezüge, die vorher nicht bestanden. Und das ist gut so. Denn, wie gesagt: Fakten sind fad, relevant sind die Relationen.

 


Helmut Wichts Gastpost ist Teil einer kleinen Serie. Im 2. Teil erläutert der Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz, warum er die Ausbreitung von Wissenschaftsblogs durchaus kritisch beäugt. Und im 3. Teil stellt Kathrin Zinkant klar, dass Blogs mit Journalismus nichts zu tun haben.

 

 

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Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

4 Kommentare

  1. Zitat:”Der Laie kann auf den Wissenschaftsbetrieb schauen, ohne in die bodenlosen Sümpfe der Fachpublikationen hinabsteigen zu müssen”

    Genau deswegen lese ich hier diesen Blog. Aber ich sehe noch einen anderen Grund. Meiner Meinung nach ist es schwer in eine Übersicht über die aktuelle Situation in der Wissenschaft zu gewinnen. Magazine beziehen sich meistens auf einen Teil der Wissenschaft und nicht auf das gesamte Spektrum. Darum freut es mich, dass es Journalisten/Forscher gibt die in diesen Blog über die aktuelle “Situation” berichten

    MFG Kristian Kleine-Weber

  2. Drumherum

    “Zum anderen – das ergab sich durch die Gegenwart von bloggenden Philosophen im Umfeld meines Blogs – habe ich mich in einigen Beiträgen auf genuin philosophisches Terrain vorgewagt.”

    Und die Diskussion um die Wissenschaft drumherum, die sonst vielleicht so nebenher abläuft und die nicht publiziert wird oder sonst kaum auftaucht, die finde ich ganz interessant.

  3. Umfassendere Transparenz

    Helmut Wicht betont, wie ich finde, zurecht, “dass die ‘Transparenz’ der Wissenschaft sich nicht in der Verständlichmachung ihrer Resulate erschöpft. Die entstehen nicht im luftleeren Raum, es gibt ein ökonomisches und ein soziales Umfeld.” Genau diese umfassendere Transparenz, welche die “Übersetzung” von Forschungsergebnissen in Alltagssprache weit übersteigt, können Blogs von Wissenschaftlern herstellen, zumindest ein wenig.

  4. Keine wichtige Wissenschaft

    in Wichts Blog?

    Helmut, ich meine mich daran erinnern zu können, dass du irgendwann mal von einer fluoreszierenden Zelle geschrieben hast, die du bei der Arbeit gefunden hast. Bist du dir sicher, dass du nirgends über Daten, Zahlen und Fakten geschrieben hast?

    Und was die Eitelkeit betrifft — daran habe ich schon auf dem Bloggertreffen Anstoß genommen. Vielleicht haben Blogs aber für die zumindest in Deutschland immer häufiger vorkommenden unterbezahlten Wissenschaftler eine kompensatorische Funkion?!

    Es grüßt

    Stephan

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