Volker Stollorz: Blogger als Journalismusersatz?
BLOG: GUTE STUBE
Der eine bloggt, der andere nicht. Vorgestern legte Helmut Wicht, der bloggende Neuroanatom, in der Guten Stube seine Motive offen, warum er, der Wissenschaftler, bloggt. Heute erklärt uns Volker Stollorz warum er die Ausbreitung von Wissenschaftsblogs kritisch beäugt. Stollorz ist freier Wissenschaftsjournalist in Köln und Mitglied der Wissenschaftspressekonferenz. Er schreibt unter anderem für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" sowie die "Zeit" und verschiedene Magazine. Zusammen mit Kathrin Zinkant (Zeit online) werde ich Helmut Wicht und Volker Stollorz am kommenden Mittwoch auf der Frankfurter Buchgmesse treffen, um 60 Minuten offline über Wissenschaftsblogs zu debattieren (ZEIT Bildungsforum, Halle 3.1 L105, 15.10.2008, 14.00 Uhr – 15:00 Uhr).
Blogger als Journalismusersatz?
Am Beginn meiner Karriere als Wissenschaftsjournalist gab es das World-Wide Web für alle noch nicht. Das Telefon, persönliche Kontakte, Kongressbesuche und Reisen waren für Recherche und die unabhängige Beobachtung der Wissenschaft zwingend. Dann revolutionierte der Zugriff auf elektronische Datenbanken die journalistische Recherche. Mit dem WWW wuchs die Zahl der Quellen rascher als die Aufmerksamkeitsspanne der Journalisten. Zudem wurde die ganze Pressewelt auf einen Klick verfügbar, ein Paradies für Kannibalen untern den Journalisten. Fortan blieb allein genuine Recherche teuer, das Verbreiten von Gerüchten und Geschichten aus der weiten Welt der Wissenschaft dagegen wurde beliebig billig. Das ist ein Grund, warum das Geschäftsmodell für journalistische Qualität derzeit auf der Kippe steht.
Im Netz entsteht dagegen eine Welle von Science-Blogs. Einerseits sind bloggende Wissenschaftler und Bürger eine willkommene, weitere Quelle für die Recherche von Wissenschaftsjournalisten. Andererseits aber leben da draußen im Web nun auch Millionen Fact-Checker, die sich Gehör beim Publikum verschaffen wollen. Und das just zu einer Zeit, wo Redaktionen ihre hauseigenen Faktenprüfer entlassen und redaktionelle Kontrollroutinen geschleift haben. Das kann das Vertrauen in Journalismus weiter unterminieren ohne dass klar wäre, was an seine Stelle treten sollte. Der Charme der meisten Blogs findet bisher seine Grenzen dort, wo guter Journalismus anfängt. Ein unabhängiger Wissenschaftsjournalismus ist auf redaktionelle Routinen und dauerhafte Strukturen angewiesen. Er kostet Geld und benötigt kompetentes und wachsames Personal. Woher all das Geld für journalistisches Blogging herkommen soll, das im Interesse der Öffentlichkeit die Wissenschaft professionell beobachtet, ist mir derzeit schleierhaft. Ich plädiere daher für den Erhalt journalistischer Haltungen, weil die Öffentlichkeit auf unabhängige Beobachtung der Wissenschaft angewiesen ist. Die können Blogs kaum ersetzen.
Dieser Beitrag ist Teil einer Serie zum Thema "Wissenschaft im Internet – wozu Blogs?" Außerdem erschien ein Statement von Helmut Wicht zu der Frage, warum ein Wissenschaftler bloggt, und Kathrin Zinkant stellte klar, dass Blogs mit Journalismus nichts zu tun haben.
Einen weiteren interessanten Beitrag zur Frage des Verhältnisses von Wissenschaftsjournalismus und Wissenschaftsblogs hat Sven Keßen ("kamenin") vor einigen Wochen gepostet. Er bezeichnet Blogs als nützlichen "Wissenschaftsboulevard".
Ich kann Volker Stollorz nur zustimmen: wir brauchen dringend unabhängigen, professionellen Wissenschaftsjournalismus, der auch entsprechend finanziell ausgestattet sein muss, um sorgfältig und in die Tiefe recherchieren zu können. Wir brauchen die Fachjournalisten, die ein Thema über viele Jahre kontinuierlich und kritisch verfolgen und sich nicht so schnell einen Bären aufbinden lassen von einer schicken Pressemitteilung. Nirgendwo ist dies offensichtlicher als beim Thema Klima, wo ich solche journalistische Qualität wiederholt gefordert habe.
Allerdings sehe ich nicht, wieso das gegen Bloggen sprechen sollte. Wie Gavin Schmidt in unserem aktuellen KlimaLounge Beitrag zurecht argumentiert: die Frage, ob über solche Themen in Blogs diskutiert wird, stellt sich gar nicht. Es wird. Man kann höchstens fragen, ob Wissenschaftler sich an dieser Diskussion beteiligen sollen. Diese Frage würde ich mit einem klaren “ja” beaantworten, sonst würde ich nicht bloggen. Gerade die Menschen mit dem entsprechenden Sachverstand sollten auch zu diesen Diskursen beitragen und ihre Sichtweise zur Diskussion stellen, das bringt die Wissenschaft aus dem Elfenbeinturm und macht sie zugänglicher und transparenter.
Selbstverständlich kann und soll das kein Ersatz für guten Wissenschaftsjournalismus sein – es kann ihn aber sinnvoll ergänzen.
Transparenz (@ Stefan Rahmsdorf)
Ich gebe Herrn Rahmsdorf ausdrücklich recht. Blogs, geschrieben von Wissenschaftlern, machen Wissenschaft transparenter. Und dies ist eine andere Transparenz, als sie der Wissenschaftsjournalismus herstellt, der sich um Hinterfragen, Kontextualisierung, Einholen auch von alternativen Schlussfolgerungen usw. bemüht und unabhängig agiert. Die Transparenz der Blogs ist hingegen eine “persönlichere”, wenn man es so formulieren mag. Ein Wissenschaftler tritt im Blog als Person an die Öffentlichkeit, gibt etwas von sich preis, tritt in Dialog mit anderen, gibt Einblicke in “seine Sache”. Insofern wird es ein Nebeneinander, vielleicht auch mitunter ein Miteinander zwischen Wissenschaftsjournalismus und Blogs geben. Ganz wichtig dabei: Auf jene Transparenz, die der Journalist schafft, können wir aber keinesfalls verzichten – hier stimme ich Volker Stollorz uneingeschränkt zu. Die journalistische Transparenz ernährt sich nicht von Enthusiasmus – und auch nicht von W3-Besoldungen.
Bitte mehr Journalismus als Wissenschaft
Ich denke Wissenschaftsjournalismus ist da gerechtfertigt, wo er Journalismus ist. Mir gefällt der Vergleich, mit dem Auslandskorrespondenten, der für die Leser aus seinem Heimatland aus einem anderen Land berichtet. Gut, er sollte die Sprache beherrschen, aber letztlich bleibt er doch immer Ausländer. Daher glaube ich auch, dass es kontraproduktiv ist, wenn Wissenschaftsjournalisten selbst aus der Wissenschaftsszene kommen. Auch ist im Internet-Zeitalter das Aufhübschen von Pressemitteilungen einfach zu wenig, denn der interessierte Leser kann auf dieselben Quellen zugreifen, die ja auch immer weniger den Journalisten allein vorbehalten sind. Wenn Wissenschaftler bloggen, dann wird Wissen authentisch vermittelt und kann auch bei Bedarf sofort diskutiert werden. Sehr schön sieht man das, bei der Frage, für was eigentlich dieses Jahr der Nobelpreis für Physik vergeben wurde. Gut erklärt und diskutiert wird dies in der Blogosphäre, die Nachrichtenmagazine sind fachlich überfordert. Das ist nicht weiter schlimm, tragisch ist meines Erachtens, wenn Wissenschaftsjournalisten glauben, sie müssten solche Inhalte ebenso gut wiedergeben können, bzw. wenn sie dieses Selbstverständnis haben, dabei aber die eigentlich journalistisch viel spannendere Frage, warum der an der Entdeckung beteiligte italienische Physiker Nicola Cabibbo nicht geehrt wurde, vernachlässigen. Diese “Außenansicht” der Wissenschaft kann nur der Journalismus bieten. Wissenschaftsjournalisten kommen mir aber oft vor wie Don Quijotes beim Kampf gegen die Windmühlen. Sie kämpfen mit der sperrigen wissenschaftlichen Materie einen Kampf, den sie nicht gewinnen können und den auch niemanden wirklich interessiert.
Profi-Journalismus
Könneker:
“Die journalistische Transparenz ernährt sich nicht von Enthusiasmus – und auch nicht von W3-Besoldungen.”
Ja, wie? Ein W3-Gehalt reicht nicht, um einen Journalisten zu nähren? Dann wundert’s mich ja auch nicht weiter, dass es ebenfalls nicht ausreicht, um gute Wissenschaftler in den Dienst an deutsche Unis zu locken.
Im Ernst: wir sollten uns – vielleicht auch am Mittwoch auf der Buchmesse – mal fragen, WAS für eine Art von “Transparenz” der Wissenschafts-Journalismus, die Blogs, oder die Wissenschaftler selbst herstellen können oder sollen.
Ich seh’ da drei Ebenen:
– Interne Transparenz: Reproduzierbarkeit, Qualitätssicherung.
Definitiv keine Sache für Blogs oder Journalisten, sondern für jeweils die 10-100 Hanseln weltweit (“peers”), die von meiner oder sonstjemandes Wissenschaft genug verstehen, um zu entscheiden, ob dieser oder jener Versuchsaufbau und dessen Ergebnisse und deren Interpretationen angemessen sind.
– Ergebnisse verständlich machen: Sicherlich einer der Jobs des Wissenschaftsjournalisten, nicht aber, ich ich meine, seine Hauptdaseinsberechtigung. Hier kriegt er sicher Konkurrenz von einigen Wissenschaftlern selbst. Es gibt nämlich solche, die sowohl schreiben und erklären können und wollen! Und denen mag ein Blog als Forum dienen.
– Umfeld:
Ad nauseam – Wissenschaft findet nicht im luftleeren Raum statt. Es gibt divergierende Interessen, ökonomische Zwänge, militärische Begehrlichkeiten, ästhetische Konnotationen, absehbare und nicht absehbare Folgen – kurz: Wissenschaft ist mindestens ebensosehr gesellschaftlich bedingt wie bedingend. In dieses Labyrinth von Bedingtheiten Licht zu tragen, kritisch, politisch, ästhetisch: das scheint mir eine genuine Aufgabe des Wissenschaftsjournalismus zu sein. Also eben nicht “Wissenschaft a jour” (tagesweise Siegesmeldungen von der Forschungsfront), sondern ein Wissenschaftsjournalismus, dessen Atem über den Tag, die Woche, das Jahr (nd das Labor) hinausreicht.
@Helmut Wicht
Klingt gut! Transparenz ist eben immer gut – aber nicht immer dasselbe.
Blogs als Ergänzung des Journalismus
Nachdem hier schon viel Richtiges geschrieben wurde, möchte ich noch einmal auf Volker Stollorz’ Kommentar zurückkommen. Das Bloggen, so urteilt er sinngemäß, könne gut recherchierenden Journalismus nicht ersetzen. So sehe ich das auch, und seine Sorge um die Entwicklung in vielen Redaktionen teile ich. Für die redaktionelle Betreuung von Beiträgen bleibt immer weniger Zeit.
Mir ist kein Blog bekannt, in dem journalistische Prinzipien, die für nachrichtliche Beiträge gelten (sollten), konsequent angewandt würden – das würde ja auch gar nicht zur Eigenart von Blogs passen. Kommentare und Glossen findet man hingegen zuhauf in Internet-Tagebüchern. Das ist bei Wissenschafts-Blogs, so interessant sie sein mögen, nicht anders.
Gewiss: Das Bloggen von Wissenschaftlern kann eine sinnvolle Sache sein und eventuell zur Transparenz wissenschaftlichen Arbeitens beitragen. Sicher ist das nicht.
Wissenschaftsjournalismus sollte unabhängig vom Bloggen gepflegt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass Journalisten gut daran tun, jede Information, die sie in einem Blog finden und für einen Beitrag nutzen wollen, akribisch nachzuprüfen – selbst wenn es ein Nobelpreisträger ist, der da schreibt.
Ich kann mich – nicht nur hier – des Eindrucks nicht erwehren, dass in dieser Diskussion permanent ein Idealbild des Journalismus den realen Blogs gegenüber gestellt wird. Naturlich kommt man dann zu dem Schluss, dass Wissenschaftsjournalismus hochwertiger ist und von Blogs nicht ersetzt werden kann.
Nimmt man den real existierenden Wissenschaftsjournalismus zum Vergleich, sieht das gelegentlich ganz anders aus: Wenn ich im Extremfall den kürzlich gesehenen ganzseitigen Jubelartikel über Heilsteine als Maßstab heranziehe, dann kommt der Journalismus eben nicht besonders gut weg. Und vergleichbare Beispiele gibt es wie Sand am Meer.
So lange der qualitativ hochwertige Wissenschaftsjournalismus die Norm ist, werden Blogs nie mehr als eine Ergänzung sein. Aber das ist eben nicht zwangsläufig gegeben.
Blogger und Journalisten
Manche Journalisten sind schon eine seltene Spezies. So wie die über sich und ihre Arbeit reden, da möchte ich meinen, zuerst gab es die Journalisten und dann wurde die Welt um sie herum geschaffen. Das sind die Säulen der Demokratie, die Wächter der Werte, der Schutz vor Fehlentwicklunge in der Gesellschaft usw. Trifft man mal welche persönlich muß man feststellen wie unerträglich arrogant sie sind. Und ob sie wirklich den Anspruch erfüllen, den sie für sich in Anspruch nehmen? Bei der Finanzkrise hat es nicht geklappt. Auf Spiegel gab es einen Beitrag von einem Wirtschaftsjournalisten, der das mahnend ins Zeugnis schrieb, die Journalisten haben versagt, weil sie nicht kritisch genug waren und er hat sich selbst in diese Kritik eingeschlossen. Hut ab! Soviel Selbstkritik und Ehrlichkeit findet man heutzutage nicht mehr oft.
Manche Blogger sind auch komisch. Am liebsten unterhalten sie sich über sich selbst oder die Blogosphäre. Da schimmert dann auch aus jedem Satz heruas, wie wichtig sie doch sind und daß sich die Welt bestimmt aufhört zu drehen, wenn sie nicht mehr schreiben.
Wahrscheinlich können sich deshalb Journalisten und Blogger nicht so gut leiden, weil sie sich so ähnlich sind.
Ich lese beides, die normals Journalie und Blogs. Beides muß kritisch gelesen werden, denn es längst nicht alles richtig, was Journalisten schreiben und bei den Blogs ebenso wenig. Blogs lese ich gerne, weil da auch mal ganz ungefiltert eine Meinung veröffentlicht wird. Bei den normalen Medien finde ich oftmals immer die gleiche Meinung. Immer schön korrekt und durch den aerodynamischen, Gutmensch-Windkanal geschliffen. Blogs entsprechen da eher der Volkesmeinung, was jeder weiß, aber in der Öffentlichkeit kaum ausgesprochen wird. Von daher taugen Blogs gut, um sich eine Meinung zu bilden, weil einem auch mal eine andere Sichtweise präsentiert wird.