Pro Geisteswissenschaften I

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Salon der zwei Kulturen
GUTE STUBE

Am 31. Mai und 1. Juni 2006 fand in Berlin die Eröffnungsveranstaltung der von verschiedenen deutschen Stiftungen getragenen Initiative "Pro Geisteswissenschaften" statt.[1] In den kommenden Tagen stelle ich eine kleine Auswahl von interessanten Zitaten aus der hochkarätig besetzen Konferenz vor, die ich allesamt der offiziellen, in der "Edition Stifterverband" erschienenen Dokumentation entnehme. Den Anfang macht direkt eine Ausnahme – denn in der folgenden Passage aus dem Vortrag des Wissenschaftshistorikers Michael Hagner geht es gar nicht um die Geistes-, sondern die Naturwissenschaften: 

"Für die Naturwissenschaften haben sich in den letzten Jahren die kulturellen, sozialen und ökonomischen Koordinaten erheblich gewandelt. […] Mit dem Ende des Kalten Krieges verlor die westliche Welt ihren großen Rivalen im Osten, und damit verloren auch die Naturwissenschaften ihren festen Ankerpunkt, der sie zum führenden player einer kulturell sensibleren und offeneren, moralisch besseren Welt erkoren hatte. Es ist den Naturwissenschaften in jenen Jahren keineswegs an den Kragen gegangen. Im Gegenteil: Damals begann eine bis dahin beispiellose Förderung der biomedizinischen Wissenschaften, insbesondere der Neurowissenschaften und der Molekularbiologie, und zum ersten Mal seit vielen Jahrzehnten sah sich die Physik mit der Situation konfrontiert, dass sie nicht mehr als Leitwissenschaft angesehen wurde, sondern den Stab an die Lebenswissenschaften abgeben musste. Diese Veränderungen bedeuten weit mehr als nur die Umverteilung von Forschungsgeldern. Das Ideal einer reinen, zweckfreien Erkenntnis ist noch nicht auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet, doch unübersehbar werden der praktische Nutzen und die Anwendbarkeit des Wissens immer stärker eingeklagt."

(Michael Hagner, Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich) 

 


[1] Die Initiative "Pro Geisteswissenschaften" wird gemeinsam getragen von der Fritz-Thyssen-Stiftung und der VolkswagenStiftung.

 

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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

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