Mediale Formen

BLOG: GUTE STUBE

Salon der zwei Kulturen
GUTE STUBE

Serie Wissenschaftskommunikation – Schreibtipps vom Chefredakteur, Teil 1

 

Meldung, Interview, Reportage, Kommentar, Glosse, (Veranstaltungs-)Bericht, Rezension/Besprechung – all diese und weitere Darstellungsformen kennen Sie aus Tageszeitungen und Zeitschriften. Mutatis mutandis begegnen sie uns zudem in den Medien Fernsehen und Hörfunk. Traditionell bezeichnet man sie als journalistische Formen.

 

Ich halte den Begriff „journalistische Form“ jedoch für nicht mehr zeitgemäß, ja sogar irreführend, auch wenn er sich noch allenthalben findet (Beispiel). Stattdessen spreche ich lieber in einem allgemeinen Sinn von medialen Formen. Denn im Zuge der Diversifizierung der Medien und der durch das Internet drastisch geschrumpften Zutrittsbarrieren zum Publizieren bedienen sich auch Nicht-Journalisten längst derselben Darstellungstypen. Wer heute einen Kommentar zur Zukunft der Atomenergie veröffentlichen möchte, muss weder Journalist sein noch braucht er Sendemast oder Druckmaschine. Diese Entwicklung beschert uns ein immer bunter werdendes Meinungs- und Informationsangebot – mit vielfältigen Folgen. Eine davon: Machart bzw. Urheberschaft eines Beitrags einerseits und Form andererseits fallen zunehmend häufiger auseinander, und daher sollte man beides getrennt voneinander betrachten sowie sprachlich penibler auseinanderhalten als etwa "Tempo-" und "Papiertaschentuch."

Nicht die Form macht einen journalistischen Beitrag aus, sondern die Art und Weise, wie er entsteht, welche Standards er einhält. Wenn alles korrekt läuft, stecken hinter journalistischen Arbeiten sorgfältige Recherche sowie Unabhängigkeit und Distanz in der Sache, um die es jeweils inhaltlich geht. Journalisten sollten jede verwendete Information durch mindestens zwei glaubhafte Quellen abgesichert haben. Zudem sollten sie ihre Beiträge klar als darstellend oder kommentierend kennzeichnen und diese Trennung auch sauber einhalten. Dazu kommt das Vier-Augen-Prinzip: Um Fehler jedweder Art zu vermeiden, sollte mindestens ein weiterer Redakteur alles vor der Publikation geprüft haben. Blogger indes brauchen sich um solche Grundregeln des Journalismus nicht zu scheren. Auch ich publiziere in diesem Blog ohne Beachtung des Vier-Augen-Prinzips. Die Aufgabe der Korrektur und Qualitätssicherung übernehmen die Leser und Kommentatoren!* 

In den letzten Jahren unterlag die Medienwelt enormen Veränderungen: Längst kann ein Podcaster ohne bedeutenden technischen Aufwand eigene Hör-Reportagen veröffentlichen. Von einem Blogger, der Kommentare oder Berichte postet, ganz zu schweigen. Überhaupt: Der Blog ist wie der Podcast oder Vodcast ein neues, eigenständiges Medium und gehorcht eigenen Regeln. Deren wichtigste lautet vielleicht gar, dass die mediale Form des Blogposts überhaupt keinen Regeln folgt. Das macht gerade seine Besonderheit, ja seinen Reiz aus. Im Einzelfall kann ein Post als Kommentar, Bericht, Rezension, Glosse, Interview usw. daherkommen. Oder – weit häufiger – als Hybrid aus mehreren herkömmlichen mit weiteren Formen, etwa dem Tagebucheintrag oder der sms.

Es gibt weitere Besonderheiten: Die meisten Blogposts sind nicht auf Abgeschlossenheit hin angelegt, sondern auf Vernetzung mit anderen Blog- und sonstigen Inhalten im Netz. Posts sind häufig meinungsstark, manchmal polemisch, fast immer "subjektiv" – und sie zielen auf den Diskurs mit der Blogosphäre ab. Von daher gleicht ein Blogpost für gewöhnlich eher einer Einladung zum gemeinsamen Diskutieren (Beispiel) als einem in sich abgeschlossenen Beitrag nach Modell "Frontalunterricht". (Auf diese Besonderheit werde ich noch näher eingehen, wenn ich in Teil 4 der Serie "Wissenschaftskommunikation" auf den Küchenzuruf zu sprechen komme.)

Um die begonnene Liste wenigstens ansatzweise zu vervollständigen: Weitere mediale Formen sind der Essay, das Feature, das Porträt, das Antragsschreiben, die Pressemitteilung, das (wissenschaftliche) Poster, die Schautafel (zu einem Ausstellungsexponat), der (Werbe-)Flyer, aber ebenso das Foto und die Infografik. Ich würde sogar den Festvortrag, das Impulsreferat und die Podiumsdiskussion (bzw. deren Beiträge) als mediale Formen bezeichnen. Mit Sicherheit lassen sich noch mehr finden. Und sie alle können Wissenschaft zum Inhalt haben!

Eine wichtige (und auf den zweiten Blick gar nicht so triviale) Frage lautet nun, welche mediale Form Autoren und Redaktionen in einer konkreten Kommunikationssituation wählen sollen. Wie müsste es zum Beispiel ein Wissenschaftler anstellen, wenn er seine Forschung einem breiteren Publikum näher bringen möchte? Das hat u.a. mit der konkreten Zielgruppe zu tun und mit der jeweiligen kommunikativen Wirkung, die man in dieser Zielgruppe hervorrufen möchte. Dazu mehr in den kommenden Serienteilen.

 


* Insofern können "wissenschaftliche Blogs (…) zur kritischen Prüfung eigener Gedanken eingesetzt werden", wie Marc Scheloske in der Wissenswerkstatt bemerkte.

 

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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

4 Kommentare

  1. Provokation

    Als ich mit dem Bloggen begonnen habe, war mir das noch nicht so ganz klar, wie das alles so funktioniert. Also hab ich angefangen zu schreiben – teilweise lange Artikel, die aber niemand las oder gar kommentierte. Hingeklatschte Einträge, bestehend aus 3 Sätzen, haben meine Leser dagegen zu wahren Diskussionsrunden ermuntert.
    Wie Länge und Inhalt zusammenhängen, musste ich als Blogger also teilweise erst schmerzlich lernen, denn nichts ist schlimmer als das Nicht-Beachten eines Artikels, den man selbst total klasse findet.

  2. Blogs sind gute Einstiegsseiten

    @Sören: Da der Kommentar der Lohn des Bloggers ist, will der Blogger anregen (und aufregen) und das kann er glaubhaft nur, wenn er über Dinge spricht, die er für relevant hält. Der Journalist hingegen vermittelt Informationen, der er selber oft wahrscheinlich relativ gleichgültig gegenüber steht; zumindest gilt für ihn, wie Carsten schreibt: “Unabhängigkeit und Distanz in der Sache”.

    Bedenkt man noch Carstens Aussage, dass Blogs nicht auf Abgeschlossenheit, sondern auf Vernetzung angelegt sind, wird klar, dass mit Blogs die Informationsvielfalt des Internet besser bewältigt werden kann, als beispielsweise über Newsportale. Das ist jedenfalls meine persönliche Beobachtung.

  3. Übersichtlichkeit

    @ Stefan

    Das Problem vieler Portale ist oft, dass sie total unübersichtlich sind. Da kriegst Du echt einen Vogel, überall blinkt es. Blogs sind da schon etwas entspannter (vorrausgesetzt, der Seitenbetreiber haut nicht alles mit Werbung zu). Was die Vernetzung angeht, spielt vielleicht auch das Vertrauen der Leser eine nicht zu unterschätzende Rolle, das heißt, dass sie sicher sind oder sein können, dass sie auf auf ihren Lieblingsblogs kompetent informiert oder ansprechend unterhalten werden.

  4. Vertrauen

    Vertrauen – das ist in der Tat eine ganz wichtige, weil seltene Größe auf Webportalen. Woher sollte sie auch kommen? Ich erachte die Tatsache, dass viele, ja die meisten Kommentatoren in den SciLogs unter ihren echten Namen schreiben, als Zeichen dafür, dass wir uns hier in einer Atmosphäre gegenseitigen Vertrauens bewegen. Dasselbe zeigt mir auch die Art und Weise, WIE die Kommentatoren für gewöhnlich miteinander umgehen.

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