Joachim Schoss: An-Stifter für Menschen mit Behinderung

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Salon der zwei Kulturen
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Joachim Schoss war früher ein anderer. BWLer, Unternehmensberater, dann selbst Unternehmer. Mit der Entwicklung von Scout24 wurde er Millionär. Ein Mann auf der Überholspur. Bis ihn vor 7 Jahren das Schicksal ereilte: in Form eines entgegenkommenden Autos – auf der Überholspur.

Als der groß aufgeschossene 95-Kilo-Mann während eines Kurzurlaubs mit einem Motorrad über die Straßen des südafrikanischen Sommers flog, scherte ein angetrunkener Fahrer auf der entgegenkommenden Fahrbahn hinter einem LKW aus und riss Schoss die rechte Körperhälfte weg. Über Wochen kämpften Ärzte um sein Leben; er hatte ein Nahtoderlebnis und ließ in den endlos langen Tagen und Nächten in wechselnden Krankenhäusern sein Leben Revue passieren. Heute sagt er, dass der schlimmste Tag seines Lebens diesem einen neuen Sinn schenkte, denn mittlerweile engagiert er sich mit seiner Stiftung MyHandicap für Menschen mit Behinderungen.

Schoss ist gleich in doppelter Hinsicht ein typischer Stifter: materiell zu großem Wohlstand gekommen und persönlich von einem schweren Schicksalsschlag getroffen. Fast alle neuen Stifter heute stiften zu Lebzeiten und lenken die Geschicke ihrer Stiftung selbst. So lernte ich es heute beim 3. Stiftergespräch des Bundesverbands Deutscher Stiftungen in den ehrwürdigen Räumen der Heidelberger Villa Bosch, wo die Klaus Tschira Stiftung ihren Sitz hat – und wo Joachim Schoss seine bewegende Lebensgeschichte erzählte.

Die Tatsache, dass Stiftungsneugründungen aus Testamenten heraus längst die Ausnahme geworden sind, verändert die Stiftungskultur. Auch ein steigender Frauenanteil unter den aktiven Stiftern sorgt für frischen Wind. Zwei Drittel aller Neustiftungen gehen inzwischen auf Frauen oder Paare zurück; die Stifterwelt als Männerdomäne gehört der Vergangenheit an.

Zudem gibt es immer mehr junge Stifter, Sportler etwa. Der Fußballer Philipp Lahm fördert Sport- und Bildungsprojekte für benachteiligte Jugendliche. Die in der Villa Bosch anwesende ehemalige Schwimmerin Sandra Völker engagiert sich für asthma- und allergiekranke Kinder.

Die gediegene, konservativ geprägte Welt der Stifter ist also im Umbruch begriffen. Sie wird einen Tick mehr zu einem Spiegel der Gesellschaft. Was allerdings noch fast gänzlich fehlt, sind Stifter mit Migrationshintergrund, hob der Generalsekretär des Bundesverbands, Prof. Hans Fleisch, in der Villa Bosch hervor. Während der Stiftungsboom des 19. Jahrhunderts auch auf das überproportionale Engagement von Minderheiten wie Hugenotten und Juden zurückging, seien in unseren Tagen Stifter etwa mit islamischem Hintergrund noch die absolute Ausnahme – obwohl auch hierzulande inzwischen einige Zuwanderer Vermögen geschaffen haben und gerade der Islam auf eine sehr alte Stiftertradition zurückblicke.

Die MyHandicap-Stiftung von Joachim Schoss ist 5 Jahre alt. Schoss möchte Menschen mit Behinderungen Mut machen, Hilfestellung leisten. "Ich habe selbst erlebt, wie Mitpatienten starben, weil sie keine Hoffnung auf ein gutes Leben mehr hatten.“ Deshalb besucht er bisweilen Menschen mit ähnlichen Schicksalen in Krankenhäusern – und weitere 50 Botschafter tun es ihm auf Initiative seiner Stiftung gleich. "Kürzlich musste ich sogar meine Hose hochkrempeln, weil ein frisch Amputierter mir nicht glauben wollte, dass ich eine Prothese trage“, berichtet Schoss.

Seine in Zürich ansässige Stiftung entwickelt auch ein umfangreiches Webportal, um vorhandene Informationen für Behinderte zu bündeln und redaktionell aufbereitet verfügbar zu machen. "Als ich endlich wieder an den Computer konnte, habe ich erstmal angefangen zu googeln: ‚Amputation, Prothese, Behinderung’. Da wurde mir sofort klar, dass hier dringend bessere Angebote her müssen.“ 3500 Experten – selbst Betroffene, Mediziner, Therapeuten – stehen jetzt auf myhandicap.com bereit, Auskünfte zu geben, Erfahrungen zu teilen. "In 12 bis 24 Stunden erhält jeder Betroffene eine exzellente Antwort auf seine Frage“, berichtet der Internet-Selfmade-Millionär stolz. Ziel ist es, das Netzwerk weiter auszubauen und zu internationalisieren.

Das Projekt trägt unverkennbar die Handschrift seines IT-affinen Initiators. Demnächst wird es für Behinderte ein Adressverzeichnis geben, das mobil abrufbar sein soll: "Wo ist der nächste Behindertenparkplatz?“, "Wo gibt es ein Hotel ohne Stufen?“ – solche Fragen gilt es täglich zigtausendfach an allen möglichen Orten zu beantworten.

Zuletzt engagiert sich der Stifter für Integration am Arbeitsplatz. Denn nach wie vor ist die Arbeitslosenquote bei Behinderten um ein Vielfaches höher. "Man könnte besser von einer Beschäftigungsquote sprechen“, lächelt Schoss verschmitzt. Doch es ist ihm ernst. Gute Jobchancen für körperlich, aber auch geistig Behinderte sieht er etwa in Call Centern.

Seit Jahren wächst die Zahl der Stiftungs-Neugründungen. 2007 und 2008 wurden allein in Deutschland jeweils mehr als 1000 neue Stiftungen gegründet – ein Rekord. Im Krisenjahr 2009 freilich erhält auch diese Entwicklung einen Dämpfer.

Rund 16.500 rechtsfähige Stiftungen bürgerlichen Rechts gibt es hierzulande. Nicht in dieser Statistik enthalten sind zum Beispiel Treuhandstiftungen, die nicht der staatlichen Stiftungsaufsicht unterliegen.

Dass die Stiftungskultur weiblicher und jünger wird, wirkt sich bislang kaum auf die Stiftungszwecke aus. Mit einem Drittel aller Neugründungen ganz vorn stehen weiterhin soziale Motive. In diesen Bereich fällt auch die Stiftung MyHandicap. Auf Wissenschaftsförderung, Bildung und Kultur entfallen je rund 15%. Mit 8% geht der Umweltschutz in die Statistik ein. Innerhalb dieser recht stabilen Blöcke beobachten Experten jedoch einige interessante Verschiebungen. Wo im Bereich "Soziales“ traditionell mildtätige Motive die Neustifter leiteten, ist es heute mehr und mehr die Förderung von Integration. Innerhalb des Sektors "Wissenschaft“ kommt neu angelegtes Stiftungskapital verstärkt den Natur- und Ingenieurwissenschaften sowie der Mathematik zugute.

Stiftungen fördern nicht nur Projekte, sie wirken vermehrt auch als Katalysatoren für Ideen und neue Partnerschaften. Man vertritt dieselben Werte, hat dasselbe Thema und Ziel – und trifft sich auf Vermittlung einer Stiftung für konzertierte Aktionen. Manche Stiftungen unterhalten regelrechte Think Tanks.

Auf Grund der Finanz- und Wirtschaftskrise backen viele Stiftungen in diesem und in den kommenden Jahren kleinere Brötchen. Der Buchwert des gesamten Kapitalvermögens deutscher Stiftungen sei gegenüber 2008 um ca. 10% geschrumpft, so Hans Fleisch. Vor einem Jahr bezifferte er dies auf 100 Milliarden Euro, konservativ geschätzt. Auch das auszuschüttende Geld, dessen Höhe je nach Stiftung im Wesentlichen aus Zinsen und Dividenden resultiert, wurde knapper: 10% bis 15% Minus gegenüber 2008. Einzelne Stiftungen bewilligen daher aktuell keine neuen Projekte.

Für die SciLogs-Leser interessant ist sicher der Fall der "Stiftungsprofessur“. Hier gibt es die paradoxe Situation, dass viele Stifter gern mehr Geld für die Einrichtung neuer Professuren geben würden und die Hochschulen dieses natürlich auch gern annähmen. Im Prinzip jedenfalls. Die Schwierigkeit: Aufgrund des sog. Endowement-Verbots dürfen Stiftungen kein Kapital – z.B. einer Hochschule – zur Verfügung stellen, denn das Stiftungskapital muss erhalten bleiben. Die Finanzierung einer Stiftungsprofessur kann also nur aus den laufenden Kapitalerträgen einer Stiftung erfolgen. Die entsprechenden Verträge sehen aber für derlei Engagement eine Laufzeit von typischerweise nur 5 oder maximal 10 Jahren vor. Danach übernimmt die öffentliche Hand die Finanzierung der Professur. Das bedeutet: Wenn eine Hochschule heute zu viele Stiftungsprofessuren einrichtet, engt sie ihren Handlungsspielraum für morgen stark ein, muss später womöglich andere Lehrstühle schließen, um ehemalige Stiftungsprofessuren vertragsgemäß weiter unterhalten zu können.

Auch Joachim Schoss’ Stiftung steckt Geld in Stiftungsprofessuren. An der Uni St. Gallen gibt es seit 2009 ein "Center for Disability and Integration". Am 5.11. wird es offiziell von Bill Clinton eingeweiht – ebenfalls ein bekannter An-Stifter.

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Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

1 Kommentar

  1. Krebskrank = behindert=erziehungsunfähig

    sagt das Jugendamt und die Mutter bekommt ihre Kinder nicht zurück…
    SOZIALES: „Ich will meine Kinder zurück“ Die sorgeberechtigte Mutter Angela Holzinger fühlt sich vom Jugendamt im Stich gelassen

    Mir fehlen die Worte, wie überaus gemein und verächtlich Einzelne in unserer Gesellschaft mit Behinderungen und Behinderten umgeht….

    In München ist ein krebskrankes Kind bei Vater und Mutter und ohne sich von seinen Geschwistern verabschieden zu können vor ein paar Tagen verstorben. Hintergrund: Das Jugendamt war der Ansicht, dass die drei Geschwister, verteilt auf zwei Heime und eine Pflegefamilie nicht jenem “kindeswohlgefährdenden” Sterbeprozeß und der Trauer der Eltern ausgesetzt werden dürften….dies sei zu traumatisierend….

    Auch nach dem Tod bekommt diese Familie ihre anderen Kinder nicht mehr zurück. Grund: die Eltern seien durch den Tod und die Trennung von ihren Kindern so fertig, dass sie nicht in der Lage seien für ihre Kinder zu sorgen. Und so sollen die Geschwister getrennt voneinander aufwachsen. Die Eltern haben ihre Kinder – soweit mir bekannt – auch nicht sehen dürfen.

    und ich habe noch viele andere solche wahren Geschichten kennen gelernt…nicht nur in der Vergangenheit ist viel Grausames passiert, ohne dass etliche Menschen etwas davon mitbekommen haben. Daran hat sich leider nichts geändert….das Schlimme, diese wahren Geschichten werden nicht weniger….

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