Evolution des Wissens – Revolution der Kommunikation

BLOG: GUTE STUBE

Salon der zwei Kulturen
GUTE STUBE

Übermorgen bin ich Gast bei der Verleihung der Zedler-Medaille durch wikimedia e.V., die Mainzer Akademie der Wissenschaften und der Literatur sowie den Verlag Spektrum der Wissenschaft. Bevor in den altehrwürdigen Hallen des Senckenberg-Naturmuseums in Frankfurt am Main die diesjährigen Preisträger geehrt werden, wartet noch eine Podiumsdiskussion auf das Publikum. Volker Panzer vom zdf nachtstudio wird moderieren, und neben dem Hausherrn und Senckenberg-Direktor Volker Moosbrugger, dem Mediävisten Johannes Fried, dem Verfahrenstechniker Wolfgang Peukert sowie dem Rechtshistoriker Michael Stolleis nehme auch ich an der Runde teil. Das Thema des Abends lautet "Evolution des Wissens" – und mein vorab erbetenes Eingangsstatement stelle ich gern auch in der Guten Stube zur Diskussion:

Nicht nur das Wissen unterliegt Veränderungen. Gleiches gilt für die Medien, in denen das Wissen übermittelt und bewahrt wird.

Wenn Wissen Teil eines evolutionären Prozesses ist, dann ist das Ziel dieses Prozesses – die Reproduktion – die Kommunikation, das Teilen des Wissens, der Dialog.

Wissen bedarf der Kommunikation.
Von daher muss, wer die „Evolution des Wissens“ diskutiert, auch die mediale Seite des Themas erörtern. Wobei der so genannte Medienwandel unserer Tage eher einer Revolution denn einer Evolution gleichkommt. Das betrifft vor allem die Entwicklung der elektronischen Medien.*

So bietet das Internet zahlreiche neue Möglichkeiten der Wissensvermittlung – auch und gerade für Wissenschaftler, die ja vielfach die Schöpfer neuen Wissens sind. Unendlich viel Wissen, so scheint es, ist im Netz nur einen Klick weit entfernt. Doch um was für Wissen handelt es sich? Fragen nach der inhaltlichen Hieb- und Stichfestigkeit, der präzisen Wiedergabe, Vollständigkeit, Gewichtung, den hinter einer Darstellung womöglich verborgenen Interessen und nicht zuletzt der Relevanz vergellen manchem Nutzer die Freude an den Wissensschätzen, die es im WorldWideWeb zu heben gilt.

Zu oft wird Kommunikation zu Unrecht
nicht als genuiner Teil
wissenschaftlicher Tätigkeit angesehen.
Und zwar von den Wissenschaftlern selbst!

Für Wissenschaftler stellen neue, webbasierte Medien wie Blogs, Online-Enzyklopädien und soziale Netzwerke eine Herausforderung besonderer Art dar. Denn nachdem durch das Internet die Zutrittsbarrieren zum Medienbetrieb für jedermann gegen Null geschrumpft sind, gibt es für Wissenschaftler keine Ausreden mehr. Weil sie es jetzt ohne bedeutenden Aufwand können, müssen sie auch kommunizieren! Denn Wissenschaftler haben eine Auskunftsschuld gegenüber der Allgemeinheit, welche sie in weiten Teilen finanziert. Diese Bringschuld kann heute zielgruppenspezifisch eingelöst werden, ohne dass dazu eine Druckerpresse angeschmissen oder ein Sendemast aufgestellt werden müsste. Jeder, der schreiben kann (und leider auch jeder, der es nicht kann), ist in der Lage, sich einen Blog einzurichten und kann quasi kostenfrei und binnen Minuten mit dem Teilen seines persönlichen Wissensschatzes beginnen. Ebenso wie es möglich ist, sein Wissen für Online-Enzyklopädien zu „spenden“ – so der Slogan für den Wettbewerb der Zedler-Medaille.

Die Umwälzungen im Medienbetrieb betreffen alle Menschen, die Zugang zum Internet haben: als Empfänger von Information fragmentieren sie sich in immer spitzere Zielgruppen; als Sender werden viele überhaupt erstmals aktiv. Für Wissenschaftler, denen man gern nachsagt, sie würden ihren „Elfenbeinturm“ nur widerwillig verlassen und in Sachen Kommunikation am liebsten Geschlossene Gesellschaft spielen, mutiert die banale Feststellung, dass Wissen zu teilen kinderleicht geworden ist, zu einem Imperativ für mehr Wissenschaftskommunikation: Jetzt aber los!

Die Öffentlichkeit, der Steuerzahler hat ein Anrecht darauf, zu erfahren, welches Wissen mit dem Geld erworben wurde, das er zur Verfügung stellt. Zudem hat er ein Anrecht darauf, die Leerstellen der Forschung genannt zu bekommen sowie in wichtige wissenschaftliche Kontroversen Einsicht zu erhalten, damit er seine Urteilskraft schärfen kann. Dies ist ein Gebot der Demokratie.

Der Verweis auf Open Access, den einzelne Forscher an dieser Stelle anführen in der Meinung, ihre Kommunikationspflicht sei bereits dadurch abgegolten, dass neu erworbenes Wissen frei zugänglich für jedermann im Netz abrufbar sei, greift zu kurz. Denn erstens obliegt bei Open Access „dem Bürger“ eine unangemessene Holschuld – und zweitens ist derlei Information aus hoch spezialisierten Fachmedien annähernd wertlos für die meisten Menschen, da sie nicht über die nötigen Anknüpfungspunkte und das Vorwissen verfügen, um die schwere Kost zu verdauen.

Die Luft für Kommunikationsdrückeberger unter den Wissenschaftlern wird also dünner.
Diese Entwicklung fördert zudem ein zweiter nachhaltiger Trend: Zum Medienwandel gesellt sich ein schleichender Bewusstseinswandel. Durch Exzellenzinitiativen, Communicator-Preise und PUSH-Appelle baut sich Anfang des 21. Jahrhunderts ein spürbarer, wenn auch manchmal noch recht diffuser Druck auf, der über kurz oder lang auch dem letzten Elfenbeinturm-Bewohner abverlangen dürfte, in den sauren Apfel der Wissenschaftskommunikation zu beißen. Damit das professionell geschehen kann, forderte Wolf von Lojewski dieser Tage mehr gezielte Medienausbildung für Wissenschaftler. Recht hat er! Wissenschaftler müssen über Medienkompetenz- und Kommunikationsseminare befähigt werden, verschiedene Zielgruppen adäquat mit ihren Inhalten zu bedienen. Hier gehen große Stiftungen wie die VolkswagenStiftung und die Klaus Tschira Stiftung neue Wege, indem sie Medientrainings für Wissenschaftler anbieten – und so in Teilen kompensieren, was an den Universitäten trotz Bologna-Reform fast flächendeckend verpasst wurde.

Eine regere Teilnahme von Wissenschaftlern am medialen Betrieb ist eine Notwendigkeit in Sachen Demokratie. Sie dürfte zudem dazu führen, Halbwissen und Verschwörungstheorien, wie sie von etlichen Litfasssäulen des WorldWideWeb grüßen, zu marginalisieren. Auch das wäre eine positive Perspektive!

Das am 26. November 2009 vom Stifterverband, der Initiative „Wissenschaft im Dialog“ sowie den großen Wissenschaftsorganisationen wie der MPG und der Helmholtz-Gemeinschaft vorgestellte Papier „Wissenschaft im Öffentlichen Raum. Zwischenbilanz und Perspektiven für das nächste Jahrzehnt“ weist den Weg in eine bessere Zukunft, schweigt aber auch die Probleme nicht aus. Denn bis dato beflügeln Tage der Wissenschaft, Forscherblogs und Kinderunis zwar die Lust und Laune von „Laien“, sich für Themen der Wissenschaft zu öffnen. Doch eine wissenschaftliche Karriere beflügeln sie nicht – im Gegenteil. Manche Nachwuchswissenschaftler, mit denen ich es als Chefredakteur zweier populärer Wissenschaftsmagazine sowie Initiator der SciLogs zu tun habe, scheuen sich immer noch vor Sätzen ohne mindestens 3 Kommata, Texten ohne Fußnoten und ohne Formeln. Der Professor sähe das nicht so gern …

Noch spüren wie das Mentalitätsproblem:
Zu oft wird Kommunikation zu Unrecht nicht als genuiner Teil wissenschaftlicher Tätigkeit angesehen. Und zwar von den Wissenschaftlern selbst! Dies dürfte sich spätestens dann geändert haben, wenn die Generation StudiVZ in 20 Jahren die Lehrstühle besetzt. Und ich bin sicher: So lange wird es gar nicht dauern.

Auf lange Sicht sehe ich die Zukunft der Wissenschaftskommunikation rosig.
Neue mediale Möglichkeiten stoßen auf mehr Anreize und Bereitschaft zu kommunizieren. Die beste Voraussetzung für viele reproduktive Akte innerhalb der Evolution des Wissens.


* Die bedeutenden Umwälzungen, die auch unser soziales Miteinander nachhaltig verändern, sind zurecht Gegenstand einer neuen Disziplin, der Web Sciences.

 

 

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Veröffentlicht von

Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

5 Kommentare

  1. Noch eine Gruppe

    Neben den Nachwuchswissenschaftlern gibt es aber auch noch Studenten, die diese simple Möglichkeit der Kommunikation suchen – siehe Bierologie oder mich hier bei den Wissenslogs. Ich denke, dass allein dadurch schon Furcht vor dem Medium abgebaut und die Fähigkeit zu vereinfachter Beschreibung gefördert wird. Die Wissenschaftler, die jetzt noch als Studenten an den Unis sind, kennen sich also schon mit der Matierie aus.
    Von daher würde ich gar nicht mal eine so große Notwenigkeit für Seminare oder anderweitige Förderung sehen.

  2. @Sören

    Nun ja – fragt sich, ob Du eine Ausnahme oder die Bestätigung einer Regel bist. (Das war ein verstecktes Kompliment.)

  3. @ CK

    Ich würde sagen, dass ich momentan noch eine Ausnahme bin, sich das mit der Zeit aber ändern könnte. Was natürlich nicht heißt, dass wirklich jeder Wissenschaftler bloggen wird bzw sollte. Reicht ja, wenn es ein paar sind, aber doch mehr als momentan.
    Außerdem möchte ich nicht bestreiten, dass man zum regelmäßigen Bloggen auch einen kleinen Spleen braucht (zumindest kann der nicht schaden), gepaart mit einem leichten Aufmerksamkeitsbedürfnis *lacht*

    PS: Danke für das Kompliment (auch etwas, was man als Blogger nie genug bekommen kann^^)

  4. Aktives Zielgruppen-Management

    Ganz klar, Du bist eine Ausnahme. Aber Du wirst es nicht auf Dauer bleiben. So viel steht fest.

    Und ich gebe Dir Recht: Das bedeutet NICHT, dass alle Wissenschaftler bloggen sollten. Heute nicht und morgen nicht und übermorgen nicht. Was ich fordere ist: Dass nach persönlichen Vorlieben und Möglichkeiten die Wissenschaftler sich stärker als bislang um den Austausch mit allgemeinen Zielgruppen (= Nicht-Spazialisten) bemühen sollen. Das KANN z.B. über Blogs geschehen, und Wissenschaftler-Blogs werden auch ganz sicher mehr werden. Es KANN aber genauso gut auf ganz anderen Wegen, auch offline, geschehen.
    Wissenschaftler müssen ein aktives Zielgruppenmanagement beherrschen – WEN sie dann WIE mit Inhalten bedienen, das ist zweitrangig. Hauptsache, sie tun es!

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