Die Bologna-Chance
BLOG: GUTE STUBE
Vorgestern brachte die FAZ auf ihrer Seite „Forschung und Lehre“ ein schönes Plädoyer für mehr Interdisziplinarität. Unter der Überschrift „Gesucht sind zwei Kulturen in einem Verstand“ brach Manfred Laubichler, Professor an der Arizona State University, eine Lanze für die Integration wissenschaftshistorischer Module in die neuen naturwissenschaftlichen Bachelor- und Masterstudiengänge, wie sie derzeit im Zuge des Bologna-Prozesses neu in Deutschland konzipiert werden (müssen). Konkret regt Laubichler an, „wissenschaftshistorische Abteilungen oder Lehrstühle innerhalb naturwissenschaftlicher Institute einzurichten“.
Ein ehrenwerter Vorstoß. Auf diese Weise würden angehende Biologen, Physiker, Chemiker (und hoffentlich auch Ingenieure, Informatiker und Mediziner) auf sanfte Weise zumindest einmal in ihrem Studium mit Arbeitsweisen und Fragestellungen aus den Geisteswissenschaften, hier: der Geschichtsforschung, konfrontiert. Sanfte Weise deshalb, weil die Inhalte, über die der einzelne Student dann womöglich einmal eine Seminararbeit oder zumindest ein Referat abfassen müsste, ja dem gewählten Studienfach abgehörten. Darwin für Biologen, d’Alembert für Physiker usw. (Ein literaturwissenschaftliches Pflichtmodul über Trakl-Gedichte oder ein kunsthistorisches über gotische Kathedralen würde zwar auch Einblicke in geisteswissenschaftliche Methoden gestatten, aber vermutlich nur Einzelnen so richtig Spaß machen.)
Also: Ein Physikstudent würde in einem Pflichtmodul „Geschichte der Physik“ etwa lernen, dass die Inhalte seiner Vorlesungen und Übungen wie etwa „Theoretische Mechanik“ oder „Experimentalphysik III“ keineswegs so vom Himmel fielen, wie sie für gewöhnlich vermittelt werden. Sondern dass es auf dem Weg zur Vereinheitlichung der Theorien zahlreiche Irrwege, Kontroversen und oft auch viel Ratlosigkeit gab. Schließlich ist Wissenschaft immer ein Prozess.
Als Alternative zur Wissenschaftsgeschichte würde ich bei der Konzeption neuer Studiengänge auch noch Wissenschaftssoziologie, Wissenschaftstheorie, überhaupt Philosophie sowie Medienpraxis als probate sanfte Wege, den Horizont der jungen Naturwissenschaftler in Richtung Geisteswissenschaften zu erweitern, erwägen.
Wissenschaftliche Erkenntnisse entstehen nicht einfach so. Seilschaften, mediale Einflüsse, politische Randbedingungen prägen das „Geschäft“. All dies ließe sich soziologisch anhand von aktuellen oder historischen Fallbeispielen darstellen. Was wir überhaupt wissen können, wie Wissenschaftler an sichere Erkenntnisse gelangen können usw., das sind Inhalte der Wissenschafts- oder Erkenntnistheorie. Medienpraxis schließlich ist der Versuch, angehenden Forschern bestimmte kommunikative Fähigkeiten zu vermitteln: Wie schreibe ich eine Pressemitteilung, welches sind meine Rechte, wenn ich ein Interview gebe, wie kann ich ein und dieselbe Information so für verschiedene Zielgruppen (Kinderuni, FAZ-Leser, Spektrum der Wissenschaft-Leser, Drittmittelgeber usw.) herunterbrechen, dass sie Wirkung erzielt? Und welche Wirkung möchte ich überhaupt erzielen?
Die Chancen, die – ich gebe es ja zu: im Großen und Ganzen ja auch notwendige – Schmalspurigkeit des Studiums aufzubrechen und interdisziplinäre Fähigkeiten zu fördern, sind dank Bologna genau jetzt gegeben. Und eines steht fest: Wer als Politiker oder Lobbyist lauthals fordert, man brauche mehr interdisziplinäre Forschung, der möge sich einmal anschauen, wie unglaublich schwer diese in der Praxis oft fällt, wenn nämlich z.B. Geisteswissenschaftler Naturwissenschaftler aufeinandertreffen. Da wäre es ein Segen, wenn nicht erst auf der Ebene der Postdocs Tuchfühlung mit der jeweils „anderen Kultur“ aufgenommen würde, sondern bereits im Studium. Denn – ich wiederhole mich hier gern – echte Interdisziplinarität gibt es nicht zwischen, sondern nur in einzelnen Köpfen. Zwei Kulturen in einem Verstand eben.
PS: Natürlich ist auch die Integration naturwissenschaftlicher Inhalte in geisteswissenschaftliche Studiengänge ein Thema! Aber nicht in diesem Post …
Links:
„Gesucht sind zwei Kulturen in einem Verstand“ von Manfred Laubichler
Homepage Prof. Manfred Laubichler an der Arizona State University
Wissenschaftstheorie & “Bologna”
Grau ist alle Theorie und noch “grauer” die “Bologna”-Praxis ;-)))
…..so ähnlich zumindest, gestaltet sich diese an der Uni-Bielefeld: Studenten “büffeln” ihre Pflichtmodule, auch in den Semesterferien wird gebüffelt und die Zeit für einen Blick über den Tellerrand des eigenen Faches oder Ansätze eines “Studium Generale” sind Visionen, welche – so scheint es – in weite Ferne gerückt sind….. Dabei darf man das Wort “büffeln” im Sinne des Lernens von abfragbarem, genau überprüfbarem Wissen verstehen….
Das heißt:
So wie mir als glücklicherweise Außenstehende 😉 mitgeteilt wurde, hat der sog. Bologna-Prozess zu einer strengen “Verschulung” der Studiengänge geführt. Hinzu kommt der zunehmende Druck auf Studierende, ihr Studium zu finanzieren und daher zügig durchzuziehen. Ohne zusätzliche Jobs, ist dies für viele nicht leistbar…..
Ach, gerne würde ich Ihre obigen Wünsche in Erfüllung gehen sehen, gerade Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie müsste eigentlich für jeden Wissenschaftler, egal welcher Fachrichtung, eine Selbstverständlichkeit sein, bekommt man doch gerade diesen Mangel an vielen Stellen beim wissenschaftlichen Nachwuchs bereits deutlich zu spüren…..
@Monika Armand
“Hinzu kommt der zunehmende Druck auf Studierende, ihr Studium zu finanzieren und daher zügig durchzuziehen.”
So ist es. Was und Studenten vor Einführung der Studiengebühren daran gehindert hat, auch in geisteswissenschaftliche Fächer hineinzuschnuppern, war die Tatsache, dass das das Studium verlängert. Schon damals war viel darüber zu lesen, dass deutsche Studienabgänger im internationalen Vergleich zu alt seien.
Heute kommt die Finanzierbarkeit hinzu. Ein “Studium Generale” ist einfach viel teurer, als schnell das notwendige zu lernen.
Philosophie war zu meiner Zeit in Hamburg ein beliebtes Nebenfach zum Physik-Diplom. Wissenschaftsgeschichte wollte ein Studienfreund von mir belegen. Der Professor hat ihn aber wieder nach hause geschickt, weil er nicht ausreichend Latein konnte.
Ich glaube nicht, dass es den Physikstudenten an Bereitschaft mangelt, sich auch mit Geisteswissenschaften zu beschäftigen. Es mangelt ihnen an Zeit. Die aber, die sich gar nicht für Geisteswissenschaften interessieren, würde man auch durch ein zusätzliches geisteswissenschaftliches Pflichtfach nicht zum interdisziplinären Denken zwingen. Man würde ihnen nur einen zusätzlichen Kurs bescheren, den sie ohne große Lust durchpauken.
Bologna & die Hoffnung
Auch ich habe die bittere Erfahrung machen müssen, dass die Studenten noch stärker als früher auf “Scheinjagd” sind und im vertraulichen Gespräch darüber klagen, dass die eigentliche Faszination ziemlich auf der Strecke bleibt.
Andererseits kann die Entwicklung entsprechender Module schon ein Fortschritt sein. Und womöglich renkt sich auch Bologna-mäßig manche der Umstellung geschuldete Übertreibung wieder ein. Wir brauchen Studierende, die auch über den Tellerrand blicken, etwas wagen, sich ehrenamtlich engagieren etc. – und nicht nur eine verlängerte Schulbahn durchlaufen…
Also, Carsten, die Vision und Hoffnung teile ich! Dass und ob Bologna gerade auch im Hinblick auf Interdisziplinarität ein Segen ist, kann und muss sich noch erweisen… 🙂
Was soll mir “Bologna” bringen?
Ich studiere Wirtschaftsingenieurwesen in Kiel. Ich halte ihre Hoffnung, dass auch andere Studiengänge wie der meine an diesem Projekt teilnehmen für ziemlich unbegründet. Ich versuche schon über den berühmten “Tellerrand” zu schauen, aber die Zeit, die einem durch das Bachelor/Master-System dafür geblieben ist, ist sehr knapp. Ich verstehe auch nicht unbedingt, was dieses für mich in meinem weiteren Leben bringen soll???
Der Arbeitgeber wird nicht bzw. kaum an diesen Leistungsnachweiß interressiert sein und ob das ganze meinen “geistigen Horizont” erweitert, darf doch stark bezweifelt werden. Nun kann ich natürlich verstehen, dass sie dieses Projekt unterstützen, weil sie ein ähnliches Studienprofil ausweisen und sie das Programm deshalb unterstützen. Dennoch glaube ich, dass es für Studenten, gerade in meinem Bereich, ein sehr hoher (unnötiger) Mehraufwand sein würde
Mfg Kristian Kleine-Weber
Träume..
“Als Alternative zur Wissenschaftsgeschichte würde ich bei der Konzeption neuer Studiengänge auch noch Wissenschaftssoziologie, Wissenschaftstheorie, überhaupt Philosophie sowie Medienpraxis als probate sanfte Wege, den Horizont der jungen Naturwissenschaftler in Richtung Geisteswissenschaften zu erweitern, erwägen.”
Jetzt habe ich eine Weile überlegt, ob ich wirklich etwas schreiben sollte, weil es schlicht nicht positiv ausfallen kann.
Ich studiere Geisteswissenschaften noch im alten Programm, wenn sich das noch so sagen läßt, denn leider hat die Umstellung uns “Dinosauriern” das Leben ein wenig schwer gemacht. Es gibt noch weniger Studienplätze, noch weniger Förderung für Geisteswissenschaften, weniger Lehrkräfte und weniger Seminare. Magisterstudenten wühlen im Fundus der Bachelormodule herum, um etwas zu finden, was noch in den Rahmen des ehemaligen Studienprogramms paßt.
Zum o.g. Zitat: Ich bezweifle einerseits, daß sich diese Idee überhaupt umsetzen läßt, andererseits frage ich mich, wer das Wissen vermitteln soll. Denn es bedarf ja ganz grundlegend auch der Lehrkräfte, die das Geisteswissenschaftliche in naturwissenschaftlichen Studiengängen an den Studiosus brächten – und die kann man eben nicht einfach aus dem vorhandenen Personal abziehen, weil es da auch an allen Ecken und Enden fehlt.
Hier wäre meines Erachtens u.a. eine enorme Initiative seitens der Dozenten gefragt – die Initiative, sich auf diesem Gebiet selbst weiterzubilden und das Wissen vermitteln zu wollen. Wir brauchen Idealisten als Lehrer, viel Herzblut, denn für “brotlose Kunst” kann und will leider kaum jemand bezahlen.
Wer und wie (@Flummi)
Die Frage, wer das Wissen vermitteln soll und wie das möglich gemacht werden könnte, ist absolut berechtigt. Wer – das ist vergleichsweise leicht zu beantworten, da es an promovierten, ja habilitierten Philosophen, Historikern (wenn auch leider nicht speziell Wissenschaftshistorikern) usw. nicht mangelt. Medienpraxis wäre eine Aufgabe für Redakteure und Wissenschaftsjournalisten. Auch diese gibt es, und sie verdienen sich sicher gern nebenberuflich ein Zubrot.
Womit wir bei der zweiten, schwierigeren Frage wären, dem Wie. Welche strukturellen und finanziellen Hürden müssten genommen werden? Natürlich kann man nicht einfach Personal aus den Geisteswissenschaften “abziehen”, um den Naturwissenschaften etwas “Gutes” zu tun. Hier müsste politischer Gestaltungswille ran, der Neues schafft. So bräuchte man mehr Lehrstühle für Wissenschaftsforschung, Wissenschaftsgeschichte, Wissenschaftssoziologie usw. Sofern die öffentliche Hand sich hier wenig spendabel zeigt, was leider anzunehmen ist, sehe ich vor allem Stiftungen am Zug. D.h. ich plädiere an die Hochschulen und Fakultäten, sich die gemachten Vorschläge zu eigen zu machen, und sich in Eigeninitiative um Stiftungsprofessuren und Drittmittel bei Stiftungen zu bemühen, welche eine um die interdisziplinäre Komponente sachte erweiterte Ausbildung von Naturwissenschaftlern fördern wollen. So eine Strategie würde Hochschulen z.B. auch helfen, ihr eigenes Profil zu schärfen – was künftig immer wichtiger werden dürfte.
Zum “Wer und wie” (@Carsten Könneker)
Ist das “Wer” tatsächlich so leicht zu beantworten? Zweifelsohne gibt es ausreichend promovierte und/oder habilitierte Geisteswissenschaftler, noch deutlich mehr M.A., die diese Aufgaben ja ebenso übernehmen könnten. Aber ich muß mich wiederholen, denn ich glaube nicht, daß sich ihnen diese Möglichkeit der Nebeneinkunft so einfach bietet.
Wie Sie selber schreiben, bedürfte es neuer Lehrstühle für diese Interdisziplinarität. Ich bezweifle allerdings, daß allein durch Stiftungen die nötigen Mittel dafür zusammenzubringen sind. Und da eröffnet sich mir die Frage, ob sich eine solche Erweiterung im universitären Repertoire nicht in irgendeiner Weise (vllt. in Form von steigenden Studiengebühren?) auch auf die Studenten niederschlagen würde. Man möge an dieser Stelle einwenden, daß dies ja durchaus berechtigt sei, da schließlich die Studenten es wären, die von den Möglichkeiten einer umfangreicheren, fachübergreifenden Wissensvermittlung profitierten.
Aber – und dies ist wohl eine Kernfrage innerhalb des Themas: Wollen die Studenten das überhaupt? Bringen sie das Interesse für diese Art von Blick über den Tellerrand auf, oder bedeutete dies für sie nur einen “sehr hohen (unnötigen) Mehraufwand”, wie Kristian Kleine-Weber weiter oben angemerkt hat?
Natürlich könnte man eine solche Interdisziplinarität, wäre die Frage der Finanzierung geklärt, zwanghaft umsetzen, indem man sie in das Curriculum der einzelnen Studiengänge aufnähme, Pflichtveranstaltungen daraus machte. Dies würde vermutlich aber eine erneute Umgestaltung der Studiengänge mit sich bringen, oder andernfalls vielleicht ein nicht zu bewältigendes Lernpensum.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde den Grundgedanken ihres Artikels durchaus gut und interessant, aber leider auch zu idealistisch und äußerst schwer in die Realität umzusetzen.
Mir schiene es sinnvoller, zunächst die vorhandenen Studienmöglichkeiten weiter auszubauen und zu unterstützen, um einen gewissen Qualitätsstandard der Ausbildung zu erreichen. Gerade in den geisteswissenschaftlichen Fakultäten, die glücklicherweise noch nicht geschlossen wurden, lassen sich große Mängel verzeichnen, die eben auf Mittellosigkeit zurückzuführen sind. Eine Verbesserung an dieser Stelle ist m. E. in der Prioritätenliste vorzuziehen.