Der Bachelor – Chance oder Todesurteil für interdisziplinäres Denken?

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Im Zuge des Bologna-Prozesses werden auch in Deutschland flächendeckend Bachelor- und Masterstudiengänge eingeführt. Was der Baccalaureus Artium (B.A.) in den geisteswissenschaftlichen Disziplinen leistet, ist derzeit Gegenstand intensiver Diskussionen. Kritiker unken, hier werde der Trend zum Schmalspurstudium zementiert: Kürzere Ausbildungszeit, weniger nach links und rechts schauen. Zu diesem Schluss kam auch Tilmann Lahme, der für die aktuelle FAZ-Serie "Der Bachelor im Test" den B.A.-Studiengang Germanistik der Uni Göttingen inspizierte: "Hineinschnuppern in Bereiche, die einen interessieren könnten, ob Kunstgeschichte, Psychologie oder Atomphysik – das ist ausgestorben. ‘Keine Zeit.’" Befürworter des B.A. halten dem entgegen, der Bachelor böte durchaus Möglichkeiten, über den Tellerrand zu schauen. So stünde in den USA, dem "Mutterland" des B.A., ja gerade das Allgemeinbildende im Vordergrund; die Spezialisierung erfolge erst im anschließenden Masterstudium. 

Paul Michael LützelerIch wollte es genauer wissen und fragte einen ausgewiesenen Kenner der akademischen Szene diesseits und jenseits des Atlantiks. Paul Michael Lützeler, seit 1973 Professor für Literaturwissenschaft am German Department der Washington University in Saint Louis, kennt die zerklüftete amerikanische Collegelandschaft wie nur wenige deutsche Forscher. Wir sollten nicht allzu neidisch gen USA schielen, mahnt er, denn auch dort gehe der Trend immer mehr hin zu früher Spezialisierung. Das sei an den traditionell wenig an interdisziplinärer Ausbildung interessierten Professional Schools (etwa für Business oder Engineering), die typischerweise mit dem Bachelor of Science (B.S.) abschließen, eh und je so gewesen. Aber auch in B.A.-Vertiefungsprogrammen wie Pre-Med richteten die Studenten ihre Kurse immer konsequenter auf das anschließende Medizinstudium aus und belegten vorzugsweise Fächer wie Biologie und Chemie.

Selbst im "klassischen", auf breite Allgemeinbildung abzielenden B.A.-Studium setzen sich in Amerika zunehmend Fächerkombinationen durch, die den Weg für das jeweils angepeilte Graduate Studium ebnen, berichtet Lützeler. Auch hier werde das Fächerübergreifende also zunehmend auf das Nötigste reduziert. Immerhin: Studenten der Literatur- oder Geschichtswissenschaften bleibe nach wie vor nicht erspart, zumindest grundlegende Kenntnisse in Mathematik und Naturwissenschaften zu erwerben. Also doch mehr Interdisziplinarität jenseits des Atlantiks? Nein, meint Lützeler: "Das sind meistens Dinge, die man in Deutschland schon auf dem Gymnasium mitbekommen hat." Für mich klingt das fast so, als stünde der deutsche B.A. in Sachen Über-den-Tellerrand-Blicken nur aus dem Grund ganz gut da, weil das US-Vorbild ebenfalls nicht wirklich taugt. Professor Lützeler mahnt zur Vorsicht. Seine Empfehlung: dem B.A. hierzulande, der ja interdisziplinäre Module enthalten sollte, eine Chance geben und abwarten, wie er sich in der Praxis bewährt.


Homepage von Prof. Dr. Paul Michael Lützeler

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Carsten Könneker Zu meiner Person: Ich habe Physik (Diplom 1998) sowie parallel Literaturwissenschaft, Philosophie und Kunstgeschichte (Master of Arts 1997) studiert – und erinnere mich noch lebhaft, wie sich Übungen in Elektrodynamik oder Hauptseminare über Literaturtheorie anfühlen. Das spannendste interdisziplinäre Projekt, das ich initiiert und mit meinen Kollegen von Spektrum der Wissenschaft aus der Taufe gehoben habe, sind die SciLogs, auf deren Seiten Sie gerade unterwegs sind.

7 Kommentare

  1. Bologna Pro-und-Contra

    Tja, ich gehöre eigentlich auch eher zu den Befürwortern von mehr Modularisierung und internationaler Vergleichbarkeit – zumal ich in den bisherigen Studienordnungen das interdisziplinäre Schlaraffenland partout nicht erblicken konnte.

    Derzeit mache ich aber als Lehrender durchaus die Erfahrung, dass viele Studierende zwischen neuen Anforderungen und Studiengebühren Richtung “Verschulung” tendieren: Augen zu und (schnell) durch, “Workloads” erfüllen statt entdecken.

    Andererseits kann dies natürlich auch ein Übergangsphänomen sein, vielleicht muss sich da eine neue Kultur erst herausbilden. Und es liegt doch auch sehr stark an uns Lehre Anbietenden selbst, ob und wie wir Interdisziplinäres vermitteln, erwarten und honorieren…

  2. Da musste Europa wieder mal klassisch daneben greifen. Gut gemeinst war’s wohl aber wie man in Österreich (Bakk. gibt’s hier in einigen sowi-Fächern schon ein paar Jahre) sieht: 95% der Studierenden machen nach dem Bakk. weiter um am Arbeitsmarkt Chancen zu haben.
    Frühe Spezialisierung im Studium (mit der Möglichkeit sich durch Wahlfächer in anderen Bereichen zu bilden) wäre klüger gewesen.

  3. Spezialisierung vs. Allgemeinbildung

    Ich denke, das Problem ist gar nicht so sehr der Bachelor. Wer über den Tellerrand hinausblicken will, der tut das auch – nur, wer will das heute noch, und wer kann sich das heute noch erlauben?

    Man muss sich halt entscheiden, ob man möglichst schnell möglichst viel Spezialwissen anhäuft, um als Ressource wertvoll zu sein, oder ob man Wissen nach anderen Gesichtspunkten sammelt und ggf. die ökonomischen Konsequenzen trägt.

  4. @ Lars: Genau…

    …das ist auch meiner Meinung nach der Punkt.

    Den Studierenden wird auf der einen Seite sehr drastisch klar gemacht, wie schwierig der Arbeitsmarkt ist. Andererseits haben viele Studiengänge noch immer zu wenig Praxisbezüge und interdisziplinäres Engagement zahlt sich oft nicht mal innerhalb des eigenen Studiums aus.

    Die Folgen sind m.E. recht logisch: die meisten Studenten passen sich den Anreizstrukturen an und zielen auf einen schnellen Titel im Spezialfach. Wenn man da etwas verändern möchte, muss man zunächst die Situation der Studierenden realistisch sehen…

  5. ich bin kein Freund des Bachelors, da die Studenten einen Master und eigentlich auch einen Doktor draufsetzen müssen, um in Deutschland Berufschancen zu haben, die Master-Stellen an den Unis allerdings limitiert sind, was bedeutet, daß nicht jeder einen MasterStudienplatz bekommt, was weiter bedeutet, daß man zwar einen Bachelor hat, der einem allerdings wenig nutzt, da die Wirtschaft nicht darauf vorbereitet ist. Allerdings ist der Bachelor eine tolle Ergänzung für Biolaboranten, die also schon berufstätig sind und nebenberuflich studieren, um ihren Lebenslauf noch mehr zu auszubauen. Für sie ist der Bachelor eine echte Chance meiner Meinung nach. Nur ohne vorherige Ausbildung und ohne darauf aufbauende Weiterbildung bleibt einem wirklich nur das Auswandern, um einen Job zu finden. Aber vielleicht sieht es so auch nur in der Biologie derzeit aus … keine Ahnung.

  6. Studium generale

    Das fächerübergreifende, geschweige denn Fakultätsgrenzen überschreitende Studieren war auch im bisherigen Magister-Studium keineswegs die Regel – zu mindest de facto.
    Offiziell mussten wir als Magister-Kandidaten für Geschichte in Düsseldorf zwar zumindest eine Vorlesung in einem anderen Fach (zusätzlich zum Nebenfach) besuchen. Ich habe das getan. Doch in der Vorlesung über Shakespeare sahen mich die Anglistik-Studenten, die ich zum Teil privat kannte, ungläubig an, als ich zum ersten Mal in ihren Hörsaal kam. Dass sich jemand an die Vorgabe, eine fachfremde Vorlesung zu hören, hielt, war nämlich die große Ausnahme. Ich habe es nicht bereut und einiges über Englands großen Dichter gelernt.
    Ich glaube, zum Interdisziplinären kann man Studenten nicht verdonnern.
    Es sollte vielmehr neben dem eigentlichen Studierbetrieb des Scheine-Sammelns attraktive fächerübergreifende Angebote geben: Foren des Austausches und der ungezwungenen Diskussion. Das “Studium Generale” der Uni Heidelberg könnten sich auch andere Hochschulen zum Vorbild nehmen.

  7. Kür und Pflicht

    Lieber Herr Knauß,
    schön, Sie in der hier zu treffen! Ich stimme Ihnen zu, dass es besser ist, durch Anreize das Über-den-Tellerrand-Schaun zu fördern. Ihr Hinweis auf das Heidelberger Studium Generale trifft da genau ins Schwarze. Hier locken aber sowohl spannende, vielfältige Themen als auch hochkarätige Dozenten. Will sagen: Hier kann eigentlich kein Student widerstehen. Dass Vergleichbares an allen Hochschulen angeboten werden kann, bezweifle ich, ehrlich gesagt. Daher möchte ich den Zwang doch nicht vollständig verpönen. Ein Pflichtseminar WissenschaftsGESCHICHTE für Physiker oder eine Einführung in Erkenntnistheorie für Biologen im Hauptstudium fänd ich schon angebracht. Oder auch eine Vorlesung “Wendepunkte der Wissenschaftsgeschichte” für Literaturwissenschaftler. Es muss ja nicht weh tun, daher halte ich zumindest halbwegs fachnahe Pflichtveranstaltungen für empfehlenswert. Liebe Grüße
    Ihr
    CK

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