Wirtschaftsethik in der Falle

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Wie Wirtschaft und Ethik zusammenpassen
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Vorab möchte ich ein Buch empfehlen, dass ich gerade lese, das "Handbuch Wirtschaftsethik", herausgegeben von Michael Aßländer und recht neu auf dem Markt. Da steht wirklich alles über das Thema drin – sehr kompakt und verständlich geschrieben. Die Beiträge stammen von unterschiedlichen Autoren und spiegeln daher auch unterschiedliche Standpunkte wider. An dieser Stelle möchte ich auf zwei extreme Standpunkte eingehen, die in diesem Handbuch auch in einigen Beiträgen durchscheinen, und die meiner Meinung nach beide dazu führen, dass man in eine Art Falle gerät. Ich werde diese Positionen hier einfach mal idealtypisch skizzieren, ohne dabei wissenschaftlich zu zitieren.

Auf der einen Seite sehe ich die Gefahr einer idealistischen Falle. Es gibt Autoren, die betonen, die einseitige Ausrichtung der Wirtschaftswissenschaften auf das Ziel der Gewinnerzielung sei nicht nicht "wertfrei", sondern auch nur eine normative Vorgabe unter anderen. Sie möchten auf diese Weise die traditionellen Wirtschaftswissenschaften hinterfragen, was denen sicher auch gut tut. Gefährlich wird es aber, wenn diese Erkenntnis der Normativität überinterpretiert wird, was leider sehr nahe liegt. Wenn ich sage: "Die Ausrichtung auf Gewinnerzielung ist eine normative Entscheidung", dann ist darin streng genommen enthalten, dass ich auch anders entscheiden könnte – sonst wäre es ja keine Entscheidung. Wer das auf die Ökonomie überträgt, ignoriert aber die Funktionsweise unserer realen Wirtschaft, die nun einmal von ihrer Struktur her auf Gewinnerzielung ausgerichtet ist. Diese Ignoranz kann zwei Ursachen haben. Einmal die, dass man einfach nicht versteht, wie dieses Wirtschaftssystem funktioniert. Oder die Ursache ist die – nach meiner Meinung unzutreffende – Überzeugung, dass unser Wirtschaftssystem deswegen so versessen auf Gewinn ist, weil die Wirtschaftswissenschaften es sind und das System in diese Richtung beeinflussen. Das würde implizieren, dass eine Änderung des Bewusstseins das System ändern könnte. Und das halte ich für eine idealistische Falle: Das System lässt sich durch geändertes Bewusstsein vielleicht modifizieren, aber nicht in seiner Grundstruktur ändern. Man müsste dann schon ein ganz neues System schaffen – aber dafür hat heute niemand mehr eine überzeugende Blaupause.

Auf der anderen Seite sehe ich die Gefahr einer funktionalistischen Falle. Sie droht dann, wenn Wirtschaftsethik die Funktionsweise des Systems richtig erkennt und sie dann absolut setzt. Das heißt also, wenn man so tut, als sei die Grundstruktur der Marktwirtschaft eine deterministische Vorgabe, die dem Einzelnen praktisch gar keine Entscheidungsmöglichkeiten mehr lasse. Nach diesem Modell hat der Mensch nicht mehr die Möglichkeit zu handeln (im philosophischen Sinne), er "verhält" sich nur noch. Diese Sichtweise ist meiner Meinung nach aber auch verfehlt. Sie verwechselt das –  durchaus zutreffende – Strukturmodell unserer Wirtschaft, das die Ökonomen aufzeigen – mit der Realität, die dieses Modell abbildet. Ethisches Handeln findet aber nicht im Modell statt, sondern in der Realität. So gerät man in die funktionalistische Falle.

Der richtige Weg wäre der Mittelweg. Tatsächlich hängt es sehr von der Situation ab, ob wirtschaftliche Entscheidungsträger tatsächlich handeln können und wie viel Spielraum ihnen dabei auch für ethisch motivierte Entscheidungen bleibt. Es gilt daher nur die Möglichkeit, einzelne Situationen zu analysieren – das ist eine ökonomische Analyse mit einer ethischen Zielsetzung, die zudem über einen engen, rein modellversessenen Zugang zur ökonomischen Fragestellungen hinausgeht. Dieser richtige Weg würde allerdings einen engen Dialog zwischen Ökomonie und Philosophie erfordern. Bisher ist davon zu wenig zu spüren – dagegen gibt es viel Desinteresse seitens der Ökonomen und ängstliches Bemühen um Abgrenzung und Deutungshoheit seitens der Philosophen. 

 

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Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

5 Kommentare

  1. Wirtschaftsphilosophie?

    Sehr spannende Bestandsaufnahme, danke! Sag mal, verstehen sich (einige) Wirtschaftsethiker auch als Wirtschaftsphilosophen? Dann würde ich das Hinterfragen auch der Grundannahmen durchaus verstehen. Wenn sich die Ethiker selbst aber eher als Begleiter denn (Mit-)Begründer von wirtschaftlichem Handeln in Strukturen sehen wäre m.E. tatsächlich ein Dialog mit Philosoph(i)en und Theolog(i)en unersetzlich.

  2. Ich würde widersprechen wollen

    Mir ist bei dieser Gegenüberstellung nicht wohl, weil sie die Moral wirtschaftlichen Handelns vom Rest des Lebens abkoppelt.

    Nach meinem Verständnis ist es so: In der Wirtschaft verfolgt man das Ziel, Profit zu erzielen, und das ist auch gut und richtig so.

    Die Vorgabe, moralisch zu handeln jedoch ist universell, es gibt keine ethischen Freihandelszonen oder dergleichen. Ich muss im Alltag ethischen Normen folgen, ob ich nun auf der Straße unterwegs bin, im Internet und wo auch sonst.

    Es gibt immer Dinge, die ich gerne tun würde und die mir Vorteile bringen, die ich aber nicht mit meinen Moralvorstellungen in Einklang bringen kann und die ich deswegen unterlasse. Das liegt in der Natur ethischen Handelns.

    Auch in der Wirtschaft ist man zum moralischen Handeln verpflichtet. Die Gewinnorientierung der Wirtschaft ist ganz sicher keine Get-Out-Of-Jail-Free-Card für Amoral. Dass sie immer und immer wieder als solche verwendet wird ist m.E. das große Totalversagen der Wirtschaftsethik als solcher.

    Überall sonst steht außer Frage, dass der Zweck eben nicht die Mittel heiligt. Diesen zivilisatorischen Fortschritt hat die Ökonomie offensichtlich noch vor sich.

  3. Totalversagen der Wirtschaftsethik

    @Lars Fischer

    “Auch in der Wirtschaft ist man zum moralischen Handeln verpflichtet. Die Gewinnorientierung der Wirtschaft ist ganz sicher keine Get-Out-Of-Jail-Free-Card für Amoral. Dass sie immer und immer wieder als solche verwendet wird ist m.E. das große Totalversagen der Wirtschaftsethik als solcher.”

    Wenn Sie folgendes Interview lesen, dann wissen Sie auch warum die Wirtschaftsethik im Trüben fischt. Da fehlt schlicht und ergreifend eine Prämisse.

    http://www.prisma-hsg.ch/…hoch-ethisches-Prinzip

  4. Ja, bloß Moralisieren genügt nicht

    Klug gegen das bloße Moralisieren auch im „Freitag“ (heute von Nickpol getwittert): http://www.freitag.de/…/1144-grenzen-der-kritik.
    Na ja, und mir ist wohl bewusst, dass kirchliche Verlautbarungen besonders leicht sich aufs Moralisieren verlegen und auch schärfere Kritiker manchmal zwar aufhorchen lassen, aber letzten Endes wirkungslos sind. Das auch über Drewermann gesagt, den ich eigentlich schätze, siehe jetzt hier: “Von der Macht des Geldes oder Märchen zur Ökonomie”
    http://www.unitv.org/beitrag.asp?ID=286.

  5. @Blume

    Ja, gerade die deutschen Ethiker verstehen sich als “echte” Philosophen, sehen also ihre Aufgabe nicht darin, moralische Regeln aufzustellen, sondern eher darin, diese Regeln zu reflektieren oder zu hinterfragen. Die Leute, bei denen ich die Gefahr der “idealistischen Falle” sehe (Peter Ulrich usw.), berufen sich auf die Diskursethik von Apel und Habermas. Mein Punkt ist nur: Im politischen Raum kann man sicher im freien Diskurs eine Verständigung über Ziele finden (jedenfalls im Idealfall). In der Wirtschaft sind die Ziele aber viel stärker durch die Funktionalität des Systems bestimmt – nicht bis auf die letzte Kommastelle, aber von der großen Struktur her – und das lässt sich meiner Ansicht nach mit noch so viel Diskurs nicht aus der Welt schaffen. Ulrich usw. wissen das natürlich, haben aber meine Ansicht nach keine richtige Lösung für das Problem. Anders gesagt: Der Akzent liegt bei denen zu sehr auf der Zielfindung und zu wenig auf der Frage, welche Spielräume überhaupt da sind oder wie sie sich ev. erweitern lassen.

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