Wie ethisch sind Leerverkäufe?
BLOG: Gute Geschäfte

Die Wertpapierbank Schroders hat kürzlich in einer Veröffentlichung diese Frage gestellt: Wie ethisch sind Leerverkäufe? Und kommt zu dem Ergebnis, dass sie an sich nicht unethisch seien, sich aber in bestimmten Situationen ethische Probleme ergeben können.
Zur kurzen Erklärung: Bei einem Leerverkauf verkauft man eine Aktien, die man nicht besitzt. Wie Schroders schreibt, leihen sich Leerverkäufer das Papier aus und verkaufen es. Sie hoffen dann, dass sie es später zu einem niedrigeren Kurs wieder kaufen und dem Verleiher zurückgeben können. Der Verleiher, häufig große Investoren oder Fonds, bekommt eine “Miete”, also eine Gebühr; Wertpapierleihe ist ein eigenes Geschäftsfeld.
Der Clou dabei ist, dass man so auf fallende Kurse wetten kann. Das ist bis zu einem gewissen Grad symmetrisch zu einem Wertpapierkauf, mit dem man ja auf einen steigenden Kurs setzt. Aber die Symmetrie hat ihre Grenzen. Einmal gibt es bei einem Kauf keine Frist für den anschließenden Verkauf, Anleger können einfach warten, bis der Kurs steigt. Beim Leerverkauf hingen müssen sie spätestens, wenn die Leihfrist abläuft, wieder kaufen, das Geschäft hat also eine gewisse Frist, kann natürlich eventuell durch ein neues abgelöst werden.
Die andere Asymmetrie: Steigende Kurse sind ein Vertrauensbeweis für das Unternehmen, können also niemals existenzgefährdend sein. Sinkende Kurse können dagegen die Existenz gefährden. Und wer auf sinkende Kurse wettet, setzt sie damit ja auch zugleich unter Druck.
Schroder argumentiert, dass weder Käufe noch Leerverkäufe (oder andere Verkäufe) etwas an den fundamentalen Daten des Unternehmens ändern. Das stimmt zunächst. Aber letztlich haben sie Einfluss darauf, wie billig oder teuer sich das Unternehmen refinanzieren kann. In manchen Fällen etwa bei Banken, können Shortseller das Unternehmen auch in eine Krise hinein treiben.
Schroders listet vier Kategorien von Leerverkäufen auf. Einmal die “gedopte” Titelauswahl. Damit ist der bewusste Leerverkauf von Aktien gemeint, die nach Meinung des Investors zu teuer sind. Dann gibt es den aktivistischen eerverkäufer, der zusätzlich die Öffentlichkeit aktiv davon zu überzeugen sucht, dass die Aktie zu teuer ist. Drittens den Risiko-Manager, der durch den Leerverkauf eines Indexes sein Depot absichern will – das lassen wir hier mal außen vor. Und viertens Trendfolger, die, häufig per Computer, Markttrends ausnützen wollen, auch dass soll hier außen vor bleiben.
Der aktivistische Investor ist am ehesten in Gefahr sich unethisch zu verhalten. Er kann zum Beispiel üble Gerüchte streuen oder mit unsachlichen Argumenten eine Aktie schlechtreden. Gerüchte gibt es ständig. Und als Versuch, eine Aktie mit den falschen Argumenten schlecht zu reden, war zum Beispiel die Attacke des Hedgefondsmanagers Bill Ackman auf die Firma Herbalife zu werten – jedenfalls meiner Meinung nach. Ackman bezichtigte die Firma, ein Schneeballsystem zu betreiben, das irgendwann zusammenbrechen muss. Tatsächlich hatte sie eine Art Strukturvertrieb, aber kein finanzielles Schneeballsystem.
Ähnlich war aus meiner Sicht vor Jahren der Angriff auf MLP zu sehen – mit dem Argument, das Unternehmen bilanziere falsch. Dabei war die Bilanzierung korrekt, nur das Geschäftsmodell etwas ungewöhnlich.
Die Erfahrung zeigt: Hoch bewertete Aktien von Unternehmen mit einem schwer durchschaubaren Geschäftsmodell sind besonders gefährdet für den Abschuss durch Leerverkäufer. Es steht zu vermuten, dass sie zurzeit bei Wirecard zu Gange sind.
Schroders argumentiert, die Streuung falscher negativer Informationen sei unethisch, ähnlich als wenn man nach einem Kauf falsche positive Informationen streut. Symmetrisch sind die beiden Fälle aber nicht, weil, sie gesagt, negative Gerüchte die Existenz kosten können.
Anders als Schroders würde ich also zunächst die Asymmetrie betonen: Leerverkäufe richten schneller einen schweren Schaden als Käufe, auch wenn es in beiden Fällen zu ethischen Problemen kommen kann, wenn falsche Informationen im Spiel sind.
Die andere Frage lautet: Sind Leerverkäufe nicht zynisch? Und heizen sie nicht, selbst wenn sie ansonsten “sauber” sind, in einer Krise die Panik noch zusätzlich an?
Zynisch sind sie zweifellos, aber das allein macht sie noch nicht unethisch. Eine Krise verstärken können sie auch, deswegen sind sie
meiner Meinung nach in bestimmten Situationen, die aber schwer abzugrenzen sind, auch ohne die Verbreitung falscher Informationen verantwortungslos und damit unethisch. Nicht umsonst verbieten in solchen Krisensituationen Finanzaufseher manchmal Leerverkäufe.
Fazit: Ich sehe die ethischen Probleme bei Leerverkäufen ähnlich wie Schroders, aber mit Unterschieden in den Nuancen.
Leerverkäufe sind die Krebsgeschwulst des Wertpapierhandels.
Sie werden nur noch getoppt von den Derivaten, denen gar kein reales Produkt zugrundeliegt, also Wertpapiere über die Kurse von anderen realen Wertpapieren.
Mit Leerverkäufen von Wertpapieren können dann die Kurse der Derivate stark beeinflusst werden.
Anmerkung: Für Laien sind solche Geschäfte unverständlich. Die Werpapierbroker machen damit ihre schnellen Gewinne.
Nein. Das ist eine verkürzte, aber sehr häufige Sichtweise. Man muss bei einem Handel immer beide Seiten betrachten, denn es gibt ja keinen Handel mit nur einer Seite. Wenn eine Seite auf fallende Kurse wettet, wettet die andere auf steigende. Darum gibt es auch keine moralischen Probleme bei Leerverkäufen oder anderen Wettarten.
Ist es zynisch, wenn ein Landwirt seine Ernte im Voraus verkauft, weil er sein Risiko minimieren möchte? Dieses Verhalten ist ja analog zu einem Leerverkauf. Wenn es jemandem gibt, der ihm die Ernte abkauft, sind beide Seiten am Geschäft offenbar interessiert, sonst würden sie es ja nicht eingehen. Es ist höchstens zynisch, dieses Geschäft zynisch zu finden.
Tim
soll man einem Geburtagskind schon vor dem Geburtstag gratulieren?
Wer alles nur rational sieht, der ist vom finalen Todesschuss auch überzeugt, oder nicht?
Der Artikel ist eine Mogelpackung. Er macht mit Leerverkäufen auf, um sich dann am „aktivistische[n] Investor“ abzuarbeiten, der „zum Beispiel üble Gerüchte streuen“ „kann“. So verschiebt man das Thema. Das Brotmesser gilt als unethisch, weil man mit ihm auch jemanden erdolchen kann.
Auch kann die Aussage „Dabei war die Bilanzierung [der M. AG] korrekt[.]“ nicht so stehenbleiben: Der BGH erklärte im Jahre 2014 nämlich [1]: „Nicht mehr im Streit steht das Feststellungsziel zu I., das die Pflicht betrifft, Rückstellungen für die möglichen Einstandspflichten aus den in den Jahren 1998 bis 2002 betriebenen Factoring-Geschäften zu bilden. Der Musterkläger hat insoweit bezüglich der Jahre 1998 bis 2001 obsiegt.“
[1] BGH v. 01.07.2014 – II ZB 29/12
https://datenbank.nwb.de/Dokument/Anzeigen/519603/
Dieses Thema ist schon interessant. Auch bei der Diskussion der Weltwirtschaftskrise 1929 sollen diese Leerverkäufe eine Rolle gespielt haben. Vor allem die “naked short” Leerverkäufe sind problematisch. Denn für diese ist keine “Beleihung” notwendig.
Eine Bemerkung zu Herbalife. Gab es da nicht auch Kritik an den Produkten selber? Und Strukturvertrieb ist etwas anrüchig.
@Ano Nym: Vielen Dank für den Hinweis auf das BGH-Urteil. Ich hatte die Diskussion verfolgt, als die Vorwürfe aufkamen, aber nicht mehr die Details der späteren juristischen Auseinandersetzungen. Das BGH-Urteil bekräftigt aber meinen damaligen Eindruck, dass der Vorwurf einer bewussten, massiven Falschbilanzierung, nicht korrekt war. Die Kritiker warfen MLP vor, Kredite nicht ausgewiesen haben, und verwechselten dabei – bewusst? – Kredite mit Rückversicherungsgeschäften. Aber korrigieren muss ich die Aussage, die Bilanzierung sei (meiner damaligen Meinung nach) “korrekt” gewesen, weil es Beanstandungen im Detail gegeben hat, ohne dass dabei offenbar ein Vorsatz erkennbar war.
@Rudi Knoth: Ja, an den Produkten, die möglicherweise keinerlei gesundheitliche Wirkung haben, und an dem Vertriebsmodell kann man eine Menge kritisieren. Deswegen war es ja so leicht, dem Unternehmen noch mehr zu unterstellen, nämlich ein Ponzi-Scheme, also die Erzeugung von Scheinerträgen.
Vermutlich sind die hier gemeinten Derivate insofern so ethisch oder unethisch, wie ihre Bereitstellung als Wette bereits unethisch sein könnte.
Derartige Derivate werden ja idR von (großen) Finanzdienstleistern entwickelt, als Wette auf den (zukünftigen) Markt, ihre Ehrhaftigkeit liegt sozusagen beim Anbieter dieser Wetten.
Derartige Derivate oder Wetten sind OK, weil sie sozusagen Prüfsteine sind, die entwickelt werden dürfen.
Selbst hier – ‘Dann gibt es den aktivistischen [L]eerverkäufer, der zusätzlich die Öffentlichkeit aktiv davon zu überzeugen sucht, dass die Aktie zu teuer ist.’ [Artikeltext] – könnte es so sein, dass eine Unternehmung nur stärker wird, wenn sie derartiger Tendenz, eben durch nachhaltiges und organisches Wachstum, zu trotzen in der Lage ist.
Dr. W will nicht Marktinstrumente dieser Art generell freisprechen, nur von sog. Ethik, wirtschaftliches Handeln ist profit-maximiert angelegt, wer Ethik sucht, darf woanders schauen, wirtschaftliches Handeln ist per se amoralisch (vs. unmoralisch).
HTH (“Hope to Help”)
Dr. Webbaer (wer besondere Ethik im Wirtschaftlichen sucht, sucht den Kollektivismus als Wirtschaftsform – klar, es ist schon womöglich ein wenig “uncool”, wenn Unternehmen der Wirtschaft sozusagen der Logik folgen, nicht dem Ethos, Dr. W kann sich hier in (partiell) kollektivistische Kritiker ein wenig hineinversetzen)
Bonuskommentar hierzu :
Dr. W ist ursisch (vs. ‘zynisch’), so what?
Dr. W rät zudem an zwischen Marktinstrumenten und verbrecherischem Handeln (das womöglich eben durch diese Instrumente induziert wird) fein zu unterscheiden.
Unter Umständen können bis sollten bestimmte Marktinstrumente verboten werden, wir wollen abär nicht per se so urteilen, diese Instrumente betreffend, denn diese Maßgabe bleibt die vornehme, vorzunehmende Aufgabe der Politik, die am besten sachnah erfolgt.
Wetten auf Unternehmen gelten per se als OK.
Der Kapitalismus ist grundsätzlich unethisch.
Zinsen zu verlangen, fördert die ungerechte Verteilung von Werten.
Fraglich ist, ob man etwas verkaufen kann, dass man nicht besitzt? Und ob das dann überhaupt Verkauf genannt werden kann oder nicht eigentlich etwas ganz anderes ist.
Das Zivilrecht versucht die Realität in eine gerechte Struktur zu bringen. Aber die zivilrechtliche Erklärung von Leerverkäufen ist schwierig. Es besteht damit rein Definitorisch zu Recht der Zweifel an der Gerechtigkeit.
Im Übrigen ist es witzigerweise auch niemandem völlig klar was Geld eigentlich ist. Man könnte also auch hier an der Gerechtigkeit zweifeln.
Auswüchse wie “Cum Ex” sind bei unstrukturierten – ungerechten Dingen zu beobachten. Der größte (!) Steuerskandal der Geschichte. Leider wenig in den Leitmedien diskutiert, aber durchaus interessant.
noch ein Zusatz: “Cum Ex” ist entgegen der Behauptung überhaupt nicht schwer zu verstehen. Es wurden Wertpapiere verkauft, die dem Verkäufer nicht gehörten. Und dabei wurden Steuerbescheinigungen (doppelt) ausgestellt, für Beträge, die nie gezahlt wurden. Mit diesen falschen Steuerbescheinigungen hat man dann geld vom Staat “zurückbekommen”, das nie vorher gezahlt wurde. In Milliardenhöhe. Das ganze ist so offensichtlich falsch, dass niemand allen Ernstes behaupten kann, es hätte hier eine Lücke im Gesetz gegeben.
Ob das ganze vom Gesetzgeber toleriert wurde sei dahingestellt…