Über Affen, Kinder und Manager

Gute Geschäfte für Kriminelle

Ein Artikel im “Spektrum der Wissenschaft 5.19” bietet guten Stoff zum Nachdenken. Unter dem Titel “Die Geburt des ‘Wir'” beschreibt Michael Tomasello, wie aus seiner Sicht die menschliche Moral entstanden ist. Dabei stützt er sich auf Beobachtungen und Experimente mit Menschenaffen und Kleinkindern. Das Ergebnis ist, sehr kurz gefasst: Der Mensch hat im Laufe seiner Evolution die Fähigkeit zur Kooperation, und damit auch zur Moral, entwickelt, weil sie von enormem Vorteil beim Überleben ist. Die Bereitschaft zu helfen sei schon bei sehr kleinen Kinder nachzuweisen. Wie sich beim Blättern in einem seiner Bücher (“Warum wir kooperieren”) zusätzlich ergibt, spielen dabei Anreize eher eine negative Rolle. Kinder helfen, ohne gezwungen oder belohnt zu werden. Werden sie aber doch einmal belohnt, nimmt die Bereitschaft zu helfen beim nächsten Mal ab – wahrscheinlich, weil sich dann die Frage der Belohnung in den Vordergrund schiebt.

Der Autor sieht hier einen großen Unterschied zu Menschenaffen. Bei Schimpansen und Bonobos, unseren nächsten Verwandten, gebe es zwar auch Ansätze von Zusammenarbeit, aber nur weitaus eingeschränkter als bei Menschen, schreibt er.
Tomasello unterscheidet drei Phasen. Einmal die “individuelle Intentionalität” – jeder denkt fast nur an sich. Das bebildert er mit einem Affen. Dann die “gemeinsame Intentionalität” – man arbeitet in kleinen Gruppen zusammen, die aber auch über die Familie hinausgehen können. Das sieht er bei den älteren Ur-Menschen. Und drittens die “kollektive Intentionalität”, darunter versteht er die Herausbildung eines Systems aus “Normen, Konventionen und Institutionen”, seit ungefähr 150.000 Jahren.

Man kann davon ausgehen, dass in jeder höheren Stufe auch noch Relikte oder sogar wesentliche Bestandteile der vorher gehenden enthalten sind (wie Religion auch Elemente von Magie und begriffliche Welterklärung häufig noch religiöse Elemente enthält). Wie sind alle auch noch Egoisten und bevorzugen unsere Kumpels vor dem Rest der Welt.
Hier drängt sich natürlich die Frage auf, wie sich das System auf Unternehmen übertragen lässt. Klar ist, dass keine Firma ohne die Stufe 2, die Zusammenarbeit in der Gruppe, überleben kann. Dabei sollte sie auch übergeordnete Normen (Stufe 3) beachten. Ein häufig beobachtbarer Effekt ist aber, dass starke Gruppenidentitäten dazu führen, dass übergeordnete Normen in den Hintergrund treten. Dann sind Manager und Mitarbeiter, “zum Wohl der Firma”, zu Schandtaten bereit, die ihnen im privaten Umfeld nie einfielen und die sie auf politischer Ebene scharf verurteilen würden. Man denke nur an den Abgas-Skandal der Auto-Konzerne, wo man mitunter den Eindruck hat, dass die Manager sich eigentlich gar keiner Schuld bewusst sind: Umwelt und Kunden sind zweitrangig gegenüber der Binnenwelt des Konzerns.
Eine andere Frage ist, wie sehr gerade an der Spitze manchmal auch Egoisten (Stufe 1) landen. Niemand kann natürlich heute Egoismus zu deutlich zeigen, dazu ist die kulturelle Evolution zu weit fortgeschritten. Außerdem, das muss man zugestehen, braucht es manchmal Führungsfiguren, die mit einer gewissen Ruchlosigkeit gegen die Gruppenmoral oder sogar gegen übergeordnete Normen verstoßen – sonst würden wir ja immer noch mit den Moralvorstellungen der Steinzeit leben. Auf der anderen Seite schädigen Egoisten in führender Rolle häufig ihre eigene Firma. Manchmal werden sie vom System irgendwann ausgespuckt (auch in der in der Autoindustrie zu beobachten), aber häufig später, als gut wäre.

Interessant sind in dem Zusammenhang auch die Incentives, die Anreize. Das Struwwelpeter-Prinzip ging ja davon aus, dass Kinder eigentlich “böse” sind und zum Guten gezwungen werden müssen. Darüber ist die Pädagogik inzwischen zum Glück hinweg. Aber die Belohnung mit fetten Boni für Manager, die ihren Job ordentlich machen, geht im Prinzip von einem ähnlichen Menschenbild aus wie das Struwwelpeter-Prinzip: Der Mensch muss bei seinem Egoismus gepackt werden, um Höchstleistungen zu bringen. Hieraus kann ein verhängnisvoller Mechanismus entstehen, der zu immer mehr Selbstbedienung führt, während der – laut Tomasello natürliche – Antrieb zum persönlichen Einsatz immer mehr geschwächt wird.

In den letzten Jahren, vor allem seit der Finanzkrise, hat es schon Ansätze gegeben, diese Boni-Systeme zu überarbeiten. Zum Teil wurden die Ziele langfristig gesetzt, oder Leistungen wurden als rückzahlbar bei Misserfolg definiert. Sehr häufig haben Firmen auch hohe Boni in ebenso hohe Festgehälter umgewidmet, so dass am Ende eine garantierte Überbezahlung herauskam. Am Grundsätzlichen hat das nichts geändert.

Wahrscheinlich sollten Firmen besser reflektieren, auf welchem – oftmals weit überholten – Menschenbild ihre Bezahlungssystem beruhen. Und dabei auch stärker berücksichtigen, wie wichtig es ist, negative Anreize (zum Beispiel das Ausbleiben von Belohnung) zu vermeiden, in dem man etwas vorsichtiger mit positiven Anreizen umgeht. Es wird dann im Endeffekt auch kostengünstiger.

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Veröffentlicht von

Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

6 Kommentare

  1. Die Grundlage der Familie ist die Liebe. Die Mutter, die ihr Kind liebt, pflegt es ohne Belohnung. Der Mann, der seiner Frau hilft, tut das ohne Belohnung. Die Geschwister helfen sich , ohne Belohnung.
    Was man nicht verwechseln darf mit der Eifersucht, die zwischen Geschwistern entsteht, aus Mangel an Beachtung bzw. an Liebe.
    Womit haben wir es also in einer Firma zu tun ? Fehlende Liebe, wenn das Unternehmen nur am Gewinn interessiert ist.
    Sorgt sich der Firmenchef persönlich um seine Mitarbeiter, versteht das die Belegschaft und honoriert das .
    Bei Kapitalgesellschaften fehlt die Liebe und es fehlt die persönliche Beziehung zwischen der oberen Führungetage und den Arbeitern.
    Aber, auch ein Manager kann seine “Mission” als Gutmensch ausleben, indem er für gerechte Bezahlung sorgt und Boni vermeidet.
    Was tut not ? Gesetze , die die Überbezahlung der oberen Führungsebene überproportional besteuert, bishin zu Einkommensgrenzen in Abhängigkeit vom Gewinn vor Steuern.

  2. Der Mensch als einstmaliges Herdentier hat meiner Ansicht nach MORAL entwickelt, um Gesetze/Verhaltensweisen für den Zusammenhalt in der HERDE umzusetzen und jedes einzelne Herdenmitglied daran zu bewerten. Letzteres war für das blanke Überleben in der Welt von Fressen und Gefressen werden überlebens wichtig. Das Ego eines jeden Individiums musste sich also -damals- dem Gemeinwohl unbedingt unterordnen. Ich denke eher, dass der Mensch heute durch die Überbewertung des EGO seine Fähigkeit zur Kooperation eingebüßt hat. Kleinkinder handeln, wie oben beschrieben, noch uneigennützig und nicht berechnend.
    Ihr sich entwickelndes EGO ist also noch nicht von den Werten dieser Gesellschaft, die in der Regel alle menschlichen Werte in Geld umrechnet und Gewinn machen will, korrumpiert. Sobald diese Kinder aber sehen bzw. vorgelebt bekommen , dass sie damit Geld verdienen können, werden sie sich zu modernen Egoisten entwickeln, so wie der Zeitgeist es will bzw. die Gesellschaft es benötigt . Der Mensch muss, wie oben erwähnt, bei seinem Egoismus gepackt werden, um Höchstleistungen tu bringen. Alles eine Frage der Konditionierung, denn Affen bringt man zu Höchstleistungen, wenn man sie mit Bananen motiviert. Menschen mit Geld, SozialNeid und so weiter…

  3. Der Blog-Artikel-Autor Frank Wiebe schreibt u.a. …“Der Autor [Michael Tomasello (amerikanischer Anthropologe und Verhaltensforscher)] sieht hier einen großen Unterschied zu Menschenaffen. Bei Schimpansen und Bonobos, unseren nächsten Verwandten, gebe es zwar auch Ansätze von Zusammenarbeit, aber nur weitaus eingeschränkter als bei Menschen, schreibt er.“…

    Diese Aussage ist -moderat formuliert – diskussionswürdig.

    Erst einmal: Im Gegensatz zum Menschen und im Gegensatz zu Schimpansen (siehe z.B. Schimpansenkrieg von Gombe) führen Bonobos keinen Krieg untereinander.

    Bonobos sind bezüglich ihres sozialen Verhaltens bei genauer(er) Sicht weder mit Schimpansen noch mit Menschen zu vergleichen. Übermäßige Aggressionen werden mit sexuellen Interaktionen im wahrsten Sinne des Wortes „entspannt“. Sexualität ist wichtiger und fester Bestandteil der Gruppe. Auch das Gewähren sexueller Kontakte untereinander im Gegenzug zur Nahrungsabgabe ist Alltag. Anders als die meisten Tiere sind Bonobos nicht nur in bestimmten Situationen, sondern bei vielen Gelegenheiten sexuell aktiv. Das scheint geradezu ein integraler Bestandteil ihrer sozialen Beziehungen zu sein – und nicht nur derer zwischen Männchen und Weibchen.

    Frans B. M. de Waal (niederländischer Zoologe und Verhaltensforscher) zeigt in dem Spektrum Artikel Die Bonobos und ihre weiblich bestimmte Gemeinschaft exemplarisch die fundamentalen Unterschiede im sozialen Verhalten zwischen Bonobos und dem „Rest der Säugetiere (Mensch inklusive)“ auf. Siehe dazu beispielsweise (auch) das Youtube-Video

    Des Weiteren: Es gibt einiges an Aussagen im Blog-Artikel, was Widerspruch auslöst.

    Beispiel: …”Niemand kann natürlich heute Egoismus zu deutlich zeigen, dazu ist die kulturelle Evolution zu weit fortgeschritten.”

    Es ist wohl eher fehlender individueller Antrieb und die „Vorgeschichte“, die die Arbeitswelt in wenige Arbeitgeber und sehr viele Arbeitnehmer teilt. Firmenmanager rekrutieren sich meist aus dem familiären Umfeld der Vorbesitzer der Unternehmungen. Mit kultureller Evolution hat das nichts zu tun.

    Insgesamt gilt: Leben ist egoistisch. Das ist u.a. eine wesentliche Voraussetzung für (angenehmes) Überleben.

    Der postulierte natürliche, persönliche Einsatz zum Wohle Anderer ist Wunsch aber nicht Wirklichkeit einer sehr romantischen Sicht der Natur. Da sieht jemand nett aussehende, bunte Vögel auf einer Wiese, die zum Wohle der Arterhaltung in der Natur rumpicken. Die Wahrheit sieht etwas anders aus. Die netten Vögel fressen Frösche, Insekten und Würmer bei lebendigem Leib. Fressen und gefressen werden auf der Mörderwiese.

    Der Unternehmer spricht von „Humankapital“ welches Teil der Betriebsstruktur ist. Beobachtbare Firmentreue der „Belegschaft“ ist eine sehr einseitige Treue. Der Erhalt des Arbeitsplatzes respektive die Existenzfähigkeit des Arbeitnehmers ist in den meisten Fällen kein Kriterium für betriebliche Veränderungen. Aktuelle Profitperspektiven lassen treue Mitarbeiter schnell arbeitslos zurück.

    Hier schließt sich der Bewertungs-Kreis. Bonobos haben auch eine Hierarchie. Bonobos sind egoistisch. Aber der Egoismus der Bonobos mündet täglich in einem Feuerwerk positiver Interaktionen. Niemand in der Bonobogruppe muß um seine Existenz fürchten. Was dem Menschen offensichtlich fehlt ist ein basisnahes Verständnis für wichtige soziale Aspekte. Die sich aus religiösen Männerfantasien entwickelte, von dem restlichen Leben abgespaltene Sexualität, ist eine wesentliche Fehlentwicklung der Menschheit. Es sieht nicht so aus, als ob sich da in absehbarer Zeit etwas ändert.

  4. Nur wer kooperiert, dabei einer Sittlichkeit, einer Moral folgt, zumindest zu einem Mindestmaß Sozialität angenommen hat, überlebt sozusagen bzw. lässt überleben.
    In unwirtlicher Umgebung wird dies, Gruppen der hier gemeinten Primaten meinend, womöglich direkt klar, also dort wo bspw. mit Jahreszeiten besonders zu kämpfen ist.

    Die Ökonomie dagegen darf, wie hier befunden wird, eher als Spiel betrachtet werden, als ein Spiel, das auch Verträge kennt, einen umgebenden Rechtsstaat und die gute alte Defektion bei sich nicht vereinbar lassenden individuellen Interessen.

    Insofern ist sich der Schreiber dieser Zeilen nicht sicher, ob in der Ökonomie wie gemeint anthropologisch, biologisch bis biologistisch argumentiert werden soll.

    MFG + schöne Mittwoche!
    Dr. Webbaer

  5. Leben ist egoistisch. Das ist u.a. eine wesentliche Voraussetzung für (angenehmes) Überleben.

    Der postulierte natürliche, persönliche Einsatz zum Wohle Anderer ist Wunsch aber nicht Wirklichkeit einer sehr romantischen Sicht der Natur.

    An dieser Stelle, Herr Freyling, gehen einige an diese “Wahrheit” (Ihr Begriff) heran, und wünschen stattdessen das Kollektiv besonders herausgestellt zu sehen, es wird dann von Kollektivisten gesprochen und geschrieben, wenn sie derart besonders ideologisiert haben.
    Manche Kollektivisten wünschen sich dann auch die individuelle Ratio weg, gehen auf reaktionären Kurs zur Aufklärung.
    Dr. Webbaer findet bspw. das (sehr wirkmächtige) Buch ‘Eros and Civilization’ von Herbert Marcuse, das sich insbesondere im neomarxistischen Sinne um die Sexualität kümmert, in diesem Sinne höchst reaktionär.

    MFG
    Dr. Webbaer (der ganz böse formuliert den Menschen als Affen versteht, als talentiert zwar, abär auch als affig, wobei dies auch eine Stärke sein kann, wohlverstanden, korrekt)

  6. Zu Dirk Freyling:
    Interessante Gedanken. Diese Bonobos sind triebgesteuert so wie der Mensch. Sie reagieren ihre Erregungen/Aggressionen durch Sexualität ab, was Sinn macht, da Sexualität auch eine Form hoher Erregung ist(Hohe Erregungsformen konditionieren immer schnell ) Ich denke, dass diese Affenart hier diese zwei Reize erfolgreich als Alternative konditioniert hat, -gelernt hat -und genetisch weitergegeben hat: Sex als Stressbewältigung bzw. Lustbefriedigung zum Zwecke des ersehnten Wohlgefühls. Die Evolution hat hier also eine Spezies geschaffen, die ihre eigenen Antworten auf Stressbewältigungen geschaffen haben .
    Uns Menschen wohl etwas merkwürdig, da wir diese Kraft des Triebes, von dem schon S. Freud überzeugt war, nicht so ganz trauen bzw. verstehen. Falsche Moral und Religionen haben uns von unserem Trieb(Das ES) getrennt. Das ” Problem” scheint also nicht bei diesen Bonobos zu liegen, die ihre Triebe so ausleben wie die genetischen Muster es zulassen, sondern bei den Menschen, die diese Muster schwer in ihr Moralbild einordnen können .Ansonsten müssten sie anerkennen, dass in ihrem Unterbewusstsein auch die gewaltige Kraft des Triebes (Das ES) tobt-…

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