Silikon-Busen und die Frage, was Schönheit für ein gutes Leben bedeutet

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Wie Wirtschaft und Ethik zusammenpassen
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Bei den kaputten Silikon-Brust-Implantaten handelt es sich um einen handfesten Skandal – vor allem für die Unternehmen, die darin verwickelt sind. Das ist aus ethischer Sicht ein klarer Fall – und damit eher ein Fall für die Juristen. Aber die Affäre bringt eine andere ethische Frage auf den Schirm: Wie sind Schönheitspoperationen aus dem Blickwinkel einer “Ethik des guten Lebens” zu beurteilen?

Vorweg zunächst der Hinweis: Es geht hier nicht um Operationen, mit denen beschädigte Körper repariert werden. Sondern um das Phänomen, dass Frauen und Männer an ihrem Körper, auch am Gesicht, herumschneiden, -biegen oder -modellieren lassen, um dadurch vermeintlich “schöner” zu werden.

Voweg auch noch ein anderer Hinweis: Es geht bei ethischen Fragen nicht immer um gut und böse. Sondern es gibt, letztlich schon in der Antike, auch eine Ethik des guten Lebens. Sie fragt danach: Was ist gut für mich selber? Worauf kommt es in meinem eigenen Leben an? Für viele Menschen kommt es offenbar – und davon lebt ja eine ganze Branche – auf “Schönheit” im Sinne vorgegebener Ideale an.

Schönheit spielt ohne Zweifel eine große Rolle. Schöne Menschen haben häufig mehr Erfolg, manchmal werden sie aber auch überschätzt. Mitunter haben schöne Frauen das Problem, nicht wirklich einschätzen zu können, ob sich Männer nur für ihr äußeres interessieren, oder ob da “noch mehr” im Spiel. Unscheinbare Frauen finden es oft leichter herauszufinden, wer tatsächlich ein tieferes Interesse hat. Hin und wieder begegnet schönen Menschen auch das Vorurteil, man könne nicht gleichzeitig schön und intelligent sein, aber das ist natürlich Unsinn.

Schönheit sollte man auch in Gegensatz zu den vermeintlich wichtigeren “inneren Werten” bringen. Diese Gegenüberstellung hat es in der Antike nicht gegeben, und auch nicht bei den deutschen Klassikern. Im Gegenteil: In dieser Tradition wurden “schön” und “gut” (kalos kagathos auf Griechisch) manchmal sogar in engem, vielleicht sogar zu engem Zusammenhang gesehen.

So besehen ist es also verständlich, dass Menschen Geld ausgeben und Risiken eingehen, um sich verschönern zu lassen, vielleicht auch nur, um allzu auffällige Hässlichkeiten zu beseitigen. Die Sache hat aber noch zwei andere Aspekte, die untereinander zusammenhängen.

Erstens ist Schönheit – auch in der klassischen Tradition – nicht nur eine Frage des Körpers. Sondern dazu gehört die gesamte Erscheinung, das Auftreten, die Ausstrahlung, auch die Art, wie Selbstbewusstsein gelebt und gezeigt wird.

Der zweite wichtige Aspekt betrifft die Frage: Wie sehr hängt Schönheit mit Normen zusammen? Hierzu gibt es sogar wissenschaftliche Untersuchungen. Sie besagen, dass Menschen mit durchschnittlichen Gesichtszügen häufig als schöner empfunden werden als solche mit etwas ausgefallenerem Aussehen. Das ist freilich auch eine Frage des Geschmacks: Manche Models, die ja nach durchschnittlichen Maßstäben offenbar als schön gelten, wirken auf mich zum Beispiel ausgesprochen langweilig; Gesichter die etwas von der Norm abweichen, können dagegen sehr attraktiv sein. Aber es ist nicht zu leugnen, dass Schönheit auch etwas mit der Erfüllung von Normen zu tun hat – davon lebt ja die Schönheitsindustrie (zu der auch die Kosmetik gehört), die die Annäherung an Normen bewerkstelligt. Aber diese Normen sind wiederum abhängig von Kultur, Tradition und Werbung.

Und so hängen die beiden Aspekte zusammen: Wer allzu ängstlich auf die Erfüllung von Normen bedacht ist, der wird häufig gerade nicht durch eine selbstbewusste Ausstrahlung glänzen. Und wird auch nicht den Zugang zu einem guten, selbstbestimmten Leben finden. Aber er wird vielleicht Kunde der Schönheitsindustrie. Unter dem Blickwinkel einer Ethik des guten Lebens ist Schönheit also durchaus ein positiver Wert – aber nur, wenn man sich nicht allzu sehr darauf fixiert und keine zu engen Vorstellungen davon kritiklos übernimmt.

 

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Veröffentlicht von

Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

12 Kommentare

  1. zum thema schönheit…

    fällt mir immer wieder der spruch:
    “du bist nicht schön, du siehst nur so aus!” ein.

  2. Man könnte das auch weiterdenken:

    Sie schreiben, es gehe nicht um “beschädigte” Körper, die “repariert” werden. Aber kann man da wirklich eine Grenze ziehen? Ab wann ist man “beschädigt”?

  3. Schönheitsops in Führungspos. obligat?

    Hier liest man:
    Nun zusammenfassend mein Tipp für Sie als Führungspersönlichkeit: Verlassen Sie geistige Tramppelpfade! Vergessen Sie “ausgelutschte” Incentives und zeigen Sie Mut zu Neuem! Die spannende Aufgabe dabei: Schaffen Sie es, jemand eine Schönheitsoperation als alternative Incentives schmackhaft zu machen? Ich bin sicher, das Ergebnis wird auch Sie überraschen und begeistern!

  4. @Lars Fischer

    Ich nehme an, Herr Wiebke spielt da auf die Frauen an, denen nach einer Brustkrebsdiagnose eine Brust entfernt werden musste. Oft ist das nicht nur ein optisches Problem, viele Frauen fühlen sich auch zutiefst in ihrer Weiblichkeit verletzt. Die Krankenkassen übernehmen deshalb auch die Kosten für eine Rekonstruktion der Brust, falls die Frau das wünscht.

  5. @Mona, Wiebe

    Allerdings ändert das nichts an der Frage von Lars Fischer, die ist damit nicht beantwortet. Wir befinden uns bei der Frage nach Schönheit oder nicht ja in einem recht komplexen Kontinuum, in dem Menschen je nach eigenem Ort darin, künstlich Grenzen einziehen.

    In Zentimetern gefragt: Ab wann ist die Cupgröße einer Frau eine Beschädigung?

  6. @Dierk: Beschädigung

    Den Einwand bzw. Deine Frage verstehe ich nicht. Natürlich ist eine bestimmte Körbchengröße keine Beschädigung – wenn sie aber bspw. aufgrund der schon genannten OP gegen 0 tendiert, kann man das wohl als Beschädigung ansehen – sowohl körperlich als auch seelisch.

  7. Sören, eine Frau, die nach voller Entwicklung praktisch keinen Busen hat, wird das möglicherweise als körperlichen Schaden empfinden. Und ich sehe keinerlei Grund, ihr das nicht zuzugestehen. Eben so wenig kann ich einem Menschen absprechen, dass ein sechster Zeh oder nur vier Zehen eine Beschädigung darstellen. Bei Elektroartikeln, Geschirr, Kleidung etc. sind wir üblicherweise sehr viel schneller dabei von ‘beschädigt’ oder ‘2. Wahl’ zu sprechen.

    Schönheit und Hässlichkeit sind nicht binär, sondern bilden die Grenzen eines Kontinuums. Da kommt es gar nicht so selten vor, dass der eine als Beschädigung sieht, was für den anderen nur eine kleiner Abweichung von der Norm ist. Ist die Nase schief? Sind die Schlupflieder problematisch? Kucken Männer mich nicht an, weil ich keine Brüste habe?

  8. Dierk, mit dem zweiten Abschnitt Deines Kommentars bin ich völlig einverstanden.

    Dein Vergleich im ersten Abschnitt hinkt aber etwas. Wenn ich mein Tablet vor die Wand werfe und daraufhin der Bildschirm kaputt ist, IST er kaputt – das ist keine Interpretationssache oder abhängig von subjektiven Empfindungen.

    Eben diese Empfindungen gibt es aber, wenn es zum Beispiel um den eigenen Körper geht – auch das stimmt. Wenn jetzt aber zb. durch eine Krebs-OP plötzlich ein Teil der Brust fehlt, ist das ein Zustand, der sicherlich nicht nur der Person auffällt, oder? Da kann man dann auch nichts hin- oder weginterpretieren, da hilft nur ein Wiederaufbau (durch Körperfett, Implantate). Und das ist dann eine andere Situation als der Wunsch nach größeren Brüsten, weil die entwickelten nicht gefallen.

    Dabei ging es mir nicht darum, etwas zuzugestehen oder nicht, sondern lediglich um eine kleine Differenzierung…

  9. OK, wenn wir

    “beschädigt” als Abweichung von einem wie auch immer gearteten Ausgangszustand betrachten und postulieren, dass es grundsätzlich legitim ist, das rückgängig zu machen, was ist dann mit Falten und anderen Alterserscheinungen?

    Mir scheint das ein ganz wesentlicher Punkt zu sein, zumal eine Verletzung von Normen gesellschaftlich sehr wohl als “Beschädigung” verstanden wird. Insofern geht es bei kosmetischer Chirurgie nicht nur um Schönheit im Sinne einer ästhetischen Qualität.

  10. Das Problem bei dieser Art der Argumentation, Sören, ist, dass allgemeine Entscheidungen nach Geschmack getroffen werden. Ich formulierte das in einem Austausch auf Twitter als ‘puritanisches Bauchgefühl’.

    Die Diskussion hat ja ganz praktische Auswirkungen, wir sprechen ja nicht über theoretische Ethik, sondern praktische, d.h. wir suchen einen Weg, den Schaden, der in diesem Fall durch den Betrug entstanden ist, zu beheben. Simpel gefragt: Wer zahlt den Austausch der Prothesen?

    Mein Beispiel hinkt übrigens nicht, denn ein körperlicher Schaden muss ja nicht aus Unfall oder akuter Erkrankung stammen, wie bei Krebs oder deinem Tablet-Vergleich. Wer mit vier Zehen geboren wird, hat ebenso eine Beschädigung, wie eine Frau, deren Brüste zu klein sind. Was ‘zu klein’ bedeutet, ist kaum sinnvoll gesellschaftlich festzulegen, noch weniger per Gesetz.

    Wir müssen auch sehr aufpassen, dass wir uns nicht auf einen sehr steilen slippery slope begeben.* Wenn wir anfangen, dass Schuldprinzip in die Krankenversicherung einzuführen, gibt es recht bald keine Leistungen mehr, sondern nur noch Beiträge. Lungen-, Zungen-, Lippen, Kehlkopfkrebs bei [ehemaligen] Rauchern? Zahlen wir nicht, ist ja selbst Schuld. Tiefschneeskifahrer hat einen komplizierten Bruch erlitten? Zahlen wir nicht, ist ja selbst Schuld. Das lässt sich ohne Probleme auf alles und jeden anwenden.

    Nun ist es auch nicht so, als gäbe es nicht bestimmte Ausnahmen und [Zuzahlungs]Regeln. Wer seine Brüste ohne klare medizinische/psychologische Indikation aufbauen lässt, zahlt das selbst. Wie sieht das mit Laserbehandlungen zur Änderung der Sehstärke aus, ich meine, auch die zahlen die Kassen nicht, weil ‘Ich will keine Brille tragen’ auch “nur” eine kosmetische Indikation ist. Von einer sechsten Zehe gar nicht zu reden.

    *Wir sind natürlich längst am Rutschen. Leider.

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