Kann Ethik den Blick vernebeln?

BLOG: Gute Geschäfte

Wie Wirtschaft und Ethik zusammenpassen
Gute Geschäfte

Der bekannte Ökonom Paul Krugman hat vor einiger Zeit in der „New York Times“ eine interessante These aufgestellt. Die von ihm hart kritisierte Sparpolitik deutscher Prägung, sagt er beruhe letztlich auf einem fehl geleiteten moralischen Impuls.

Um sein Argument zu verstehen, muss man zunächst die Spardebatte in den Blick nehmen. In Europa werden die Regierungen schwacher Euro-Staaten gezwungen zu sparen, um so ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Häufig ist in dem Zusammenhang von „Austerität“ die Rede, also einem extremen Sparen. In der Praxis geht es nur darum, etwas weniger Schulden zu machen als bisher. Häufig wird Deutschland für diese Politik verantwortlich gemacht, weil die Regierung in Berlin nur in Grenzen und unter Konditionen bereit ist, mit für neue Schulden anderer Länder zu bürgen. Tatsächlich wird das Sparen allerdings von den Kapitalmärkten erzwungen, die nicht länger bereit sind, bestimmte Länder zu finanzieren.

Laut Krugman und vielen anderen Ökonomen und Politikern ist die Sparpolitik gescheitert, weil sie zu einem Schrumpfen der jeweiligen Volkswirtschaften geführt hat, was wiederum nach sich zieht, dass die relative Verschuldung, also Staatsschulden als Prozentsatz des Bruttinlandprodukts, gar nicht sinkt. Diese Sichtweise klammert freilich aus, dass die absolute Neuverschuldung sinkt, und sie klammert aus, dass die Kapitalmärkte durch das Sparen schon etwas mehr Vertrauen gewonnen haben.

Aber kehren wir zu Krugmans Moral-Argument zurück. Er stellte sich die Frage, warum viele (gemeint sind vor allem die Deutschen) an der Sparpolitik eisern festhalen, obwohl sie (seiner Meinung nach) gar nicht funktioniert. Und seine Vermutung ist, dass dahinter ein moralisches Argument steht. Also die Überlegung: Wenn diese Länder (diese Leute) in der Vergangenheit über ihre Verhältnisse gelebt haben, dann müssen sie eben zum Ausgleich dafür um so mehr sparen.

Ich glaube, hier hat Krugman einen guten Punkt erwischt. Gerade in Deutschland spielt das „Die haben über ihre Verhältnisse gelebt …“ in Diskussionen über die Euro-Krise tatsächlich eine große Rolle. Umgekehrt wird manchmal aus der Tatsache, dass „wir“ nicht über unsere Verhältnisse gelebt haben, zuweilen schon eine gewisse Überlegenheit abgeleitet, auch das Recht, anderen zu zeigen wo es lang geht.

Natürlich übersieht diese moralisierende Betrachtungsweise eine Menge: die unterschiedliche Entwicklung der Länder über Jahrzehnte, vor allem die Tatsache, dass der Euro so wie die D-Mark funktioniert, nämlich als Hartwährung, und dass Deutschland sich daher mit der Einführung der Währungsunion kaum zu verändern brauchte, während die Länder mit Weichwährungen einem ungeheuren Anpassungsprozess ausgesetzt waren, der leider in vielen Fällen schiefgegangen ist.

Aber zurück zu Krugman. Selbst wenn man seine ökonomische Analyse nicht teilt, ist nicht zu übersehen, dass er in einem Punkt Recht hat: Moralische und ökonomische Argumente werden in der Euro-Debatte häufig vermischt, was nicht immer für Klarheit sorgt. Jedenfalls lässt sich mit moralischen Diskussionen nicht unbedingt ein Ausweg aus der Krise erarbeiten.

Krugman gibt so auch einen allgemeinen Denkanstoß. Denn möglicherweise gibt es ja noch mehr Bereiche, wo Moral einem ungetrübtem Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge eher hinderlich ist.

Avatar-Foto

Veröffentlicht von

Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

22 Kommentare

  1. Vertrauen?

    “dass die Kapitalmärkte durch das Sparen schon etwas mehr Vertrauen gewonnen haben.”

    Komisch, und warum werden dann diese Länder in den Ratings herabgestuft? Oder liegt es vielmehr daran, dass die EZB gerade unbegrenzt Schuldtitel aufkauft und so gerade den Druck nimmt und die EU große Rettungsschirme gespannt hat?

    “Das Argu­ment, der Staat müsse durch seine Spar­ver­su­che Ver­trauen zurück­ge­win­nen, bevor er sich wie­der ver­schul­den könne, ist eben­falls abwe­gig. Seine Ver­schul­dung ist ja in der Regel — wie in der Finanz­krise 2008 — gestie­gen, weil die Pri­va­ten Ver­trauen ver­lo­ren haben und ver­sucht haben, zu spa­ren. Zu sagen, die Pri­va­ten schöpf­ten genau dann Ver­trauen, wenn ihre Spar­ver­su­che miss­lin­gen, weil der Staat zur glei­chen Zeit das Glei­che tut, ist offen­kun­dig absurd.”

    http://www.flassbeck-economics.de/…-10-mai-2013/

  2. Der Untergang der Logik

    Jemand kann nur über seinen Verhältnissen leben wenn ein anderer unter seinen Verhältnissen lebt.
    Wenn im vierten Quartal 2012 70% der deutschen Gesamtersparnisse hat das nichts mit Moral zu tun, sondern damit dass in Deutschland zuwenig investiert und/oder konsumiert wird.

    Das ist einfache Logik und Saldenmechanik.

    Das die Medien ihre Leser darüber nicht aufklären liegt daran, dass diese reichen Menschen gehören.

    Die wollen keine höhere Lohnquote.

    Wenn ein Land zuwenig investiert verspielt es die Zukunft seiner Kinder.

    Darüber sollten wir uns Sorgen machen.

    Den Rentnern wurden in Deutschland in den letzten Jahren die Renten real um 10% gekürzt.

    Am Ende wurden wir alle nur betrogen.

    Damit an wenige die Gewinne aus dem Aussenhandel fliessen können.

    Deutsches Geld überflutet den Rest der Welt.

    http://www.weitwinkelsubjektiv.com/…zuberschuss/

    Je ungleicher Deutschland wird, desto mehr Geld wird fluten.

  3. Nicht vergessen: Deutschl. ist Gläubiger

    Sehr guter Beitrag, der wichtige Motive für die aufoktroyierte Auseritätspolitik erwähnt. Was aber nicht erwähnt wird und meiner Ansicht nach gar nicht zu unterschätzen ist: Deutschland selbst betreibt im eigenen Land keine Austertiätspolitik, sondern verlangt es von den Schuldnern und ist selbst ein Gläubiger, der letztlich – im Ernstfall – haften müsste. Es ist eben nicht nur so, dass verschuldete Staaten von den privaten Gläubigern (Banken, etc.) unter Druck geraten, wenn es zweifelhaft wird ob sie zurückzahlen können, sie geraten generell unter Druck – auch durch diejenigen Staaten, in denen die Gläubigerbanken sitzen.

    Kürzlich habe ich in einem ökonomischen Blog die Feststellung gelesen, Verschuldung sei nicht Verschuldung. Entscheidend sei vielmehr bei wem man in der Kreide stehe. Ist ein Staat vor allem bei den eigenen Bürgern und den eigenen Banken verschuldet bewirkt die Krisenlösung allenfalls eine Umverteilung von Vermögen und Einkommen innerhalb des betreffenden Landes, wenn ein Staat aber fremdverschuldet ist, dann geht es um Ausgleichsprozesse und Vertragsverletzungen über Grenzen hinweg was letztlich eine feindliche Stimmung zwischen den betroffenene Ländern schafft. Sogar in der Wikipedia ist diese Erkenntnis angekommen, liest man doch:
    “Die Verschuldung des Staates verteilt sich auf inländische und ausländische Gläubiger. Die Verschuldung gegenüber diesen beiden Gläubigergruppen ist unterschiedlich zu beurteilen. Während Inlandsschulden zu einer Vermögensumverteilung innerhalb der Volkswirtschaft führen (siehe Umverteilungs- und Generationenproblematik in diesem Artikel), fließt bei Zins- und Tilgungszahlungen bei Auslandsverschuldung Liquidität in eine andere Volkswirtschaft ab.”

    ” Die nachvollziehbaren Argumente der Steuererhöhung/Verteilungsproblematik und die wirtschaftstheoretisch abgestützte Warnung vor einer zu hohen Auslandsverschuldung von Netto-Schuldnerländern ist somit sachlich von dem Argument der Belastung von Generationen zu trennen.”

    Dass in Europa also Austerität den Schuldnerstaaten abverlangt wird und das von den Gläubigerstaaten, ist überhaupt nicht verwunderlich und liegt in der Logik der unterschiedlichen Rollen, die die beteiligten Staaten einnehmen.

    In letzter Konsequenz ist die Forderung nach Austerität in den Krisenstaaten gefordert durch Staaten mit anderer Interessenlage der deutlichste Beweis, dass Europa, bessergesagt die Eurozone, in der gegenwärtigen Form als lockerer Staatenverbund nicht funktioniert und nicht funktionieren kann.

  4. Mathe = Null

    “In der Praxis geht es nur darum, etwas weniger Schulden zu machen als bisher. “

    Nur, aha, “nur”……

    Da ieht man ma wieder, wie wenig Ahnung die Gottesgläubigen von Mathematik haben. Null, null, null……….

  5. Am deutschen Wesen…

    Guter Artikel , insbesondere die Hinweise auf die tief in der deutschen Mentalität verwurzelte Anmaßung , Anderen die eigenen kleinbäuerlichen Sichtweisen als Heilslehre aufs Auge drücken zu dürfen.

    Auch zu beobachten im Alltag , z.B.beim lieben Nachbarn , der immer eifrig darüber wacht , daß Andere die Hausordnung hübsch ordentlich durchführen.

  6. Wenn diese Aussage

    Tatsächlich wird das Sparen allerdings von den Kapitalmärkten erzwungen, die nicht länger bereit sind, bestimmte Länder zu finanzieren.

    …zutrifft, der Schreiber dieser Zeilen hat hier wenig Zweifel, erübrigt sich die Frage warum “gespart” [1] werden muss und damit auch die ethische Frage.

    MFG
    Dr. W

    [1] konkret werden weniger Schulden gemacht, also wird nicht gespart, das “Sparen” ist hier ein Euphemismus – so ähnlich im Artikel ja auch angemerkt

  7. Moral und Macht

    Moralische Vorhaltungen macht man in der Regel anderen, nicht sich selbst. Wenn man zudem  das aus D stammende Bild der sparsamen Hausfrau anderen  europäischen Ländern als Vorbild vorhält, so spielt man auf einen Mentalitätsunterschied an – und befestigt damit die moralische Vorhaltung in unterschiedlichen Landesmentalitäten , also ziemlich weit unten.
     Eigentlich geht es beim Verhältnis Deutschland Krisenstaaten um das Verhältnis Gläubiger Schuldner und damit um eine Machtfrage. Wenn  im Recht wähnende Macht Moral für sich in Anspruch nehmen kann – umso besser für die Macht und  ihre Träger.
    Deutschland verhält sich aber aus Distanz betrachtet  nicht anmaßender gegenüber den Schuldnerländern als das ein anderer Gläubiger tun würde. Zuviel Uneigennützigkeit darf man von Deutschland nicht erwarten.
    Fragwürdig ist jedoch der enorme Machtzuwachs Deutschlands innerhalb der Eurozone, die ja eigentlich ein Verbund Gleichberechtigter sein sollte. Dieser Machtzuwachs äußert sich beispielsweise darin, dass neu inthronisierte Regierungschefs wie Samaras, Hollande (“Seine erste Dienstreise trat Hollande nach Berlin an.[6]”) oder kürzlich Enrico Letta ihre erste Dienstreise nicht etwa nach Brüssel sondern nach Berlin antreten. Zudem werden Fragen, die die Eurozone im Kern betreffen zunehmend direkt von Merkle und Schäuble entschieden, was man gut während der Zyprenkrise sehen konnte, wo die Initiativen und medial vermittelten Entschlüsse von Ihnen und allenfalls noch vom neuen Eurogruppenchef Dijsselbloem, der Ihnen zudiente, kamen.
    Heute wird die Eurozone von Deutschland “regiert”, assistiert von anderen Nordländern, die ebenfalls um ihre Einlagen und Bürgschaften fürchten. Die Eurozone besteht aus Gläubigern und Schuldnern – und sonst gibt es da wenig. 

  8. EU / Eurozone

    Heute wird die Eurozone von Deutschland “regiert”, assistiert von anderen Nordländern, die ebenfalls um ihre Einlagen und Bürgschaften fürchten. Die Eurozone besteht aus Gläubigern und Schuldnern – und sonst gibt es da wenig.

    Die Eurozone wird eher von D zahlend moderiert, als ‘regiert’.

    Sie (oder genauer: die EU) besteht nicht primär aus dem bekannten Debitoren-Kreditoren-Verhältnis, auch wenn es so aussieht zurzeit, sondern aus einer Wertegemeinschaft, deren Stärke die Heterogenität der Auffassungen und Handlungen ist, was zurzeit dank des ungünstigen Euro-Verbunds “ein wenig” untergeht.

    Es ist schade, dass eine an sich kräftige und leistungsfähige EU auf Basis des Euro derart abgeraucht wird, der Euro ist nur ein Merkmal, ein Merkmal von ungünstigem Zentralismus, geworden, er ist nicht hilfreich (wie Mutti vielleicht sagen würde, wenn sie könnte, also frei von Zwängen könnte und die Verständigkeit ausreicht (was nicht sicher ist)).

    MFG
    Dr. W

  9. Verhältnisse in Deutschland

    Es sind nicht die Griechen daran Schuld, dass es so vielen Deutschen schlecht geht.

    Damit wenige Deutsche Gläubiger des Auslands werden können (Sage und schreibe NUR 63ooo Menschen weltweit besitzen ~40.000 Milliarden Dollar) muß in Deutschland die Lohnquote sinken, müssen die Sozialleistungen sinken, müssen die Arbeitsstandards verschlechtert werden, muß die Arbeitszeit verlängert werden, und und und.

    WIESO und das ist die Interessantere Frage versagt trotz 1933 – 1945 unsere Demokratie so sehr wenn es um Belange der Aufklärung geht?

    Meiner Meinung nach waren auch nach 1945 Intellektuelle käuflich, aber ihr moralisches Gewicht im Vergleich zu Brecht, Adorno, … war NULL.

    Also doch Moral!

  10. @Beate: Nicht trotz, sondern wegen

    WIESO und das ist die Interessantere Frage versagt trotz 1933 – 1945 unsere Demokratie so sehr wenn es um Belange der Aufklärung geht?

    Aufklärung und insbesondere Aufarbeitung hat es in Deutschland nicht gegeben und gibt es auch heute noch nicht wirklich – jedenfalls ersteres hat das Ehepaar Mitscherlich nachgewiesen in Die Unfähigkeit zu trauern.

    Deutschland hat seinen Weg im kollektiven Vergessen gesucht und im Berufen auf das, was immer schon ‘gut’ war: deutsche Gründlichkeit. Man hat sich in den Wiederaufbau gestürzt und war dort schnell erfolgreicher als alle anderen Nationen – weil man eben (fast) nur das hatte. Aber genau darum ist ein anderes Wirtschaften den Deutschen noch viel weniger denkbar als allen anderen Wirtschafts-Nationen.

  11. Krugman: Ethik vs. Ethiken

    Krugmans Argument ist zwar nicht falsch – aber unvollständig. Er vergisst, dass alles wirschaftliche Denken ebenfalls einer ‘Ehtik’ folgt – und die ist schon zwischen den Nationen nicht identisch und mit der deutschen Ethik des allein Richtigen noch viel weniger vereinbar.

    Wenn @Frank Wiebe also oben schreibt, es würden moralische und ökonomische Argumente vermischt – dann geht es eigentlich um die Vermischung von Argumenten verschiedener Ethiken, sprich Vorstellungen davon, was wir tun sollen. Und ja, dann trübt jede von der (besser einer) ökonomischen Perspektive abweichende Ethik den Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge. Aber das ist eigentlich seit Adam Smith bekannt – obwohl dessen moralisches Werk von den Ökonomen immer vergessen wird und nur die auf diesen Sockel aufbauende Effizienz beschworen.

    Das Argument “Die haben über ihre Verhältnisse gelebt …” ist auch nur eines der deutschen Wirtschafts-Ethik – und nur aus deutscher Perspektive richtig. Die Südländer haben immer schon alles mögliche Geld ausgegeben und viel weniger gespart als die Deutschen, sie haben eher gelebt. Und das haben sie mit dem Euro ganz genauso weiter gemacht – nur hat man ihnen von allen Seiten Kredite angeboten, die sie vorher nicht (zu diesen Konditionen) bekommen hätten. Und warum soll man die nicht annehmen – aus einer Perspektive, der Leben im Hier und Jetzt wichtiger ist als alles andere?

    Darüber hinaus hat @Beate ja schon darauf hingewiesen: Diese Schulden haben gerade Deutschland genutzt. Damit hat sich Deutschland nämlich sein Wirtschaftswachstum erkauft, mit diesen Schulden – weil es ohne sie nicht hätte soviel exportieren können, also auch nicht produzieren. Das dafür erforderliche Kapital wiederum wurde seinerseits nicht zu unbedeutenden Teilen damit angehäuft, dass deutschen Angestellten weniger Löhne ausgezahlt wurden als es angemessen gewesen wäre. Die Lohnschere innerhalb Europas ist seit Einführung des Euro bis zur großen Krise ja nur auseinandergelaufen – allerdings war Deutschland dafür Hauptverursacher, die anderen Länder liegen etwa im Trend (siehe hier).

    Darum ist es sehr überheblich, den Südländern Fehlverhalten vorzuwerfen – hätte sich nämlich Deutschland so verhalten wie diese Länder, dann wären die Probleme im Euroraum gleichverteilt und insgesamt deutlich geringer (also wie vor dem Euro); schließlich wäre u.a. der Euro entsprechend abgewertet worden. Die Staaten hätten dann weder die Gläubiger noch die Ratingagenturen gegeneinander ausspielen können – das geht nämlich immer nur über Teile und Herrsche.

    Krugman übersieht aber noch ein anderes Problem: Die Wirtschaftspolitk der USA kann eine ganz andere sein als die aller anderen Nationen – schließlich ist der Doller internationale Leitwährung. Um also gleiche Verhältnisse für alle zu schaffen, müssten die USA erstmal ihre Währungs-Hegemonie aufgeben. Ein Vorschlag davon stammt schon von Keynes, als Alternativmodell zum dann leider verwirklichten Bretton-Woods-Abkommen. Inwiefern der heute auch innerhalb des Euro-Raumes helfen könnte, findet man recht allgemein verständlich bei Thomas Betz: Keynes’ Bancor-Plan reloaded.

  12. egoistische Nationalstaaten + Euro?

    Von Beginn weg sind die Euroländer ökonomisch auseinandergedriftet und es gab keine korrigierende Instanz. Geändert haben sich aber die Kreditbedingungen für die Periperieländer – mit den bekannten und zu erwartenden Folgen. Ein gemeinsamer Währungsraum ist in einem lockeren Staatenverbund, in dem jede Nation nur nach nationalen Kriterien handelt nicht möglich, das wussten selbst die Euro-Erfinder. Sie rechneten mit Krisen und dass die Überwindung dieser Krisen zu einer engeren Union führen würden. Doch bis jetzt haben sich die Gegensätze nur verschärft.
    Die Analyse von Oskar Lafontaine ist grundsätzlich richtig. Er erkennt sogar, dass aufeinander abgestimmte Löhne, welche er als Klammer eines funktionierenden nationalstaatlich organisierten Währungssystems sieht, keine Realisierungschancen haben.

  13. Optimierungsproblem

    Dies ist wohl eher kein moralisches, sondern ein Optimierungsproblem. Es ist offensichtlich, dass ab einer gewissen Grenze die Verschuldung per Notenpresse zu Hyperinflation führt, es ist auch plausibel, dass eine gewisse Staatverschuldung mit kontrollierter Inflation das Wachstum begünstigen kann. Es gilt also das Optimum der Staatsverschuldung zu finden und Deutschland scheint mit seiner Optimierung nicht die schlechteste Lösung zu haben. Ein moralisches Problem kann aber dadurch entstehen, das die Inflation der Notenpresse mit einer Zeitverzögerung folgt. Die Politik kann sich also versucht fühlen, jetzt schon die Schulden der Nachfolger zu verfrühstücken, und dann den Nachfolgern die Lösung des Dilemmas zu überlassen.

  14. @adenosine: Braucht es Stimulation?

    Mehr Staatsausgaben um die Wirtschaft zu stimulieren, ein Defizit selbst in Wachstumsphasen – dies wurde und wird von vielen gewählten Politikern praktiziert und die Begründung dafür entspricht genau ihrer Begründung: Es stimuliert das Wachstum.

    Meiner Meinung ist das aber das Grundproblem der heutigen neokapitalistischen, neukeynesianischen staatsstimulierten Wirtschaft, dass um des momentanen Effekts willen fahrlässig die Zukunft vernachlässigt wird, was sich im Schuldenaufbau seit den späten 1970er Jahren manifestiert hat.
    Auch Deutschland gehört zu den Ländern, die diese Politik verfolgt haben und steht betreffend Verschuldung nicht so gut da, wie das die Politiker ihren Bürgern verkaufen.

    Konjunkturpolitisch scheint mir die ursprüngliche Keynes’sche Empfehlung des antizyklischen Ausgabeverhaltens das Richtige. Verschuldungen während Wachstumsphasen zu vergrössern wie das die Politiker der letzten Jahrzehnte gemacht haben ist dagegen meiner Ansicht nach nur im Interesse der Politiker, bewirkt aber Zukunftsprobleme, die dann von der nächsten Generation von Politikern gelöst werden muss, wenn sie die Lösung nicht einfach auf irgendeine Art auf die Bürger abwälzen – beispielsweise durch finanzielle Repression oder gar eine Währungsreform.

    Das ist übrigens in meinen Augen eine wichtige ethische Frage in Bezug auf die Ökonomie: Hat die Gegenwart immer Vorrang vor der Zukunft? Darf ein Politiker um wiedergewählt zu werden eine unverantwortliche Finanzpolitik praktizieren?

    Eine weitere Herausforderung an die Ökonomie der Zukunft ist es, eine Wirtschaftsform zu finden, die Wachstumsschwächen ohne Krisensymptome und Ungerechtigkeiten durchlaufen kann. Heute werden alle Probleme mit Wachstum gelöst. Und wenn sich das Wachstum nicht einstellen will, wird stimuliert. Das ist der falsche Weg.

  15. Sparen als Kapfbegriff

    “Laut Krugman … ist die Sparpolitik gescheitert, weil sie zu einem Schrumpfen der jeweiligen Volkswirtschaften geführt hat, was wiederum nach sich zieht, dass die relative Verschuldung, also Staatsschulden als Prozentsatz des Bruttinlandprodukts, gar nicht sinkt. “

    Naja, es gibt für unwirtschaftlich abeitende Betriebe nicht umsonst den Begriff ‘gesundschrumpfen’.
    Die eigentlich entscheidende Frage, ob an den richtigen Stellen gespart wird scheint völlig nebensächlich zu sein, Auch in der Diskusion dieses Blogs. Stichwort: Aufgeblähte Verwaltungen in Verbindung mit Korruption. (Beides gibt’s freilich auch in Deutschland mit graduellen Unterschieden zu anderen Ländern.)
    Wenn also Krugman pauschal von Scheitern spricht, sogar noch „ethische Befangenheit“ ins Feld führt, ohne auf Details eines speziellen Landes und der dortigen Spar- und Umstrukturierungsmaßnahmen eingeht, dann macht er sich einfach nur wichtig und verwechselt die reale Welt mit seinen Modellen.

  16. Ethik

    Kann Ethik den Blick vernebeln?
    (…)
    Denn möglicherweise gibt es ja noch mehr Bereiche, wo Moral einem ungetrübtem Blick auf wirtschaftliche Zusammenhänge eher hinderlich ist.

    Die Ökonomie [1] ist die Gesamtheit der humanen Kooperation. Insofern kann Ethik hier nur leisten.

    Was die Ethik ‘vernebeln’ kann ist, wenn nicht richtig geschaut wird, wenn Leute aus dem Sozialapparat oder Betroffenheitspfleger [2] ihre oft schlichten Sichten durchsetzen wollen oder sogar können.

    MFG
    Dr. W

    [1] die Wirtschaft oder Ökonomie ist begrifflich ganz falsch gefasst, setzt sie doch ein Wirt-Kunden-Verhältnis voraus, was sachlich falsch ist
    [2] sog. Gutmenschen, ein Begriff, den der Schreiber dieser Zeilen ablehnt, auch wenn der Begriff *irgendwie* zu funktionieren scheint im Sinne von ‘Das gut Gemeinte ist der natürliche Feind des Richtigen.’

  17. Moral als Machtinstrument

    Nicht Ethik kann den Blick vernebeln sondern Moral, vor allem wenn die Moral selbstgerecht ist und andere als Adressat hat.
    Der Beitrag, aber auch viele Kommentare lassen die Unterscheidung zwischen Moral und Ethik vermissen. Deswegen vorab eine Klärung:
    ” Normativ (vorschreibend, bewertend) besteht sie [die Moral] aus Vorschriften, wie gehandelt werden soll. Moral billigt etwas (das, was als gut anerkannt wird) oder missbilligt es und fordert dann eine Verhaltensänderung. Moral ist dabei eine Praxis des Sollens.”

    “Ethik ist dagegen die Theorie der Moral. Sie bietet also eine wissenschaftliche Betrachtung. Sie ist ein Teilbereich der Philosophie. Ethik enthält ein Nachdenken (Reflexion und Diskussion über das gute Leben und das sittlich richtige Handeln). Sie systematisiert, sucht nach Begründungen und entwickelt Kriterien.”

    In diesem Beitrag geht es bei der Meinung, die Krisenländer müssten für ihr Fehlverhalten in der Vergangenheit – sie haben über ihre Verhältnisse gelebt -, jetzt in der Gegenwart büssen, nicht um Ehtik sondern um Moral. Also darum, andere ins Unrecht zu versetzen und von ihnen eine Busse abzuverlangen, die sie wieder von der aufgeladenen Schuld befreit.
    Doch Moral dient häufig als Machtinstrument um etwas durchzusetzen, was die Betroffenen nicht wollen und worunter sie leiden. Und hier in der Eurokrise geht es sogar um eine Weichenstellung für die Zukunft der meisten Euroländer.
    Was wird die Folge der Eurokrise sein: Die Peripheriestaaten inklusive Frankreich und Italien werden wirtschaftlich absteigen, weil sie unter den ökonomischen Kräften, die nun in der Eurozone auf alle wirken, Verlierer sind und es auch bleiben werden. Die ihnen auferlegte Austerität mit der Folge einer hohen Arbeitslosigkeit, auch Jugendarbeitslosigkeit wird die Konkurrenzfähigkeit dieser Ökonomien sogar noch weiter schwächen und die bestehenden Unterschiede zwischen kompetitiven und wenig kompetitiven Volkswirtschaften wird sich zementieren. Als Sieger werden zuerst einmal Deutschland und andere Nordstaaten hervorgehen. Schon heute treten neu inthronisierte Regierungschefs wie Samaras, Hollande und Enrico Letta ihre ersten Amtsreise nach Berlin an (und nicht etwa nach Brüssel), denn Deutschland ist das neue Machtzentrum.
    Doch in der langen Frist ist sogar Deutschland durch die Eurokrise gefährdet. Eine solche Ungleichheit, die sich jetzt aufbaut in der Eurozone kann nur mit relativ grossen Transfers aufrechterhalten werden. Und diese Transfers werden wohl die Leistungsfähigkeit selbst Deutschlands übersteigen.

  18. Feinschmeck

    Der Beitrag, aber auch viele Kommentare lassen die Unterscheidung zwischen Moral und Ethik vermissen.

    Buchen Sie das gerne so, Herr Holzherr.

    Sie können gleichbedeutend auch zwischen ‘mos’ und ‘moralis’ unterscheiden, wenn Sie es schon so mit dem ‘ethos’ und der ‘ethik’ (“ethike epistemee”) haben.

    HTH
    Dr. W

  19. Kann Ethik den Blick vernebeln?

    Grundsätzlich nein, aber im Prinzip ja, wie die Symptomatik des “freiheitlichen” Wettbewerbs immer deutlich offenbart – der ausbeuterische Stand in der unterdrückerischen Hierarchie durch Bildung zu SKM auf SBS spielt dabei eine entscheidende Rolle! 🙂

  20. Sparen als Kampfbegriff …

    …von Ideologen.

    Sparen in Form massgeschneiderter Strukturreformen des öffentlichen Sektors erhöht in der Regel die
    Wettbewerbsfähigkeit eines Landes.
    In Lettland scheint es im Verbund mit einer besseren Kontrolle des Finanzsektors, sowie des Eindämmens von Immobilienblasen geholfen zu haben.

    http://www.spiegel.de/…ro-beitritt-a-908357.html

  21. Irrelevanz der Moral

    Heute, unter der Herrschaft der Monopole, widerstreitet die Betätigung des Eigennutzes oft genug dem gemeinen Wohl. Daher die gut gemeinten Ratschläge der Moralisten und Ethiker, den Eigennutz zu bekämpfen. Sie haben nicht begriffen, dass der Eigennutz an und für sich durchaus am Platze ist, und dass es nur einige rein technische Mängel unserer Wirtschaft sind, derentwegen der Eigennutz so häufig zu Ungerechtigkeiten führt. In einer monopolbefreiten Wirtschaft hingegen, in der es nur eine Art des Einkommens, den Lohn, geben wird, laufen Eigennutz und Gemeinnutz dauernd parallel. Je mehr die Einzelnen dann, ihrem Eigennutz gehorchend, arbeiten, umso besser werden sie den Interessen der Allgemeinheit dienen.

    Der heutige endlose Widerstreit zwischen Eigennutz und Gemeinnutzen ist eine ganz zwangsläufige Folge des herrschenden Geldstreik- und Bodenmonopols. Eine von diesen beiden Monopolen befreite Wirtschaft entzieht diesem Widerstreit für immer die Grundlage, weil in ihr der Mensch aus Eigennutz stets so handeln wird, wie es das Gemeininteresse erfordert. Die seit Jahrtausenden von Religionsgründern, Religionslehrern, Philosophen, Moralisten usw. aufrecht erhaltene Lehre von der Sündhaftigkeit der menschlichen Natur wegen ihrer Eigennützigkeit findet damit ein für allemal ihr Ende. Es ist keineswegs notwendig, dass wir, diesen Lehren folgend, uns durch Äonen hindurch abmühen, um uns selbst zu überwinden, um eines Tages vielleicht doch noch gemeinnützig zu werden – sondern wir können schon jetzt, heute, in dieser Stunde, die Verbrüderung der bisherigen Widersacher Eigennutz und Gemeinnutz vollziehen. Es ist dazu nicht erforderlich, dass wir den Menschen reformieren, es genügt vielmehr, wenn wir das fehlerhafte Menschenwerk, unser Geldwesen und Bodenrecht, ändern.

    http://opium-des-volkes.blogspot.de/…-frage.html

    Wie naiv ist es, zu glauben, die Moral könnte irgendeine Relevanz für das menschliche Zusammenleben haben, wenn die grundlegendste zwischenmenschliche Beziehung, das Geld, nur in der Form eines primitiven Ausbeutungsmittels (Zinsgeld mit parasitärer Wertaufbewahrungsfunktion) existiert, das prinzipbedingt zu systemischer Ungerechtigkeit (Zinsumverteilung von der Arbeit zum Besitz, sowohl innerhalb der Nationalstaaten als auch zwischen den Staaten) und damit zwangsläufig zu Massenarmut, Umweltzerstörung, Terrorismus und Krieg führt?

    Und wie naiv ist es weiterhin, zu glauben, die berühmteste Persönlichkeit der Welt, auf der bis heute die planetare Zeitrechnung basiert, wäre nichts weiter gewesen als ein moralisierender Wanderprediger?

    http://www.deweles.de/willkommen/apokalypse.html

Schreibe einen Kommentar