Ethik, Moral, Ethos

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Wie Wirtschaft und Ethik zusammenpassen
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Ich verwende in diesem Blog Ethik und Moral ja mehr oder minder gleich. Das entspricht nach meiner Meinung auch dem allgemeinen Sprachbrauch, außerdem der Art, wie es in der angelsächsischen Literatur üblich ist. Deutsche Fachphilosophen sehen das freilich anders. Für sie ist Ethik nicht Moral, sondern Moralphilosophie, also das Nachdenken über Moral, oder genauer – vor allem bei denen in einer bestimmten, deutsch-idealistischen Tradition – das Reflektieren über Moral.

Wenn man sich auf diese Sprache einlässt, kann man nicht mehr von einem Ethik-Kodex sprechen. Denn ein Kodex dient ja in erster Linie dazu, etwas festzuschreiben. Ich glaube, diese Trennung von Ethik und Moral wird in Deutschland auch gemacht, weil man es nur so schafft, Ethik als Wissenschaft zu etablieren. Denn Moralvorstellungen selbst lassen sich ja in der Regel nicht wissenschaftlich ableiten oder beweisen. Aber man kann ihre Begründungen oder Nicht-Begründungen in einem rationalen Dialog hinterfragen. Das ist dann keine Wissenschaft im Sinne von Karl Popper oder ähnlichen Leuten, bei denen Hypothesen aufgestellt und empirisch bestätigt oder (laut Popper) widerlegt werden. Aber Ethik ist dann eine Wissenschaft ähnlich wie Geschichte oder Germanistik – eine diskutierende, argumentierende Disziplin. Der Beitrag von “Fachethikern” zu ethischen (oder moralischen?) Diskussionen besteht ja häufig auch vor allem darin, Argumente zu analysieren und Widersprüche aufzuspüren. Also zum Beispiel zu fragen, warum behinderte Kinder noch im Spätstadium abgetrieben werden dürfen, während wir auf der anderen Seite Experimente mit ganz frühen Stadien der menschlichen Entwicklung ablehnen.

Ich hatte einen Philosophie-Professor, der hat von einem amerikanischen Kollegen erzählt, der als “Ethiker” in Betriebe gegangen ist und der Meinung war, dass es im Prinzip ausreicht, sich an die zehn Gebote zu halten. Aus Sicht eines deutschen Philosophen ist das eine sehr verkürzte Sichtweise. Auf der andern Seite ist aber wichtig, irgendeine Grundlage zu haben: Man kann schlecht über nichts reflektieren. Christian Neuhäuser bezieht sich daher in seinem Buch “Unternehmen als verantwortliche Akteure” auf die Menschenrechte, um zunächst einmal eine Basis zu haben.

Ein ganz eigener Begriff ist dann wieder “Ethos”. Hierbei soll es sich sozusagen um gelebte oder selbstverständliche Moral handeln, die zunächst einmal keiner Begründung bedarf, um zu funktionieren. Man könnte daher auch sagen: Wo es einen funktionierenden Ethos gibt, zum Beispiel in einem traditionellen Unternehmen, in dem bestimmte Wertvorstellungen einfach gelten, da braucht man keine Ethik – ja, nicht einmal ausgeprochene Moralvorstellungen. Die explizite Moral wird notwendig, wo nicht mehr selbstverständlich ist, woran man sich zu halten hat. Und wenn dann unklar wird, welche Regeln tatsächlich richtig sind, kommt die Ethik ins Spiel.

Die nächste Frage lautet freilich wieder: Woher kommt der Ethos? Ist der sozusagen naturgegeben? Oder nicht doch eher eine kulturell und historisch vermittelte Angelegenheit? Wenn letzteres zutrifft, dann kann es eben auch passieren, dass bestimmte Moralvorstellungen, die zum Beispiel im Rahmen einer Religion – möglicherweise nach intensiven ethischen Diskussionen – kanonisiert worden sind, im Laufe der Zeit selbstverständlich werden und nicht mehr thematisiert werden müssen – bis sie erneut in Frage gestellt werden. Die Zusammenhänge sind also kompliziert.

Ich glaube, ein Ethos, eine “selbstverständliche” Moral, entsteht immer durch ein Zusammenwirken einer naturgegeben Empathie (oder der “moral sentiments”, von denen Adam Smith spricht, auf Deutsch meist mit “ethische Gefühle” wiedergegeben, was gerade dem deutschen Begriff von Ethik widerspricht) mit einer historisch-kulturellen Vermittlung. Meiner Ansicht ist diese Art von Ethos auch die Grundlage für jede explizite Moral und jede reflektierte Moral (also Ethik). Es ist deswegen ein Irrtum zu glauben, man könnte oder müsste moralisches Verhalten irgendwoher “ableiten”, also zwangsläufig auf einen festen Kodex wie die zehn Gebote beziehen, oder – alternativ – aus ethischen Theorien, seien sie nun von Kant oder den britischen Utilitaristen, herauslesen. Die Grundlage bleiben immer “moral sentiments”, und die sind immer von natürlichen Reaktionen, Traditionen und Überlegungen zugleich bestimmt. Ethik baut auf Ethos auf und verändert sie zugleich. Und was richtig oder falsch ist, können wir nie entscheiden, ohne uns AUCH von unseren Emotionen leiten zu lassen, über die wir freilich nachdenken sollten. Es gibt ja auch nichts schlimmeres als Moralisten, die Regeln predigen, die jeder Intuition widersprechen. Meist haben sie zugleich rein abstrakte oder dogmatische Begründungen für ihre Regeln und dahinter unreflektierte emotionale Motive.

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Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

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