An Griechenland verdienen

BLOG: Gute Geschäfte

Wie Wirtschaft und Ethik zusammenpassen
Gute Geschäfte

Es ist kein Geheimnis, dass es vor allem Hedgefonds sind, die billig griechische Staatsanleihen gekauft haben, und jetzt entweder darauf hoffen, am Ende voll ausgezahlt werden – weil ja doch alle Schuldenschnitte bisher freiwillig waren – oder sich nun zu besseren Kursen an der Rückkaufaktion der griechischen Regierung beteiligt haben. In beiden Fällen haben sie bewusst die Papiere gekauft, als Griechenland schon angeschlagen war – anders als die alten Gläubiger, von denen es auf privater Seite nur noch relativ wenige gibt. Ist das ein ethisches Problem?

Noch schärfer stellt sich diese Frage bei den sogenannten “Geierfonds”, die gezielt argentinische Papiere aufgekauft haben und nun vor amerikanischen Gerichten durchsetzen wollen, dass diese Papiere ausgezahlt werden, obwohl Argentinien sich vor Jahren als zahlungsunfähig erklärt hat, was auch die meisten Gläubiger aktzeptiert haben – auch, weil sie gar keine andere Möglichkeit sahen.

Es ist gar nicht so einfach, diese Problematik zu analysieren. Irgendwie regt sich das Gefühl, dass diese Fonds unmoralisch handeln. Aber warum – und wem gegenüber?

Beginnen wir mit der zweiten Frage: Wer könnte geschädigt werden? Im zweiten Fall, Argentinien, ist es zunächst das Land selber, also gemeint sind alle seine Bürger. Denn sie müssen letztlich auf Geld verzichten, weil einige Gläubiger den Ausfall nicht akzeptieren. Möglicherweise könnten auch andere Gläubiger sich unfair behandelt fühlen – denn sie haben verzichten, und einige Gläubiger, die sogar nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit die Papiere zum Schrottwert gekauft haben, bereichern sich. Aber die anderen Gläubiger sind durch den Fall nicht wirklich geschädigt. Sie hatten ihren Schaden schon, und sie hätten ja auch selbst vor Gericht klagen können. Etwas komplizierter wird die Argentinien-Geschichte noch dadurch, dass durch die Klagen möglicherweise andere Gläubiger kein Geld mehr bekommen, aber das führt so weit ins juristische Dickicht, dass ich das Problem an der Stelle nicht weiter verfolgen möchte.

Wie sieht es nun im ersten Fall aus, bei Griechenland? Hier sind auch zunächst die Bürger, also die Griechen, die Geschädigten. Das gilt aber nur, wenn Fonds Papiere in der Absicht kaufen, sich anschließend an einem vorauszusehenden Schuldenschnitt nicht zu beteiligen und das dann auch nicht tun. Wenn sie dagegen Papiere kaufen und zu einem höheren Kurs bei einer Rückkaufaktion wieder abgeben, ist nicht ganz einzusehen, wieso ein Schaden eingetreten sein soll. Im Fall von Griechenland ist aber auch deutlicher erkennbar, dass die anderen Gläubiger geschädigt werden. Denn hier treten die Hedgefonds nicht nach der Zahlungsunfähigkeit auf den Plan, sondern schon vorher. Und je mehr davon zuschlagen und sich anschließend nicht an einem Schuldenschnitt beteiligen, desto mehr müssen die anderen Gläubiger verzichten.

Nur ganz nebenbei sei die Frage angeschnitten: Wer profitiert eigentlich von dem Verhalten der Hedgefonds? Natürlich deren Eigentümer, Investoren und Manager. Aber bei den Investoren handelt es sich zum Teil auch um Pensionsfonds, die angesichts der niedrigen Zinsen etwas mehr Rendite für ihre künftigen Rentner suchen.

Bleibt die Frage: Wo liegt das moralische Problem? Denn nicht immer, wenn jemand geschädigt wird, muss das mit einem moralischen Problem zusammenhängen. Wer Aktien kauft und zu einem schlechteren Kurs wieder verkauft, ist auch geschädigt, aber damit ist kein moralisches Problem verbunden – er war einfach ungeschickt oder hatte Pech.

Die Hedgefonds sehen ihre Geschäfte ganz ähnlich: Sie nutzen Marktchancen. Und so lange sich das alles im rechtlichen Rahmen bewegt, kann dabei nichts verkehrt sein.

Also wo sitzt das Problem? Zunächst greift die simple Berufung auf “den Markt” zu kurz. “Der Markt” ist weder moralisch noch unmoralisch, er ist neutral. Das heißt aber nicht, dass er Absolution von moralischen Problemen bietet, sondern dass die Moral unabhängig von ihm zu diskutieren ist.

Beginnen wir also von vorn. Offenbar gibt es Geschädigte. Zunächst die Griechen oder Argentinier. Hier kann man argumentieren, dass deren Staat, deren gewählte Politiker, sich zur Rückzahlung in vollem Umfang verpflichtet haben. Zunächst liegt also das moralische Versagen auf Seiten dieser Politiker, die das Land in den finanziellen Abgrund geführt haben. Lassen wir hier die Frage außen vor, ob übergeordnete Strukturen – etwa der Euro – und ausländische Berater (die zum Beispiel Argentinien die Anbindung an den Dollar-Raum empfohlen haben) mit eine Rolle gespielt haben. Entscheidend ist: Auch wenn zunächst diese Politiker die Schuld trifft, heißt das nicht, dass andere Beteiligte nicht auch eine, wenn auch anders geartete Schuld trifft. Geschädigt sind ja weniger griechische und argentinische Politiker als die Bürger. Man kann ihnen vorhalten, dass sie die falschen Politiker gewählt haben – aber das wäre doch zu einfach. Um es ganz drastisch zu sagen: Zumindest die Kinder den jeweiligen Ländern werden geschädigt, obwohl sie schuldlos sind.

Es gilt also abzuwägen: Einmal gibt es das Versprechen auf Rückzahlung, dann gibt es aber Geschädigte, die nichts versprochen haben und an nichts schuld sind. Und hier ist der Unterschied wichtig zwischen Altgläubigern, die dem Versprechen noch glauben konnten, und den späten Einsteigern, die ohnehin wussten, dass es nicht zu halten war. Bei der ersten Gruppe ist klar: Wenn und so weit sie verzichtet, ist sie selbst geschädigt – durch das gebrochene Verprechen. Ihr Schaden steht also dem der unschuldigen Kinder gegenüber. Wenn eigener Schaden gegen fremden Schaden steht, ist es aber zunächst nicht verwerflich, an sich selbst zu denken. Die zweite Gruppe, die Hedgefonds, haben dagegen gar keinen Schaden erlitten, wenn sie erst eingestiegen sind, als die Probleme schon deutlich waren. Hier steht also dem fremden Schaden nur ein möglicherweise nicht erzielter Gewinn gegenüber. Die moralische Waagschale, meine ich, neigt sich daher gegen die Hedgefonds.

Wie sieht es bei einem unfairen Verhalten gegenüber anderen Gläubigern aus? Hier kann sich niemand auf das Versagen der Politiker berufen, schließlich sitzen alle in derselben Position. Meiner Ansicht müsste man hier aber ähnlich argumentieren: Wer erst nach Bekanntwerden der Probleme eingestiegen ist und die Altgläubiger wegboxt, gegen den neigt sich die moralische Waagschale.

Uff – ich hoffe, das war jetzt nicht zu kompliziert …

 

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Ich habe Betriebswirtschaft in München und Philosophie an der Fernuni Hagen studiert, früher bei einer großen Bank gearbeitet, und bin seit über 20 Jahren Journalist beim Handelsblatt mit Spezialisierung auf Finanzthemen, davon fünf Jahre in New York und seit November 2017 in Frankfurt. Im Jahr 2013 habe ich das Buch „Wie fair sind Apple & Co?“ veröffentlicht.

10 Kommentare

  1. An sich verdienen lassen ist falsch

    Ein Staat, eine Firma oder eine Person, die sich so anstellt, dass andere an ihr – gar an ihrem Unglück – verdienen können, macht etwas falsch.

    Allerdings wird hier von Frank Wiebe eine Fiktion gepflegt, der viele anhängen und die sich in folgendem Satz manifestiert: (Zitat)“Hier sind auch zunächst die Bürger, also die Griechen, die Geschädigten.”

    Man kann nicht einmal von “den Deutschen” sprechen, von “den Griechen” kann man aber definitiv nicht sprechen, schätzt man doch die “griechische Steuerhinterzieung”, besser gesagt die Steuerhinterziehung vieler wohlhabender Griechen, auf 20 bis 40 Milliarden Euro, also genau in der Höhe der jährlichen Budgetdefizite des Staates. In der Wikipedia liest man dazu:
    “Im Zuge der Griechenland-Krise 2009/2010 wurde bekannt, wie weit verbreitet in Griechenland die Steuerhinterziehung ist und wie ungeniert Privatpersonen und Unternehmen den Staat betrügen bzw. Beamte korrumpieren. Nach einer Studie des griechischen Industrieverbandes SEV werden in Griechenland jährlich rund 30 Mrd. Euro Steuern hinterzogen. Das entspricht ziemlich genau dem Haushaltsdefizit 2009 von 12,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts”
    Das passt gut zum Transparency-International Ranking von Griechenland, wo Griechenland als korruptestes Land Europas gilt.

    Damit wäre folgende Behauptung vielleicht gar nicht so abwegig: “Samaras, seine Vorgänger und die Regierungselite Griechenlands insgesamt sorgen durch komplizierte, von der Administration nicht bewältigbare Steuergesetze zusammen mit einer käuflichen und ebenfalls korrupten Justiz dafür, dass die bessergestellten Griechen auf Kosten des ganzen Volkes und auf Kosten der europäischen Kreditgeber ihre (teilweise oder weitgehend illegalen) Einnahmen und Vermögen weiterhin unversteuert halten können und weiterhin von aussen alimentiert werden.”

    Natürlich gibt es ein griechisches Nationalgefühl, doch sein tieferer Zweck ist vor allem der, die grosse Masse der Griechen für dumm zu verkaufen und sie glauben zu machen, ihre Interessen seien auch die Interessen der griechischen Politiker und Besserverdiener und die von ihnen wiedergewählten Staatsdiener kämpften für ein besseres Griechenland. Dabei kämpfen die doch nur für sich selbst.

  2. Recht und Moral sind zweierlei

    Ich glaube, den meisten Menschen missfällt es prinzipiell, wenn Einzelne vom Unglück Anderer profitieren.
    Die griechische Bevölkerung (wovon nur eine Minderheit durch systematische Steuerhinterziehung in großer Höhe zum Problem beigetragen hat) fühlt sich ausgenutzt: während den Griechen schwerste Sparmaßnahmen auferlegt werden, schlagen Andere aus genau dieser Situation im wahrsten Sinn des Wortes Kapital.
    Deshalb wird das Vorgehen der Hedgefonds als moralisch verwerflich angesehen, unabhängig davon, ob jemand dadurch einen echten Schaden hat oder nicht.

  3. kompliziert

    Uff – ich hoffe, das war jetzt nicht zu kompliziert …

    Die Analyse war nicht kompliziert, sonst wäre sie nicht hier bereits vorab geteilt worden.

    Zwei Punkte ganz kurz: 1.) Die “bösen” Spekulanten, die Hedgefonds gerne genannt hier, die Staatsanleihen zu günstigen Kursen aufkauften, als kaum noch jemand kaufen wollte. Die hätten auch kräftig Minus machen können, wenn sich Merkel nicht entschieden hätte das Problem auf die Zeit nach der nächsten Bundestagswahl zu vertagen. 2.) Die Ethik der Schuldenmacher. Wie steht diese zur Ethik der Spekulanten? Ist es höher oder noch weit niedriger anzusetzen, wenn Politiker hauptsächlich um die jeweils nächste Wahl zu gewinnen, noch mehr Schulden machen? Und was ist von den Wählern zu halten?

    MFG
    Dr. W

  4. Steuerflucht

    “Die Hedgefonds sehen ihre Geschäfte ganz ähnlich: Sie nutzen Marktchancen. Und so lange sich das alles im rechtlichen Rahmen bewegt, kann dabei nichts verkehrt sein.”

    Diese Ansicht liest man häufig , sie greift mir aber etwas zu kurz.

    Die Finanzwirtschaft hat ihre Macht auch kräftig mißbraucht , um die Gesetze dahingehend zu beeinflussen , daß sie daraus Vorteile hat , obwohl sie im gesetzgebenden Bereich an sich nicht das Geringste zu suchen hat.

    Richtig ist aber auch , daß die heutigen Verhältnisse nicht wenig zu tun haben mit der freiwilligen Selbstverblödung weiter Teile der Bevölkerung , vor allem in den 90er Jahren.

    Auch nicht übersehen werden sollte , daß sämtliche Vertreter der Finanzwirtschaft der neoliberalen Ideologie hinterher gelaufen sind , Krtiker als “aus der Zeit gefallen ” und Ähnliches bezeichnet haben und damit allesamt beigetragen haben zum jetzigen Gesamtergebnis.
    Die Zurechnung von Verantwortlichkeiten relativiert sich damit.

    Martin Holzherr weist zurecht auf die Steuerhinterziehung der betuchten Griechen hin , da stellt sich immer wieder dieselbe Frgae :

    Warum pocht die Troika ständig auf Einsparungen im Staatshaushalt und macht Zahlungen aber nicht abhängig von einer Bekämpfung der Steuerflucht?

  5. Warum pocht die Troika ständig auf Einsparungen im Staatshaushalt und macht Zahlungen aber nicht abhängig von einer Bekämpfung der Steuerflucht?

    Vielleicht weil nicht einmal die Strukturen stehen die geltenden Steuern einzutreiben?

    Wäre dem so, würde nur die Schattenwirtschaft wachsen und Reiche mal eben ins Nachbarland umziehen – was die Steuereinnahmenseite betreffend der Worst Case wäre.

    Die Ausgabenseite ist zudem in jedem Fall leichter zu bearbeiten, hier liegt ja die eigentliche Ursache der Staatsschuldenkrise, dass Staaten oder Politiker nach der Euro-Einführung über ihre Möglichkeiten gelebt haben.

  6. Neoliberale Mär

    “Vielleicht weil nicht einmal die Strukturen stehen die geltenden Steuern einzutreiben?”

    Strukturen kann man aufbauen.

    Die reichen Griechen zahlen praktisch keine Steuern , was wäre der Unterschied , wenn sie ins Ausland abwandern? Außerdem kann man diesen Gierhälsen nicht in einer Tour bettelnd hinterherlaufen .

    “Die Ausgabenseite ist zudem in jedem Fall leichter zu bearbeiten, hier liegt ja die eigentliche Ursache der Staatsschuldenkrise, dass Staaten oder Politiker nach der Euro-Einführung über ihre Möglichkeiten gelebt haben.”

    Das ist genau dieses Märchen , daß zu den jetzigen Verhältnissen geführt hat.

    Staatshaushalte funktionieren nicht wie Betriebe , und schon gar nicht wie die “schwäbische Hausfrau” .
    Im Unterschied zu diesen gibt es beim Staat einen Rückkoppelungseffekt zwischen der Ausgaben – und der Einnahmenseite.

  7. @Mike

    Das Argument ist interessant: Es kann auch etwas unmoralisch sein, obwohl gar kein direkter Schaden dadurch entsteht. Mag sein. Aber es wäre dann doch eine andere, mindere Kategerie von Verfehlung, oder? Und Zusatzfrage: Wäre diese Unmoral heilbar, wenn Nutzen gestiftet wird, wenn zum Beispiel ein Hedgefonds gute Zwecke finanziert (gab es mal einen prominenten Fall) oder sogar einen Teil des Gewinns nutzbringend in Griechenland verwendet (ist mir kein Fall bekannt)?
    Ich weiß die Antwort nicht, ehrlich gesagt, aber damit sind wir tief in einer Dikussion über Ethik.

  8. @DH

    Wenn du jetzt noch sagen kannst, warum das ein Märchen ist oder zumindest zeigen kannst, dass die Staatsschulden von Griechenland nicht mit höheren Ausgaben als den allgemeinen Wertverlust korrelieren, dann könnte ich dein Kommentar fast als Argument akzeptieren.

    Ach ja und auch bei Unternehmen besteht ein Rückkopplungseffekt zwischen Ein- und Ausgabeseite. Das nennt man dann ROI.
    Weitere Rückkoplungseffekte hat sogar schon Henry Ford gekannt, der den Lohn seiner Arbeiter und die Preise seiner Produkte so angepasst hat, dass sich die Arbeiter diese leisten können.

  9. Sparen

    @ naturundwirtschaft

    “dann könnte ich dein Kommentar fast als Argument akzeptieren.”

    Holla , das ist aber gnädig…

    Wenn Du mir jetzt noch sagst , worauf Du rauswillst…

    “Ach ja und auch bei Unternehmen besteht ein Rückkopplungseffekt zwischen Ein- und Ausgabeseite. Das nennt man dann ROI.”

    Eben. Das Spar-Argument funktioniert nichtmal bei Unternehemn in jeder Situation.

  10. ‘schwerste Sparmaßnahmen’

    Die griechische Bevölkerung (wovon nur eine Minderheit durch systematische Steuerhinterziehung in großer Höhe zum Problem beigetragen hat) fühlt sich ausgenutzt: während den Griechen schwerste Sparmaßnahmen auferlegt werden, schlagen Andere aus genau dieser Situation im wahrsten Sinn des Wortes Kapital.

    Der Schreiber dieser Zeilen, der insgesamt drei Monate seines Lebens in G zu walten hatte (und in der CR mehrer Jahrzehnte), kann folgende Aussagen beisteuern:
    A) Mindestlohnentwicklung in G verglichen mit der Tschechischen Republik (solid haushaltend)
    B) Arbeitslosenquote in beiden Vergleichsländern
    C) die Schattenwirtschaft nimmt in G anzunehmenderweise drastisch zu – insbesondere ist auch das Geschäftsgebaren zu beachten, dass rechtsstaatlich (es gibt nicht einmal Katasterämter) wenig eingeschränkt ist, Korruption ist an der Tagesordnung

    MFG
    Dr. W

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