Wie Mercators Karte ins Gehirn kam (1)
BLOG: Graue Substanz
Hornhaut, Linse und Glaskörper des Auges werfen – einer Kamera gleich – ein Bild auf die Netzhaut. In diesem Moment zum Beispiel das Abbild dieser Zeilen, die Sie lesen. Die Netzhaut hat sogleich dieses Abbild an die Großhirnrinde weitergegeben. Dabei wird das Bild in Form elektrischer Signale kodiert. Die Nachbarschaft von zwei beliebigen Bildpunkten auf der Netzhaut bleibt bei dieser Kodierung zunächst auch in der Großhirnrinde erhalten. Wenn sie dieses “ü” sehen, liegen die ü-Pünktchen auf der Netzhaut nebeneinander und auch noch auf der Großhirnrinde werden diese beiden ü-Pünktchen benachbart repräsentiert.
So wie das Gesichtsfeld zunächst auf die Netzhaut optisch projiziert wird, so wird auch ein Abbild auf die Großhirnrinde neuronal projiziert.
Man sagt auch, auf der Großhirnrinde liegt eine „Karte“ des Gesichtsfeldes, denn genau das resultiert ja aus einer Projektion. Diese Karte in der Großhirnrinde hat ganz ähnliche Eigenschaften wie eine Landkarte die erstmals von einem Kartenmacher im 16. Jahrhundert erfunden wurde. Die Rede ist von Gerhard Mercator und der nach ihm benannten Mercator-Projektion.
Auf schiefem Kurs leicht ans Ziel
Ziel einer Landkarten-Projektion ist es, die runde Erde auf einer flachen Leinwand darzustellen. Was erstaunlich schwierig und vor allem sehr vielfältig lösbar ist. Mercators Karten waren nicht nur präziser als alle anderen zuvor, sie hatten auch ein Alleinstellungsmerkmal.
Mit Mercators Karten konnte man nach Kompasskurs segeln. Seefahrer konnten mit diesen Karten erstmals unter immer gleichen Winkel, den ihr Kompass anzeigte, die Meridiane schneidend ihr Ziel ansteuern. Diesen Winkel konnten sie leicht aus eben dieser Karte entnehmen.
Sie zogen mit einem Lineal eine gerade Linie von ihren momentanen Ort (den zu bestimmen ein ganz anderes Problem war, nämlich das „Längenproblem“) zu ihrem Ziel. Auf der Erdoberfläche ist dieser Kurs dagegen keineswegs gerade, also nicht die kürzeste Strecke. Der Segelkurs ist eine sogenannte Loxodrome, was aus dem griechischen kommt und einen „schiefen Lauf“ bezeichnet.
Dass der Kompasskurs in Form des Winkels zwischen Loxodrome und Meridian geradezu kinderleicht aus Mercators Karte abzulesen ist, kann man wirklich nur wertschätzen, wenn man weiß, dass eben dies nur mit Mercators Karte damals ging. Ohne das mathematische Verständnis muss dieses herausragende Alleinstellungsmerkmal seiner Karte, das man auch „winkeltreue“ nennt, geradezu magisch wirken.
Die Seereise entlang einer Loxodrome ist also nicht die kürzeste Wegstrecke von A nach B aber der einfachste Kurs unter den damals gegebenen Voraussetzungen. Der kürzeste Weg liegt auf einem Großkreiß oder auch Orthodrome genannt (s. Bild).
Die Frage ist: Wie kam Mercatos Karte ins Gehirn? Denn dort ist sie auch – zumindest in einer verwandten Art.
Was läuft also im Gehirn „schief“ und aus welchen mathematischen Gründen? Ist der Homunculus auch eine Art Sehfahrer, der auf schiefen Kurs leichter ans Ziel kommt?
Sehfahrer, Sehreise, Sehfahrer – Ich glaub, ich hab nen Seefehler.
Interessanterweise ergibt der letzte Sehfehler einen gewissen Sinn.
Im Zusammenhang mit optischen Projektionen sei an das ´Emmert´sche Gesetz´ erinnert
die Neurochirurgen scheinen das Mercator-Mapping von Gehirnarealen zu lieben, denn damit lässt sich die relative Lage der Gyri und Sulci (z.B. des präzentralen Gyrus) zu den Läsionen schön darstellen.
Scheinbar gibt es sogar Tagungen zu diesem Thema wie die Site Die Mercator-Projektion: Darstellung der Gehirnoberfläche in der multiplanaren Rekonstruktions-Technik und ihre Rolle in der OP-Planung zeigt. Zusammengefasst werden die Vorteile der Mercator-Projektion so:
Danke für den Hinweis.
Ich dachte nicht, dass das wirklich so genannt wird in der klinischen Kommunity. Die Projektion von Sehrinde zum Kortex hat zahlreiche Namen. Als “Mercator-Projektion” wird sie allerdings sehr selten bezeichnet — dachte ich zumindest bis gerade eben. Wobei ich jetzt eher denke, es geht um was anderes …
Doch wo ist nun das eigentliche Ende dieser Signalstrecke, die ultimative Informationssenke der beiden ü-Punkte und ihrer lexikalisch-syntaktischen Einordnung? Irgendwo muß ja ein Ende, und sei es ein Kulminationspunkt, sein. Und wo im Gehirn (oder außerhalb) “verschwindet” die Information als bewußte Wahrnehmung, bzw. wahrnehmbare Bewußtheit? Die Information verschwindet ja nicht einfach, sie wird nur über Wärme oder über Bloggen in alle Winde zerstreut, mithin rauschend, unlesbar. Aber zu einem bestimmten kritischen Zeitpunkt in einer bestimmten räumlich-dynamischen Konstellation ist sie (lokal? Seele? Ich? Du? Trinitas?) maximal verfügbar, woraufhin sie sich schlagartig zu verflüchtigen scheint, bzw. in organische Speichermedien abgelegt wird.
Im “platonisch-ontologischen Kielwasser der Mathematik” (Kiesewetter) instand gesetzt, sollte es der Neuro-Physik nicht schwer fallen, die ungefähre äußere Form dessen, was wir “Seele” nennen, differentialgeometrisch, eine Handvoll Annahmen und Tensoren vorausgesetzt, abbilden zu können. Für ein ambitioniertes Soul-Project wäre vielleicht jetzt der richtige Zeitpunkt, kommen wird es so oder so, und early bird catches the worm (the money, the reputation). Ich tippe auf was kugeliges (ihr), mit so Stacheln (ich) dran,
aber mal sehen, was die Fortsetzung bringt.
Die Fortsetzungen werden wohl alle nicht über die “erste” Karte hinaus tiefer ins Hirn gehen.
So darf man sich mit dem hübschen wie natürlich falschen Bild begnügen, dass der Homunculus über dieser Karte hängt und schaut.
Allerdings frage ich mich wirklich, was dieses metaphorische Menschlein (also das ich) denn von der Karte nun hat? Vielleicht, vielleicht mache ich ja doch noch was daraus. Oder jemand erklärt es mir.