Psychisch oder psychiatrisch?

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Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Oder gar seelisch? Mental? Wie werden Erkrankungen des Gehirns bezeichnet, die nur eins gemeinsam haben, nämlich keine neurologischen zu sein?

Eigentlich würde ich immer "psychische Erkrankung" sagen, wurde nun aber kurz stutzig, als ich im Editorial von Carsten Könneker las*:

… neurologische oder psychiatrische Erkrankung…

Ein kurzer Blick in Googles Ngram zeigt, dass beides genutzt wird – und dass diese Erkrankungen seit ca. 1990 stark ansteigend anzutreffen sind.


"psychisch" (blau), "psychiatrisch" (rot)  von 1968 bis 2008.

Nun könnte es sein, dass die Bezeichnung "psychiatrisch" vorwiegend genutzt wird, wenn es um eine Gegenüberstellung zu neurologischen Erkrankungen geht. Das Adjektiv "psychiatrisch" bzw. "neurologisch" wird genutzt, weil es nun mal um die Psychiatrie und Neurologie geht, so vermutete ich.

Eine Vergleich aller vier Kombinationen "psychiatrisch/neurologisch  und/oder neurologisch/psychiatrisch" mit dem alleinigen Vorkommen von  "psychiatrisch" zeigt aber, dass jene zusammen nur einen verschwindenden Bruchteil des Vorkommens von "psychiatrisch" allein erklären. Auffallend fand ich dann, dass  "psychiatrische oder neurologische" (rot, in der Graphik unten) gar nicht als Ngram gefunden wird. Aber dies nur nebenbei bemerkt.

Wirklich interessant ist allein die Frage, wann ist eine Erkrankung des Gehirns eigentlich ein Fall für die Neurologie und wann für die Psychiatrie ist? 

Bei neurologischen Krankheiten ist immer eine mehr oder weniger bekannte Funktionsstörung gewisser anatomischer Strukturen des Gehirns Nervensystems [s. Kommentar] gegeben. Beispiele wären die Parkinson-Krankheit oder Chorea Huntington, bei denen die jeweilige Funktionsstörung in den Basalganglien zu finden ist. Die gestörte neuronale Dynamik in den Basalganglien sowie im – immer noch begrenzten und anatomisch gut definierten – Netzwerk dieser mit dem Cortex und dem Thalamus erklärt die Symptomatik weitestgehend.

Bei psychischen Erkrankungen ist, soweit ich weiß, nie ein bestimmtes neuronales Netzwerk vorwiegend oder gar isoliert betroffen. Psychische Zustände (krankhafte oder auch gesunde, vielleicht sollte ich an dieser Stelle besser mentale Zustände sagen, zumal ich auch im englischen "mental illness" und "mental health" schreiben würde.*) betreffen nicht isoliert Untereinheiten des Gehirns. Es mag durchaus neuronale Korrelate genannte Gehirnaktivität geben, die mit diesen Zuständen typischerweise einher geht, man kann aber nicht mit der gleichen Berechtigung wie bei neurologischen Erkrankungen sagen, dieses oder jenes (Sub)Netzwerk des Gehirns zeigt eine gestörte Funktion dieser oder jener Art und das hat diese und jene Folgen.

Wenn je ein Anatom direkt oder indirekt etwas zum Verständnis einer Hirnerkrankung beigetragen hat, wird der Neurologe zuständig sein, sonst der Psychiater, so sehe ich die Lage als Physiker. Meine Vermutung ist weiterhin, sollte eine psychische Erkrankung eines Tages auf der Ebene verschalteter Netzwerke im Gehirn verstanden werden, läuft sie Gefahr von den Neurologen ergriffen zu werden. Ob also langfristig eine Trennung zwischen psychisch und neurologisch Bestand haben wird, ist die Frage, ob es Erkrankungen des Gehirns gibt, die sich grundsätzlich nicht anatomisch funktionell lokalisieren lassen.

 

Fußnote

* Ich schreibe gerade einen Beitrag, in dem ich ebenso neurologische und psychische Erkrankungen erwähne. So war ich sensibilisiert für Carstens Formulierung. Außerdem suchte ich für diesen kommenden Beitrag nach einer Übersetzung für "National Institute of Mental Health" (kurz NIMH), die ich im Wikipedia mit "US-amerikanisches Forschungszentrum für psychische Störungen" fand.

Das erwähnte Editorial gehört zum Spektrum Extra "Die Zukunft des Gehirns" als Teil der aktuellen Ausgabe von Sprektrum der Wissenschaft, alles kostenfrei zum Download (pdf-Datei). Aus der Ankündigung:

Lesen Sie, wie nah Forscher dem Traum vom Gedankenlesen bereits gekommen sind, ob Neuroimplantate direkten Zugang zum Gehirn bieten, wie Neuronale Schrittmacher funktionieren und vieles mehr.

Bezüglich meines Themas hier ist vor allem das Interview mit dem Psychologen und Mediziner Frank Schneider empfehlenswert. Er erklärt was bildgebende Verfahren über eine plumpe Fleckologie hinaus für die Psychiatrie leisten.

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

23 Kommentare

  1. Psychiatrie -> Neurologie

    Interessante Gedanken, lieber Markus! Lies mal über die Geschichte der Epilepsie, da wirst du für deine Vermutung, dass eine psychiatrische Störung eine neurologische wird, wenn im Nervensystem eine konkretere Ursache gefunden wird, ein bestätigendes Beispiel finden (so gelesen z.B. in Cornelius Borcks Hirnströme).

    Bei neurologischen Krankheiten ist immer eine mehr oder weniger bekannte Funktionsstörung gewisser anatomischer Strukturen des Gehirns gegeben.

    Das ist so übrigens nicht korrekt — die Neurologie beschäftigt sich natürlich auch mit Störungen des peripheren Nervensystems.

    Meiner Meinung nach sind “psychische” Erkrankungen übrigens allgemein Erkrankungen der Psyche (des Geistes?). Wenn jemand von psychiatrischen Erkrankungen spricht, dann denke ich insbesondere an ein psychiatrisches Klassifikationssystem, an eine psychiatrische Nosologie, auf die hier verwiesen wird, etwa die F-Störungen des ICD-10 oder das DSM-IV. “Psychisch” und “psychiatrisch” ist für mich daher nicht dasselbe.

    Aber na ja, das liefert keine letzte Erklärung, denn englisch wird hier von “mental” oder “mental and behavioral disorders” gesprochen — im Gegensatz zu Erkrankungen des Nervensystems (ICD-10 G-Kapitel).

    In der deutschen version des ICD sind es dann aber “psychische” und nicht “psychiatrische” Erkrankungen, hmm. Mal bei Gelegenheit Carsten fragen, ob er dabei einen bestimmten Gedanken hatte.

  2. Zweiter Versuch

    Jede psychiatrische Erkrankung ist eine psychische, doch nicht jede psychische Erkrankung ist eine psychiatrische.

    Das heißt: Wenn eine psychische Erkrankung (eine Erkrankung des Geistes, der Seele…) von Psychiatern als solche anerkannt wird (u.U. institutionell wichtig; siehe meine Bemerkungen zur Nosologie, dann wäre insb. das DSM ein Referenzpunkt), dann wird sie eine psychiatrische.

    Überzeugend?

  3. Vollständig per Konstruktion

    Lieber Stephan, der Gedanke, was eine neurologische Störung ausmacht, ist ja nicht von mir, wie Dein Zitat von Cornelius Borcks auch zeigt. Ich sah es nicht als nötig an, hier jemanden zu zitieren (ich kannte auch das Zitat von Borcks auch nicht), weil es eben — vielleicht nicht in der Zuspitzung — Basiswissen ist, das schwer jemanden zugeschrieben werden kann.

    Ich hatte etwas missverstanden (s.u. Stephans Antwort), das Zitat war meins …, daher eine kleine Korrektur in nächsten Absatz.

    Borcks Meine Aussage ist in meinen Augen hier auch , so meine ich immer noch, korrekt, vielleicht etwas ungenau: mit Gehirn meint er wohl meine ich in diesem Zusammenhang das Nervensystem als Organ, also peripheres und zentrales Nervensystem als ein Organ, kurz: Gehirn. Denn Gehirn als das Ding im Schädel, wie es fast immer in Abbildungen gezeigt wird, wäre ja auch falsch. Das Rückenmark geht bis tief in den Körper hinein. Aber das nur am Rande.

    Wirklich widersprechen will ich Dir im Versuch zwischen psychisch oder psychiatrisch zu unterscheiden. Das liefe mir dann auf eine Freud’sche Interpretation einiger exklusiv psychischer Erkrankungen hinaus, die keine psychiatrischen sein sollen.

    Ich will gar nicht ausschließen, dass es psychische Erkrankungen gibt oder geben wird, die noch nicht erkannt sind, dass würde aber nichts über die Krankheit sondern über den Stand der Medizin aussagen.

    Ich denke, dass die ICD-10 auch vollständig ist — per Konstruktion. So kenne ich es von den Kopfschmerzerkrankungen. Es gibt eine Krankheitsform (G44.80) in die alle fallen, die ansonsten nicht in den Schema diagnostiziert werden könnten. Ob für psychische Erkrankungen so etwas existiert oder überhaupt nötig ist (es setzt ja Symptom basierte Kategorien unterhalb der psychischen Krankheiten voraus), muss ich erst noch nach gucken. So eine Notlösung der Vollständigkeit halber, ist aber gar nicht so eine verrückte Idee.

    Unterscheiden zu wollen, hilft dem Betroffen wenig, fürchte ich. Danke aber für Deinen Hinweis zur psychiatrische Nosologie. Dem gehe ich mal nach. Das kannte ich nicht. Vielleicht ändere ich dann meine Meinung.

  4. @ Markus

    Das Zitat war nicht von Herrn Prof. C. B. aus Lübeck, sondern einem M. A. D. aus Berlin. 🙂

    Mein Gedanke war: Wenn psychische Erkrankungen Erkrankungen der Psyche sind, sind psychiatrische Erkrankungen dann Erkrankungen der Psychiatrie?

    Um dieser Idee einen Sinn zu geben, schien es mir angemessen, auf die Institutionalisierung der Psychiatrie zu verweisen: Schließlich sitzen beispielsweise in Nordamerika alle paar Jahre Psychiater zusammen und beschließen, was sie für eine psychiatrische Erkrankung halten. Es wird voraussichtlich ab 2013 in der US-Psychiatrie keine narzisstische Persönlichkeitsstörung mehr geben. Vielleicht gibt es also doch psychische Erkrankungen, die keine psychiatrischen sind, auch ohne dass wir hier Freud bemühen müssen?!

  5. Pflänzchen nur umtopfen

    Oups, ich sollte morgens früh um sieben Kommentare sorgfältiger lesen …

    Es würde mich aber nicht wundern, so oder eine ähnliche Definition woanders auch zu lesen und wollte dem Ausdruck verschaffen. Ich denke zumindest, dass weder ich der erste bin, der das so sieht, noch dass es sehr umstritten ist. Soviel zur Neurologie.

    Natürlich sollte es möglich sein, Menschen in die Gesundheit zu entlassen und angebliche Erkrankungen einfach weg zu definieren. Homosexualität ist da ein gutes Beispiel.

    Ob das mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen auch so sein wird, oder diese Pflänzchen nur umgetopft werden sollen, wäre also zu klären.

    Grundsätzlich hat die Psychiatrie sicher das größere Problem bei der Definition ihrer Krankheiten, verglichen mit der Neurologie zumindest, aber auch allgemein wahrscheinlich das größte.

    Aber primäre Erkrankungen des Gehirns, die noch nicht in der Neurologie verankert sind — und es vielleicht ja auch nie werden, sollte die Psychiatrie nicht links liegen lassen. Das wäre eine Bankrotterklärung.

    Deswegen würde ich alle diese Krankheiten psychisch nennen und Psychiater als erste (nicht unbedingt alleinige) Ansprechpartner sehen.

    Trotzdem würde ich wahrscheinlich auch, wie Carsten es gemacht hat, manchmal auf das Wort “psychiatrisch” zurückgreifen, aber nur in einer Kombination mit “neurologisch”. Darüber hinaus sehe ich bisher keine Notwendigkeit für jenes Adjektiv.

  6. Interessantes Thema

    Vielen Dank für die Anregungen!

    Für Laien sehr lesenswerte Einblicke in den Stand der Neurologie findet man hier:

    http://short4u.de/4e57746a6cc6d

    [Anmerkung von M.A.D.
    Der Link führt zu den Kundenrezensionen (durchweg positiven) des Buches “Neustart im Kopf: Wie sich unser Gehirn selbst repariert” bei Amazon. Damit Leser vorab wissen worum es geht, finde ich diese oder ähnliche kurze Beschreibungen hilfreich.]

  7. Störungen, wohlgemerkt

    In der ICD-10 gibt es wirklich eine Lückenfüller Diagnoseklasse, F99 “Nicht näher bezeichnete psychische Störungen”.

    Bezeichenderweise spricht man dort (ICD-10 Kapitel V F00–F99) von psychischen Störungen nicht Erkrankungen,
    von psychischen und Verhaltensstörungen um genau zu sein.

    Erkrankungen des Nervensystems sind dann im Kapitel VI G00–G99 aufgeführt.

    Wie dem auch sei, Psyche zu sagen ohne auch Nervensystem zu meinen widerstrebt mir. Das sind zwei Seiten einer Medaille.

  8. @ Markus

    Willst du hier wirklich den Standpunkt vertreten, dass nur Hirnerkrankungen neurologische Erkrankungen sind? Ich denke, dann würden dir doch alle Neurologen widersprechen, siehe z.B. G60-64.

    [Kurze Nachfrage: G60-G64 sind die Polyneuropathien und sonstige Krankheiten des peripheren Nervensystems, ich bin mir nun nicht ganz sicher, warum Du dieser an dieser Stelle anführst. Weil sie das peripheren Nervensystem betreffen? Denn bei diesen Erkrankungen ist doch ein Neurologe gefragt, oder? Bezüglich des peripheren Nervensystem habe ich ja schon oben korrigiert. Gehirn hatte ich als Nervensystem in diesem Zusammenhang im Blogbeitrag gemeint. Sicher missverständlich. Ändere ich gerne.]

    Aber primäre Erkrankungen des Gehirns, die noch nicht in der Neurologie verankert sind — und es vielleicht ja auch nie werden, sollte die Psychiatrie nicht links liegen lassen. Das wäre eine Bankrotterklärung.

    Würde dieses Kriterium der “Verankerung in der Neurologie” angewendet, das psychiatrische Diagnosebuch wäre komplett leer – heute und zumindest in der nahen Zukunft. Ich dachte, dass wir uns dessen einig wären.

    Philosophische Rückfrage: Wenn eine Erkrankung nicht in der Neurologie verankert ist und es vielleicht auch nie sein wird (O-Ton M. A. D.), woher weißt du dann eigentlich, dass es eine Gehirnerkrankung ist?

    [Sobald Verhalten betroffen ist, ist Gehirn beteiligt. Ob es primäre dort verankert ist, ist eine andere Frage. Kurzantwort. Unten neuer Kommentar.]

    Wie dem auch sei, Psyche zu sagen ohne auch Nervensystem zu meinen widerstrebt mir. Das sind zwei Seiten einer Medaille.

    Es gibt aber eben sehr viele Beispiele für psychische Erkrankungen, die keine oder zumindest nicht nur Erkrankungen des Gehirns sind (denken wir an Depressionen, nachdem jemand seine Arbeit verliert, oder wenn selbst das noch strittig wäre, an eine Depression in folge einer hormonalen Störung, beispielsweise eine Schilddrüsenunterfunktion).

    [Schilddrüsenunterfunktion würde dann eine sekundäre Erkrankung des Nervensystems zur Folge haben, keine primäre. Kurzantwort (aus dem Bauch heraus, weiß nicht, ob dies ICD-10 konform ist).]

  9. @Stephan Schleim

    Ich vertrete den Standpunkt wie im letzten Satz des Beitrages: Ob langfristig eine Trennung zwischen psychisch und neurologisch Bestand haben wird, ist die Frage, ob es Erkrankungen des Gehirns gibt, die sich grundsätzlich nicht anatomisch funktionell lokalisieren lassen.

    Das ist nicht notwendigerweise die Frage des Überlebens einer Fachrichtung Psychiatrie, denn man kann ja eine Arbeitsteilung auf Grund historisch gewachsener Strukturen beibehalten. Die Unterscheidung hätte aber über diesen historischen Kontext keinen Sinn — wenn wirklich alles anatomisch funktionell lokalisiert werden kann.

    Das Beispiel Depression mag aber genau so eine Störung sein, die grundsätzlich nicht anatomisch funktionell lokalisiert werden kann. Die Trennung zwischen psychisch und neurologisch wird also voraussichtlich Bestand haben.

    Was mich nun nur wunderte und was sicher zur Verwirrung nun beitrug ist, dass wirklich laut ICD-10 die Erkrankungen des Nervensystems allein neurologisch sind. Daraus sollten wir aber nur schließen, dass psychische “Krankheiten” Störungen des Nervensystems sind und nicht Erkrankungen. Keinesfalls aber, dass psychische Störungen nicht das Nervensystem betreffen.

    Dazu will ich sagen, dass diese ICD-10 Unterscheidung zwischen Störungen und Erkrankung für sehr fragwürdig halte.

    Gehe ich trotzdem mal diesen Weg, könnte die in meinem Beitrag vertretenen Definition in Einklang bringen: alles was anatomisch funktionell lokalisiert ist und fehlschlägt nenne ich eine Erkrankung, alles was ich nur (nahezu) dem gesamten Nervensystem zuschreiben kann und doch eine Fehlfunktion ist, nenne ich Störung.

    Am Ende bleibt die für meine Sicht einzig entscheidende Frage: die nach der Lokalisation der Fehlfunktion.

  10. @ Markus: Lokalisation

    Wenn ich jetzt mit dem Fuß gegen die Tür stoße und den ganzen Abend lang Schmerzen habe, dann kannst du sicher auch Schmerz-Aktivität in meinem Gehirn lokalisieren; heißt das aber, dass es sich bei meinem Fußschmerz um ein Gehirnproblem handelt oder vielleicht doch um ein Fußproblem?

    Geht es um Interventionen (bsp. Therapien), dann finde ich es schon entscheidend, ob man diese an der Ursache oder einer ihrer Folgen ansetzt.

    Ich weiß im Übrigen nicht, wie weit die Unterscheidung zwischen “Störung” und “Erkrankung” trägt. “Störung” ist sicher noch etwas vorsichtiger formuliert, vielleicht gerade deshalb, weil psychische Erkrankungen alle paar Jahrzehnte wieder anders klassifiziert werden.

  11. Lokalisiert? Aitiologie oder Patogenese!

    “Wenn ich jetzt mit dem Fuß gegen die Tür stoße und den ganzen Abend lang Schmerzen habe, dann kannst du sicher auch Schmerz-Aktivität in meinem Gehirn lokalisieren; heißt das aber, dass es sich bei meinem Fußschmerz um ein Gehirnproblem handelt oder vielleicht doch um ein Fußproblem?”

    Was Du da lokalisiert würde ich ein neuronales Korrelat nennen. Es kann lokalisierte neuronale Korrelate geben, die mit psychischen Störungen einher gehen. Aber die Ursache oder auch Entstehung der Krankheit ist nicht dort lokalisiert. Bei meiner Definition will ich aber entweder Aitiologie oder Pathogenese lokalisiert wissen, um dann den Neurologen zuständig zu erklären.

    “Geht es um Interventionen (bsp. Therapien), dann finde ich es schon entscheidend, ob man diese an der Ursache oder einer ihrer Folgen ansetzt.”

    Ja. Und genau da ist entscheidend, dass man bei neurologischen Krankheiten bei den Ursachen im Körper ansetzen kann, bei den psychischen Störungen in aller Regel nicht, weil man sie (A) gar nicht kennt oder zumindest (B) nicht lokalisieren kann. Bei Depressionen, Angststörungen u.v.a. psychischen Störungen können sicher Erlebnisse die Störung triggern, und deren Vermeidung kann Teil der Therapien sein — aber als Ursache würde ich diese Erlebnisse nicht bezeichnen. Traumata bilden da sicher die Ausnahme, bei der ich von Erlebnissen als Ursache sprechen würde — der Therapie bleibt aber in diesem Ausnahmefall nur, sich mit den Folgen auseinander zu setzen.

    “Ich weiß im Übrigen nicht, wie weit die Unterscheidung zwischen “Störung” und “Erkrankung” trägt. “Störung” ist sicher noch etwas vorsichtiger formuliert, vielleicht gerade deshalb, weil psychische Erkrankungen alle paar Jahrzehnte wieder anders klassifiziert werden.”

    Stimme völlig zu. Ich halte mich nun erst mal an diesen Sprachgebrauch, denn er scheint vorwiegend so verwendet zu werden.

  12. @ Markus

    Ich stimme dir weitgehend zu, nur:

    Bei Depressionen, Angststörungen u.v.a. psychischen Störungen können sicher Erlebnisse die Störung triggern, und deren Vermeidung kann Teil der Therapien sein — aber als Ursache würde ich diese Erlebnisse nicht bezeichnen.

    Das hört sich so an, als wäre die Störung – beispielsweise die Depression – bereits da und “warte” nur darauf, von bestimmten Ereignissen ausgelöst (“triggern”) zu werden. Das ist aber doch Unsinn, wenn man weiß, dass “Depression” ein Sammelbegriff für eine Reihe von Erlebnissen, Gefühlen, Gedanken und Verhaltensweisen ist. Die sind eben da, dann gilt jemand als depressiv, oder eben nicht, dann nicht.

    Schwere Lebensereignisse und traumatische Erfahrungen können Depressionen auslösen und die Größe dieses Effekts ist zigmal stärker als derjenige jedes bisher entdeckten Gens usw. Nur als “Ursache” dürfen die Lebensereignisse und Erfahrungen nicht gelten? Mir leuchtet das nicht ein.

  13. @Stephan

    Das hört sich so an, als wäre die Störung – beispielsweise die Depression – bereits da und “warte” nur darauf, von bestimmten Ereignissen ausgelöst (“triggern”) zu werden. Das ist aber doch Unsinn, …

    So sollte es nicht klingen. Aber depressive Phasen können in Episoden/Schüben kommen, die dann mit Auslösern zusammenhängen.

    Nur als “Ursache” dürfen die Lebensereignisse und Erfahrungen nicht gelten?

    Doch. Sehe ich eigentlich auch so. Ob dass immer traumatisch dann genannt wird (werden sollte), weiß ich nicht.

  14. In dem Artikel wird eine neurologische Krankheit als eine Funktionsstörung gewisser anatomischer Strukturen beschrieben im Kontrast zur psychiatrischen Krankheit als globale Funktionsstörung. Neurologische Krankheitsbilder beziehen sich allerdings keineswegs ausschließlich auf isolierte neurologische Strukturen, zB. hält sich ein Schlaganfall nicht an die künstliche Aufteilung des Gehirns (zB. Brodmann Areale). Psychiater beschäftigen sich nun wieder auch mit spezifischen Hirnregionen. Psychopharmaka mögen das ganze Gehirn betreffen, aber das eigentliche Ziel sind gewisse Areale wie der Frontale Kortex im Falle von negativen Symptomen der Schizophrenie und Hirnstamm und Striatum für positive Symptome. Ein anderes Beispiel wäre verminderte frontale Kortex Aktivität bei depressiven Patienten. Neurologie, Psychiatrie und Neuropsychologie sind bereits zu einem ziemlich einheitlichen, globalen Konzept gelangt, konform der Vermutung im letzten Absatz des Artikels. Die drei verschiedenen Disziplinen vereinheitlichen sich dann aber doch eher unter Neurowissenschaften als globalem Begriff.

  15. .

    Schlaganfall und Hirnverletzungen sind auch lokal begrenzt. Trotzdem scharf beobachtet, hier handelt es sicher um eine Besonderheit. Diese liegt aber in meinen Augen eher an dem Charakter einer Verletzung (im Gegensatz zu Erkrankung) des Hirns, die trotzdem in den Bereich der Neurologie fällt, vor allem wegen der Folgeschäden.

    Die Folgeschäden sind gut durch Prozesse beschrieben, die lokalisiert werden können, so entstehen z.B. bei der Subarachnoidalblutung oft mit Tagen Verspätung noch neuronale Zusammenbrüche, die sich als Welle im gefährdeten Gehirngewebe ausbreiten. Hier ist eine Enge Verwandtschaft zu Prozessen der Migräne.

    Das bei Depressionen der frontale Kortex (Stirnlappen des Gehirns) betroffen ist — eigentlich sollte ich es noch auf den präfrontalen Kortex einschränken –, ist zwar naheliegend, gilt dieser doch als Sitz der kognitiven Prozesse. Auch gibt es neuronale Korrelate die dies belegen. Aber was genau dort schief läuft und ob nur dort, bleibt unklar. Viel unklarer jedenfalls als bei den meisten (allen, falls ich nicht irre) neurologischen Erkrankungen.

  16. @ Stephan Schleim

    Soweit mir als Laie bekannt ist, gibt es tatsächlich eine Form der Depression, die sozusagen schon da ist und nur darauf wartet, auszubrechen. Dafür scheint dann wohl nicht mal ein Trigger notwendig zu sein, sondern sie kommt über Nacht. Diese gilt dann als organische Erkrankung, also neurologisch. Medikamentös sehr schwer zu beherrschen, bringt manchmal nur die Vagus-Nerv-Stimulation Linderung.

    Sollte das jetzt ganz am Thema vorbei sein, möge man es mir nachsehen: Bin im Ausland mit schlechtem Internet und wenig Zeit, alles gründlich zu lesen. Wobei ich ja sowieso nur einen Bruchteil verstehe. 😉

  17. keine psychisch-topische Diagnostik

    Ich würde mich nicht darauf einschränken, “organische Erkrankung” mit den neurologischen gleichzusetzen und alles andere psychisch zu nennen. Weil auch die gestörte Psyche verbunden ist mit einer Fehlfunktion des Organs “Gehirn” (was ich nun in Anführungszeichen setze, den als Organsystem sollte ich es Nervensystem nennen, s.o.).

    Der eigentliche Unterschied ist in der Lokalisation der organischen Fehlfunktion.

    Für die, die tiefer einsteigen wollen, empfehle ich zwei Bücher. Das Buch “Neurologisch-topische Diagnostik” von Peter Duus. Eine Psychisch-topische Diagnostik, also eine Diagnostik die den Ort der psychischen Störung Aufgrund der Symptome identifizieren kann, gibt es nicht. Das ist im Kern die Aussage, auf die ich aufmerksam machen möchte.

    Des weiteren, “Neuroantomy through Clinical Cases” von Hal Blumenfeld. In diesem exzellenten Lehrbuch wird die Neuroanatomie durch Fallbeispiele von neurologischen Erkrankungen in 19 Kapitel erklärt. In diesem Buch werden auch psychische Störungen erwähnt, aber eher am Rande von Kapitel über die Großhirnrinde (Kap 10) und das Limbische System (Kap. 18). (Angaben beziehen sich auf die Auflage von 2002, oben ist die von 2010 gezeigt.)

    Diese Bücher erwähne ich auch, weil ich nicht jede neurologische Erkrankung hier durch gegen kann, bzw. wenn ich gefragt würde, ich genau in diesen beiden Büchern nach gucken würde.

  18. “Eine Psychisch-topische Diagnostik, also eine Diagnostik die den Ort der psychischen Störung Aufgrund der Symptome identifizieren kann, gibt es nicht. Das ist im Kern die Aussage, auf die ich aufmerksam machen möchte.” Das ist sicherlich richtig, es gibt einen Unterschied zur lokalisierung von Funktionen und Funktionsstörungen. Hughlings-Jackson, ein Zeitgenosse von Broca prägte den berühmten Satz “to localize a symptom is not to localize a function”. Auch wenn alle Patienten mit einer linkslateralen Schädigung eine Aphasie hätten (was übrigens nicht so ist), dann sagt das allein noch lange nicht, dass die Sprachfunktion dort allein lokalisiert ist. Die zweite Buchempfehlung steht dem sicherlich etwas kontroverser entgegen, scheint aber trotzdem interessant zu sein.

  19. Interessante Definitionen

    Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit der Materie. Dabei bin ich auch schon auf unterschiedliche Definitionen gestoßen. Die Grenzen sind also nach wie vor nicht 100-prozentig definiert.

  20. Ich bin mir sicher, das viele Fälle fälschlicher Weise als neurologische Probleme des Gehirns eingestuft werden, mangels Begreifbarkeit. D.h. selbst eine neurologisch bzw. psychiatrisch geschulte Person wird niemals eine Psyche eines anderen Menschen verstehen können, da die Dynamik eines Gehirns aufgrunde vieler Verstrickungen nicht pauschalisiert werden kann. Jeder hat Ahnen die unterschiedliches erlebt und diese oftmals unschönen Erfahrungen an seine Kinder weitergegeben hat, gepaart mit weiteren Erfahrungen, auch schöne, kam eine weitere Generation…dieses kann man rückwärts beliebig ausweiten und bis zu dem hier und jetzt fortführen.

    Hierzu bitte einmal Sigmund Freud ” Ich, Es, Über Ich” beachten
    http://www.dober.de/religionskritik/mbfreud.html

    Jedoch meinen Neurologen wie auch Psychologen sie könnten sich ein Urteil erlauben und Menschen mit Psychopharmaka behandeln, sie meinen ein Mensch welcher gerade an einer mehr oder weniger auffälligen psychischen Aktivität leidet, müsse von anderen Menschen ferngehalten werden und sehen in ihm eine Gefahr. Dadurch wird dieser Mensch, welcher durch seine persönlichen Probleme gepaart mit Überforderung im Privat- und Arbeitsleben zu genüge erschöpft ist, ein weiteres Mal an die Grenzen seiner Kräfte gebracht. Denn dieser Mensch wird unter Garantie eine gesteigerte psychiche Auffälligkeit entwickeln, so das man ihn ungestraft seiner Freiheit berauben, mit Mitteln behandeln kann, welcher er ggfs ablehnt, und ohne jegliches Interesse und Verständniss durch geschultes Personal sowohl pysisch als auch psychisch quälen kann. Vorenthaltung von Dingen als Druckmittel Medizin einzunehmen, ans Bett fixieren und intravenös Substanzen zuführen, im Zimmer einsperren, nicht zur Toilette gehen lassen, nicht an die frische Luft gehen lassen, bei der Essensplanung übersehen und tagelang mit Rohkost abfertigen….
    Das muss aufhören und darf nicht mehr im Namen von Gerichten unterstützt werden, wenn die Würde angegriffen und die Psyche verletzt wird.
    In meinem Fall ist es nur meine Mutter die mir den ausschlaggebenden Grund gab, psychisch auffällig zu werden…ich erdreistete mich damit, Empathie für meine vergewaltigte Mutter zu empfinden und begann mit der Ursachenforschung alleine, statt Hilfe bekam ich Wahrnehmungsstörungen diagnistiziert, obwohl es der Realität entsprach, das mir wissenswerte Wahrheiten über meine Mutter bzw meine Familie vorenthalten wurden. Niemand hat auch nur annähernd versucht mir oder vor mir meiner Mutter zuhelfen, die negativ Erfahrungen zu verarbeiten, nein lediglich Psychopharmakaverordnung fiel dem werten geschulten Personal ein.
    Mit Verlaub, darauf kann man verzichten, wenn im Anbetrachte der selbständig erworbenen Kenntnisse man zum Ergebniss kommt, das man sich nichts eingebildet und die Wahrheit weitaus schlimmer ist als angenommen.

    Die heutige Schulmedizin scheint nur noch existieren zu können oder zu wollen, mit oder durch Vergabe von Medikamenten und vergisst dabei die Schädlichkeit dieser, wobei man ja nicht unterstellen möchte, sie vergäbe die schädigenden Arzneimittel bewusst, um das “Geschäft” zu beleben….hochdosierte Psychopharmaka haben viellerlei Folgen, Parkinson zb, und wenn kein Arzt daran verdient, dann freut sich der Bestatter…..

    >>Meine Psysche wird nicht eher ruhn, bis das dies begangene und weiter bestehende Unrecht ausgerottet wird und bestraft wird, was nicht nur meiner Mutter und mir angetan wurde.<<

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