Physiologie oder Medizin

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Wie Verhält sich die Physiologie zur Medizin?

Ich bin nicht in Lindau, treffe dafür aber nächste Woche zwei Nobelpreisträger auf der Tagung Engineering of Chemical Complexity, auf der ich eingeladen wurde meine Arbeiten zur Migräne vorzustellen. Chemical Complexity? Klingt nicht nach Medizin. Die Nobelpreisträger Manfred Eigen und Gerhard Ertl haben dementsprechend auch den Nobelpreis für Chemie bekommen, mit 40 Jahren Abstand zueinander! 1967 und 2007.

Wie das Thema Engineering of Chemical Complexity nun mit meiner Arbeit zusammenhängt, will ich jetzt gar nicht ausführen. Es zeigt aber, die Disziplinen wachsen weiter zusammen.

Im weiteren soll es um den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin gehen, der oft gerne als "Medizin-Nobelpreis" knapp zusammengefasst wird. Ist die Physiologie wirklich nur ein Anhängsel, die zwar historisch bedingt zum offiziellen Namen gehört, heute aber keine eigenständige Disziplin mehr ist? Auf diese Idee könnte man kommen. Selbst der englische Wikipedia-Artikel zur Physiologie ist verkümmert.  


Physiology, Der englische Wikipedia-Artikel hat so seine Probleme (Version von August 2010)

Im Rahmen der diesjährigen 61. Lindauer Tagung der Nobelpreisträger können Fragen zu dem Thema der Physiologie und Medizin gestellt werden, die dann an die Nobelpreisträger weitergereicht werden. Hier in meine.


There is no Nobel Prize in Medicine. It is the Nobel Prize in Physiology or Medicine. My question is about the "or" in the above name of the prize.

Form the viewpoint of both how research is done and the way these disciplines are taught, is this "or" as in

  • (1) New York State or U.S.

For instance, "For New York State or U.S. stroke statistics, visit …", i.e. physiology is part of medicine. Or is it more as in

  • (2) Europe or U.S.,

that is, Physiology and Medicine are two separate and rather distinct disciplines. Or is it as in

  • (3) U.S. or Canada,

that is, still two separate and distinct disciplines but covering the main area of the continent North America (Mexico could be Biochemistry and the other seven countries are also easily found). And how do you see this "or" in the future with respect to research and teaching?


 
Es geht also um das Verhältniss sich Physiologie und Medizin. Verhält sich "Physiologie oder Medizin" wie

  • (1) Staat New York oder USA?
  • (2) Europe oder USA.,
  • (3) USA oder Canada?

Auch meine Leser können in den Kommentaren Ihre Meinung äußern oder auch nur kurz abstimmen. Später werde ich dann nochmal ausführlich dazu selber Stellung nehmen.

Sie können auch Ihre eigene Frage stellen oder eine schon gestellte Frage – zum Beispiel meine – durch Stimmabgabe auswählen.

 

"Physiology or Medicine" is like
New York State or U.S.
Europe or U.S.
U.S. or Canada
  
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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

4 Kommentare

  1. wie physik zur chemie?!

    Gerhard Ertl ist afaik auch diplomierter Physiker. Von der eigenen Physik-Fak kenn ich noch einen promovierten Physiker der mittlerweile einen Lehrstuhl am Chemischen Institut in Physik. Chemie inne hat. Das scheinen keine Ausnahmen zu sein.

    Chemie ist abstrakte Physik, Medizin ist ohne Physiologie auch nicht denkbar. Physik als Schlüsselwissenschaft hat oft die Messmethoden für phänomen-bezogene Wissenschaften geschaffen (Spektroskopie, MRT, AFM, STM… in Medizin/Biologie) Die Frage ist wohl, ob Kausalketten ohne Kentnisse dieser Nano-prozesse (Physiologie, Physik) bei best. Forschungsfragen geschlossen werden können. Ab und dann braucht es eben dann doch den Neurophysiker, weil das Abstraktionsvermögen und Methodikwissen in phänomenalen Wissenschaften doch nicht ausreicht oder eine Blackbox aufgebrochen werden muss. Hier treffen sich bottom-up und top-down Wissenschaften wie Physik und Medizin ja theoretisch mittlerweile, weil Nano/Mikro-Untersuchungsmethoden jetzt erst vorhanden sind.

    Kosmologie ist ein schönes Beispiel, oft sehr verschiedene Untersuchungsobjekte im Vergleich zur Laborphysik (verschiedenr als so manch biophysikalisches Problem), aber es braucht doch immer wieder die Kenntnis dieser Nano-Prozesse um die Kausalkette im Big Picture schliessen zu können.

    Physiologie will soweit ich die ungenaue Klassifikation auf wiki versteh (der dt. Artikel gibt imo eine bessere Definition) v.a. die kausal geschlossenen Nano- und Mikro-prozesse im Körper entschlüsseln, ähnlich wie ein Physiker das Energiespektrum eines Atoms. Wie dieses zustandekommt, interessiert den Chemiker nicht, er muss nur Input und Output der Blackbox verstehen um es in seine grössere Kausalkette einbauen zu können (Stoffumwandlungen)

    Physiologie also als Schlüsselwissenschaft der Biologie/Medizin? Interessante Frage wie die versch. Institute an einer Uni strukturiert sind, einfache Mengenlehre wie die Poll oben tuts wohl nicht, vieles ist historisch gewachsen durch phänomenale Kategorisierung, manches aber auch durch Industrie, die best. Methodenwissen und Praxis verlangt das in den phänomen-bezogenen Wissenschaften doch stärker betont wird als in Strukturwissenschaften Physik, Physiologie, Mathematik.

    Scheint mir eine Mischung aus (1) & (3) im Poll, weil phänomenale Mengenüberschneidung aber trotzdem Abgeschlossenheit der Theorien & Methoden zueinander. “Vernetzt” trifft es wohl ganz gut 😉 aber stimmt ja auch mit dem Trend überein dass es immer mehr Studiengänge für Zwischenwissenschaften gibt (Biomedizin, Medizintechnik,..)

  2. Forschung und Lehre

    Hallo Michael Ruttor,

    vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich komme erst heute zu einer Antwort. Zunächst ein Kommentar. In der Übersetzung meiner Frage habe ich nicht mehr extra den Aspekt der Forschung und Lehrer hervorgehoben.

    Sie haben mit Ihrem Vergleich Physik und Chemie sicher ein naheliegendes Problem aufgegriffen. Ein Problem, das ich speziell bei der Physiologie aber sehe, ist dass insbesondere die Lehre eingebunden ist in entweder das Medizinstudium oder in die Biologie. Die Forschung folgt meist. Ist das Sinnvoll? Wie wäre es, wenn es einen Masterstudiengang Physiologie gäbe? Was würde sich in Forschung und Lehre ändern?

  3. @dahlhem: eher eine praktische Frage?

    wie angedeutet denke ich, dass die Differenzierung in versch. Institute und zugehörige Studiengänge zu grossen Teil praktisch-historisch bedingt ist.

    Physiologie als eigene Disziplin macht Sinn, aber wie wären die Berufschancen mit so einem Master? Doch eher unspezifisch wie es typisch für Strukturwissenschaften ist. Zwangsläufig müsste sich der Physiologe spezialisieren und landet dann sowieso in der Medizin oder Biowissenschaften. Der Physiker hat hier den Vorteil sich auf Objekte kleiner als Zellen und Optimierung von Messmethoden zurückziehen zu können. Physiologie würde in seinem Wirkfeld von allen Seiten, Physik, Biologie, Medizin, Genetik “bedroht”. Institute für Physiologie sind auch eher selten, hab noch von keinem gelesen zumindest, weil sich ihre Untersuchungsobjekte mit denen anderer Institute überschneiden würden – redundante Kosten. Man braucht Patienten aus Kliniken oder teure NMR Apparturen aus der Biophysik. Ich seh nicht den eigenständigen praktischen Bereich neben dem theoretischen, den sich die Physiologie sichern könnte, sie ist zu vernetzt und interdisziplinär und wurde sozusagen ausselektiert aus der Institusperspektive.

    Sie wissen ja selber, dass es schon schwer genug ist Leute für Physik zu motivieren. Die Studienabbruchquoten sind hoch. Die Arbeitsfelder für einen Physiologen sind noch “schwammiger”. Der Physiker kann immer zurück in die Physik wenn seine Spezialisierung nicht mehr gefragt ist wie momentan z.B. sehr stark in den Neurowissenschaften für math. Modellierung. Ein Physiologe müsste evtl. mit allg. Wissen aus Mathematik, Physik, Chemie, Biologie zwangsläufig promovieren und spezialisieren um für Job in der Industrie interessant zu sein. Da werden aber nur die vorne stehen, die nicht in der Reihe zurückgetreten sind 😉

    Des Rätsels beste Lösung im Sinne ihrer verfolgten besseren Forschung wäre evtl. ein Physiologie Master der auf einen Physik Bachelor aufbaut oder Biochemie Bachelor mit Master in Physik. Aber auch hier gilt, gibt es reizvolle Fragen mit denen sich Studenten ködern lassen, die Phänomene der Physiologie liegen im Verborgenen und sind nicht so grundlegend und aus realen Leben wie Supraleitung oder Krankheitsbekämpfung, wo man die Früchte der eigenen Arbeit direkt gesellschaftlich und industriell wertgeschätzt sieht.

    Jetzt hab ich recht lang ausgeholt, weil ich mir selber nicht klar bin, ob Physiologie sich als eigenständige Disziplin legitimieren kann. Praktisch seh ich da momentan wenig Möglichkeiten aus genannten Gründen.

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