Diese Woche: Migräne warnt vor platzenden Bandscheiben

Mit einiger Berechnung wird auf Kosten von Menschen mit Migräne ein Konsens verlassen.

Diese Woche fielen mir zwei Texte auf: „Migräne verstehen und wirksam behandeln“ und „Stechender Schmerz und Übelkeit: Was bei Migräne hilft“. Beide Texte tauchten gleich mehrfach auf, auf Seiten wie z.B. von prestigecars.de, marbach-academy.de, apotheken-anzeiger.de usw.

Offensichtlich eine Werbeaktion. Und zwar für ein „staatlich anerkanntes Ausbildungsinstitu [sic], das ordnungsgemäß auf den Beruf Diplomierter Schmerztherapeut nach [Firmenname] vorbereitet.“ Auf deren Homepage kann man dann über „Migräne – und wie wir diese bei [Firmenakronym] verstehen,“ lesen, dass Migräne vor Verletzungen der Halswirbelsäule warnt, insbesondere, wenn „bei jeder Bewegung die Gefahr besteht, dass Bandscheiben platzen.

Die betreffenden Seiten zu verlinken oder auch den Namen des Ausbildungsinstituts zu nennen, scheint mir unangebracht. Man kann leicht die Seiten finden, wenn man nach den zitierten Textauszügen oben suchen würde. Dann käme man auf eine ordentlich aufgemachte Webseite, die u.a. mit Per Mertesacker Werbung macht.

Es handelt sich also nicht über eine völlig abstruse, hingeknallte Website, sondern um eine, die im Fall der Migräne eine medizinische Mindermeinung vertritt. Ich glaube, das geschieht mit einiger Berechnung auf Kosten von Menschen mit Migräne. Typisch ist dabei, dass die herrschende Meinung der medizinischen Wissenschaft einfach ignoriert wird. Man kann durchaus die symptombasierten Diagnosekriterien der Migräne als eine Konsensempfehlung ansehen und daher eine davon abweichende Meinung vertreten. Das sollte allerdings auch klar kommuniziert werden. Immerhin wird auf der besagten Website mit Überschriften wie „Unser Verständnis von Migräne“ und ähnlichen Formulierungen betont, dass eine persönliche Meinung publik gemacht wird.

Um es hier einmal deutlich zu sagen: Migräne ist idiopathisch. Dies ist Konsens – ein wirklich sehr sinnvoller Konsens, mehr allerdings auch nicht. Idiopathisch heißt zum einen, ihre Ursache(n) sind (noch) nicht fassbar. Es heißt auch – und das ist der weit wichtigere Punkt –, dass Migräne als eine primäre Kopfschmerzerkrankung gilt. Der Kopfschmerz ist nicht Symptom einer anderen Krankheit oder Verletzung. Ob der Kopfschmerz bei Migräne ein Warnsignal ist, und wenn ja wovor, bleibt deswegen bisher im Unklaren.

 

Das zweite Thema ist eins in eigener Sache: Es sieht leider so aus, dass die Crowfinanzierung von „Migräne Sichtbarmachen“ nicht mehr in Schwung kommt. Wir haben nur noch wenige Tage. Was es kostet, Texte auf Seiten zu platzieren wie die von prestigecars.de, marbach-academy.de und apotheken-anzeiger.de, weiß ich gar nicht. Mit Per Mertesacker zu werben, ist sicher nicht ganz billig.

In meine Webprojekte über Migräne habe ich persönlich über die letzten 15 Jahre einen hohen vierstelligen Eurobetrag privat investiert. Nicht für Werbung sondern meist für Hosting, Design und Programmierarbeiten. Das geschah allein aus Forschungsinteresse am Thema. Ich selber bin nicht an Migräne erkrankt.

Einige Gedanken warum nun eine Crowdfinanzierung, die mich persönlich entlastet, wahrscheinlich scheitert, habe ich hier aufgeschrieben. Gerade das Beispiel oben zeigt, das Wissenschaftskommunikation im Bereich Medizin eine wichtige Aufgabe erfüllen kann.

Auch wenn es sicherlich (leider) viele Projekte gibt, die es letztlich nicht schaffen, sich via Crowdfuding zu finanzieren, vermute ich doch, dass es diesmal auch am konkreten Thema liegt. Als “Betroffene” weiß ich zwar zu schätzen, dass niemand mehr einen Migräne-Anfall anzweifelt oder belächelt. Aber wie stark Migräne das eigene Leben beeinträchtigen kann, wissen eigentlich nur die Betroffenen und die ihnen Nahestehenden. Vermutlich muss hier allgemein noch sehr viel mehr Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit geleistet werden. Dieses Projekt hier habe ich als Schritt in diese Richtung gesehen und hoffe also immer noch, dass es klappt. Viel Erfolg!

(Kommentar auf Sciencestarter vom 9. Mai 2015)

scilogsSciencestarter

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

1 Kommentar

  1. „Migräne verstehen und wirksam behandeln“

    Vielleicht etwas OT:
    Ich nehme 100 mg Tryptophan tägl. und habe seitdem keine Migräne mehr.

    Vom Neurologen bekam ich diese Empfehlung allerdings nicht.

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