Civitas Berlin: Vom Neuron zum denkenden Tier

BLOG: Graue Substanz

Migräne aus der technischen Forschungsperspektive von Gehirnstimulatoren zu mobilen Gesundheitsdiensten.
Graue Substanz

Berichte aus der Berliner Neurowissenschaft von Gestern bis Heute finden sich von nun ab und an in meinem Blog. Ich fange an mit denkenden (Alpha)Tieren. 

"In die Geschichte der Wissenschaft hat Berlin in den letzten Jahrhunderten und bis in die jüngsten Tage hinein unauslöschliche Spuren eingetragen."
So las ich gestern Abend im Umschlag meines gerade in einem Antiquariat am Gendarmenmarkt neu erworben Buches "Wissenschaft in Berlin" (Dietz, 1987). Ich war etwas zu früh dran und wartete auf den Beginn einer Veranstaltung der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. Da sah ich das Buch, kaufte es spontan, schmökerte und die Idee, Berichte aus der Berliner Neurowissenschaft von Gestern bis Heute zu schreiben, war geboren.

Die Idee lag nah, da ich mir vornahm von dem "FORUM: Evolution der Kognition. Denkende Tiere", auf dessen Beginn ich wartete, zu berichten. Bisher habe ich ausschließlich über meine eigene Forschung geschrieben. Warum nicht aktuelles und zusätzlich kurze historische Rekonstruktionen der Neurowissenschaft im 19. Jahrhundert einbinden? Aus dieser Zeit hinterließ Berlin mit Johannes Müller,  Emil du Bois-Reymond und Hermann von Helmholtz (und natürlich noch vielen mehr) Spuren, die mir heute gar nicht so unauslöschlich erscheinen. Diesen Spuren muss nachgegangen werden, um sie zu vertiefen. Ich denke insbesondere an die vielen Vertreter der Berliner Schule, die die Physiologie als eine organische Physik, also als mathematische Naturwissenschaft betreiben wollten. 

Das 19. Jahrhundert war in einer Weise interdisziplinär, die heute gar nicht mehr vorstellbar ist. Heinrich Wilhelm Waldeyer zum Beispiel, Direktor der Friedrich-Wilhelms-Universität, der heutigen Humboldt-Universität zu Berlin, der den Begriff Neuron geprägt hat, war Anatom. Das überrascht zunächst nicht. An der Universität Göttingen hat er aber zunächst Mathematik und Naturwissenschaften studiert bevor er zur Medizin wechselte. Alles andere als ein untypischer Lebensweg damals. Mit der Expansion an Wissen driften die Disziplinen seitdem auseinander. Die Kommunikation untereinander ist rotverschoben, so scheint es mir. SciLog kann versuchen zu übersetzen.

Damit ist auch gleich mein Themenumfeld eingegrenzt: Mathematik, Physik und Physiologie natürlich nur wenn alles zusammengehört, ob gestern oder heute.

Denkende (Alpha)Tiere.

Sie merken schon, es lohnt kaum, eigentlich gar nicht, vom "FORUM: Evolution der Kognition. Denkende Tiere" zu berichten. Die Vortragenden, das waren Gerhard Roth, Michael J. Kuba, Randolf Menzel und Onur Güntürkün, versprachen einen unterhaltsamen und spannenden Abend. Jedoch wurde ich enttäuscht. Zumindest spannend wurde es nie. Das lag wahrscheinlich weniger an den einzelnen Vortragenden selbst. Das Thema "Denkende Tiere" war für Unterhaltung zwar gut aber zum kontroversen Diskurs reichte es nicht mehr. Zu einig waren sich alle.

Die Vorträge des Abends wurden als Filme ins Internet gestellt. Sie können sich eine eigene Meinung bilden.

Mein neues Buch jedenfalls hat alle meine Erwartungen erfüllt.

Ach ja, und wenn Sie einen etwas umfassenderen Ausblick zum Thema Intelligenz wollen, den gab es im Spektrum der Wissenschaft Spezial Intelligenz schon 1999. Das Heft kann auch noch bestellt werden. Hier gehts zum Inhaltsverzeichnis.

Titelbild des unverändertern Nachdrucks, vom 28. November 2003

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Markus Dahlem forscht seit über 20 Jahren über Migräne, hat Gastpositionen an der HU Berlin und am Massachusetts General Hospital. Außerdem ist er Geschäftsführer und Mitgründer des Berliner eHealth-Startup Newsenselab, das die Migräne- und Kopfschmerz-App M-sense entwickelt.

3 Kommentare

  1. @ denkende Tiere

    Ich hab’ mir Onurs Vortrag angehört, danke für’s link.

    Onur Güntürkün, der “König des Umlauts”. Er wird es mir nicht übel nehmen, ich kenn’ ihn aus alten Tagen in San Diego. Anders als ich hat er es zu etwas gebracht, und er hat es verdient. Er ist übrigens wirklich so ein netter Kerl, wie er zu sein scheint.

    Was Onur da über die Hirnanatomie vortrug, war mir zum Glück alles nicht neu. Und ich bin sogar ein wenig stolz darauf, zu der Geschichte, die er da über das Pallium erzählte, forscherisch ein wenig beigetragen zu haben. Bei Fischen und Amphibien freilich, nicht bei Vögeln.

    Den Auftakt und den Schluss seines Vortrages fand ich aber schon bemerkenswert. Aus zwei Gründen.

    Erstens, weil er explizite statuierte, dass wir jenseists der Aussage “viel Hirn macht schlau” KEINE Ahnung davon haben, was die Beziehungen des Baus des Substrates (der Anatomie Gehirns) zum emergenten Phänomen (der Intelligenz) sind. Im direkten Vergleich der Anatomie der Hirne von Vögeln und Säugetieren (ich kenne beider Hirne ganz gut) würde _ich_ versuchsweise von “multipler Instantiierbarkeit” reden wollen. Es geht so – aber auch so, nur die Masse muss passen.

    Was mir ein wenig sauer aufstiess, war die selbstverständliche Ineinssetzung – ich sollte besser sagen: die Kommensurabilitätsbehauptung – der “kognitiven Leistungen” verschiedener Wesen. Schon “Leistung” find’ ich bedenklich, als ob man Kognition auf Skalen messen könnte. Aber eben das muss man ja, um sie der naturwissenschaftlichen Untersuchung zugänglich zu machen. IQ in Prozenten, Objektkonstanz ja/nein, kausale Verknüpfung ja/nein, etc. Aus der Vergleichbarkeit der “messbaren Aussenansicht” wird geschlossen, dass der innere Vorgang schon derselbe sein wird.

    Das alte “Qualia”-Problem. Ich weiss nicht, wie es sich anfühlt, ein anderer zu sein. Dass andere Menschen sich in ihrer Haut so ähnlich fühlen, wie ich mich in meiner, das zu glauben hab’ ich zwei Gründe. Sie haben “messbare Aussenansichten”, die den meinen ähneln, und sie haben ein Hirn, das dem meinen ähnlich ist.

    Vögel, da hat Onur recht, haben “messbare Aussenansichten”, die denen der Säuger ähneln. Aber ihre Hirne sehen ganz anders aus. Ob da dieselben “Qualia” drinne sind?

    Der Vogel fliegt mit Flügeln. Ich mit dem Flugzeug. Wir fliegen beide. Aber ich bin mir zienmlich sicher, dass es sich sehr verschieden anfühlt. Fliegen können wie ein Vogel vs. eingepfercht in der Touristenklasse.

    Schon ein essentieller Unterschied.

  2. Bemerkenswertes

    Hallo Helmut,

    jeder einzelne Beitrag lohnt sich durchaus zu gucken und Du findest “bemerkenswertes”. Ich stimme Dir zu. Auch in Deinem konkreten Beispiel.

    Nur als Konzept einer Abendveranstaltung war es mir, wie ich ja schrieb, zu wenig kontrovers.

    Vielleicht hätten die Veranstalter einen der Kritiker, von denen ja die Rede war, einladen sollen, vielleicht wollten sie es aber auch nur gemütlich.

    “Multiplen Instantiierbarkeit”, also die mehrfache Realisierungsmöglichkeit von Symbolen musste ich googlen. Mir scheint es kommt ein Gewitter auf. Aber das warten wir mal besser ab.

    Ich habe statt dessen nun noch Bilder eingefügt.

    Viele Grüße
    Markus

  3. Filme

    Vielen Dank, Markus A. Dahlem, ich fand die Filme sehenswert, und für Kontroversen war kein Anlass, jeder Fachmann hatte sein Thema gut präsentiert.

    S.R.

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