Wikileaks-Nachbeben in der deutschen Industrie

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Unlängst habe ich bereits über ein Rauschen im Blätterwald berichtet, verursacht durch Meldungen, Deutschland entwickle angeblich ein System geheimer Spionagesatelliten. Ein Thema, auf das sich natürlich viele Blogger und Journalisten gestürzt haben, leider nicht immer unter Wahrung der gebotenen Sorgfaltspflicht bei der Recherche.

In diesem Trara ging eine weitere Meldung etwas unter. In einer auf der Webseite der norwegischen Zeitung Aftenposten veröffentlichten US-Depesche vom 20.11.2009, die aus Wikileaks-Quellen stammen sollen, wird der damaligen Manager eines deutschen Technologie- und Raumfahrtunternehmens von einer nicht namentlich genannten Person in der deutschen US-Botschaft mit drastischen Äußerungen zitiert. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass ein erfahrener Manager sich so undifferenziert geäußert haben soll. Mir kommt das vor wie eine Hasstirade:

THE “FRENCHIES” STEAL MORE IPR FROM GERMANY THAN CHINA/RUSSIA

8. (C) Smutny said his primary reason for leaving Tesat-SpaceCom was that he was sick of developing world class German-origin satellite technology only to have the “Frenchies” swoop in via their influence in EADS and siphon German intellectual property. Smutny frankly said “France is the evil empire stealing technology and Germany knows this”, but Germany´s decentralized government is not willing to do much about it. Going on at length of his despise of the French, Smutny said French IPR espionage is so bad that the total damage done to the German economy is greater the that inflicted by China or Russia.

Besagter Manager wird aber noch in einer weiteren Depesche vom 22.10.2009 zitiert, die sich auf der Webseite von Aftenposten einsehen lässt:

1. (C) SUMMARY: Berry Smutny, the CEO of Germanys top satellite manufacturer, OHB-System, called the EUs Galileo global navigation satellite system (GNSS) “a waste of EU tax payers money championed by French interests.” […]

3. (C) Smutny stated frankly, “I think Galileo is a stupid idea that primarily serves French interests” given that GPS already supplies all of Europes position, navigation and timing (PNT) needs. He claimed the EU desire to develop a redundant but alternative to GPS was spearheaded by the French after an incident during the Kosovo Conflict when the US military “manipulated” GPS to support military operations (NFI). Since this time, he said France has aggressively corralled EU support to invest in Galileo development — something Smutny said France wants to ensure their missile guidance systems are free of any GPS reliance. Smutny added, the irony for German investment in Galileo is that some of Frances nuclear missiles are aimed at Berlin.

Hm. Gerade letzteres Statement weckt aber Zweifel an der generellen Informiertheit der zitierten Aussagen. Wenn strategische Nuklearraketen auf ein bestimmtes Ziel ausgerichtet sind, dann müssen sie schon fest installiert sein, auf einer Landbasis. Sonst macht die Aussage keinen Sinn – in einem informierten Kontext, meine ich. Auf bloßem Stammtischniveau wäre das etwas Anderes.

Es ist zwar so, dass es eine Landbasis gab, auf der französische Nuklearraketen stationiert waren. Dies war das Plateau d’Albion. Die dort stationierten Pluton- und Hadès-Raketen mit ihren nuklearen Sprengköpfen hätten in der Tat aufgrund ihrer kurzen Reichweite nur Deutschland erreicht. Allerdings wurde die Basis auf dem Plateau d’Albion bereits 1999, also 10 Jahre vor dem Datum der Depesche, in dem die betreffende Aussage zitiert wird, permanent geschlossen. Frankreich besitzt keine Landbasis für Nuklearwaffen mehr, sondern setzt als Waffenträger U-Boote und Flugzeuge ein. Bei einem mobilen Waffenträger ist allerdings eine Aussage wie “Die Raketen sind da- und dorthin gezielt” sinnlos.

Der mit diesen Worten zitierte Manager bestreitet zwar laut Mitteilungen an anderer Stelle, solche Aussagen gemacht zu haben. Jedoch hat sein Unternehmen ihn heute von seiner Funktion suspendiert, und zwar, wie die dazugehörige Pressemitteilung des Unternehmens OHB-System AG vom 17.1.2011 sagt, mit sofortiger Wirkung und mit direktem und namentlichen Bezug auf die Zitate in den Depeschen, die in den Berichten der Zeitung Aftenposten wiedergegeben werden.  

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

5 Kommentare

  1. Hasstirade

    “Hasstirade” würde ich das nicht nennen. Es gibt in etwa das wieder, was unter deutschen (oder in Deutschland beschäftigten) Raumfahrt-Managern auf Geschäftsreisen abends an der Bar nach dem zweiten Bier und dem dritten Whisky kolportiert wird. Es mag sachlich nicht vollständig richtig sein, aber es gibt die Gefühls- und Beobachtungslage wieder. Fakt ist, Frankreich beherrscht das Thema Raumfahrt in Europa. In Wirtschaft und Politik und hier mit all den Schwächen, die Politik immer hat. Und das tut es nicht zu Unrecht, denn Frankreich zahlt auch in Europa am Meisten für Raumfahrt.

    Die großen europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen sind französisch dominiert, weil das Interesse an einer starken Luft- und Raumfahrtindustrie dort von anfang an, seit den frühen sechziger Jahren, wesentlich stärker war als in Deutschland, Italien, Großbritannien oder Spanien.

    Dass Deutschland sich zusätzlich in hohem Maße ungeschickt verhält, und sich an dem (über die ESA ohne weiteres möglichen) Technologietransfer nicht oder nur zaghaft beteiligt ist nicht Schuld der Franzosen. Deutschlands ESA-Manager gerieren sich hier häufig als die Super-Europäer, die auf keinen Fall den Eindruck erwecken wollen, Deutschland Vorteile innerhalb der Agentur verschaffen zu wollen. Und sie sind in der Regel Einzelkämpfer. Fraktionsbildung, wie bei allen anderen Nationen, sieht man kaum. Derlei “Probleme” sind Franzosen, Italienern oder Engländern fremd.

    Smutny hätte sich geschickter oder diplomatischer ausdrücken müssen und Teil 2 der Zitate erscheint mir zumindest suspekt, nachdem doch OHB kräftig von einem eigenständigen europäischen Satellitennavigationssystem profitiert.

    Tendenziell haben wir hier aber wieder ein Beispiel dafür, was Managern oder Politiker widerfährt wenn sie Klartext reden. Genau das ist der Grund, warum wir meistens belogen werden.

  2. @Astra: Klartext ist OK, aber …

    Erstens muss man festhalten, dass der betreffende Herr die Aussagen, mit denen er in Bezug auf Galileo zitiert wird, weit von sich weist, laut Medienberichten sogar per eidesstattlicher Erklärung.

    Nun wissen wir ja alle, dass Medienberichte nicht immer und grundsätzlich die reine und lautere Wahrheit darstellen. Nehmen wir mal an, dass das Dementi wirklich stattgefunden hat.

    Dann haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder wurde ihm in den Depeschen zu Unrecht etwas untergeschoben. Dann finde ich aber auch die anderen Depeschen suspekt. Oder aber, das Dementi ist unwahr. Dann weiß ich nicht, warum man seine anderen Aussagen Ernst nehmen soll.

    Was nun die Aussagen selbst angeht, so wie sie hier zitiert sind, und das “Klartextreden”, so sollte man, finde ich, fein differenzieren.

    Was du in deinem Kommentar zu Situation in Frankreich und Deutschland geschrieben hast, ist in Form und Inhalt fundamental anders als die Aussagen, mit denen Herr Smutny zitiert wird.

    Frankreich fördert seine High-Tech-Industrie (nicht nur die Raumfahrt) traditionell offensiv und großzügig. Deutschland ist da wesentlich zurückhaltender. Das findet durchaus seinen Niederschlag. Daraus kann man aber doch Frankreich keinen Vorwurf machen. Wieso liegt das an denen, wenn unsere Politik die falschen Prioritäten setzt? Was soll dieser in der US-Depesche zitierte Unsinn mit dem angeblichen Schaden für die deutsche Gesamtwirtschaft? Woher würde einer wie der zitierte Herr das wissen wollen, der sein Berufsleben in einem eng umschriebenen Branchenumfeld zugebracht hat?

    Vor allem muss, wer Klartext redet und Schwachpunkte benennt, das rechte Maß wahren. Im Fall der zitierten Aussagen, falls sie wirklich so gefallen sind, sind Ausdrucksweise und absurde Anschuldigungen nicht dazu geeignet, sie glaubwürdig erscheinen zu lassen.

    Gerade beim Klartext-Reden sollte man aufpassen, dass man nicht weit über das Ziel hinausschießt.

    Übrigens, zum Thema “Hasstirade”. Doch, was in der Depesche steht, passt schon zu diesem Begriff, u.a.: going on at length about his despise of the French. Was soll so etwas?

    Mag sein, dass Manager sich so ausdrücken, zumindest solche, die keinen Alkohol vertragen. Ich bin selbst kein Manager. Ingenieure haben zu anderen Ingenieuren, egal welcher Nationalität, meist ein gutes Verhältnis und zu Managern, ebenfalls egal welcher Nationalität, ein weniger gutes. Ich kann mich aber nur an einen einzigen Fall erinnern, wo ein (in der Tat stark alkoholisierter) Manager, in diesem Fall ein Franzose, ganz schwer vom Leder zog. Den anwesenden Ingenieuren, auch den französischen, war es allerdings eher peinlich, diese Art von “Klartext” zu hören. Dem betreffenden Manager am nächsten Morgen auch. Da redeten nämlich seine Leute mit ihm Klartext, und der Klartext gefiel ihm gar nicht.

  3. Klartext

    Ich mach Frankreich auch nicht den mindesten Vorwurf. Ganz im Gegenteil, wenn die den Karren in Europa nicht ziehen würden, dann wären wir raumfahrttechnisch irgendwo auf der Höhe von Südkorea oder Malaysia. Die Franzosen nutzen lediglich die existierenden Möglichkeiten und recht haben sie. Der Schaden für die Deutsche Gesamtwirtschaft besteht in den verpassten Möglichkeiten. Er ist somit fiktiv und wie will man das bewerten? Was aus Smutnys angeblichen Äußerungen spricht, vermute ich jetzt mal, ist eher der Frust über die Unterstützung und Möglichkeiten dort, und die Unmöglichkeiten und die Interesselosigkeit hier. Ich selbst hab hier schon so manche ehemals deutsche Kernkompetenz nach Frankreich abwandern und sich hier in Rauch auflösen sehen. Und das frustet durchaus nicht nur die Manager. Was bleibt, ist in nüchternem Zustand die alte bayrische Erkenntnis: “Wer zahlt, schafft an”. Und vor dem Tresen, wenn die Umgebung schon ein wenig zu kreisen beginnt, zeigt halt die Pluton, wie einst, immer noch nach Berlin.

  4. @Astra: Zustimmung

    Ich stimme deinen Ausführungen vollkommen zu. Wenn so etwas in den Depeschen gestanden hätte, würde ich da auch zustimmen. Was da aber steht, ist dem diametral entgegengesetzt.

    Ich habe jetzt zum wiederholten Male gesehen, dass im Raumfahrtbereich auf europäischer Ebene, aber unter Führung einzelner Nationen, mal Italien, mal Frankreich, Dinge auf den Weg gebracht werden.

    Die Deutschen sind desinteressiert und halten sich zurück oder ganz raus, bis der Kuchen der Arbeitsteilung verteilt ist. Dann, Jahre nach Beginn des Planungen, fällt den Deutschen auf einmal ein, dass sie doch mitmachen und ein Stück vom Kuchen abhaben wollen.

    Ergebnis ist ein Kompromiss, der keinen zufriedenstellt und für Deutschland letztendlich auch nicht ausreichend ist, und Unruhe im Projekt, in der Folge Verzögerungen und Kostensteigerungen. Also im Prinzip eine Lose-Lose-Situation für den Steuerzahler, aber auch für die Industrie.

    Wie schaden uns ganz gut selbst, ohne fremde Hilfe. Das Ausland anzugiften, nur weil die das besser im Griff haben, wäre da wenig passend. Wenn die in den Depeschen zitierten Aussagen wirklich so gefallen sein sollten, fehlt mir dafür das Verständnis.

    Nebenbei bemerkt ist die Außenhandelsbilanz zwischen und Deutschland und Frankreich, wenn ich mich recht erinnere, seit über 40 Jahren positiv. Der angebliche Schaden für die deutsche Wirtschaft scheint also keinesfalls die Konkurrenzfähigkeit Frankreichs zu stärken.

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