Wiedereintritt für Dummies
BLOG: Go for Launch
Raumfahrt aus der Froschperspektive
Jeder kennt das Bild vom Raumschiff, das zu flach in die Atmosphäre eintritt und deswegen von ihr abprallt wie ein flacher Stein, der über die Wasseroberfläche eines Teichs hüpft. Aber würde so etwas in Wirklichkeit passieren? Als Beitrag zur Öffentlichkeitsarbeit für die bevorstehende Mission des ESA-Wiedereintrittsdemonstrators “IXV” (Vorgesehener Starttermin: 11.2.2015) befasse ich mich in einem Gast-Artikel im Rocket Science Blog der ESA mit dieser Frage. Meine Antwort: Nicht wirklich … aber die Realität ist deswegen nicht weniger dramatisch!
Streift man die Atmosphäre nur (flacher Eintrittswinkel), wird der Eintrittskörper also einfach abgebremst (und kaum abgelenkt), was man für das Bremsen eines Sattelliten ausnutzen kann, der von der Erde zum Mars oder zur Venus geflogen ist. Dies nennt man dann Aerobraking. Aerobraking spart Treibstoff.
Aerobraking ist, wenn man schon in einem hochexzentrischen Orbit ist und dann aus diesem orbit heraus das Perizentrum etwas absenkt, sodass die Atmosphäre angestippt wird, und das dann einige Hundert Mal nacheinander macht. Das dauert einige Monate, aber man kann die Bahn dadurch kräftig absenken und braucht sehr viel weniger Treibstoff, als wenn das Absenken komplett durch Triebwerksmanöver durchgeführt worden wäre.
Wenn man aber aus dem hyperbolischen Anflug heraus, also ohne bereits in einer gebundenen Bahn um den Planeten zu sein, in die Atmosphäre eintaucht, und dabei genügend Energie durch Reibung los wird, um aus einer hyperbolischen in eine elliptische Bahn überzugehen, dann nennt man das Aerocapture.
Aerobraking ist einfach, Aerocapture schwierig.
Zitat Wikipedia: “Aerocapture has not yet been tried on a planetary mission” Und dabei könnte die Nutzlast von Missionen zu den Planeten um 79% (Venus), um 280% (Titan) oder gar um 820% (Neptun) erhöht werden, wenn Aerocapture eingesetzt würde.
Doch besser weniger Nutzlast, als eine gescheiterte Mission werden wohl die Planer solcher Missionen denken und damit Aerocapture als Treibstoffsparmethode verwerfen.
Vorschlag: Missionen ohne Nutzlast, nur zum Zweck des Testen von Aerocapture-Manövern, planen. Darauf aufbauend dann auch wissenschaftliche Missionen mit Aerocapture durchführen. Die Venus wäre doch ein guter Kandidat für Aerocapture-Tests. Noch einfacher wären Aerocapture-Tests beim Mondrückflug – allerdings wohl auch weniger aussagekräftig.
Aerocapture bingt mehr Nutzmasse ins Orbit, kein Zweifel. Wie viel Nutzmasse, das ist nicht ganz einfach abzuschätzen, weil man zwar Treibstoff spart, aber dafür Vorrichtungen für das Aerocapture einbauen muss, die auch Masse kosten. “Ballutes”, wie unlängst hier diskutiert, oder vielleicht auch Hitzeschilde, die ein Orbiter sonst gar nicht brauchen würde. Die hierfür aufzuwendende Masse kann man nicht genau beziffern, aber sie ist auf jeden Fall nicht ganz niedrig. Aber dennoch, eine Einsparung erheblichen Umfangs sollte grundsätzlich möglich sein.
Die Schwierigkeit mit dem Aerocapture liegt an zwei Stellen:
1.) Wie genau kann beim Anflug navigiert werden?
2.) Wie genau sind die atmosphärischen Eigenschaften bekannt?
Eine Demonstratormission in der Erdatmosphäre wäre in der Tat nicht besonders aussagekräftig, weil man die Bahn eines anfliegenden Raunfahrzeugs extrem genau bestimmen kann und zudem die atmosphärischen Eigenschaften in der Atmosphäre sehr genau bekannt sein werden, zumindest für die Schichten, auf die es hier ankommt. Aber das lässt sich beispielsweise auf den Mars so nicht übertragen.
Hilfreich wäre es, wenn die Bahnbestimmung beim Anflug durch Bodenstationen auf der Marsoberfläche oder auf Phobos und Deimos unterstützt werden könnte.
Wie wäre es mit: Plasma Aerocapture and Entry System for Manned Missions and Planetary Deep Space Orbiters
Prinzip: Es werden magnetische Kräfe ausgeübt auf die Ionen, die beim Eintritt in eine Atmosphäre entstehen. Damit kann eine starke Bremswirkung erreicht werden trotz geringer Masse der Aeroshell.
zur Ergänzung: Magnetoshells können als dynamische Plasmafallschirme aufgefasst werden. Ihre Bremswirkung kann elektronisch in Echtzeit kontrolliert – vergrössert, verkleinert – werden. Es braucht dazu keine Supraleitung, das Gesamtsystem ist vielmehr leichtgewichtig.
Wie funktioniert die Magnetoshell: Es überträgt Ladung vom Plasma, welches sich in Nähe der Aeroshell befindet auf die kollidierenden Luftmassen. Dies erzeugt die Bremswirkung. Die Aeroshell erzeugt ein 500 Gauss-Magnetfeld und befindet sich an einer Leine 50 Meter entfernt vom Raumfahrzeug, welches durch den Atmosphärenkontakt gebremst werden soll.
Man sollte nicht durch Gebrauch des Indikativs statt des Konjunktivs den Eindruck erwecken, dieses Verfahrens sei bereits über die Phase der bloßen Konzeptstudie hinaus gediehen oder seine praktische Einsatzfähigkeit gar schon belegt.
Sieht doch schön aus so ein Plasmafallschirm (hier beim Eintritt in die Marsatmosphäre): Die violette Plasmawolke auf dem Bild wird über das 500 Gauss-Magnetfeld erzeugt und fungiert als Bremsschleppe.