Warum explodieren Asteroiden?

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Wenn ich mich über eines in den letzten Tagen nicht beklagen kann, dann über einen Mangel an Medienanfragen. Ich kann deswegen die Berichterstattung von zwei Warten aus beurteilen, einmal als Medienkonsument, so wir jeder andere von uns, aber auch als jemand, der direkt mit Journalisten zu tun hat und dabei mitbekommt, welche Sachverhalte besonders unklar sind. Es ist grundsätzlich so, dass fundamentale Dinge aus den Themenkomplexen Astronomie, Bahnmechanik, Kleinplaneten, Boliden oder Meteoriten weithin unbekannt sind. Darauf will ich hier gar nicht im Detail eingehen, sonst endet das hier wieder als Lamento.

Bei einigen Punkten ist es aber auch so, dass Dinge schlicht deswegen nicht verstanden wurden, weil sie sich unter physikalischen Rahmenbedingungen abspielen, die mit den bekannten Umgebungsbedingungen nichts zu tun haben und sogar der Anschauung zu widersprechen scheinen. Da erntet man dann nur noch ungläubige Blicke. Steine verdampfen? Luft brennt? Es ist wirklich so – die Energiedichte beim Eintritt eines Asteroiden ist dergestalt, dass ganz andere Dinge ablaufen, als die, die wir so kennen und deswegen für universell und unverrückbar halten.

Zunächst einmal zwei Punkte, deren Formulierung schlicht falsch ist, wodurch unnötig falsche Assoziationen hervorgerufen werden.

  • Der “Einschlag”: Es geht hier nicht um einen Einschlag, sondern um einen Luftzerplatzer. Der Großteil oder sogar die Gesamtheit der Schäden und Verletzungen wurde nicht durch einen Einschlag auf den Erdboden, sondern durch die Druckwelle des massiven Überschalllknalls und der Explosion (in noch genau zu beziffernder, aber ganz offenkundig beträchtlicher Höhe) verursacht
  • Der “Kondensstreifen”: Die dicke, wabernde Spur, die der Bolide auf allen Filmaufnahmen und Fotos an den Himmel zeichnete, war kein Kondensstreifen. Ein Kondensstreifen ist einfach eine kleine Wolke, die entweder entsteht, wenn Wasserdampf in sehr kalte Luft entlassen wird, sodass er auskondensiert, oder wenn bei hoher Luftfeuchtigkeit lokal der Druck reduziert wird. Ein Flugzeug im Reiseflug entlässt aus seinen Treibwerken Wasserdampf und Kohlendioxid, die bei der Verbrennungsreaktion von Kohlenwasserstoffen mit Sauerstoff entstehen. Bei einem Boliden mag auch Wasser verdampfen, das aber würde wahrscheinlich aufgrund der hohen Temperaturen dissoziieren. Die Spur im Himmel ist schlicht Rauch, weil der Asteroid massenhaft Material verliert, das nicht komplett zu Plasma und Gas wird, sondern zum Teil auch noch als Staub vorliegt oder wieder aus dem Gas ausfällt. Das ist keinesfalls ein Alleinstellungsmerkmal des Tscheljabinsk-Objekts, im Gegenteil, wer je einen Sternschnuppenschauer beobachtet hat, weiß, dass auch größere Meteore durchaus eine Rauchspur erzeugen. Die verflüchtigt sich da allerdings schnell, denn da hat man es ja nur mit Objekten von Kieselsteingröße zu tun.

Die Rauchspur ist auch schon das Stichwort zum eigentlichen Thema. Hierzu wurden mir die meisten ratlosen Fragen gestellt. Wo ist der Asteroid hin? Kann so ein großer Felsbrocken oder eine Ansammlung von Felsbrocken fast komplett verschwinden? Was ist da explodiert – brennbare Stoffe waren doch nicht dabei? Hat sich vielleicht schlagartig etwas im Inneren des Körpers erhitzt und ihn dann gesprengt wie einen Dampfkochtopf mit verstopftem Sicherheitsventil?

Die Rauchspur des Chelyabinsk-Biloden am 15.2.2013, Quelle: esa.int

Kann Gestein einfach verdampfen? Ja, es kann. Wenn ein Objekt mit 15 km/s oder mehr in die Atmosphäre eintritt (hier waren es sogar 18 km/s), dann ist das ein Mehrzehnfaches der Schallgeschwindigkeit. Man spricht da auch von Hyperschallbedingungen. Die Moleküle können nicht ausweichen, vor dem Objekt entsteht ein Kissen aus komprimiertem Gas von extrem hoher Temperatur, mehr als irgendein fester Werkstoff aushalten kann, auch Gestein nicht. Das Gas wird dort sofort zu Plasma, das, was doch quer zur Flugrichtung verdrängt wird, trägt einiges der thermischen Energie davon und bildet eine Leuchtspur hinter dem Objekt.

Ein Teil der Wärme geht aber, teils radiativ, teils konvektiv, auf die Oberfläche des Objekts über. Diese Wärmemenge reicht bei einem Meteor allemal aus, um ein Aufschmelzen oder einen Übergang in die Gasphase zu bewirken. Auch Gestein kann also durchaus vaporisiert werden, und Kohlenwasserstoffe oder gar Eis, das man in Asteroiden auch finden kann, sowieso. Es ist nur eine Frage der Temperatur. Das verdampfte oder wegschmelzende Material nimmt auch wieder einen Teil der Wärmeenergie mit – den Teil, der nicht bereits durch Wärmeleitung an das Innere des Objekts abgegeben wurde. Da der gesamte Prozess sich aufgrund der hohen Geschwindigkeit auf einer sehr kurzen Zeitskala abspielt, kann es durchaus sein, dass Wärmeleitung nur einen geringen Umfang erreicht, sodass sich große Temperaturdifferenzen und Wärmespannungen aufbauen. Wichtig ist aber, dass die Aufheizung grundsätzlich von außen nach innen erfolgt. Das Prinzip des Forttragens von Wärme durch Materialverlust wird auch bei von Menschen gemachten Raumsonden und -kapseln genutzt. Man spricht dort von ablativen Hitzeschilden.

Die Strömung direkt an der Oberfläche wird aufgrund der Dimensionen und Rauheit des Objekts schnell von laminar zu turbulent umschlagen. Der in die Atmosphäre eingetretene Asteroid wird nicht nur thermisch, sonden auch mechanisch stark belastet, durch den dynamischen Druck der Anströmung, durch thermische Spannungen, durch die ablative Abtragung, aber auch durch die turbulente Umströmung, die jedes hervorstehende Stück mit gewaltigen Hammerschlägen bearbeitet.

Da hängt es von der Homogenität und den Materialeigenschaften ab, ob der Körper intakt bleibt. Eisen-Nickel-Meteoriten schaffen das oft; sie gelangen, wenn auch außen angeschmolzen, bis zur Oberfläche, auch wenn sie nur klein sind. Die meisten Asteroiden sind aber weniger solide; sie bestehen aus einem Materialgemisch, sie haben Risse, Materialeinschlüsse und andere Sollbruchstellen, die der Belastung nachgeben. Zumal diese Belastung keinesweges konstant ist, sondern während des atmosphärischen Abstiegs rasant zunimmt. Grob gerechnet vervierfacht sich pro zehn Kilometer Höhenunterschied die Luftdichte und damit auch der dynamische Druck und die Bremswirkung. Die Luft ist bei 50 km schon etwa vier Mal so dicht wie bei 60 km, bei 40 km Höhe aber schon mehr als sechzehn Mal so dicht wie bei 60 km. Da wird es dann schnell eng für den Zusammenhalt des Materials.

Nun kommt es darauf an, wie groß die Trümmerteile sind. Die Oberfläche eines Körpers wächst mit dem Quadrat seines Durchmessers, sein Volumen und seine Masse aber mit der dritten Potenz. Das bedeutet im Umkehrschluss: Kleine Objekte haben proportional zu ihrer Masse eine viel größere Oberfläche, die der Strömung des glutheißen Plasmas ausgesetzt ist. Sie nehmen also sehr viel schneller Wärme auf und erreichen entsprechend schneller die Schmelz- oder Verdampfungstemperatur. Sie werden dabei auch massiv abgebremst. Gelingt es der Atmosphäre, ein eintretendes Objekt in genügend kleine Bruchstücke zu zerlegen – wobei diese Zerlegung meist explosiven Charakter hat, denn wenn eine Schwachstelle nachgibt, geben alle nach und die Risse pflanzen sich blitzschnell fort – dann ist die Reise beendet. Im Bruchteil einer Sekunde ist von dem zuvor noch weitgehend intakten Asteroiden nichts als eine Wolke aus Plasma, Gas, Rauch und Staub übrig geblieben. Nur einzelne kleine Trümmer, die das Inferno überstanden haben, regnen die letzten Kilometer zur Oberfläche hinunter.

Sie haben eben einige Minuten gebraucht, um die Beschreibung des Luftzerplatzens bis hierher zu lesen. Jetzt spielen Sie bitte in Gedanken diesen Vorgang nochmals im Schnellgang ab, sodass er nur maximal eine halbe Minute dauert, meist sogar nur wenige Sekunden. Das ist, was in Echtzeit passiert. Das sind Hyperschallbedingungen. Da geht alles ganz schnell.

Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt, wie es dann überhaupt noch sein kann, dass ein Asteroid es bis zur Erdoberfläche schafft. Aber das ist durchaus möglich. Ab 100 Metern Durchmesser kommen Objekte generell durch. Da spielt der Faktor Zeit hinein. Zwar gilt alles oben Gesagte für einen großen wie für einen kleinen Körper, bis auf einen Punkt – die Geschwindigkeit des Zerlegens. Wenn ein Objekt zwar in mehrere kleinere zerfällt, diese aber immer noch einige Dutzend Meter groß sind, oder wenn die abgetrennten Objekte von nur der äußeren Schicht entstammen und der Kern zunächst intakt bleibt, dann bleibt keine Zeit für die komplette Zerlegung, bevor der Erdboden erreicht ist.

Erst dann hat man einen Einschlag, und den wollen Sie nicht erleben. Glauben Sie mir.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

17 Kommentare

  1. Entscheidend ist woEnergieDeponiert wird

    30x Hiroshima war die Explosionsenergie des Tscheljabinskers Meteor. Dass die Schäden gemessen an dieser Energie relativ bescheiden waren ist wohl nur dem Explosionsort – hoch oben in 10 bis 15 km – und der Explosionsrichtung – ziemlich flach – zuzuschreiben.

    Nur alle 100 Jahre sei so ein Ereignis zu erwarten hört man jetzt von der Nasa und dass die Explosion zudem gerade über einer Stadt erfolge sei noch viel seltener.

    Das mag alles sein. Doch es wäre in meinen Augen dennoch ein lohnendes Projekt alle grösseren “Weltraum-Steine” zu katalogisieren, die sich zwischen Venus und Mars befinden. Es wird vielleicht mehr Anwendungen für ein solches Wissen geben als wir uns heute ausmalen.

    Eigentlich ein ideales Crowd-Funding-Projekt. Wenn nur 100 Millionen Interessierte je 10 Euro an ein Asteroidendetektionsprogramm zahlen würden wäre schon ein ordentlicher Batzen zusammen.

  2. @Martin Holzherr

    Die Schätzung von 500 Kilotonnen für die Explosionswucht wurden schon innerhalb der ersten 24 Stunden nach dem Airburst berechnet. Von russischen Wissenschaftlern hat man danach Schätzungen von 100-200 Kilotonnen gehört, was eigentlich die erste Schätzung in meinen Augen nur bestätigt. Bei einer solchen Sache nur um einen Faktor 3-5 daneben zu liegen und nicht um ganze Größenordnungen, das ist gar nicht schlecht.

    Die Schätzung, dass so etwas nur alle 100 Jahre passiert, halte ich dagegen für reichlich wacklig. Zumal bis zum letzten Freitag auch deutlich längere Zeiträume gehandelt wurden, von Hunderten is 1000 Jahren, je nachdem, wen man fragt.

    Wohldokumentiert sind zwei Ereignisse, 1908 und 2013. Weniger gut dokumentiert, aber immerhin so gut dokumentiert, dass man sie nicht einfach wegwischen kann, ist mindestens ein, wenn nicht zwei Ereignisse in den 1930ern. Das macht dann vielleicht schon 4 in etwas über 100 Jahren. Nun ist die Erde aber zu 70% von Ozeanen bedeckt und auch die Landmasse ist durchaus über weite Gebiete gar nicht besiedelt. Hinzu kommt das Problem der Berichterstattung, wie schon Jan Hattenbach unlängst anmerkte. Ein Airburst irgendwo in der Mongolei oder über Australien in den 20ern wäre vielleicht vollkommen unbemerkt geblieben.

    Die Datenlage ist dünn. Wir wissen nicht, wie viele Ereignisse es in den letzten Hundert Jahren gegeben hat. Und dann wissen wir auch nicht, wie repräsentativ die jetzigen Beobachtungen über größere Zeiträume hinweg sind. Vielleicht siend die letzten Hundert Jahre ein statistische Ausreißer. Vielleicht auch nicht.

    Mir macht eher Angst, wie wenig wir wissen, und das, obwohl unsere Zivilisation extrem angreifbar und verletzlich geworden ist.

  3. Rauch oder Kondensstreifen?

    Rauch oder Kondensstreifen?
    Das klingt zugegebenermaßen nach Haarspalterei, beiden liegen jedoch unterschiedliche Vorgänge zu Grunde. Da nichts verbrannt ist, was in mikroskopisch kleine Partikel – dem Rauch (näheres siehe bei Wikipedia) – ausfällt, scheint es sich eher um kondensiertes Material des Meteoriten zu handeln, welches durch die enorme Hitze (wegen des Staudrucks) von der Oberfläche des Meteoriten weggeschmolzen und verdampft wird (siehe Artikel). Es ist also ein Kondensstreifen, zwar nicht nur aus Wasser, sondern eben aus Meteoritenmaterial, eventuell auch mit Wasser(dampf).
    Zu dem Artikel http://www.spektrum.de/artikel/1184617 hatte ich einige Fragen gestellt, die Herr Robert Orso beantwortet hat. Entgegen meiner Vermutung, dass es sich um einen Überschallknall handelt, wie auch im obigen Artikel angegeben, ist er der Meinung, dass der Machsche Kegel nicht in die tieferen Luftschichten eindringt und deshalb nicht die Erdoberfläche erreicht. Was ist nun richtig? Meinungen helfen da nicht weiter; wer hat das mal berechnet? Die Lösung wird wohl sein, dass beides richtig ist: der Schallkegel aus großen Höhen erreicht nicht die Erdoberfläche, sehr wohl der aus den bodennahen unteren 10 km Höhe (wie bei Überschall Flugzeugen), falls der Meteorit soweit herunter gelangt, was natürlich von dessen Zusammensetzung und Größe abhängt.
    Beim Lesen des Artikels ist bei mir die Frage aufgetaucht, ob es keine elektrischen Erscheinungen, beispielsweise Blitze, gibt. Könnte die Ionisierung der Luft den Meteoriten nicht elektrisch aufladen? Bei der Entladung müssten Blitze und ein kräftiger Donnerschlag in Form eines Knalles (wie bei einem nahen Blitzeinschlag) entstehen. Auf obigem Foto sind links hellere Bereiche des „Kondensstreifens“ auszumachen. Oder ist das durch unterschiedlichen Einfall des Sonnenlichtes zu erklären?
    Karl-Otto Eschrich

  4. 6m loch im Eis

    Hallo Michael,
    Super Berichterstattung und toller ergaenzender Artikel. Aber nach all diesen Dingen die Du hier beschreibst scheint es mir doch relativ unglaubwuerdig dass im Tschebarkul-See jetzt ein 6m Loch gefunden wurde wo scheinbar dieser Meteorit oder ein Teil davon eingeschlagen sei. ( http://www.spiegel.de/…-fotostrecke-93297-6.html )

    Glaubst Du daran dass nach der riesigen Explosion, der Abbremsung der Restteilchen auf weit unter Schallgeschwindigkeit und der Streuung ein so grosses, klar umrandetes Loch im dicken Eis zustande kommen konnte?

  5. @Karl-Otto Eschrich

    Sie schrieben: “Beim Lesen des Artikels ist bei mir die Frage aufgetaucht, ob es keine elektrischen Erscheinungen, beispielsweise Blitze, gibt. Könnte die Ionisierung der Luft den Meteoriten nicht elektrisch aufladen? Bei der Entladung müssten Blitze und ein kräftiger Donnerschlag in Form eines Knalles (wie bei einem nahen Blitzeinschlag) entstehen.”

    Blitz und Donnerknall gab es offensichtlich. Letzte Woche wurden überall russische Blogs mit Videos verlinkt auf denen ein deutlicher Lichtblitz zu sehen ist und von einer lauten Explosion berichtet wird. Auch dradio.de veröffentlichte ein Bild des Lichtblitzes und dazu ein Interview mit Herrn Khan:
    http://www.dradio.de/…endungen/forschak/2012712/

  6. US-Space fehlt Geld für Warnsystem

    In einem Interview von Dot Earth mit dem früheren Astronauten Russel L. Schweickart, der ein Mitgründer von B612 ist, der Firma, die den SENTINEL-Infrarotsatelliten für die Asteroidendetektion einsetzen will, meint dieser, momentan sei es schwierig Geld für ein solches oder ein ähnliches Nasa-Projekt aufzutreiben. Vor allem wegen den US-Budgetschwierigkeiten. Zudem fehle der globale Geist und die Bereitschaft ein Projekt wie die systematische Erfassung von Asteroiden, das Erproben von Ablenkungsverfahren und das Organisieren für den Ernstfall in Angriff zu nehmen. Auf jeden Fall sieht er Schwierigkeiten nur schon die 450 Millionen für das privat finanzierte SENTINEL-Projekt zusammenzukratzen.

  7. Einige Antworten

    @Karl-Otto Eschrich:

    Zum Rauch: Es findet zwar keine Verbrennung statt, aber auch keine komplette Vaporisierung des Materials während der Ablation. So ein sauberer Prozess ist dieses gewaltsame Abschälen der der Anströmung ausgesetzten Oberfläche nicht. Es wird auch mit einem Auskondensieren von ursprünglich als Gas oder Plasma vorliegendem Asteroidenmaterial stattfinden, aber ich gehe davon aus, dass der Rauch bereits zu Staub zermahlenes Gestein enthält. Auf jeden Fall ist Ihr Einwurf durchaus wichtig. Vielleicht kann eine genaue Betrachtung hochaufgelösten Foto- und Filmmaterials zur Klärung beitragen. Bei einem Flugzeug bildet sich ja der Kondensstreifen nicht direkt am Triebwerksauslass, sondern erst eine gewisse Strecke dahinter – solange dauert es, bis der zunächst noch heiße Wasserdampf aus dem Abgas sich durch Durchmischung mit kalter Luft bis zur Kondensationstemperatur abgekühlt hat.

    Zum Geräusch: Im von Ihnen erwähnten Leserbrief von Robert Orso auf spektrum.de wird explizit auf die Phase des Eintritts bei Höhen von 50-80 km Bezug genommen. Dort ist die Luftdichte in der Tat sehr gering (siehe die von mir beschriebene Zunahme um etwa einen Faktor 4 alle 10 km), sodass auch der Schalldruck des Verdichtungsstoßes (d.h., der Überschallknall) am Boden nicht mehr die Hörschwelle erreicht. Das war ja auch hier so, aber der Eintritt konnte durch Infraschall immer noch gemessen werden. Während der letzten Sekunden seines Fluges war das Chelyabinsk-Objekt jedoch bereits viel tiefer, es wird von einem Zerlegen bei 15-25 km Höhe gesprochen. Dort ist aber die Luftdichte eine ganz andere. Zusammen mit der Größe und Geschwindigkeit des Objekts, das sich ja bis zum endgültigen Zerlegen fast ungebremst fortbewegte, also mit mehr als 50facher Schallgeschwindigkeit, würde ich davon ausgehen, dass ein sehr massiver Schalldruck des Überschallknalls den Erdboden erreichte.

    Von einer elektrischen Aufladung des Objekts ist mir nichts bekannt, solche würde ich auch nicht bei einem massiven Objekt vermuten, sondern bei Staub. Ob sich selbst da eine solche Aufladung innerhalb eines hochgradig leitfähigen Umgebungsmediums wie dem Plasma ausbilden kann, halte ich für sehr zweifelhaft. Mir ist zumindest nichts davon bekannt, dass elektrische Aufladung bei eintretenden Raumfahrzeugen ein Thema war.

    @Mona:

    Blitz und Donner als Folgen elektrischer Aufladung, von denen Herr Eschrich sprach, habe ich ganz sicher nirgends erwähnt.

    @Christian:

    Das mit dem Loch im Eis erscheint mir merkwürdig. Ich würde erwarten, dass ein Objekt, wenn es nicht einfach nur herunterfiel, also schon deutliche Unterschallgeschwindigkeit hatte, zusätzlich zum Durchshlagen der offenbar nicht sehr dicken Eiskruste eine starke Wellenbewegung unter dem Eis hervorruft und ein großflächiges Aufbrechen des Eises, nicht ein kreisrundes Loch. Wenn der Einschlag langsamer war, dann wúrde ich immer noch kein rundes Loch erwarten, sondern zumindest zerbrochene Eisplatten und strahlenförmig sich ausbreitende Risse.

    Diese Angelegenheit mit dem See ist sehr seltsam und ich hoffe, dass es dazu noch eine Erklärung geben wird. Ich habe keine.

  8. Loch im Eis …

    Taucher fanden darunter keine Fragmente, deshalb wird davon ausgegangen, dass es sich um ein Loch von Eisfischern handelt. In Seenähe wurden aber kleine Fragmente gefunden, die wohl Teile des Meteors waren, jedenfalls laut der Nachrichtensendung, die ich gestern sah (keine Ahnung, welcher Sender, tut mir Leid).

  9. @Michael Khan

    “Blitz und Donner als Folgen elektrischer Aufladung, von denen Herr Eschrich sprach, habe ich ganz sicher nirgends erwähnt.”

    Das schrieb ich auch nicht, sondern das letzte Woche überall russische Blogs mit Videos verlinkt wurden auf denen ein deutlicher Lichtblitz zu sehen ist und von lauten Explosionen berichtet wird. Bezüglich der Erklärung der Ursachen habe ich doch extra Ihr Interview verlinkt.

    Hier dazu noch ein Artikel aus der Süddeutschen: http://www.sueddeutsche.de/…steigt-auf-1.1600941

    [Antwort: Nein, Sie haben nicht von elektrischer Aufladung gesprochenb, aber Herr Eschrich, den Sie zitiert haben. Ich wollte mit meiner Anmerkung lediglich jegliches Missverständnis in dieser Richtung vermeiden. MK]

  10. Wundervoll!

    Du solltest das Thema als Krimi verarbeiten. Echt sehr lesenswert!

    Zusatzfrage:
    Eine ganz alte Frage rankt sich um das Glühen der Sternschnuppen, die Du hier nur am Rande erwähnst. Ist das ein Mixtur verschiedener Strahlungsformen (Wärmestrahlung von Plasma, Rekombinationsleuchten der Ionen, Fluoreszenzleuchten, Bremsstrahlung von Ionen und was weiß ich noch) oder ist da ganz klar nur ein Mechanismus am Werk?

    Gruß, Andreas

  11. @Andreas

    Soweit mir bekannt, handelt es sich bei der von Meteoroiden hervorgerufenen Lichterscheinung um zwei Effekte:

    1.) Die Wärmestrahlung des Plasmas, dass so heiß ist, dass es auch im sichtbaren Wellenlängenbereich emittiert (übrigens kann man allein schon an der Farbe des Leuchtens Rückschlüsse auf das beteiligte Material ziehen)

    und

    2.) Rekombinationsleuchten, wenn die Ionen im Plasma, die zum Teil vom Material des Meteoroiden, zum Teil von der Atmosphäre stammen, durch den Einfang von Elektronen neutralisieren.
    Wenn es um die genauere Beschreibung dieser Phänomene geht, lasse ich natürlich den Physikern den Vortritt.

    😉

    Das Ereignis bietet durchaus noch Stoff für weitere Artikel. Ich habe mein Pulver noch nicht verschossen.

  12. @Michael Kahn: Risiko-“Schätzungen”

    Also für mich sehen diese Informationen (siehe Florian Freistetters Blog) sehr konsistent und präzise aus:
    http://scienceblogs.de/…es/2013/02/Brownfreq.png
    aus “The flux of small near-Earth objects colliding with the Earth”, Brown et al. 2002, Nature 420

  13. Brown et al., Nature 2002

    Das bekannte Paper von Brown et al in Nature 4210 vom November 2002 ist hier. Was die gemacht haben (in Kürze):

    Sie kennen die Frequenz und Intensitätsverteilung von kleinen Feuerbällen aus Messungen von Satelliten, die aus dem geostationären orbit nach unten schauen und eigentlich nach Signaturen von Kernwaffentests suchen sollen, die vielleicht irgendwer irgendwo klammheimlich durchführen will. Sie haben auch Messungen dieser Daten von erdbasierten Infraschallstationen. Man misst damit aber nur die Explosionen, nicht die Größe der sie verursachenden Asteroiden und Meteoroiden. Da ist also einige Modellierungsarbeit fällig. hinzu kommt, dass die gemessene Intensität auch von weiteren Parametern wie Eintrittswinkel, Materialzusammensetzung, Materialdichte und -geschwindigkeit abhängt. Da stecken schon mal zwangsläufig einige statistische Mittelungen. So erhalten sie einen Verlauf, bei dem über der Bolidenenergie, die direkt einem “äquivalenten Durchmesser” zugeordnet wird, und der kumulativen Anzahl der Ereignisse pro Jahr.

    Die so gewonnenen Daten reichen aber nur bis etwa 10 Kilotonnen, i.e., einige Meter äquivalenter Durchmesser, denn (zum Glück) passiert das nicht so oft, wenn auch bei 10 Kilotonnen schon etwa 1 Mal pro Jahr. Eine bemerkenswerte Zahl übrigens, etwa ein mal pro Jahr geht ein Bolide in der Atmosphäre mit der Wucht einer Hiroshimabombe hoch – nachweislich.

    Alle Messwerte sind mit erheblichen Fehlerbandbreiten versehen. Man kann jetzt Kurven hindurchlegen, Verlauf und Steigung sind allerdings nicht zweifelsfrei.

    Messwerte von größeren Boliden gab es bis zum 15.2.2013 nicht, also hat man versucht, die Anzahl der bekannten erdnahen Asteroiden unterschiedlicher Größe als zusätzlichen Wert heranzuziehen, um festzustellen, wie genau denn die durch die aus den Messwerten gewonnenen Daten bei kleinen Objektdurchmessern liegt.

    Zwischen den großen Objekten, die man im Teleskop beobachten kann, von denen man aber keine Einschläge gemessen hat, und den kleinen, von denen man die Airbursts gemessen hat, man aber nicht genau weiß, welcher Objektdurchmesser welcher Intensität zuzuordnen ist und welche Anzahlen es überhaupt davon gibt, klafft eine Datenlücke: Objekte von einigen Metern bis einigen zehn Metern Durchmesser kann man nicht beobachten, ihre Einschläge hatte man aber bis zum 15.2.2013 auch noch nicht erlebt.

    Dabei gibt es allerdings mehrere Probleme. Erstens kennt man die Anzahl der größeren Objekte auch nicht genau. Man muss also von einer Gesamtheit, deren Daten nicht wirklich bekannt sind (schon mal überhaupt im Jahr 2002*) zu den Anzahlen viel kleinerer Objekte extrapolieren. Deren Anzahl, das ist das zweite Problem, kennt man überhaupt nicht. Und wie gesagt, das dritte Problem ist, dass man einen Zusammenhang zwischen der Objektgröße und der Explosionsintensität, also der Sache, die man zumindest einigermaßen messen kann, auch nur konstruiert, aber nicht verifiziert hat.

    Das ist also in etwa die Ausgangsituation, aus der heraus eine Kurve mitten durch ein Diagramm von kumulierter Häufigkeit und Explosionsenergie gezogen wurde und dann abgelesen: Ein Tunguska-Ereignis gibt es alle Tausend Jahre.

    Natürlich: In Abwesenheit besserer Daten ist so etwas alles, was wir haben. Aber das ändert doch nichts daran, dass dieses Prozedere und alle daraus abgeleiteten Schlussfolgerungen sich nicht wesentlich von Kaffeesatzleserei unterscheiden.

    “Konsistent” und “präzise” sieht für mich anders aus.

    *) Anmerkung: Im jahre 2002 waren etwa 450 NEOS mit mehr als 1 km Durchmesser bekannt, heute rund 900. Damals waren insgesamt rund 1500 NEOs bekannt, heute rund 10000. Aber selbst im Jahre 2010 waren von den Objekten um 140 m Durchmesser nur gut 5% bekannt, von denen um 300 Metern immer noch weniger als die Hälfte der vermuteten Population dieser Größe. 2002 war die Zahl der bekannten Objekte in den bereichen deutlich(st) geringer. Siehe u.a. hier. Wer bei solcher Datenlage präzise Vorhersagen erwartet, macht sich was vor.

  14. Brown & al. ’02 ist schon lange überholt

    Nämlich durch dieses Diagramm, das – anlässlich des 100. Jahrestages des Tunguska-Ereignisses erstellt – das Wissen über die Größenverteilung der NEAs bis 2008 zusammen fasste. Sollte es eine noch aktuellere Grafik, insbesondere unter Einbeziehung der NEOWISE-Statistik im Infraroten, geben: bitte melden!

  15. Intensitäts-Häufigkeits-Diagramm, 2010

    Die von mir bereits im Vorkommentar velinkte Präsentation (hier noch einmal) zeigt in Slide 3 eine Version des Diagramms von kumulierter Häufigkeit über Explosionsintensität (bzw. Magnitude oder Durchmesser), Stand 2010.

    Die inhärenten Schwächen dieser Darstellung bleiben bestehen. Explosionswucht und Magnitude sind eigentlich nicht direkt zusammenhängend, Magnitude und Durchmesser auch nur bedingt. Bei den beobachtbaren und damit mess- und zählbaren Boliden kennt man die sie verursachenden Objekte nicht, sondern man muss vermuten, was für Objekte sie verursachten. Andersherum weiß man bei den Objekten, die groß genug sind, um detektiert zu werden, nicht, wie oft sie zu Einschlägen führen und welche Intensität dann damit zusammenhängt, weil zum Glück noch kein Einschlag großer Objekte direkt beobachtet gemessen werden konnte, und schon gar nicht eine statistisch signifikante Anzahl.

    An diesen methodischen Schwächen ändert sich auch dann nichts Fundamentales, wenn man oben herum mehr Asteroiden beobachtet hat. Ich kritisiere diesen Umstand wohlgemerkt gar nicht, ich stelle ihn nur als Tatsache fest. Es ist so.

  16. Asteroiden-Bahnbestimmung mittels Radar

    Eine Fragestellung:

    Wie weit ist, bitte, die aktuelle Radartechnologie für die
    Beobachtung von Asteroiden, speziell für deren
    Bahnvermessung fortgeschritten ? Anders gefragt,
    wie sieht die Funktion aus, die in Abhängigkeit
    von der Asteroidengröße und Asteroidendistanz
    die Entfernung mittels Radarecho gerade noch bestimmen
    lässt und wie sieht die Verfügbarkeit der
    zugehörigen Radarteleskope aus ? Welche
    Distanzgenauigkeiten werden bei welchem
    Beobachtungsaufwand erreicht, auch in Abhängigkeit
    von Größe und Distanz? Wenn größere Genauigkeiten
    erreicht werden sollten, dann müssten auch Rotations- und
    Formparameter des Asteroiden in den Meßprozess einfließen –
    hoffentlich ist die Fragestellung beantwortbar! – Jedenfalls erscheint mir
    dies eine Methode zu sein, Impaktorte
    kurzfristig (über Tage und Wochen) noch genauer prognostizieren zu können.

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