Vortrag: Mögliche Missionen zu Apophis

CGI-Simulation von 99942 Apophis bei größter Annäherung am 13.4.2029, Quelle: N. Baresi, Surrey Space Centre

Im Rahmen der Online-Vortragsreihe “Faszination Astronomie Online”, organisiert vom Haus der Astronomie in Heidelberg, habe ich am 23.8.2022 einen Vortrag gehalten. Der Mitschnitt kann hier (oder direkt auf Youtube) angesehen werden:

Mitschnitt meines Vortrags am 23.8.2022

Thema ist nicht allein der Asteroid 99942 / Apophis und sein enger Vorbeiflug an der Erde am Freitag, dem 13. April 2029. Es geht auch die Möglichkeiten, eine Raumsonde zum Asteroiden zu schicken, um den Vorbeiflug – und vor allem dessen Auswirkungen auf den Asteroiden – aus größtmöglicher Nähe zu beobachten. Der Vortrag erklärt, warum eine solche Mission nicht nur eine reine PR-Aktion wäre. Im Gegenteil, dieser nahe Vorbeiflug eines Asteroiden wäre eine echte Chance für die Wissenschaft. Man könnte so eine Menge über den inneren Aufbau kleiner Asteroiden und die Variabilität ihrer Oberfläche lernen. 

… und ein Kommentar zu einem anderen Vortrag

Nicht nur ich habe mich zu Apophis ausgelassen. Auch Harald Lesch hat das getan:

Vortrag von Harald Lesch zu Apophis auf Terra X (ZDF)

Es gibt am Anfang seines Vortrags einige kleine Ungenauigkeiten. Apophis war kein griechischer Gott, sondern nur die griechische Bezeichnung eines ägyptischen, aber das ist nicht wirklich wesentlich. Die größte Annäherung wird 2029 im Abstand von 31500 km erfolgen, nicht 13500 – aber geschenkt, das war vielleicht nur ein Versprecher. 

Wichtiger finde ich aber (ab 07:30) die Erklärung des Jarkowski-Effekts (in der englischen Literatur: Yarkovsky effect). Ich bin mir nicht sicher, dass Zuschauer/innen, die sich da nicht so auskennen, die dort gelieferte Erläuterung verstehen. Wesentlich am Jarkowski-Effekt ist in der Tat die Tatsache, dass unterschiedliche Stellen auf der Asteroidenoberfläche unterschiedliche Temperaturen aufweisen.

Wichtig ist da insbesondere die Temperaturdifferenz zwischen gegenüberliegenden Stellen auf der Oberfläche. Wenn beide Stellen genau gleich warm wären, dann wäre auch die Wärmeabstrahlung von beiden Stellen gleich groß. Da wir hier Punkte betrachten, die einander gegenüber liegen, geht die Wärmeabstrahlung von diesen Punkten in entgegengesetzte Richtungen. Wenn der Betrag der Abstrahlungen gleich groß ist, kommt netto Null heraus – die beiden Abstrahlungen gleichen einander aus. 

Der größten Effekt hat man also, wenn der Temperatur-Unterschied an entgegengesetzten Stellen möglichst groß ist. Das liegt in der Regel vor, wenn an der einen Stelle gerade Sonnenuntergang ist, und an der gegenüberliegenden gerade Sonnenaufgang. Die Linie zwischen beiden Punkten ist senkrecht zur Sonnenrichtung.

Wenn die Rotationsachse des Asteroiden in etwa senkrecht zu seiner Bahnebene liegt – wohlgemerkt: das muss überhaupt nicht der Fall sein, denn wie ein Asteroid rotiert, hat mit seiner Bahn erst einmal gar nichts zu tun! – dann ist auch die Auswirkung des Jarkowski-Effekts maximal. 

Vereinfachte Darstellung zur Illustration des Yarkovsky-Effekts, Quelle: Michael Khan
Vereinfachte Darstellung zur Illustration des Yarkovsky-Effekts, Quelle: Michael Khan

Die vereinfachte Grafik soll dies illustrieren. Der Asteroid rotiert hier prograd um eine Achse senkrecht zu seiner Bahnebene und seine Bahn ist annähernd kreisförmig. Die Abendseite ist noch sehr heiß, typischerweise bis zu 150 Grad Celsius. Auf der Nachtseite kühlt sich die Oberfläche ab, kurz vor Sonnenaufgang ist sie am kältesten. Die Nettobeschleunigung durch die Wärmeabstrahlung wäre also von rechts nach links, in Richtung der Flugrichtung. 

Eine Beschleunigung in Richtung der Bahngeschwindigkeit für der Bahn Energie zu. Sollte die Rotation retrograd sein, also im Uhrzeigersinn, dann würde die Nettobeschleunigung entgegen der Flugrichtung wirken; sie würde der Bahn Energie entziehen. 

Dieser Effekt wirkt kontinuierlich. Ein Asteroid mit prograder Rotation würde also während seines genamten Bahnumlaufs orbitale Energie gewinnen. Sein mittlerer Sonnenabstand würde zunehmen, seine Bahnperiode auch. Bei einem Asteroiden mit retrograder Rotation wäre es umgekehrt. 

Im Rahmen dieser Betrachtung ist es ausreichend, sich den Unterschied zwischen Abend- und Morgenseite anzuschauen. Es gibt natürlich auch eine Differenz in der thermischen Abstrahlung zwischen Tag- und Nachtseite, also in Richtung des Bahnradius, immer von der Sonne weg. Diese Beschleunigungskomponente würde aber einer kreisförmigen Bahn gar keine Energie zuführen und einer leicht elliptischen Bahn nur wenig. Zudem wäre der Effekt dieser Beschleunigung zyklisch und nicht säkular wie der der Komponente senkrecht zur Sonnenrichtung. Wir können ihn hier vernachlässigen. 

“170 Meter pro Jahr”?

Wenn Harald Lesch (bei 09:00) sagt, dass dieser Effekt bei Apophis “170 m pro Jahr” beträgt, dann ist damit die Änderung der großen Halbachse seiner Bahn gemeint, und nicht etwa das Abweichen seiner Position von der, die es ohne der Jarkowski-Effekt gegeben hätte. Letzteres wäre ein so kleiner Unterschied gewesen, dass man ihn unmöglich hätte feststellen können – und das wäre auch vollkommen egal gewesen, denn so eine winzige Bahnänderung ist vernachlässigbar. 

170 Meter Änderung in der großen Halbsachse der Bahn sind jedoch schon etwas deutlich anderes. Bei einer großen Halbachse der Bahn von 138 Million km liegt die Umlaufperiode bei 323.63 Tagen. Durch die Zunahme der großen Halbachse kommen da pro Jahr 0.05 Sekunden drauf. In zehn Jahren also eine halbe Sekunde. Das klingt nicht nach dramatisch viel – ist es auch nicht. Bei einer mittleren Bahngeschwindigkeit von 31 km/s führt eine Abweichung von 0.05 s zu einer Positionsabweichung von nur etwa 1.6 km. Die ist allerdings kumulativ – in allen Folgejahren summiert sich die Abweichung immer weiter auf. 

Der Wert von 170 Metern ist konsistent mit Zahlen, die vor wenigen Jahren in wissenschaftlichen Punblikationen wie dieser aus dem Jahr 2015 genannt wurden.  (-12.8 ± 3.6) x 10-4 AU/Myr ergibt 191 ± 54 Meter pro Jahr. 

Klingt nicht nach viel, oder?

Gut, man muss natürlich berücksichtigen, dass die Zeitskala von Ereignissen im Sonnensystem viel länger ist als ein kurzes Menschenleben. Immerhin hätte allein der Jarkowski-Effekt in einer Million Jahre die Umlaufperiode von Apophis schon um mehr als 14 Stunden erhöht. Allerdings ist dieser Effekt nicht der einzige, der die Bahn des Asteroiden verändert. Auch die Schwerkraft der Erde verändert seine Bahn – nur der Vorbeiflug am 13. April 2029 vergrößert beispielsweise die große Halbachse der Bahn gleich um 27 Millionen Kilometer. Dadurch steigt die Bahnperiode von 323 auf 423 Tage an, also um 100 Tage! Das ist eine ganz andere Hausnummer als der langsam wirkende Jarkowski-Effekt. 

Viele nicht-gravitationellen Störungen wie der Solardruck und eben auch der Jarkowski-Effekt hängen von der Größe eines Objekts ab. Die Kraft selbst hängt linear von der Fläche des Körpers ab. Diese wächst mit dem Quadrat des Durchmessers. Für die Bahnstörungen ist aber nicht die Kraft relevant, sondern die Beschleunigung. Die aber fällt mit der Masse des Körpers, die vom Durchmesser hoch drei abhängt. Zusammengenommen verhält sich die Bedeutung dieser Störungen umgekehrt proportional zu seinem Durchmesser. Ein 300 Meter großer Asteroid wird also 10 Mal mehr von solchen Störungen beeinflusst als ein 3 Kilometer großer. Ein 30 Meter großér Asteroid schon 100 Mal mehr und ein 3 Meter großer 1000 Mal mehr.

Das bedeutet, dass man Strahlungsdruckeffekte bei großen Asteroiden getrost vernachlässigen kann, bei kleinen aber auf keinen Fall. Bei sehr kleinen Objekten wie kosmischen Staub kann der Strahlungsdruck sogar die dominante Störquelle werden. 

Sonst noch was?

Habe ich sonst noch was anzumerken? Klar doch:

  • (09:16) Das [Einbeziehen des Jarkowski-Effekts (Einfügung meinerseits)] hat den Effekt, dass das Kollisions-Szenario 2068 wieder auf den Tisch kommt …. – hier sollte man die Kirche im Dorf lassen. Allenfalls hätte sich die Impaktwahrscheinlichkeit für 2068 geringfügig erhöht, im Millionstelbereich. Wie wir jetzt wissen, nachdem die neue Bahnbestimmung durchgeführt worden ist, ist jedoch das Risiko für die nächsten 100 Jahre, also inklusive 2068, deutlich geringer als vorher gedacht.
  • (09:40) … dann würde man sich diesen Jarkowski-Effekt eben unter Umständen auch zunutze machen, indem man nämlich die eine Seite des Asteroiden weiß anstreicht. Weiße Flächen reflektieren mehr als dunkle Flächen. Und auf diese Weise würde man genau diesen Effekt benutzen …. – Da frage ich mich, ob Harald Lesch sich selbst vorher zugehört hat. Was er nämlich jetzt anspricht, ist nicht der Jarkowski-Effekt (also die Differenz der thermischen Abstrahlungen), sondern der Solardruck, der eine deutlich höhere Größenordnung erreicht als der Jarkowski-Effekt, das allerdings in radialer Richtung, sodass keine säkulare Zu- oder Abnahme der Bahnenergie erfolgt. Unverständlich ist mir sein Vorschlag, die eine Seite weiß anzustreichen. Ist ihm nicht bekannt, dass Asteroiden in aller Regel rotieren?
  • (10:22) … und in Zukunft wird man den Jarkowski-Effekt bei der Bahnberechnung ganz genau mitnehmen, so gut es irgendwie möglich ist … – Das stellt sich Harald Lesch vielleicht etwas einfacher vor, als es ist, denn wie oben gezeigt, muss man dazu nicht nur die Rotationsperiode kennen (die kann man aus der Lichtkurve noch ganz gut bestimmen), sondern auch die Orientation der Rotationsachse. Wenn man die nicht kennt, kann man die Größe des Effekts nicht berechnen, und noch nicht einmal sein Vorzeichen.
  • (11:25) ... Besser ablenken als zerstören … Da bin ich ganz anderer Meinung. Die Ablenkung reduziert immer nur ein Impaktrisiko für einen bevorstehenden Zeitpunkt. Ein solcher Asteroid bleibt aber nach wie vor ein gefährlicher Erdbahnkreuzer und eventuell hat man durch das Ablenkungsmanöver, mit dem seine Bahn verändert wurde, das Risiko für spätere nahe Begegnungen sogar noch erhöht. Die Zerstörung, also die Zerlegung in Brocken von deutlich weniger als 100 Meter Größe, ist dagegen die einzig mögliche Art, einen solchen Asteroiden unschädlich zu machen. Richtig ist allerdings, dass man nicht eine große Explosion verwenden sollte, denn da hat man wenig Kontrolle darüber, was für Bruchstücke erzeugt werden. Vielmehr sollten solarbetriebene Anlagen auf einem gefährlichen Asteroiden platziert werden, die über einen längeren Zeitraum hinweg Bruchstück für Bruchstück entfernen und mit genügend hoher Geschwindigkeit (einige Meter pro Sekunde reichen) hinauskatapultieren. Es wird doch wohl möglich sein, einen einige Hundert Meter großen Schutthaufen zu zerlegen.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

7 Kommentare

  1. Informativer Artikel und informatives Video.

    OSIRIS APex wird also als zweckentfremdeter Satellit Apophis 18 Monate begleiten und wohl mit seinen Instrumenten relativ gut untersuchen können (gemäss ESA-Website soll er sogar mit seinen Düsen Oberflächenmaterial aufwirbeln).
    Die beiden anderen vorgestellten, bereits recht konkret spezifizierten Missionen sind noch nicht gesichert, was mich etwas verwundert, gehen wir doch bereits auf Ende 2022 zu, so dass nur noch 7 Jahre bis zur stärksten Annäherung von Apophis zur Erde bleiben.

    Eigentlich hätte ich mir Landungen und Probenentnahmen von Apophis gewünscht. Andererseits können die ja irgendwann später erfolgen zumal die Auswertung der 2029 gemachten Beobachtungen eine spätere Sample&Return-Mission besser planen hilft.

    Interessant finde ich noch, dass sich der Yarkovsky-Effekt so genau berechnen lässt, nicht aber die genauen Auswirkungen der Annäherung von Apophis an die Erde. Nun gut, prozentual ist die Unsicherheit des Effekts vielleicht in beiden Fällen ähnlich, nur wirken sich Fehleinschätzungen der gravitativen Wechselwirkung Erde – Apophis viel stärker aus.

    • Wenn OSIRIS APex nicht zwischendurch kaputtgeht (was natürlich bei einer Raumsonde Jahre nach Ende ihrer nominalen Missionsdauer nicht komplett unwahrscheinlich ist), werden wir ab etwa Mai 2029 ins-situ Beobachtungen von Apophis haben. Was wir allerdings nicht haben werden, sind Beobachtungen von vor und während der Erdvorbeiflugsphase.

      DROID sollte vorwiegend auf bestehenden Komponenten aufsetzen. Die mitgeführten Mikrosatelliten müssten dagegen noch entwickelt und gebaut werden. Den Amerikanern würde ich das technisch zutrauen. Bei Europa wäre ich da pessimistischer. Die Ingenieure könnten das schon, aber die politische Weichenstellung und die Managementprozesse sind hier einfach zu träge. Etwas problematisch ist bei DROID das Missionskonzept, was zu einem riesigen Treibstoffbedarf führt. Das kann problematisch sein.

      Was die ESA-Mikrosatelliten angeht, da wird man abwarten müssen, was sich bei der Konferenz auf ministerieller Ebene im Spätherbst ergibt. Ich kann nur hoffen, dass man sich nicht für die schnelle Vorbeiflugoption entscheidet.

      Der Yarkovsky-Effekt lässt sich dur dann genau berechnen, wenn man die Rotationsgeometrie und auch die Oberflächenbeschaffenheit genau kennt. Das aber ist fast nie der Fall. Man kann natürlich auch andersherum rechnen und alles, was an Abweichungen von der vorausberechneten Bahn nicht durch andere Effekte zu erklären ist, auf den Yarkovsky-Effekt schieben, aber das würde ich nicht als “genaue Berechnung” bezeichnen.

  2. Noch eine Bemerkung zu Harald Lesch: Im Vergleich seines Vortrags zum Vortrag von Michael Khan wird sehr deutlich was Lesch‘s Attraktivität für viele seiner Zuhörer ausmacht: Sein Startpunkt ist ein ganz anderer als der eines Fachmanns. Er startet mit der Vorbildung und den Fragen, die ein Abiturient hat und stellen könnte und lässt in seinem Vortrag viele populäre Vorstellungen zum Thema einfliessen. Beim Thema erdbahnkreuzender Asteroid (klar verwendet er „erdbahnkreuzend“) sind es natürlich die Untergangs- und Katastrophenszenarien, die er anspricht.

    Im Detail dagegen fehlt bei Lesch die Genauigkeit, ja zum Teil sogar die Korrektheit. Dazu passt etwa, dass sich Lesch vor ein paar Jahren als brennender Verfechter von Wasserstoffautos zu erkennen gab, später aber eingestehen musste, dass seine Darstellungen der Effizienz von Wasserstoffautos schlicht falsch war.

    • Harald Lesch hat eine große Fangemeinde, die ihm vieles nachsieht. Das gilt auch für andere Wissenschaftsblogger. Ich habe die nicht; mir wird jeder Vertipper und jeder Rechenfehler sofort angekreidet. Deswegen muss ich mich schon bei der Auswahl meiner Themen deutlich einschränken. Außerdem verpflichtet mich das, viele Dinge dediziert nachzurechnen und die Berechnungen offenzulegen. Nebenbei habe ich auch noch einen Job, eine Familie und ein Privatleben. Alles zusammen limitiert ganz erheblich meinen öffentlichen Output.

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