¿Qué? Überdurchschnittlich seltsame Post
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Wer in einer wissenschaftlichen Einrichtung arbeitet und nicht nur eine Affinität zur Öffentlichkeitsarbeit hat, sondern sie unklugerweise auch kundtut, wird über kurz oder lang von der für PR zuständigen Abteilung eingespannt werden, für Vorträge, Interviews, aber auch zur Beantwortung von Anfragen und Schreiben aller Art.
Manche eingehende Post wird durch das Adjektiv “seltsam” nur höchst unzureichend beschrieben. Uns Deutschen fehlen die witzigen, aber zugegebenermaßen nicht gerade freundlichen Vokabeln wie “crackpot” oder “fruitcake”, mit denen Amerikaner diese Art von Schriftstücken und insbesondere deren manchmal ausgesprochen produktive Autoren bezeichnen.
Ich kann wirklich sagen, dass ich bis jetzt keine Anfrage unbeantwortet gelassen habe, es sei denn, ihr Autor hat sich ganz schwer im Ton vergriffen oder sein Schreiben dient offenkundig nur der eigenen Belustigung. Ich bemühe mich, auch zunächst abstrus erscheinende Schreiben sachlich und möglichst verständlich zu beantworten. Solche Schreiben erscheinen manchmal nur deswegen merkwürdig, weil es dem Autoren an sprachlicher Ausdrucksfähigkeit oder formaler Bildung fehlt oder weil er (es handelt sich in rund 9 von 10 Fällen um Männer) den nicht unbedingt immer sehr informierten Autoren irgendwelcher einschlägiger Literatur zu Reizthemen auf den Leim gegangen ist.
Aber nur weil jemand nie gelernt hat, naturwissenschaftliche Sachzusammenhänge zu beschreiben oder weil er ein Buch gelesen hat, in dem irgendwelche Leute blühenden Unfug behaupten, aber der Meinung ist, wenn das gedruckt wurde, müsse auch etwas dran sein, ist er nicht unbedingt dumm, streitsüchtig oder sektiererisch. Bis jetzt haben es auch noch die allermeisten akzeptiert, wenn ich ihnen etwas antworte wie: “Ich muss darauf hinweisen, dass nach aktuellem Wissensstand der von Ihnen unterstellte Sachzusammenhang als unwahrscheinlich angesehen wird. Vielmehr geht man davon aus, dass _ _ _ _, und zwar auf Basis von _ _ _ _.”.
Falls nicht, muss notfalls auch mal eine Diskussion abgebrochen werden, mit Verweis darauf, dass von meiner Seite aus zu diesem Thema alles gesagt wurde, was ich zu sagen beabsichtige. Es ist aber ausgesprochen selten, dass es hierzu kommt.
Manchmal ist ein Schreiben so kraus, dass ich nicht einmal ansatzweise weiß, was ich damit anfangen soll. Rundablage – klar. Das ist die ultima ratio. Aber dennoch – man sieht, da hat sich ein Mensch wirklich Mühe gegeben und hätte zumindest eine Antwort verdient. Selbst wenn meine Antwort nicht aussagekräftig sein kann, weil ich Frage nicht verstanden habe.
In anderen Fällen kann ich zwar nicht wirklich weiter helfen, wie unlängst bei dem fünfjährigen Mädchen, die sich beschwerte, weil die ISS eine so langweilige Farbe hat und vorschlug, sie rosa zu streichen. Ich antwortete ihr mit dem Versprechen, dass sie, wenn sie in der Schule immer fleißig lernt, sich eines Tages als Astronautin bewerben und dann selbst das Projekt vorschlagen solle, die ISS rosa zu streichen. Ich könne ihr – Hand aufs Herz – versichern, dass das bis dahin niemand anderes machen würde. Darauf schrieben mir die Eltern der Kleinen, dass sie sich sehr gefreut und meinen Brief überall herumgezeigt hat. Another satisfied customer.
Jetzt habe ich aber einen Fall, wo jegliche Beantwortung ausgeschlossen ist. Dabei hatte der Anfragende, ein Japaner, ausdrücklich darum gebeten, ja sogar seinem Brief einen frankierten Rückumschlag beigelegt. Nun gut, der Umschlag war mit einer in Deutschland nicht gültigen japanischen Briefmarke frankiert, was mir nichts genützt hätte, aber ich registriere die gute Absicht und werte sie als positiv. Aber leider hatte er es versäumt, seinen Namen und seine Postadresse zu hinterlassen. Dabei hatte er sich durchaus Mühe mit seinen handschriftlichen Ausführungen gegeben. Leider machte sich die Mühe aber nicht dergestalt bemerkbar, dass sein Brief leserlich, strukturiert oder verständlich wurde. Es war ihm lediglich gelungen, den Brief sehr kompliziert zu machen.
Der Autor musste in Erfahrung gebracht haben, dass es in Darmstadt im fernen Deutschland ein Weltraumkontrollzentrum gibt. Er wusste sogar, dass es “ESOC” hieß, aber es war ihm nicht gelungen, die Anschrift des ESOC ausfindig zu machen. Der Brief landete auf verschlungenen Wegen bei der Stadtverwaltung Darmstadt. Dort wusste man mit den japanischen Schriftzeichen nichts anzufangen. Da aber die vier lateinischen Buchstaben E, S, O und C auf dem Umschlag auftauchten, wenn auch nicht unbedingt in der richtigen Reihenfolge, leitete man den Brief von dort ans ESOC weiter. Nach einigen weiteren Suchschleifen fand er seinen Weg zu mir. Ich öffnete nun den Umschlag und entnahm ihm drei handschriftlich beschriebene Seiten (Scan).
Es beginnt mit der Frage, “Worum handelt es sich bei elektromagnetischen Wellen?”. Ich muss gleich darauf hinweisen, dass man mit solchen Fragen, ebenso wie mit kosmologischen oder ähnlich fundamentalen physikalischen Themen bei einer Raumfahrtagentur grundsätzlich an der falschen Adresse ist. In einer Raumfahrtagentur arbeitet ein Haufen Ingenieure, die auf der Basis der bekannten Physik Maschinen bauen und betreiben, die im Weltall funktionieren. Ingenieure sind aber keine Astronomen, Wissenschaftler oder gar Kosmologen. Aber gut, den Unterschied verstehen viele nicht. Mit dem Irrtum stand der unbekannte Herr aus Japan nicht allein.
Ich versuchte nun, das Schreiben zu lesen, konnte aber keinen Sinn entdecken. Zwar waren, wahrscheinlich als Hilfe für den Leser, einzelne Vokabeln mit lateinischen Buchstaben umschrieben. Allerdings handelte es sich dabei um elementare Worte wie “denpa” (=elektromagnetische Welle) oder “buttai” (=Körper, Objekt). Wenn der Schreiber schon annahm, der Leser würde nicht einmal diese Kanjis kennen, hätte er eigentlich davon ausgehen müssen, dass der Rest des Briefs ihn erst recht überfordern würde.
Ich war in der Tat überfordert – spätestens auf Seite 2 mit den Kreuz- und Querverweisen. Also reichte ich das Schreiben an einen japanischen Kollegen weiter, der für mich arbeitet (Zwei Drittel der bei der ESA arbeitenden Menschen sind nicht bei der ESA, sondern bei Firmen angestellt; diese müssen nicht unbedingt die Nationalität eines ESA-Mitgliedsstaates haben). Der fing an zu lesen, stutzte, hielt sich das Papier dicht vor die Nase, hielt es weit weg, drehte es um 90, 180, 270 Grad, hielt es gegen das Licht …. und gab es mir dann zurück, mit dem Verdikt: “Schmeiß’ das weg.”.
“Warum?” so meine Rückfrage.
“Na, der hat sie doch offensichtlich nicht mehr alle beisammen.”
Gut, zugegeben, dieser Schluss drängt sich förmlich auf. Aber es widerstrebt mir, vielleicht vorschnell so zu urteilen.
Vielleicht kann der eine oder die andere mit dem Schreiben etwas anfangen. Ich kann dem Absender zwar nicht antworten, aber bevor ich seinen Brief entsorge, möchte ich doch zumindest mal kapieren, was der eigentlich wollte. Und sei es nur, um zu bewerten, wofür da mittlerweile ein Dutzend oder mehr Menschen etliche Mannstunden Personenstunden an Arbeit aufgewendet haben.
Eins ist zumindest sicher: Die Selbstverpflichtung zur Beantwortung von Fragen aus der Öffentlichkeit wird bei der ESA Ernst genommen.
Heb es auf — das wird nochmal wertvoll.
http://de.wikipedia.org/wiki/Voynich-Manuskript
:-))
Ja, so kann’s gehen! Der gute Mann war vermutlich sehr aufgeregt, weil er sich endlich traute einen Brief, der wichtige Erkenntnisse aus seinem Lebenswerk enthielt, an eine angesehene Institution im fernen Deutschland zu schreiben. Als er mit zittrigen Händen seinen Brief in den Briefumschlag schob, bemerkte er nicht, dass er aus Versehen seine Notizzettel in den Briefumschlag gesteckt und den Brief weggeschmissen hatte. Das würde auch den fehlenden Absender erklären.
Noch was Herr Khan: In Zeiten relativer Gleichberechtigung sollte man nicht mehr von “Mannstunden”, sondern von “Personenstunden” sprechen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Personenstunde
Hm… also sofern es sich nicht wirklich um einen Scherzkeks handelt, besteht ja vielleicht doch noch die Möglichkeit, dass der Mensch nun über das Web eine Antwort erhält. – Wenn er aber fragt, worum es sich bei elektromagnetischen Wellen handelt, könnte ich mir auch vorstellen, dass es sich um einen Schüler handelt, wobei mir dann aber Schleierhaft ist, warum er keine Lehrer in seiner näheren Umgebung fragt. – Aber okay, dass muss ich nicht verstehen.
Jedenfalls würde ich den Brief auch nicht wegschmeissen, sondern in das persönliche Skurilitätenkabinet packen, mit entsprechenden Erläuterungen dazu, – das könnte schon dieser Blogbeitrag sein.
Übrigens: Die Antwort an das kleine Mädchen finde ich sehr nett. Wenn die Kleine dann mal alt genug ist, wird sie die Idee wahrscheinlich auch nicht mehr so toll finden, aber kann sie ja jetzt noch nicht wissen. – Oder sie baut dann selber einen “Pink-Satellite”…
Ich denke, die einleitende Frage
電波とは何か?
ist als rhetorische Frage zu verstehen. Er erklärt darauf, was elektromagnetische Strahlung seiner Meinung nach ist, und zwar keineswegs das, was der Rest der Welt meint.
Sie meinen also, der Herr gehört zu den sogenannten VTlern, wie sie im Blog von Florian Freistetter genannt werden, also zu den Verschwörungstheoretikern?
Das wäre interessant, aber Sie wissen ja wahrscheinlich auch, wie dort mit diesen Leuten umgegangen wird, oder? – Ich halte es dann für das beste, es genauso zu machen. Andrerseits muss dieser Mensch jetzt auch erst noch erfahren, das sein Brief irgendwo angekommen ist und gelesen wurde, wozu sich das Web ja geradezu anbietet. Bin mal gespannt, ob da noch was kommt, wobei ich aber nicht glaube, dass er noch einen Brief verfassen wird. – Andrerseits kann man bei echten VTlern ja nie sicher sein, auf was die noch alles kommen…
Nein, ich meine das nicht. Ich kann nicht über die Motivation des betreffenden Herrn spekulieren, wenn ich nicht einmal kapiere, was er genau will. Aber was ich zu verstehen glaube, erscheint mir nur als der chaotische, verworrene und wenig überzeugende Versuch einer wissenschaftlichen Theorie.
Nun gut, dann belassen wir es dabei, dass die Motivationen dieses Herrn nicht wirklich klar sind und verbuchen das ganze weiterhin unter “Seltsame Ereignisse”, die sich (bisher) einer (Er)Klärung entziehen.
In dem Schreiben des Herrn ist eine Menge unklar, das stimmt. Selten ist dieses Schreiben aber nicht wegen des Mangels an Klarheit. Solche Briefe füllen bei uns ganze Ordner. Der Seltenheitswert rührt in diesem Fall aus den Begleitumständen.
Ich weis jetzt zwar nicht, wie Sie von “seltsam” auf “selten” kommen, aber egal. Ich glaube Ihnen jedenfalls sofort, dass man es in der Öffentlichkeitsarbeit häufiger mit merkwürdig anmutenden Anfragen zu tun hat. – Ich hab ja selbst auch so eine auf Lager. Die hab ich bisher aber zurück gehalten, weil ich erst mal selbst eine Lösung finden wollte bzw. will.