Neue thermoelektrische Materialien in der Raumfahrt?

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Für Stromversorgung für Raumsonden ins äußere Sonnensystem setzt man fast immer auf RTGs (Radioisotope Thermoelectric Generators), d.h., Generatoren, in deren Inneren der Zerfall eines in eine hochwarmfeste Matrix eingebetteten Radionuklids Wärme erzeugt. Die Wärme wid über Radiatoren in den Weltraum abgestrahlt und fließt dabei durch thermoelektrische Elemente: Halbleiterkomponenten, die einen Teil der Wärme in elektrischen Strom umwandeln.

RTGs haben gewichtige Vorteile. Sie liefern unabhängig von der Intensität der Sonneneinstrahlung elektrische Leistung. Sie liefern dazu auch noch Wärme, was fern der Sonne oder in einer kalten Marsnacht durchaus willkommen ist, denn damit kann die Raumsonde ohne elektrische Heizelemente vor Unterkühlung geschützt werden. Sie sind langlebig, zuverlässig und robust, da sie keine beweglichen Teile brauchen.

Der Hauptnachteil ist der zwingend erforderliche Einsatz von Radionukliden. Meist wird Plutonium 238 eingesetzt, ein nicht spaltbares Isotop, das aus dem Zerfall von Neptunium 237. Es hat eine Halbwertszeit von knapp 88 Jahren, am Ende der Zerfallskette steht ein stabiles Blei-Isotop. 238Pu ist zum Einen teuer, zum Anderen problematisch in der Handhabung. Zwar ist es ein fast vollkommener Alpha-Strahler und damit leicht abzuschirmen; man muss jedoch verhindern, dass bei einem Startunfall oder einem Wiedereintritt in die Atmosphäre das Element als Staub freigesetzt wird.

Der sichere Umgang mit RTGs ist möglich, aber die Konsequenz sind immer hohe Kosten und viel Masse, sowohl absolut als auch relativ zur elektrischen Leistung. Beide Konsequenzen hängen direkt mit den heute verwendeten thermoelektrischen Elementen zusammen – diese haben nur eine geringe Effizienz. Will man nennenswerte elektrische Leistung, braucht man zwangsläufig viel radioaktives Material, damit auch viel Masse für die erforderlichen Schutzmechanismen – am Ende kommt ein großer, solider und schwerer Koffer heraus, den man irgendwie in der Raumsonde unterbringen muss. Was der RTG auf die Waage bringt, steht natürlich nicht mehr für andere Systeme oder wissenschaftliche Nutzlast nicht mehr zur Verfügung.

Als Anhaltswert: Der MMRTG des neuen NASA-Marsrovers Curiosity hat eine thermische Leistung von 2 kW, aber eine elektrische Ausgangsleistung von nur 125 W. Beide Werte gelten für den Beginn der Mission. Der Gesamtwirkungsgrad liegt also bei bescheidenen 5%, bei einer Systemmasse von 43 kg, davon 4.8 kg Plutoniumdioxid. Die Saturnsonde Cassini ist mit drei RTGs von je 56 kg Masse ausgerüstet, deren elektrische Anfangsleistung bei jeweils fast 300 W lag, bei je 4.4 kW thermischer Leistung. Das entspricht also einem Gesamtwirkungsgrad von 6.7%, wobei man immer berücksichtigen muss, wie die Umgebungsbedingungen sind. Eine Raumsonde, bei der die RTGs ihre Wärme in den freien Weltraum abstrahlen kann, ist natürlich in einer besseren Situation als ein Rover auf einer planetaren Oberfläche. Wie auch immer, der erreichbare Gesamtwirkungsgrad liegt heute klar im einstelligen Prozentbereich.

Der beste Weg, RTGs deutlich preisgünstiger und leichter zu machen, liegt in der Erhöhung der Effizienz der Thermoelemente, ganz klar. Das erscheint allerdings erst einmal wie eine von vielen anderen klaren Aussagen wie beispielsweise “Klavier spielen ist ganz einfach, man muss einfach nur zur richtigen Zeit auf die richtigen Tasten hauen“. Immerhin ist der ihnen zugrundeliegende Peltiereffekt schon seit 1834 bekannt. Wenn eine Technik so lange bekannt ist, ist sie meist schon ausgereift. Nennenswerte Verbesserungen sind dann schwierig, die sollte man eher dann erwarten, wenn die Technik noch nicht gut verstanden wurde und die Lernkurve noch steil ist.

Möglicherweise sind aber thermoelektrische Elemente eine Ausnahme von dieser Regel. Dieses Paper von Wissenschaftlern der Northwestern University (hier ein Artikel in Spektrum.de) stellt Forschungsergebnisse vor, nach denen mit anderem Halbleitermaterial (Bleitellurid gegenüber Silizium-Germanium) dank eingelagerter Magnesium-Tellur-Nanostrukturen und geeigneter Dotierung eine wesentlich reduzierte Wärmeleitfähigkeit des Materials erreicht und damit der Wirkungsgrad auf 15-20% erhöht worden sein soll.

Ich muss betonen, dass ich bis jetzt nur Abstracts und Artikel über dieses Paper, aber nicht die Veröffentlichung selbst gesehen habe. Ich habe das Paper angefordert, aber es liegt  mir noch nicht vor. Selbst wenn ich es schon gelesen hätte, wäre immer noch zweifelhaft, ob ich es im Detail beurteilen könnte, schließlich ist die Halbleiterphysik nicht mein Fachgebiet. Es wird sich noch zeigen müssen, ob dieses Material auch im harten Alltagseinsatz den versprochenen Effizienzgewinn zeigt und ob es sich überhaupt für die Fertigung in größeren Mengen oder gar in der großtechnischen Produktion eignet. Laborergebnisse sind das Eine – die industrielle Umsetzung kann aber etwas ganz Anderes sein. 

Nehmen wir mal an, die Technik hält, was die ersten Ergebnisse zu versprechen scheinen. Für RTGs bedeutet das die Chance einer Steigerung des Wirkungsgrads um einen Faktor 3, was wirklich ein dramatischer Fortschritt wäre. Es hat Ansätze gegeben, anstatt thermoelektrischer Elemente einen Stirling-Motor zu verwenden, um die Nachteile der bisherigen Halbleiter zu umgehen. Damit wären RTGs aber keine Solid-State-Systeme mehr, sie hätten bewegliche Teile und unvermeidlich höhere Komplexität bekommen, was sich negativ auf Robustheit und die Standfestigkeit ausgewirkt hätte. In der Raumfahrt bevorzugt man immer das Unkaputtbare. Mit dem Einsatz neuer thermoelektrischer Konverter hoher Effizienz wären die Stirling-Motoren aus dem Rennen.

Sollten Wirkungsgrade von 15% oder mehr erreichbar sein, so wäre auch der theoretische Vorteil von noch komplexeren Systemen mit einem Kühlmittelkreislauf deutlich zusammengeschmolzen. Wenn man den ganzen apparativen Aufwand, die resultierende Masse und das Ausfallrisiko für ein kleines Kraftwerk mit Pumpe, Wärmetauscher, Turbine und Generator mit einem RTG hoher Effizienz vergleicht, kann ich mir durchaus vorstellen, dass das Kraftwerk in allen Punkten den Kürzeren zieht.

Es wird also sehr interessant sein, zu beobachten, welche Richtung die technische Entwicklung hier nehmen wird – für Raumsonden, aber auch bei diversen irdischen Anwendungen.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

8 Kommentare

  1. pale white dot

    Das wäre tatsächlich ein Quantensprung – speziell für die Forschung um äußeren Sonnensystem, denn dort ist die Sonne nichts weiter als ein “pale white dot” (man vergebe mir die prosaische Analogie). Es gibt schon einen Grund, warum Orbiter-Missionen zum Uranus und Neptun noch nicht angedacht wurden. Bisher hattte ich auf Gasgeneratoren als Energiekonvertoren gewettet. Wenn sich das aber bewahrheitet, was Du da in der Literatur gefunden hast, werden die Karten neu gemischt. Stellt Euch das mal vor: ein Neptunorbiter mit einem Kilowatt elektrischer Leistung – frei zur Verfügung für Instrumente und Sendeleistung. Das nenne ich mal einen Quantensprung. Ad Astra

  2. Erde

    Diese neuen thermoelektrischen Materialien wären auch auf der Erde nützlich.

    Solarthermische Kraftwerke mit Parabolrinnenkollektoren, Dampfturbinen und restlichem Zubehör haben nur einen Wirkungsgrad von 14 Prozent.

    Der Schmelzpunkt von Bleitellurid beträgt 905 °C, und seine Arbeitstemperatur beträgt 600 °C, so dass die Parabolrinnenkollektoren nicht besonders genau fokussieren müssen.

  3. Antworten

    @Markus:

    Angesichts der erforderlichen Missionsdauer zum Uranus oder gar zum Neptun erscheint mir zweifelhaft, ob ein Kleinkraftwerk mit einem Fluidkreislauf in absehbarer Zukunft geeignet sein wird. Solche Technik, die wartungsfrei und kontinuierlich läuft und dann auch noch robust gegen Mikrometeoriten sein muss….

    In der Tat, wenn man aus 2 kW thermischer Leistung 400 W elektrischer Leistung herausholen könnte, dann wäre, wenn ich die Massendaten des MMRTG ansetze, eine Energieversorgung mit anfangs 1.2 kW elektrischer Leistung mit nur 130 kg Systemmasse zu erreichen. Davon dürften nach 10 Jahren immer noch 1 kWe übrig sein, je nachdem, wie stark die thermoeleektrischen Elemente altern – auch eine Frage, die noch zu klären ist.

    Der Gesamtwirkungsgrad von RTGs stigt ja bei wachsendem Sonnenabstand, einfach weil weniger Sonnenlicht die Radiatoren erreicht und sie deswegen wenniger stark aufheizen.

    @The Karl Bednarik: Das ist eine sehr wichtige Anmerkung. Ich hatte zunächst eher an solche Anwendungen wie Radionuklidbatterien gedacht, die man auch heute schon zur Stromversorgung für Anlagen am Meeresboden einsetzt. Bei der großtechnischen Umsetzung müsste man allerdings klären, ob sich der Herstellungsprozess für die massenfertigung eignet und ob dies konkurrenzfähige Werkstoffe sind.

    Vielleicht ist das auch gar nicht der zentral Punkt, wichtig ist, ob hier wirklich ein Durchbruch erzielt wurde und ob dieser Durchbruch einen Weg zu weiteren Verbesserungen aufzeigt oder ob dies eine Technik bleibt, die dem Labor nicht entwächst.

    PS: Ein “Quantensprung” ist in der Physik die kleinstmögliche Zustandsänderung. So gesehen produziert unsere Regierung einen Quantensprung nach dem anderen.

  4. Thermovoltaik

    Es ist heute schon möglich Wirkungsgrade von 48% zu erzielen. Nur, mann muss dazu die notwendige, aktive und vor allem vorurteilsfrei “Gehirnmasse” und eine
    3D-Denkweise parat haben. Vor allem aber muss man mit geöfneten Augen in der Natur (Bionik) sich herumschauen.
    MfG
    H. Eker
    http://www.eksom.com

  5. Verfügbarkeit

    Eines darf man bei der Diskussion nicht aus den Augen verlieren und das ist die zukünftige Verfügbarkeit der RTGs. Schon jetzt hat die NASA nicht mehr viele davon zur verfügung und die meisten sind auch schon bestimmten Missionen zugewiesen.

    Mit der Reduktion von kerntechnischen Anlagen wird auch die Verfügbarkeit von spaltbarem Material sinken.

    Schon heute sind viele Strahlenquellen die in der Medizin eingesetzt werden überaltert und können nicht ersetzt werden, weil die wenigen Reaktoren die diese Herstellen voll ausgelastet sind.

    Man wird nicht umhin kommen alternativen zu finden und zwar solche die auch in der Bevölkerung eher akzeptiert werden.

    Ich kann mich noch recht gut an die Aufregung erinnern als Cassini sein Erd-Swing-by durchgeführt hat und manche Menschen Befürchtungen hatten bei einem Absturz könnte der RTG beschädigt werden.

    Allgemein sehe ich in der Speicherung von Energie einen DER Zukunftsmärkte. Ich denke es wird sehr schwierig werden eine Energiequelle zu finden/entwickeln die auch nur annähernd an die Rahmendaten der RTGs heranreicht.

  6. @taunide

    Erst einmal ist noch nicht klar, ob dieser thermoelektrische Werkstoff raumfahrttauglich ist, sofern er überhaupt dem Labor entwächst. Vor dem Hintergrund der verringerten Verfügbarkeit von Np 232, aus dem Pu 238 erbrütet wird, wäre natürlich jede Maßnahme willkommen, die den Bedarf an radionukliden reduziert. Wenn, wie in diesem Fall, eine Steigerung des Wirkungsgrads um einen Faktor 3 in den Bereich des Möglichen rückt, ist das allemal willkommen.

    Es stimmt, dass es im Vorfeld des Erdvorbeiflugs von Cassini eine gewisse Hysterie weren des vermeintlichen Risikos eines ungewllten Widereintritts gegeben hat. Dabei war die Trajektorie so gelegt, dass Cassini zu keinem Zeitpunkt auf einer Trajektorie war, die die in die Erdatmosphäre eintrat. Selbst bei einem Totalverlust des Kommandozugriffs auf die Raumsonde wäre also keine Gefahr der Kontamination gegeben.

    Ob die alternativen Radionuklide nun so viel sicherer sind als 238Pu, erscheint mir zweifelhaft. Was bietet sich denn an, das fast nur Alpha-Strahlung produziert (aber zumindest keine schwer abzuschirmende Gamma- oder Neutronenstrahlung), hohe Leistungsdichte, und eine Halbwertszeit besitzt, die nicht zu lang und nicht zu kurz ist? Da fallen mir nicht gar so viele Kandidaten ein.

    Strontium 90 wird manchmal ins Spiel gebracht. Das ist eines der häufigsten Spaltprodukte, neben Caesium 137. Dieses Radionuklid ist ein reiner Betastrahler, das sich im Knochenmark anlagert, weil der Körper es mit Kalzium verwechselt. Plutonium hat die schlechtere Presse, aber Strontium ist nicht wirklich ungefährlicher.

    Am Ende ist die Verfügbarkeit von Radkonukliden für Medizin und Forschung nur eine Kostenfrage. Man wird halt mal in eine Produktionsanlage investieren müssen.

  7. Reaktoren für Radionuklid-Erzeugung

    Der Radionuklid-Mangel kann durch Reaktoren, die nichts anderem dienen als Radionuklide für medizinische und Raumfahrtzwecke herzustellen, begegnet werden.

    Die Firma Flibe-Energy will einen kleinen LFTR-Demo Reaktor bauen mit folgenden Applikationen:

    An early application, begun even prior to completion of the first LFTR, will be the harvesting of radionuclides for nuclear medicine[5]

    Thorium-229 for Actinium-225 and Bismuth-213
    Molybdenum-99 to generate Technetium-99m

    Separation of specific radionuclides useful in powering radioisotope thermoelectric generators[5]

    Strontium-90
    Plutonium-238

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