STAP-Affäre: Wahrscheinlich absichtliche Fälschung

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Der Wissenschaftsskandal um ein nicht reproduzierbares Verfahren zur Gewinnung von Stammzellen wird weiter aufgerollt, langsam aber sicher, Stück für Stück. Die Folgen werden den Wissenschaftsbetrieb noch lange beschäftigen, und zwar nicht nur in Japan. (Kosmologs-Artikel vom 6.8.2014 und 10.9.2014)

Haruko Obokata, die Hauptperson des Skandals und erste Autorin zweier Aufsehen erregender “Nature”-Veröffentlichungen hatte zugesagt, unter unabhängiger Aufsicht bei ihrem bisherigen Arbeitgeber RIKEN ihre Versuchsreihen zu wiederholen und dabei die behaupteten Ergebnisse zu reproduzieren. Am 18. Dezember 2014 wurde im Rahmen einer Pressekonferenz bekanntgegeben, dass diese Versuche erfolglos geblieben sind.

Ein Abschlussbericht des RIKEN zu einer Untersuchung des Vorfalls und des Verhaltens von drei beteiligten Wissenschaftlern, neben Obokata auch die Ko-Autoren Teruhiko Wakayama und Hitoshi Niwa, kommt am 26.12.2014 zu folgender Schlussfolgerung: Die Zellen, die durch den beschriebenen (und nicht als wirksam reproduzierbaren) Prozess generiert worden sein sollten, seien in Wirklichkeit eingeschleuste embryonale Stammzellen.

Könnte es sich um ein einfaches Versehen handeln? Dazu äußert sich der Bericht wie folgt:

It is unlikely that there was accidental contamination by three different ES cells, and it is suspected that the contamination may have occurred artificially. However, given the difficulty of identifying who might have contaminated the cultures, it is not possible to conclusively determine that it was artificial contamination. We cannot, therefore, conclude that there was research misconduct in this instance.

Das ist schon eine vernichtende Einschätzung, wenn man sich am Ende auch vor der Schuldzuweisung drückt.

Des weiteren wird festgestellt, dass Obokata ein für die behaupteten Ergebnisse wesentliches Diagramm ohne zugrundeliegende Datenbasis angefertigt hat. Ein weiteres stand im Widerspruch zu den vorliegenden Daten; sie hat es mit willkürlich ausgewählten Daten angefertigt. Diese Feststellungen stehen im Bericht nicht im Konjunktiv und werden auch nicht als bloßer Verdacht bezeichnet. Da ist man sich anscheinend sicher.

Ich bin wirklich fassungslos. Ich hätte mir ja noch vorstellen können, dass die Ursache eine komplexe Gemengelage aus schlampiger Versuchsdokumentation, Wunschdenken und Realitätsverlust ist. Aber anscheinend ist das Ganze viel einfacher gelagert – es ist alles nur ein kruder Fake.

Warum machen Leute so etwas? Das muss doch früher oder später auffliegen. Eher früher.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

9 Kommentare

  1. Eine bewusste Fälschung geht als Wissenschaftssenstation durch die Medien. Das ist aber keine Premiere, wie der Fall des Physikers Jan Hendrik Schön zeigt. Es hat natürlich auch damit zu tun, dass wir gerne an Wunderkinder und Genies und ihre die Welt verändernden Erkenntnisse glauben:

    Im Jahr 2001 publizierte er im Durchschnitt alle acht Tage einen Fachartikel, 17 davon in den hochangesehenen Zeitschriften Nature und Science. Er kündigte mehrere bahnbrechende Resultate an, unter anderem Hochtemperatursupraleiter auf Fullerenbasis und einen Transistor, der nur aus einem Molekül besteht. Das Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart beabsichtigte, ihn zum bis dato jüngsten Direktor zu berufen.

    • Eine bewusste Fälschung geht als Wissenschaftssenstation durch die Medien.

      Zu Recht. Journalisten der Tagespresse und andere Nicht-Fachleute für Mikrobiologie sollten sich darauf verlassen, dass der Peer-Review-Prozess von Nature funktioniert.

      • Betrüger entlarven kann schwierig sein, das stimmt. In STAP retracted schreibt die Nature-Redaktion dazu:

        In short: although editors and referees could not have detected the fatal faults in this work, the episode has further highlighted flaws in Nature’s procedures and in the procedures of institutions that publish with us. We — research funders, research practitioners, institutions and journals — need to put quality assurance and laboratory professionalism ever higher on our agendas, to ensure that the money entrusted by governments is not squandered, and that citizens’ trust in science is not betrayed.

        Bei STAP verwundert aber auch, dass die interne Qualitätskontrolle des RIKEN-Instituts versagte.

        • Sehen wir es doch mal so: Der Prozess hat funktioniert. Gut, die Qualitätskontrolle beim RIKEN war die erste Hürde. Die hat versagt.

          Der Peer-Review-Prozess bei Nature war die zweite Hürde. Die hat auch versagt. Wahrscheinlich hatten die bekannten Namen unter den Autoren damit zu tun. Das darf aber niht als Entschuldigung gelten. Gerade bei einer potenziell bahnbrechenden Entdeckung muss besonders genau hingeschaut werden.

          Die dritte Hürde ist allerdings von großen Namen und bekannten Institutionen nicht zu beeindrucken. Das ist die Wissenschaftscommunity selbst, die natürlich sogleich versuchen wird, die gemachten Beobachtungen zu reproduzieren. Genau so kam es ja auch, und es wurden sehr schnell Zweifel geltend gemacht. Schon im Februar 2014, also nicht einmal einen Monat nach den Veröffentlichungen in Nature.

          Als erst einmal die ersten Zweifel öffentlich waren, brachen alle Dämme. Dann wurden auch Probleme mit den Fotos und Diagrammen entdeckt. Und schon im Frühjahr waren die Papers und ihre Autoren in ernsten Schwierigkeiten.

          Ich denke, wir sehen hier zwar sicher eine bittere Peinlichkeit für Nature und das RIKEN, aber auch einen Beleg für das Funktionieren des wissenschaftlichen Prozesses. Mit so etwas kommt man nicht durch. Man wird sehr schnell von anderen Wissenschaftlern entlarvt. Das heißt, ich sehe hier auch keinen Grund für Misstrauen gegenüber der Wissenschaft. Im Gegenteil, der Elchtest wurde bestanden. Die CRAP-Papers, äh, ich meine natürlich STAP-Papers, wurden sehr schnell als das bloßgestellt, was sie sind.

          Es war klar, dass denen alles um die Ohren fliegen würde. Eben deswegen verstehe ich nicht, wieso die überhaupt so etwas versucht haben.

          Allerdings muss ich mine positive EInschätzung hier auch gleich wieder etwas relativieren. Die längere japanische Version des Untersuchungsberichts spricht ausdrücklich davon, dass die hier entdeckte Fälschungsaffäre ein Fall von 氷山の一角 sei – wörtlich übersetzt: “Die Spitze des Eisbergs”.

  2. Dieser Artikel im Guardian vom 18.2.2015 gibt einen Abriss des gesamten Skandals, der mit der Prognose schließt, die Sache sei immer noch nicht abgeschlossen.

    Einer der Ko-Autoren der beanstandeten Veröffentlichungen, Charles Vacanti, ist seit September auf einem einjährigen “Sabbatical” und meldet sich zur Sache nicht zu Wort, aber es ist laut Guardian davon auszugehen, dass sein Arbeitgeber, das Brigham and Women’s Hospital Boston, eine tiefgehende Untersuchung seiner Rolle in der Affäre unternimmt, wenn auch nicht so öffentlich wie die Untersuchung des RIKEN. Es wird sich zeigen, was nach Abschluss der Untersuchung mit Vacanti passiert.

    Das folgende Zitat aus dem Guardian-Artikel fiunde ich bemerkenswert:

    But before we start to congratulate ourselves on the ever-upwards path of science, we should bear in mind that most experiments are never reproduced. There are simply too many of them. Besides which, researchers often don’t have much interest in repeating the work of others. Scientists may be truth-seekers, but they generally prefer new truths. They want to be the first to make a discovery. That’s where all the glory lies; that’s how to get a name for yourself, attract more funding and advance your career. Confirming – or failing to confirm – someone else’s discovery is unlikely to get you very far. It’s unlikely to even get you into print since science journals tend to favour novel research.

    Not only are most experiments not reproduced, most are probably not reproducible. This statement will shock only those who have never worked in a wet lab. Those who have will already suspect as much.

    A few years ago, Glenn Begley put this suspicion to the test. As head of cancer research for pharmaceutical giant Amgen, he attempted to repeat 53 landmark experiments in that field, important work published in some of the world’s top science journals. To his horror, he and his team managed to confirm only six of them. That’s a meagre 11%. Researchers at Bayer set up a similar trial and were similarly depressed by the results. Out of 67 published studies into the therapeutic potential of various drugs (mostly for the treatment of cancer), they were able to reproduce less than a quarter.

    The Amgen and Bayer studies were too small to tell us how bad the problem really is, but they do illustrate something that biomedical researchers already know in their heart of hearts: reproducibility is the exception rather than the rule.

    • Das ist doch irgendwie ein Armutszeugniss für die gesamte Branche bzw. Fachrichtung, würde ich als aussen stehender Laie jetzt mal sagen.

  3. Update vom 23.7.2015 mit einem Link auf den schon öfter zitierten Knoepfler Lab Stem Cell Blog. Dort steht, dass, während es die japanischen Beteiligten am Debakel alle mehr oder weniger schwer erwischt hat, allen voran die Hauptautoren Haruko Obokata, deren Karriere wohl beendet sein dürfte, der amerikanische Ko-Autor Charles Vacanti sich vor fast einem Jahr zu einem Sabbatical von seiner Universität entfernt hat und bis jetzt ziemlich ungeschoren davon gekommen ist. Seie einjährige Auszeit wird allerdings bald enden. Mal sehen, was dann passiert.

    Es wird auch darauf hingewiesen, dass die beanstandeten und bereits vor mehr als einem Jahr zurückgezogenen Veröffentlichungen in Nature immer noch in anderen Veröffentlichungen zitiert werden, und zwar keineswegs ausschließlich unter Bezugnahme auf ihr Beispiel für wissenschaftliches Fehlverhalten, sondern durchaus manchmal auch immer noch so, als handele es sich um zitierfähige Quellen. Dafür fehlt mir nun allerdings jedes Verständnis. Inzwischen muss doch auch der letzte mitgekriegt haben, was da abging.

    • Die STAP-Geschichte zeigt mir auch, dass Wissenschaft allein schon deshalb nur langsam fortschreitet, weil letztlich alles reproduziert werden muss, was als Neuigkeit publiziert wird. Gerade die STAP-Geschichte offenbart nun, dass diese positiv oder negativ verlaufende Reproduktion der behaupteten Forschungsresultate recht lange dauern kann. Wirklich reproduziert werden wohl sowieso nur Forschungsarbeiten, die eine neue Perspektive eröffnen. Das heisst wohl auch, dass es viel mehr Wissenschaftsbetrug gibt als wahrgenommen.

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