Mythen im Weltall: Die Zeit des Space-Race

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

Die allgemein bekannte Wahrnehmung der Anfänge der Raumfahrt vor mittlerweile etwas mehr als 50 Jahren ist eine sehr nette Geschichte, die der vom Hasen und dem Igel gleicht.

Sie lässt sich in etwa so zusammenfassen: Die Amerikaner verschliefen komplett das Raumfahrtzeitalter, bis sie vom Sputnik-Schock unsanft geweckt wurden. Da brach in den USA eine hektische Betriebsamkeit aus. Experten erklärten den schockierten US-Politikern, was die Sowjets mit ihren Raumfahrtaktivitäten alles so vorhätten.

Beispielsweise – diese Geschichte kommt in der einen oder anderen Variante immer wieder hoch – könnten sie schon bald von einer unangreifbaren Orbitalstation über den USA nukleare Sprengsätze mit tödlicher Zielsicherheit auf Amerika herabregnen lassen, so wie kleine Widerlinge Steine von Autobahnbrücken schmeißen.

Die Betriebsamkeit in den USA, so will es die Fama, führte Start von Sputnik 1, Quelle: Space50.neterst einmal nicht so recht zu greifbaren Erfolgen. Während die Russen immer größere und schwerere Satelliten starteten, explodierten die US-Raketen in dramatischen Feuerbällen auf den Startrampe, sodass sich die Amerikaner bis auf die Knochen blamierten. Erst Jahre später gelang es Amerika, den Russen zu zeigen, wo der Hammer hängt. Die nachdrücklichste Demonstration der amerikanischen Vormachtsstellung war die erfolgreiche bemannte Mondlandung am 20. Juli 1969.

Diese nette Geschichte ist nicht ganz falsch, sonst wäre sie wahrscheinlich auch nicht so langlebig. Richtig ist, dass die sowjetische Raumfahrttechnik und das von den Sowjets erworbene Wissen unterschätzt wurde. Richtig ist auch, dass die Sowjets durchaus beachtliche Erfolge aufzuweisen hatten und in diversen Disziplinen die Nase vorn hatten.

Andere Teile sind allerdings absurd; gerade sie haben sich jedoch so fest in die öffentliche Wahrnehmung eingebrannt, dass sie uns wahrscheinlich für alle Zeit erhalten bleiben werden.

Sputnik 2 mit der Huendin Laika, Quelle: Britannica.org Eindeutig unsinnig ist die Vorstellung von der orbitalen Plattform, von der man Atombomben schmeißt. Man kann nicht einfach eine Station “über den USA” positionieren. Eine solche Station muss in einer Bahn um die Erde sein, wahrscheinlich einer niedrigen Kreisbahn. Der militärische Wert einer solchen Station wäre allerdings gering. Erstens wäre ihre Position zu jedem Zeitpunkt auch vom Gegner genau bestimm- und vorausberechenbar, somit wäre diese Station ein hochempfindliches und extrem verwundbares militärisches Ziel, dessen Aufbau Milliarden kostet, das aber von einer einzelnen kleinen Abwehrrakete im Bruchteil einer Sekunde abgeschossen werden kann.

Praesident Wisenhower, Quelle: US-Regierung Ferner kann man nicht einfach Objekte aus dem Orbit herabwerfen, sie müssen mit einem Raketentriebwerk abgebremst werden und treten etwa eine halbe Stunde später in die Atmosphäre ein. Dazu muss aber die Bahn der Station geeignet sein; ihre Subspur muss dazu über das Zielgebiet hinwegführen, was aber nicht zu jedem Zeitpunkt, und abhängig von der Bahnart, vielleicht noch nicht einmal jeden Tag der Fall ist. Der Betreiber der Station kann also nicht angreifen, wann er will, dafür weiß der Gegner genau, wann er angegriffen werden kann, und wann nicht.

Was ist nun aber mit dem nächsten – und wichtigeren – Punkt, dass nämlich die USA die Raumfahrttechnik komplett verschlafen haben sollten, bis die Sowjets sie mit der Nase darauf stießen?

Diese Vorstellung ist zumindest nicht mit vielfach belegten historischen Tatsachen konsistent.

  • Erstens hatten die USA schon 1955 angekündigt, zum internationalen geophysikalischen Jahr 1957/58 einen wissenschaftlichen Erdsatelliten starten zu wollen. Die Sowjets kamen ihnen mit Sputnik 1 allerdings zuvor.
  • Skizze des KH-1-Satelliten, Quelle: Globalsecurity.orgZweitens, viel wichtiger, arbeiteten die USA bereits mindestens seit Mitte der 50er Jahre, also deutlich vor dem Sputnik-Schock, unter dem Decknamen “Corona” intensiv an der ersten Generation optischer Spionagesatelliten der Keyhole-Serie. Erste Studien zu diesem Thema hatte die RAND-Corporation bereits 10 Jahre zuvor erstellt, in den 50er Jahren lief die Entwicklung auf Hochtouren. Die Aufklärung aus dem All ist natürlich eine Paraderolle für einen Erdsatelliten, US-Stellen waren sich dessen voll bewusst. Es ist nicht plausibel, dass Präsident Eisenhower und sein Stab nicht umfassend in ein Projekt dieser strategischen Bedeutung eingeweiht waren. Im Gegenteil, die wussten sehr genau Bescheid.
  • Explosion der ersten Vanguard-Rakete, Quelle NASA/JPLDrittens, und ebenso wichtig wie der vorhergehende Punkt: Ebenfalls bereits seit Mitte der 50er Jahre wurde in den USA mit hoher Priorität die Entwicklung großer interkontinentaler Raketen vorangetrieben. Diese konnten ohne viel Aufwand für den Start von Satelliten aufgerüstet werden, so wie ja auch die sowjetische R7 eigentlich eine (wegen ihrer langen Vorbereitungszeit strategisch allerdings nur bedingt wertvolle) interkontinentale Rakete war, die durch die Anfügung einer Oberstufe zu einem orbitalen Startsystem wurde. Aus diesen Produkten entstanden die Atlas und die Delta, deren Nachfolger immer noch im Einsatz stehen. Die rufschädigenden Explosionen beim Versuch, auf die Schnelle einen amerikanischen Satelliten zu starten und damit PR-technisch mit den Sowjets gleichzuziehen, verdankte man einer anderen Rakete, der von einer als “nicht so militärisch” angesehenen Forschungsgrupe entwickelten Vanguard, eher eine Spielzeugrakete mit einer Startmasse von unter 15 Tonnen.
Filmaufnahme des ersten Vanguard-Fehlstarts

Man sieht: Die Legende von den weit zurückliegenden Amerikanern lässt sich nicht halten. Sie waren technisch bereits sehr weit, hatten allerdings in der Tat die sowjetische Entwicklung unterschätzt und ganz sicher nicht mit dem PR-Desaster gerechnet, das folgte, als die technischen Großtaten der ersten Satellitenstarts nicht von US-Seite vollbracht wurden.

Die sowjetische Seite setzte die Steilvorlage (bei deutlicher Übertreibung der eigenen Kapazität) optimal um und erfuhr dabei unerwartete Schützenhilfe von zwei Seiten, was zu der Legende des Verschlafens des Raumfahrtzeitalters führte. Zum einen prüfte die Presse offenbar nicht alle Fakten so detailliert, wie es die Wichtigkeit des Tatbestands eigentlich erfordert hätte. Zum anderen kam es auch dem US-Militär in dieser kältesten Phase des kalten Kriegs nicht ungelegen, dass die Öffentlichkeit einen vermeintlichen sowjetischen Vorsprung wahrzunehmen meinte, denn eine solche Wahrnehmung ebnet immer den Boden für höhere Militäretats.

Und so haben wir die sonderbare Situation, dass nach Jahrzehnten der dokumentarischen und publizistischen Aufarbeitung eine weitgehende Fehlbeurteilung der tatsächlichen Verhältnisse zu Anfang des Raumfahrtzeitalters vorliegt. Sie wird offenbar auch heute nicht weiter hinterfragt.  

Darauf ein herzliches Frohes neues Jahr!

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

8 Kommentare

  1. Wo endet der Luftraum?

    Ich denke auch, dass Sputnik vor allem gut für die amerikanische Raumfahrt war, da der Sputnik-Schock für die öffentliche Akzeptanz sorgte, ohne die es in einer Demokratie nicht geht. Ich frag mich aber auch, ob nicht aus einem anderen Grund das US-Militär ganz froh war, dass die Russen den ersten Satelliten im All hatten: Der Kalte Krieg war ja noch relativ jung und der Gegner nicht einzuschätzen. Was bedeutet es eigentlich, einen Satelliten über das gegnerische Territorium fliegen zu lassen? Ist das schon ein kriegerischer Akt? Wie bewertet die andere Seite das? Heute sind wir Satelliten gewohnt, damals waren sie neu. Dadurch, dass die Sowjetunion zuerst einen Satelliten über die USA fliegen ließ, war das Problem vom Tisch. Auch im Kalten Krieg war das Weltall von nun an nicht Teil des eigenen oder gegnerischen Luftraums, man kann nun hemmungslos Spionage- und Kommunikationssatelliten aussetzen, ohne befürchten zu müssen, der Gegner antwortet mit einem Erstschlag. Ich habe keine Ahnung, ob diese Überlegung wirklich eine Rolle spielte, finde sie aber nicht wenig plausibel.

  2. @Stefan Taube

    Soweit mir bekannt, sind Ihre Annahmen bezüglich der zunaechst unklaren Rechtslage beim Überflug eines fremden Territoriums durch einen Satelliten durchaus zutreffend: Man hatte da anfangs sehr wohl Sorgen, wie solche Überflüge, die ja prinzipbedingt gar nicht zu verhindern sind, gewertet würden, schlimmstenfalls gar als Casus Belli.

    All das war, wenn ich mich richtig erinnere, mit ein Grund dafür, warum die USA sich solche Mühe gaben, ihre geplanten ersten Satellitenstarts von der Anmutung des militärischen Einsatzzwecks reinzuhalten und stattdessen als Behelfslösung die erwähnte Vanguard-Rakete zu verwenden.

    Der Start von Sputnik-1, dazu auch noch mit einer eindeutig militärischen Rakete, löste da auf einen Schlag eine Menge Probleme und schuf einen sauberen Präzedenzfall.

  3. Damals und heute Gegensätze

    Zu diesem Thema gab es eine mehrteilige Fernsehserie, die Mehrfach lief.

    So wie die Amerikaner zum internationalen geophysikalischen Jahr 1957/58 einen Start angekündigt hatten, hatte es die Sowjetunion auch getan – nur dass hielt im „Westen“ keiner für möglich.
    Als dann alle Entscheidungsträger die Situation eines 1. Satelliten im All begriffen hatten, musste die als Sputnik 1 vorgesehene Raumkapsel mehrfach aus technischen und Zeitgründen abgerüstet werden – was ihm keinen Abbruch tat. Dafür waren die Folgesatelliten immer größer.
    W. v. Braun hätte eigentlich eine Rakete zu einem früheren Zeitpunkt gehabt – aber es sollte eine rein amerikanische sein. Im Endergebnis war er es, der den ersten amerikanischen (Mini-)Satelliten ins All brachte.
    Festzustellen bleibt auch, dass beide Raketensysteme in Ost und West auf die deutsche A 4 zurückgehen. Dabei hatten eindeutig die Amerikaner die bessere Ausgangsposition sowohl materiell und auch personell – sie haben sie aber zu diesem Zeitpunkt nicht genutzt! Für die Mondrakete durfte und konnte W. V. Braun sich dann voll auf seinen Traum konzentrieren.
    Merkwürdig bleibt, dass man bei den sowjetischen Starts immer reklamierte, dass sie erst nach dem Starterfolg ihn verkündeten, man warf ihnen eine schlechte Medienpolitik vor. Auf der anderen Seite haben alle amerikanischen Mondastronauten jahrzehntelang nach ihrem Einsatz immer noch Redeverbot. Daran hielt sich auch der amerikanische Astronaut von Apollo 14 – Dr. Edgar Mitchell (6. Mann auf dem Mond) als er verkündete „Roswell took place!
    Eigentlich ist es taurig, dass so viele Nationen selber ein Raumprogramm entwickeln, weil man sich nicht auf ein Programm einigen kann. AH gab vor 2 Jahren eine Antwort.

  4. Antwort an Herrn Deistung

    Die Fernsehserie habe ich auch gesehen, muss aber sagen, dass sie leider auch zur Mythenbildung beitrug.

    Die Tatsache, dass die Amerikaner schon lange vor Sputnik an Spionagesatelliten und den dazu erforderlichen orbitalen Startsystem arbeiteten, findet dort, wenn ich mich recht erinnere, keine Erwähnung. Dabei ist das doch eine wesentliche Tatsache, die man einfach einbringen muss, will man die damalige Situation richtig einschätzen.

    Auch diese Theorie mit der angeblich nicht genügend amerikanischen Rakete von Brauns ist nicht wirklich plausibel und deckt sich nicht mit den Tatsachen. Die Vanguard sollte diesen speziellen wissenschaftlichen Satelliten starten, weil sie den Vorteil hatte, nicht-militärisch zu sein. Das war auch ihr einziger Vorteil, aber in der gegebenen Situation war er nun einmal wichtig. Von Brauns Rakete war dafür nicht zu deutsch, sondern zu militärisch – militärischer ging es schon gar nicht mehr, und gerade für den Satelliten war das nicht opportun.

    Was nun den Herrn Ed Mitchell und seine merkwürdigen Einlassungen und Ansichten zu esoterischen Themen, zu UFOs udn Aliens und dann wohl unausweichlich auch zu Roswell angeht, das hat mit dem gegebenen Thema eher wenig zu tun.

    Zu Herrn Mitchell mag sich jeder seine eigene Meinung bilden, er äußert sich ja ausgiebig.

  5. Antwort an Michael Khan

    Es ist immer so, dass ein Beitrag nicht alle Antworten geben kann und auch immer die Meinung der FS-Macher wieder gibt.
    Roswell – Fluggeräte einer nicht irdischen Spezies – liefern ja über die Jahre Parallelen an Diskussion und viele wiederholte Leugnungen. Viele glauben ja heute noch, dass wir allein im All sind, Andere an eine nur 6000 Jahre alte Erde. Der Universalgelehrte G. Bruno 1584: „Die unzähligen Welten im Universum sind nicht schlechter und nicht weniger bewohnt als unsere Erde.“ Er wurde dafür im Jahr 1600 als Ketzer verbrannt. Und heute? – Sind wir wissenschaftlich und medienoffiziell nicht einen Schritt weiter! Vgl. a.: UFOs entstehen im Hirn.
    Und wenn wir die Bibliotheksgeschichte von Ninive auswerten würden, weil wir den Verlust aus Alexandria bedauern, dann müsste – so der Assyrologe Prof. Powell – die Geschichte sowieso umgeschrieben werden.
    Denn unsere Raumfahrt ist im Prinzip danach nichts Anderes als eine Parallele zur Wiederentdeckung Amerikas… Auch hier war man mal überzeugt, Amerika entdeckt zu haben.
    Militärische oder zivile Nutzung – Käfer oder Kübel – Mordwaffe oder Küchenmesser, der Unterschied ist noch nie groß gewesen. Dazu passt auch gut der Beitrag: „Wo endet der Luftraum.“
    Klar, für den amerikanischen Militär-Industiekomplex war der Sputnikschock DAS Geschäft auf breiter Basis.
    Roswell „stört“ Sie – aber dass die Mondastronauten noch Redeverbot haben? Gibt es eine Begründung?

  6. Redeverbot für Astronauten?

    Herr Deistung: Bei der Argumentation, die von den Assyrern über Giordano Bruno bis hin zu Roswell alles einschließt, komme ich nicht mehr mit. Ich sehe auch den Bezug zum aktuellen Thema nicht.

    Was das angebliche “Redeverbot” für US-Astronauten angeht, dafür moechte ich gern belastbare Beweise sehen. Worauf sollte sich denn ein solches “Redeverbot” beziehen? Es gibt wirklich schon genug unbelegte Behauptungen, da sollte man nicht noch nachlegen.

  7. selbst wenn…

    Selbst wenn die Mondlandung echt war, haben die Amerikaner damit nicht wirklich punkten können. Wenn man mal schaut, wie viele Leute es heut zu Tage gibt, die die Mondlandung für einen Fake halten… Dadurch wird die “Arbeit der Amis” überhaupt nicht mehr gewürdigt. Und es werden ständig mehr, die sagen, dass die Amerikaner zumindest damals 1969 nicht auf dem Mond waren.

    Matthias

  8. Mondlandung echt?

    Ich sehe nicht, was die merkwürdigen Theorien um angeblich nicht stattgefunden habende Mondlandungen während der Apollo-Missionen mit dem zuvor diskutierten oder auch mit dem Inhalt meines Blog-Artikels zu tun haben.

    Auch ist mir nicht bekannt, dass es “ständig mehr werden”, die solchen Thesen anhängen.

    Mir genügt es, dass es niemandem gelingt, solche Thesen durch plausible Argumente zu untermauern. Die angeblichen “Beweise” für eine Fälschung halten keiner näheren Begutachtung stand und zeigen in aller Regel einen erstaunlichen Mangel an Kenntnis selbst elementaren technischen und physikalischen Grundlagenwissens. Deswegen findet sich auch bemerkenswerterweise kein Wissenschaftler, der solchen Theorien Gehoer oder gar Glauben schenkt.

    Aber wie gesagt, darum geht es hier überhaupt nicht, es ist mir nicht klar, wieso die Diskussion nun diese Wendung genommen hat.

    Da ich mir keine Diskussion zu einem mit dem Thema voellig unverbundenen Sachverhalt aufdrängen lassen moechte, ist von meiner Seite aus zu diesem Punkt Ende der Debatte.

Schreibe einen Kommentar