SolO, warum hast du so große Solargeneratoren?

Die Sonne mit dem großen Fleck AR2665 am 11.7.2017, ca. 10:15 MESZ. Canon EOS1200D mit Leitz Apo-Telyt MR500, ISO 400, 1/2000s

Mindestens einem aufmerksamen Raumfahrtfanauf Twitter ist aufgefallen, dass die Sonnensonde SolO (Solar Orbiter), die bald gestartet wird (aktuell anvisiertes Startdatum 10.2.2020 UTC), offensichtlich ziemlich groß ausfallen.

In dieser Computergrafik zeigt SolO seine großen Solargeneratoren, Quelle: ESA/ATG medialab

Gut beobachtet! Man könnte eigentlich annehmen, dass eine Sonde, die auf einer Bahn fliegen wird, auf der sie bis zu 13 Mal Sonneneinstrahlung erfahren wird als die knapp 1400 W/m2 bei 1 AE, mit kleineren Solargeneratoren auskommen kann.

Der zitierte Tweet liefert einen Teil der Erklärung gleich mit. Die Aussage ist durchaus richtig, aber es ist schon noch etwas komplizierter. Achtung: Ich muss da jetzt erst mal etwas weiter ausholen.

Temperaturregelung bei Raumsonden

Grundsätzlich gilt: Ein Raumfahrzeug im Orbit nimmt auf drei Wegen Wärme auf:

  • Durch Sonneneinstrahlung, entweder direkt oder reflektiert
  • Durch von einem heißen Himmelskörper in der Nähe abgegebene Infrarotstrahlung
  • Durch elektrische Energie, die im Inneren der Sonde von Verbrauchern dissipiert wird

Die Wärme kann aber nur auf einem Weg abgegeben werden, nämlich durch Abstrahlung über Radiatoren, die man an den Seitenwänden anbringt, die nie zur Sonne hin ausgerichtet werden. 

Viele Komponenten im Inneren einer Raumsonde wie Treibstoff, Batterien und Elektronik müssen innerhalb mehr oder weniger enger Temperaturgrenzen gehalten werden. Deswegen hat ein Raumfahrzeug meist eine ausgefeilte thermische Regelung. Man achtet schon im Entwurf sehr genau darauf, wie viel Wärme rein kommt und wie viel entweicht.

Wenn passive Maßnahmen nicht ausreichen, müssen Komponenten gekühlt oder geheizt werden. Manchmal geht das ohne Strom. Aber gerade zum Heizen braucht man meist elektrische Heizelemente.

Der thermische Entwurf

So wie ein Tourist sich die passenden Klamotten für seinen Reiseort überlegt, denken auch die Ingenieure beim Entwurf einer Raumsonde genau nach, wohin die Reise gehen soll und was dort für Bedingungen vorherrschen. Sind die Bedingungen extrem, dann wird die Raumsonde so optimiert, dass ihre Überlebenschancen unter diesen Bedingungen maximiert werden.

Wenn das Ziel weit draußen im Sonnensystem ist, dann wird man das Fahrzeug so bauen, dass möglichst wenig Wärme abgegeben und möglichst viel von der kostbaren, raren Sonnenenergie aufgenommen wird. Mit einer solchen Raumsonde sollte man aber tunlichst das innere Sonnensystem vermeiden. Die ESA-Kometensonde Rosetta beispielsweise durfte nicht an der Venus Schwung holen, obwohl das für einen Flug ins äußere Sonnensystem sehr hilfreich gewesen wäre … bahnmechanisch gesehen, aber nicht thermisch. Rosetta wäre in Venusnähe viel zu heiß geworden.

Bei SolO ist es genau umgekehrt. Die Sonde soll bis auf 0.28 AE (42 Millionen km) an die Sonne heran, wo die Einstrahlung besagte 13 Mal so hoch ist wie in Erdnähe. Die Sonde ist also konsequent auf Abwehr von Sonnenwärme ausgelegt. Der Bus wird durch einen dicken thermischen Schild vor der Sonne geschützt. An den sonnenfernen Stellen ihrer Bahn muss deswegen kräftig geheizt werden. Die Solargeneratoren müssen ausreichend elektrische Energie dafür bereitstellen.

Der thermische Schild ist selbst ein sehr interessanter Fall, aber um den soll es hier mal nicht gehen. Thema sind hier die Solargeneratoren.

Das Aussehen der Solargeneratoren

Alle Erdsatelliten und die meisten Raumsonden haben ziemlich konventionelle Solargeneratoren. Auf der Trägerstruktur sind die Solarzellen aufgebraucht, entweder Silizium oder, wenn es in Gegenden mit hoher Flussdichte von Korpuskularstrahlung gehen soll und hohe Betriebstemperaturen zu erwarten sind, aus exotischeren Stoffen wie Gallium-Arsenid.

Bei SolO jedoch sehen die Solargeneratoren anders aus: Da bedeckt eine seltsame, glänzende Gitterstruktur einen Großteil der Generatorenfläche. Was ist das?

SolO beim Ausfahrtest der Solargeneratoren bei der IABG in Ottobrunn, Quelle: ESA – S. Corvaja

Es handelt sich um “Optical Surface Reflectors” (OSR), eine Quarz-Schicht, die auf einer metallischen Spiegelfläche aufgebracht wurde. Ein OSR verbindet geringe Absorptivität mit hoher Emissivität. Dank der OSRs bleibt die Maximaltemperatur bei gerade noch beherrschbaren Werten von bis zu +230oC (Anmerkung: Diesen Wert habe ich Artikeln auf der ESA-Webseite entnommen, er ist allerdings wahrscheinlich zu hoch. Siehe dazu den Kommentar zu diesem Blog-Artikel von Nikolay Kübler).

Wie man sieht, nehmen die OSRs ziemlich viel Platz auf den Solargeneratoren in Anspruch. Die eigentliche Solarzellenfläche ist gar nicht so groß.

Hitze und Strahlenschäden

Allerdings. Das ist schon viel Holz für Solarzellen. Deren Wirkungsgrad nimmt bei hohen Temperaturen ab. Deswegen muss man mehr davon mitnehmen, damit die elektrische Leistung für den Betrieb der Raumsonde und ihrer wissenschaftlichen Instrumente ausreicht.

Hinzu kommt, dass in Sonnennähe nicht nur mehr Strahlungsleistung die Solarzellen erreicht – so viel, dass man während der größten Annäherung sogar die Solargeneratoren rotiert, sodass sie nicht mehr senkrecht zur Sonnenrichtung stehen (übrigens braucht man auch deswegen wieder mehr Solarzellenfläche!).

Auch die Flussdichte der solaren Korpuskularstrahlung (vorwiegend Elektronen und Protonen) ist dort viel höher. Diese schädigt Solarzellen und lässt sie altern – auch das senkt den Wirkungsgrad. Damit es auch gegen Ende der Mission, 10 Jahre nach dem Start immer noch reicht, muss man anfangs überdimensionieren.

Alle das zusammen genommen ergibt 18 Meter Spannweite und 15 Quadratmeter Fäche der Solargeneratoren auf SolO.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

11 Kommentare

  1. Ein absolutes Unikat also, diese Sonnensonde SolO – und das selbst im Vergleich zu anderen Sonnensonden, also etwa im Vergleich zur Parker Solar Probe.
    Das und die damit verbundenen Herausforderungen müssen das Herz jedes Raumfahrtingenieurs, angewandten Physikers und aller beteiligten Techniker und Wissenschaftler höher schlagen lassen. Nur die beteiligten Staaten, die das finanzieren müssen, werden von der Komplexität und Einzigartigkeit einer solchen Sonde weniger begeistert sein.

    Letztlich sind die eingesetzten Technologien und Materialien aber wohl alle schon bekannt, wenn sie vielleicht noch nie so bis an ihre letzten Grenzen ausgereizt wurden.

    Ich selbst könnte mir auch andere Methoden vorstellen mit denen man in Sonnennähe Strom erzeugen könnte. Nur wären die noch weniger erprobt. Man könnte beispielsweise den Temperaturunterschied zwischen der heissen, der Sonne zugewandten Seite und der kalten sonnenabgewandten Seite ausnutzen um mit Thermoelementen oder durch Verdunsten einer Flüssigkeit und angeschlossener Miniturbine Strom zu erzeugen. Sogar eine Kühlung einiger kritischer Instrumente könnte man mit einer Verdunstungskühlung erreichen. Doch dabei müsste man auch auf das Gewicht achten.

    • Naja, also, was das Herz der beteiligten Ingenieure angeht, da haben wir halt wieder das Problem, das bei ESA-Wissenschaftsmissionen nicht gar so selten auftritt, um es mal vorsichtig zu formulieren.

      SolO wurde ja schon im Oktober 2000 vom Science-Program-Committee (SPC) ausgewählt (Link), damals noch als “Flexi-Mission”. Später erfolgte das Upgrade zur “M-Class-Mission” mit deutlich höherem Budget und Umfang. Eigentlich(TM) sollte der Start nach dem von BepiColombo erfolgen, für die der Start im Zeitrahmen 2008-2013 angesetzt war. Also Ziel 2013, spätestens Mai 2015. Wenn sich dann Verzögerung auf Verzögerung häuft, ist es schwer, noch Enthusiasmus zu bewahren.

      Zu alternativen Methoden der Energieversorgung: Angesichts der besonderen Anforderungen bei solchen MIssion wie SolO ist man immer geneigt, wenn es irgend geht, Solid State-Technologie zu verwenden, wo es keine Fluidkreisläufe gibt und so wenig bewegte Teile wie möglich.

  2. Zitat:

    Zu alternativen Methoden der Energieversorgung: Angesichts der besonderen Anforderungen bei solchen MIssion wie SolO ist man immer geneigt, wenn es irgend geht, Solid State-Technologie zu verwenden, wo es keine Fluidkreisläufe gibt und so wenig bewegte Teile wie möglich.

    Ja. Aber unkompliziert, erprobt und kostengünstig wären auch RTG‘s. Mit einem GPHS-RTG (General Purpose Heat Source — Radioisotope Thermoelectric Generator) würde man 300 Watt elektrische Leistung bei 57 Kilogramm Masse erhalten. Anstatt Solarpanel könnte man dann simple Radiatoren für die Hitzeabstrahlung benutzen.

    Ulysses war übrigens eine heliozentrische, 365kg schwere Sonde der ESA mit GPHS-RTG und dem Auftrag, die Sonne von Positionen ausserhalb der Ekliptik zu vermessen. Allerdings war ihre Bahn nicht sehr sonnennah. Vielleicht werden ja keine RTGs bei sonnennahen Missionen verwendet, weil sie zuviel Hitze abstrahlen?

    • Der große Vorteil von RTGs ist, dass die Energieabgabe kontinuierlich ist und dass die Abwärme zum Heizen genutzt werden kann. Es ist immer massenhaft Abwärme da, nur die Effizienz der thermoelektrischen Elemente, die von vorneherein gering ist, nimmt aufgrund der Alterung der Halbleiter deutlich ab. Für eine Zehnjahresmission dürfte das aber kein Problem sein.

      Die Abwärme wäre für SolO sicher problematisch, müsste aber lösbar sein. Der RTG muss auf jeden Fall auf der Sonnenabgewandten Seite sein. Radiatoren sind an den Seitenwänden des Satellitenkorpus, die nicht zu den Solargeneratoren schauen.

      Auch das Missionsdesign wäre betroffen, denn man müsste demonstrieren, dass es auch im fall eines Totalausfalls der Sonde keine Gefahr des Wiedereintritts des RTGs gibt. Ivj stelle mir das schwierig vor, so etwas überzeugned zu demonstrieren.

      Schwer wiegen wahrscheinlich auch Kostenaspekte und zu erwartender politische Ärger.

  3. Ich musste etwas Lachen, als Gallium-Arsenid als exotisches Material bezeichnet wurde, immerhin ist es Grundlage für einen Großteil der LEDs älterer Generationen (z.B. die Infrarot-LEDS in Fernbedienungen, aber *nicht* für blaue LEDs) und für mich daher gar nicht wirklich exotisch….

    Nebenbei: wird denn für eine solche Raumsonde noch viel Elektronik auf Siliziumbasis verwendet, oder gibt es tatsächlich auf Bauelemente auf Basis von Materialien mit einer sehr viel größeren Bandlücke?

  4. Guter Artikel!
    Das Designprinzip mit den Spiegeln wurde bereits bei den Generatoren von Venus Express und der NASA-Merkursonde Messenger und natürlich dem BepiColombo Mercury Planetary Orbiter angewandt.

    Ich war für die Thermalanalyse der Solargeneratoren beim Bepi Colombo MPO und Solar Orbiter verantwortlich. Bei beiden Projekten wurden die gleichen triple-junction Hochtemperatursolarzellen verwendet, die sind allerdings nicht für 230°C (auch wenn es hier steht) qualifiziert, sondern eher nur für um die 200°C (siehe auch hier). Es sind wirklich die gleichen Zellen und die können jetzt nicht auf einmal mehr aushalten.

    Beim Solar Orbiter gibt es Thermistoren auf der Rückseite der Generatoren. So weit ich weiß, bestimmen deren Messwerte über ein Regelgesetz, wie weit der Generatorflügel aus der Sonne gedreht werden muss. Damit die Zellen nicht zu heiß werden. Da geht die Generatorleistung dann ganz schön in den Keller. Die Vorderkante der CFK-Panels, die dann Richtung Sonne zeigt muss da dann mit schwarzen Titanschilden geschützt werden. Diese werden dann fast so heiß wie das große Hitzeschild des Satellitenkörpers.

    • Vielen Dank für den informativen und interessanten Kommentar!

      Ich habe mir erlaubt, die Links in Ihrem Kommentar in Hyperlinks umzuwandeln. Ferner habe ich in meinem Artikel eine Anmerkung zu dem Wert von 230 Grad C mit einem Verweis auf Ihren Kommentar eingefügt.

    • Wieso MLI auf der Rückseite der Solarpaneele? Auf den ersten Blick würde man denken Wärmeabstrahlung auf der Rückseite der Paneele zur Kühlung wäre vorteilhaft. BepiColombo hat keine MLI an der Rückseite der Solarpaneele. Hat vermutlich auch mit dem Verhältnis von Perihel zu Aphel zu tun. Zu kalt dürfen die Solarzellen wahrscheinlich auch nicht werden.

      • Das hat was mit dem EPD und dem Solarwind zu tun. Dient zur Ladungsableitung, um die Messungen vom Energetic Particle Detector nicht zu stören. Aus Thermalsicht ist das eher kontraproduktiv.

  5. Auch die Parker Solar Probe benutzt Solarzellen zur Energiegewinnung. Ursprünglich war aber ein Radionuklidgenerator geplant, denn bei der zuerst vorgesehenen hochelliptischen Sonnenumlaufbahn wäre der sonnennächste Punkt nur 3 Sonnenradien über der Sonnenoberfläche gelegen, was für Solarzellen zu heiss war.

    NIAC führt ein Projekt namens Solar Surfing, in der eine Sonde bis auf einen Sonnenradius an die Sonnenoberfläche rankommen soll. Ein hochreflektiver, dünner Schirm und ein darauf folgender zweiter, silbriger Schildkonus soll das ermöglichen.

    Wie soll unter diesen Umständen Elektrizität erzeugt werden ohne einen RTG? All-carbon solar cells könnten hier eine Lösung sein, denn sie nutzen die Infrarotstrahlung zur Energiegewinnung. Man liest dazu:

    The new cell is made of two exotic forms of carbon: carbon nanotubes and C60, otherwise known as buckyballs. “This is the first all-carbon photovoltaic cell,” Strano says — a feat made possible by new developments in the large-scale production of purified carbon nanotubes. “It has only been within the last few years or so that it has been possible to hand someone a vial of just one type of carbon nanotube,” he says. In order for the new solar cells to work, the nanotubes have to be very pure, and of a uniform type: single-walled, and all of just one of nanotubes’ two possible symmetrical configurations.

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