Schweden bekommt einen Weltraumbahnhof

By Gaelen Marsden - Own work, CC BY-SA 2.5, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1783788

Am 14. Oktober 2020 hat die schwedische Regierung bekanntgegeben, dass im Rahmen der laufenden Modernisierung der Infrastruktur am ESRANGE Space Center nördlich der nordschwedischen Stadt Kiruna auch die Möglichkeit zum Start von Kleinsatelliten in Erdumlaufbahnen geschaffen werden soll. ESRANGE könnte bereits 2022 für orbitale Starts genutzt werden. 

ESRANGE wurde 1964 von der Vorläuferorganisation der heutigen Europäischen Weltraumagentur ESA eingerichtet und ist seit 1972 im Besitz der schwedischen Regierung. Der Betrieb der Anlage obliegt der staatlichen Firma Swedish Space Corporation (SSC)

Von dort wurden bereits Hunderte suborbitaler Forschungsraketen sowie viele Höhenballons gestartet zur Erforschung der Hochatmosphäre, aber auch beispielsweise zum Testen von Fallschirmsystemen für planetare Sonden. 

Jetzt wurde dort auch eine Testeinrichtung für Raketentriebwerke eingeweiht. Dabei kündigte die schwedische Forschungsministerin Matilda Ernkrans auch die weiteren Pläne an. 

Unter den ersten Nutzern der Testeinrichtung sind auch zwei deutsche Unternehmen:

  • ISAR Aerospace, deren zweistufige Rakete “Spectrum” 700 kg Nutzlast in eine sonnensynchrone Bahn transportieren können soll
  • Rocket Factory Augsburg, deren ebenfalls zweistufige Rakete sogar 1100 kg in eine 700 km hohe sonnensynchrone Bahn heben können soll

Wenn diese Firmen sich im ESRANGE etablieren, wäre es nahe liegend, dass sie ab 2022 auch von dort aus starten. 

ArianeWorks, eine vom Hersteller der Ariane-Rakete und der französischen Raumfahrtagentur CNES (Centre National des Etudes Spatiales und nicht, wie oft behauptet “Centre of Non-English-Speakers”) gegründete Initiative, hat zum Ziel, wiederverwendbare europäische Raketentechnik zu entwickeln und mit der US-Firma SpaceX gleichzuziehen. Der Prototyp des Triebwerks dieses wiederverwendbaren Vehikels heißt Prometheus. Seine Herstellungskosten sollen um eine Größenordnung unter denen des Vulcain 2-Triebwerks der Ariane 5 liegen. 

Ziel der Entwicklungen ist die nächste Generation europäischer Raketen, Ariane NEXT, die das neue Triebwerk verwenden wird und mit der die Startkosten gegenüber der Ariane 6 halbiert werden sollen. Auf dem Weg zur Ariane NEXT wird es mehrere Demonstratoren geben, zunächst einen einfachen namens Callisto, und dann einen weiter gediehenen namens Themis. Auch Themis-Testflüge sollen vom ESRANGE aus erfolgen. 

Mir stellt sich jetzt die Frage, was die Entwicklung des ESRANGE für die Pläne für eine deutsche Startbasis bedeutet. Wie es aussieht, haben die Schweden bereits einen gewaltigen Vorsprung und zudem deutliche geographische Vorteile. Selbst deutsche Unternehmen aus dem New-Space-Bereich scheinen den etablierten schwedischen Standort zu bevorzugen.

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

5 Kommentare

  1. ISAR Aerospace, Rocket Factory Augsburg und ArianeWorks sind gute Beispiele für europäische Initiativen im Raketenbereich, die sich auf wichtige Kerntechnologien fokussieren und bei denen neue Fabrikationstechniken ausprobiert werden. Das steht zuerst einmal im Gegensatz zu den grossen Raumfahrtunternehmen wie NASA und ESA, die eher damit beschäftigt sind, Lieferanten von etablierte Technologien in Grossprojekten zusammenzubringen und Zeitpläne einzuhalten.

    Doch NASA und ESA brauchen solch neuen Input, solch Frischblut, wie es kleinere, um neue Ideen entstandene Firmen einbringen können.Und die kleinen Firmen im Raumfahrtbereich wiederum benötigen eine minimale Infrastruktur und natürlich Startmöglichkeiten für ihre Raketen. Ich denke die europäische Raumfahrtszene ist zu klein, als dass in jedem grösseren Land ein Startplatz stehen könnte. Ein paar wenige Startplätze haben vielleicht auch den Vorteil Leute für den Gedankenaustausch zusammenzubringen.

    • Die Frage lässt sich so nicht beantworten, weil die Antwort von verschiedenen Faktoren ankommt, Art des Treibstoffs, Bauart der Rakete, vor allem aber die Zielbahn.

      Beim Start in eine niedrige sonnensychrone Bahn, wie sie für sehr viele Erdbeonachtungssatelliten gebraucht wird, ist das Delta-v und damit der Treibstoffverbrauch von einer weit nördlichen oder südlichen Startbasis aus geringer als von einer äquatornahen Basis aus.

      Kiruna ist für solche Starts also vorteilhafter als beispielsweise Kourou.

  2. Nach diesem Artikel in Space News ziehen die großen Raketenbetreiber das Geschäftsmodell der kleinen Rateken-Start-Ups in Zweifel.

    Zum einen gibt es davon zu viele und eine massive Marktbereinigung wird stattfinden, sobald das Venture-Kapital knapp wird.

    Zum anderen graben gerade die großen den kleinen das Wasser ab, wenn sie Starts anbieten, bei denen Dutzende von Kleinsatelliten auf einmal gestartet werden können.

    Das Argument der Marktbereinigung ist natürlich nicht unberechtigt. So etwas geschieht in jedem neuen Markt, wenn die erste Goldgräberstimmung vergeht und sich Ernüchterung und Realismus durchsetzen. Es ist wohl auch abzusehen, dass nicht alle kleinen und großen Space 4.0-Projekte Bestand haben werden.

    Allerdings wird es immer noch einen nicht unerheblichen Markt für Betreiber kleiner Raketen geben, nämlich den des Starts von Ersatzsatelliten für einmal etablierte Megakonstellationen. Da zählt nicht die Kapazität der Rakete, sondern die Flexibilität und die Schnelligkeit der Startvorbereitungen.

Schreibe einen Kommentar