Schnelle planetare Vorbeiflüge: Beispiel New Horizons
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Viele Raumfahrtmissionen beinhalten schnelle Vorbeiflüge an Himmelskörpern, in denen binnen kurzer Zeit so viele Beobachtungen des Zielobjekts wie möglich durchgeführt werden müssen.
Die ESA-Kometensonde Rosetta hat beispielsweise auf ihrem Weg zum Kometen zwei Asteroiden auf diese Art besucht. Aktuelles Beispiel ist die NASA-Sonde New Horizons, deren Missionszweck in einem Vorbeiflug am Zwergplaneten 134340/Pluto im Juli 2015 liegt. New Horizons befindet auf einer hyperbolischen Bahn, die das Sonnensystem auf Nimmerwiedersehen verlassen wird. Die Relativgeschwindigkeit zu Pluto liegt bei 14 km/s.
Anders als mit einem schnellen Vorbeiflug geht es nicht, wenn keine Möglichkeit zu einem Bahneinschuss besteht. Alle sieben anderen Planeten und einige Asteroiden und Kometen sind zunächst durch vorbeifliegende Sonden erkundet worden.
Dies stellt eine erhebliche technische Herausforderung dar. Egal, in welcher Richtung der Vorbeiflug erfolgt, eines ist immer gleich. Die Blickrichtung zum Ziel bleibt lange Zeit fast unverändert, kippt binnen kurzem um 180 Grad und bleibt dann wieder unverändert.
Gerade diese kurze Zeit mit der schnellen Richtungsänderung ist wichtig, denn da werden die Beobachtungen und Messungen gemacht. Je dichter der Vorbeiflug, desto abrupter die Richtungsänderung. Genau mit solchen schnellen Drehungen haben Raumsonden ein Problem, zumal die Drehrate keineswegs konstant ist und zudem auch noch die Sonde zuverlässig in jedem Moment in genau die richtige Richtung gucken können muss. Man hat sie ja nicht gestartet und vielleicht jahrelang durchs Weltall manövriert, damit sie dann die Kamera in die falsche Richtung hält und Bilder von Sternen statt von ihrem Ziel schießt oder ihre Spektroskope nur den dunklen Hintergrund aufnehmen.
Dieser Umstand diktiert den Minimalabstand vom ZIel. Bei New Horizons am Zwergplaneten 134340/Pluto wird dieser 10000 km betragen. Die erste Abbildung zeigt, wie die Blickrichtung von der Sonde zum Pluto, relativ zu einer gewählten unveränderlichen Referenzrichtung, sich von einem Tag vor bis zu einem Tag nach der größten Annäherung verändert (blau).
Das Diagramm zeigt auch (rot) die scheinbare Winkelgröße von Pluto, gesehen von New Horizons, abzulesen an der rechten y-Achse. Noch einen Tag vor der größten Annäherung erscheint Pluto noch einen Bruchteil von einem Grad groß. Etwa 6 Stunden vor der größten Annäherung erreicht seine scheinbare Größe ein halbes Grad, so wie der Mond von der Erde.
Innerhalb der Stunde um die größte Annäherung erscheint Pluto mehrere Grad groß, mit einem Maximum von 13.5 Grad. Dann schrunpft er so schnell zusammen, wie er zuvor anwuchs. Nach der größten Annäherung wird New Horizons zudem auch noch in Sonnenrichtung blicken, sodass es schwierig sein dürfte, die nicht beleuchtete Seite des Pluto auszumachen. Auch wenn die Sonne in 4.9 Milliarden km (fast 33 AE) Entfernung steht, sodass sie weniger als ein Tausendstel der Leuchtkraft hat, mit der die Erde beschienen wird.
Hier sind trotz der geringen Helligkeit kurze Belichtungszeiten erforderlich: Nicht nur verändert sich die scheinbare Größe sehr schnell, auch die Position der Sonde relativ zur Oberfläche des Zwergplaneten verändert sich. Eine lange Belichtung führt da unweigerlich zu Verwischung.
Ich habe mit einer der Funktionen der Tabellenkalkulation Excel versucht, Zeit, Abstand und scheinbare Größe in einer Grafik nicht nur ablesbar zu machen (das leistet ja schon das obige Bild), sondern sie zu visualisieren. Wirklich hilfreich ist das Ergebnis nicht – man kann daraus nicht wirklich etwas ablesen.
Aber die Darstellung ist doch recht anschaulich. Sie zeigt, wie Pluto von “winzig klein” bis “ganz schön groß” aufbläht und danach wieder auf “winzig klein” zusammen schnurrt und was die resultierenden Größenunterscheide in der Praxis bedeuten.
New Horizons Beobachtungsinstrumente richtig auszulegen scheint mir eine schwierige Optimierungsaufgabe. Wenn man den Pluto schon Tage for der Ankunft der Sonde beobachten will muss das entsprechende Instrument einen sehr kleinen Blickwinkel, also eine grosse Brennweite besitzen. Das gleiche Instrument ist aber für die Nahbeobachtung praktisch nutzlos. Also braucht man lichtstarke und entsprechend schwere Kameras/Teleskope für die grosse Distanz und separate, weniger lichtstarke für die kurze Distanz. Das Instrument für die Beobachtung aus grösserer Distanz muss zudem zuverlässiger arbeiten, denn sonst könnte es sein, dass die Mission überhaupt keine Resultate bringt, könnte doch der Nah-Vorbeiflug für die Beobachtung verpasst werden, weil alles so schnell geht.
Das New-Horizons-Kamerasystem heißt LORRI (Long Range Reconnaissance Imager). Hier ein Paper mit einer guten technischen Beschreibung.
Die wesentlichen Entwurfsparameter heißen “Masse” und “Kohle”. Beide Größen haben einen erheblichen Einfluss auf die Komplexität und Leistungsfähigkeit des Systems. Beide Größen unterliegen erheblichen Einschränkungen. Deswegen ist LORRI auch nicht, wie beispielsweise OSIRIS auf Rosetta oder das ISS auf Cassini als System mit Teleskop- und “Weitwinkel”-Kamera ausgelegt, sondern eher minimalistisch. Heraus kam ein Spiegelteleskop nach Ritchey-Chretien-Bauweise mit einem monochromen 1-Megapixel-CCD, ohne bewegte Teile wie Filterräder.
LORRI ist sicher ein weltraumtaugliches Spezialteleskop das es nur einmal gibt und das nur schon deshalb recht teuer sein wird. Inzwischen gab es aber wohl viele dutzende von Missionen mit Teleskopen und Kameras. Das würde es nahelegen, ein weltraumtaugliches Standardinstrument (oder eine Serie) für optische Beobachtugnen aufzulegen, so dass man für eine Mission nur noch ein Modell aus einer bestehenden Serie auswählen musste, etwa so wie ein Nikonfotograph aus einer kleinen Zahl von existierenden Modellen eines auswählt.
So weit ich weiß, ist die wissenschaftliche Ausrüstung von New Horizons unter erheblichem Spardiktat entwickelt worden. Dies betraf nicht nur die Kosten, sondern auch die Masse – wobei diese zei Sparvorgaben eigentlich in Gegensatz zueinander stehen. Keine Filter, nur 1 Megapixel, keine Wahl zwischen zumindest zwei Brennweiten – darüber würde wohl jede anspruchsvollere Mission die Nase rümpfen.