Welche Bahn soll Ihr Satellitensystem haben?

Gemessener Verlauf der Sonnen- und geomagnetischen Aktivität seit Beginn des Raumfahrtzeitalters. / Quelle ESA/ESOC/Space Debris Office

Ein eigener Satellit und selbst ein eigenes Satellitensystem ist heutzutage keineswegs staatlichen Stellen oder Großunternehmen vorbehalten. Auch kleine Start-Ups oder Forschungsunternehmen können so etwas durchaus stemmen. Kleine Satelliten können mit Standardkomponenten konfektioniert werden; für den Start gibt es die Möglichkeiten, die Rakete (und damit die Kosten) mit Dutzenden anderer Betreiber zu teilen. 

Bevor ich zu diesem Thema weiter aushole, möchte ich jedoch den Syzygienkönig zu Wort kommen lassen. Der tut hiermit kund und zu wissen, dass Anfang August die Planeten Mars und Uranus in einem Winkelabstand von nur wenig mehr als einem Grad zu beobachten sein werden. Das Auffinden erleichtern die Plejaden, eine knappe Handbreit links vom Mars. 

Die Plejaden, Uranus und Mars am frühen Morgen des 2. August 2022, hier simuliert für Darmstadt um 03:00 MESZ / Quelle: Michael Khan via Stellarium
Die Plejaden, Uranus und Mars am frühen Morgen des 2. August 2022, hier simuliert für Darmstadt um 03:00 MESZ / Quelle: Michael Khan via Stellarium

Ab etwa 01:00, je nach Standort, wird Mars in Richtung ONO ausreichend hoch über dem Horizont sein. Die Paneten können beobachtet werden, bis etwa ab 05:00 der Himmel zu hell wird. Wenn am 2. August das Wetter nicht mitspielt, kann man das rot-blaue Paar auch an den Tagen davor oder danach beobachten, dann aber in etwas größerem Abstand voneinander. 

Und noch etwas: Wie Sie sicher gehört haben, wird die NASA am 12.7., also am kommenden Dienstag ab 09:45 EDT (15:45 MESZ) die ersten Bilder des JWST vorstellen. Sie sollen fantastisch sein – ich freue mich drauf. Der Link zu NASA Live ist hier.

Also, wie war das mit dem Satellitensystem?

Gut, zurück zum Thema. Es geht also um ein Satellitensystem. Dies könnte aus kleinen “Cubesats” bestehen, also “Würfelsatelliten”, die aus 10x10x10 cm großen Elementen aufgebaut sind. Ein 1U-Cubesat ist mit einem Liter Volumen die kleinste mögliche Einheit, Sie können aber auch Satelliten der Größe 2U, 3 U, 4U, 6U, 8U, 12U etc. haben, wobei beispielsweise ein 12U-Cubesat eine Größe von 20x20x30 cm hat. Verglichen mit einem 1U-Cubesat wäre das schon fast ein Riese, aber objektiv betrachtet ist das immer noch ein winziger Satellit. Man kann sehr viele davon auf eine Rakete packen, muss aber sicherstellen, dass jeder dieser möglicherweise unterschiedlich großen Kleinsatelliten auch sicher ausgesetzt werden kann. Dazu muss die Oberstufe der Rakete eine Transport- und Aussetzeinrichtung (“Dispenser”) tragen.

Wie groß Ihre Satelliten sind und wie sie ausgestattet sind, bleibt Ihnen überlassen. Je kleiner der Cubesat, desto preiswerter ist er in der Regel. Die größeren, also beispielsweise in der 12U-Klasse, können durchaus technisch ausgefeilter sein, mit einem Antriebssystem, einer aktiven Lageregelung, ausfahrbaren Solargeneratoren, einer ausklappbaren Reflektorschüssel für die Antenne und mehreren Instrumenten.

Und was ist mit den Orbits?

Das ist in der Tat ein komplexes Problem. Da hat man zum einen die Zielbahn, in der der Satellit seine kommerzielle, militärische oder wissenschaftliche Aufgabe erfüllt. Alle Mitglieder im Satellitensystem werden dort ihre endgültige Konfiguration eingenommen haben: Solargeneratoren sind ausgefahren, Antennen sind ausgeklappt. Wie hoch diese Bahn ist, hängt davon ab, was jeder Satellit in dem Satellitensystem für eine Aufgabe erfüllen soll, und davon, wie viele Satelliten man vorsieht. Je höher die Bahn, desto größer ist das von ihm abgedeckte Gebiet auf der Erdoberfläche.

Aber jeder Satellit hat auch eine Startkonfiguration. Da sind noch alle ausfahrbaren Komponenten verstaut und der Satellit ist klein und kompakt. Jeder Betreiber muss nun aber darauf achten, keinen langlebigen Weltraumschrott zu produzieren. Das liegt auch im Eigeninteresse aller, die die Ressource “niedriges Erdorbit” nutzen wollen. Ein kleiner, kompakter Satellit unterliegt meist  einem deutlich geringeren Luftwiderstand als einer, der seine endgültige Konfiguration eingenommen hat.

Luftwiderstand und orbitale Lebensdauer

Wenn ich gebeten werde, die Missionsanalyse für eine Mission im niedrigen Erdorbit zu machen, achte ich sehr genau auf die Einhaltung der Richtlinien zur Vermeidung von Weltraummüll. Die sagen, dass ein Objekt auf Bahnhöhen von weniger als 2000 km nicht länger als maximal 25 Jahre im Orbit bleiben soll. Dabei muss ich aber die möglicherweise sehr unterschiedlichen Konfigurationen eines Satelliten berücksichtigen.

Atmosphärische Dichte (gemittelt über saisonale, diurnale und lokale Effekte) als Funktion der Höhe über dem Geoid und der Sonnenaktivität / Quelle: Michael Khan
Atmosphärische Dichte (gemittelt über saisonale, diurnale und lokale Effekte) als Funktion der Höhe über dem Geoid und der Sonnenaktivität / Quelle: Michael Khan

Die obige Grafik zeigt die atmosphärische Dichte als Funktion der Höhe über dem Geoid und der Sonnenaktivität. Alle Variationen, die von der Lokation, von tageszeitlichen oder saisonalen Effekten abhängen, sind hier herausgemittelt. Wie man sieht, nimmt die Luftdichte zwischen 200 und 300 km um etwa eine Größenordnung ab. Ein Satellit, der bei 200 km Höhe 2 Tage Lebensdauer hätte, würde bei einer Anfangshöhe von 300 km schon 20 Tage durchhalten. (Die Abnahme der Bahngeschwindigkeit bei steigender Höhe lasse ich erst einmal außen vor – später in der numerischen Berechnung wurde das natürlich berücksichtigt. Auch rede ich ich hier grundsätzlich von Kreisbahnen. Bei exzentrischen Bahnen wird das Ganze deutlich komplizierter.).

Von 200 auf 500 km Höhe verringert sich die Dichte schon um mehr als einen Faktor 100. Um 500 km Höhe bleibt ein Satellit üblicherweise schon etliche Jahre oben. Wenn es nochmals 150 km höher gehen soll, also auf 650 km, wächst die Lebensdauer nochmals um den Faktor 10. Bei 800 km Bahnhöhe sind dann schon Dauern von mehr als 100 Jahren bis zum Wiedereintritt zu erwarten.

Zur Sonnenaktivität: Diese variiert in etwa in einem 11-Jahreszyklus. Wenn man sich alle Zyklen seit 1957 anschaut, dann sieht man erhebliche Unterschiede in den Maxima. Der Zyklus 23 mit seinem Maximum kurz nach Anfang des aktuellen Jahrhunderts stellt einen guten Durchschnitt dar. Die kommenden Zyklen lassen sich nicht vorhersagen, aber wenn man für die Zukunft immer Verläufe wie beim Zyklus 23 unterstellt, liegt man langfristig wahrscheinlich nicht ganz falsch.

Gemessener Verlauf der Sonnen- und geomagnetischen Aktivität seit Beginn des Raumfahrtzeitalters. / Quelle ESA/ESOC/Space Debris Office
Gemessener Verlauf der Sonnen- und geomagnetischen Aktivität seit Beginn des Raumfahrtzeitalters. / Quelle ESA/ESOC/Space Debris Office

Und dann ist da noch die Querschnittsfläche – oder genauer gesagt das Verhältnis von Masse zu Querschnittsfläche. Ist dieser Wert sehr hoch, dann ist der Satellit sehr kompakt. Man stelle sich eine Kanonenkugel vor – die wird offenkundig weniger stark abgebremst als ein Objekt, das bei der gleichen Querschnittsfläche viel weniger Masse mitbringt. Da stelle man sich einen aufgeblasenen Luftballon vor.

Hier habe ich die Lebensdauer eines 3U-Cubesats in Startkonfiguration berechnet, unter Berücksichtigung der relevanten Bahnstörungen, wozu auch der Luftwiderstand gehört. Die Berechnung beginnt Anfang 2025, also nahe am kommenden Maximum der Sonnenaktivität. Man sieht, dass die große Halbachse grundsätzlich abnimmt. Die große Halbachse ist ein Maß für die Bahnenergie. Wenn man einen dissipativen Effekt wie den Luftwiderstand hat, muss die Bahnenergie abnehmen. Die mittlere Bahnhöhe erhält man, wenn man von der großen Halbachse den Erdradius abzieht.

Zeitliche Evolution der großen Halbachse für einen kompakten Kleinsatelliten als Funktion der anfänglichen mittleren Bahnhöhe, / Quelle: Michael Khan
Zeitliche Evolution der großen Halbachse für einen kompakten Kleinsatelliten als Funktion der anfänglichen mittleren Bahnhöhe, / Quelle: Michael Khan

Man sieht auch, dass der Abstieg mal schneller, mal langsamer erfolgt – das liegt an der erwarteten Sonnenaktivität. Ausgehend von einer Anfangsbahnhöhe von 540 km ist schon kurz nach dem nächsten Sonnenmaximum Schicht im Schacht. Aber bei nur 40 km Bahnhöhe mehr steigt die Lebensdauer derart an, dass man befürchten muss, die Grenze von 25 Jahren zu reißen.

Ein neuer Faktor: Megakonstellationen

Wie hoch sollte man die Mitglieder in einem Satellitensystem starten? Im oben betrachteten Fall scheint es so, dass 550 oder gar 560 km noch OK wären. Auch wenn ein Satellit schon beim Start kaputt ist und nie in Betrieb gehen kann, wäre er in weniger als 25 Jahren wieder unten. Alles in Butter also? Nicht ganz:

  • Erstens sollte man einen Sicherheitsabstand vom Lebensdauer-Wert 25 Jahre halten.
  • Zweitens ist da noch der Herr Elon Musk mit seinem eigenen Satellitensystem, der Megakonstellation Starlink. Dessen operationelle Bahn hat eine Höhe von 550 km. Wollen Sie den Ausschuss aus ihrem Satellitensystem genau da hineinpfeffern? Lieber nicht, oder?

Also bleiben wir beim Start wohl lieber deutlich darunter. 540 km ist immer noch reichlich dicht dran. Besser wären 530 oder 525 km Maximalhöhe. Dann sind selbst die kaputten Satelliten bestenfalls in wenigen Jahren, schlimmstenfalls aber immer noch in weniger als 25 Jahren unten.

Und die operationelle Bahnhöhe?

Die hängt nun ganz stark davon ab, wie Sie ihr Satellitensystem auslegen. Wenn es sich um kompakte Satelliten mit begrenzter Haltbarkeit handelt, könnten Sie sie vielleicht sogar bei den 525 km lassen. Sie brauchen dann keine Triebwerke für die Bahnregelung einzubauen und sparen so bei der Hardware eine Menge Geld. Allerdings müssen Sie beizeiten für Ersatz sorgen.

Ansonsten müssen Sie einen chemischen oder einen elektrischen Antrieb vorsehen, um die höhere operationelle Bahn zu erreichen. Entweder ist sichergestellt, dass die Satelliten dort allein durch Luftreibung nach weniger als 25 Jahren wieder unten sind, oder Sie müssen die Bahn gegen Ende der Lebensdauer wieder aktiv absenken … wobei sich die Frage stellt, was Sie machen, wenn ein Satellit während der operationellen Phase kaputt geht. Da wäre es besser, einen Vertrag mit einem Dienstleister zum Abräumen von Weltraumschott zu schließen.

Verlauf von Peri- und Apogäumshöhe einer anfänglich 700 km hohen Kreisbahn unter dem Einfluss von Bahnstörungen / Quelle: Michael Khan
Verlauf von Peri- und Apogäumshöhe einer anfänglich 700 km hohen Kreisbahn unter dem Einfluss von Bahnstörungen / Quelle: Michael Khan

Das habe ich für ein anderes Projekt ausgerechnet. Der Kunde wollte wissen, wie die Lebensdauer bei einer Anfangsbahnhöhe von 700 km vom Verhältnis von Masse zu Querschnittsfläche abhängt. Klarer Fall auch hier: kompakte Satelliten bleiben länger oben. Wohlgemerkt: Die Querschnittsfläche ist die mittlere Querschnittsfläche; man darf nicht davon ausgehen, dass die Anströmung immer so erfolgt, dass der Luftwiderstand maximal ist.

Ich bin ein großer Freund von Fail-Safe-Design – was in diesem Fall bedeutet, dass man die operationelle Bahn so wählt, dass die Satelliten von alleine wieder in deutlich weniger als 25 Jahren wieder unten sind.

Avatar-Foto

Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

3 Kommentare

  1. +++ Update +++ Das erste Bild des JWST wird schon heute um 17:00 EDT (23:00) MESZ von Präsident Biden höchstpersönlich im Weißen Haus präsentiert. Die übrigen Bilder dann wie geplant am Dienstag.

  2. Die amerikanische FCC (Federal Communications Commission) hat vor kurzem die Regeln für Satelliten, deren Bahn zumindest teilsweise unter 2000 km liegt, verschärft, indem sie eine Entfernung aus dem Orbit spätestens 5 Jahre (statt 25) nach Ende des operationellen Betriebs vorschreibt.

    Gegen diese Verschärfung hat sich postwendend Widerstand geregt.

Schreibe einen Kommentar