Reaction Engines ist pleite
Die britische Firma Reaction Engines Limited hat Konkurs angemeldet, wie SpaceNews berichtet. Die Firma existiert schon seit 1989. Ihre Aktivitäten gehen aber auf ein Konzept von 1984 zurück. Damals arbeitete die britische Industrie an einem sehr ambitionierten Projekt namens HOTOL. Das habe ich damals als Student der Raumfahrttechnik verfolgt, erst enthusiastisch, dann zunehmend desillusionierter.
HOTOL
HOTOL, ein Akronym für HOrizonal Take-Off and Landing Launcher sollte gleich mehrere bis dahin für unmöglich gehaltene (und bis heute nicht gelöste) Dinge schaffen: Horizontaler Start wie ein Flugzeug, Single-Stage to Orbit (SSTO)-Fähigkeit, komplette Wiederverwendbarkeit nach Wiedereintritt und ebenfalls horizontaler Landung, Verwendbarkeit eines einzigen Triebwerkstyps.
Das Triebwerk sollte vom Start bis in den Hyperschallbereich mit mehr als fünffacher Schallgeschwindigkeit luftatmend sein. Dabei würde es flüssigen Wasserstoff mit Sauerstoff aus der Luft verbrennen. Für den Weiterflug ins Orbit würde das Triebwerk wie ein herkömmliches Raketentriebwerk funktionieren und flüssigen Sauerstoff aus einem Tank als Oxidator nutzen. Hauptauftragnehmer für das Projekt war British Aerospace. Verantwortlich für die Entwicklung des Triebwerks namens RB545 Swallow war das britische Unternehmen Rolls Royce Aero Engines.
Die Arbeit am HOTOL wurde im Jahr 1989 beendet, als die Finanzierung der Entwicklung eingestellt wurde. Es konnte nicht glaubhaft gemacht werden, dass die Entwicklung der zwingend erforderlichen Vielzahl hochgradig komplexer Technologien erfolgreich sein würde. Darüberhinaus sollte das Vehikel ja auch noch eine Nutzlast ins Orbit transportieren und dann auch noch um Größenordnungen niedrigere Startkosten bieten als konventionelle Raketen. Selbst die, die das Projekt grundsätzlich für durchführbar hielten, zweifelten den Zeitplan und die Kostenschätzungen an.
Der Nachfolger: Skylon
British Aerospace und Rolls Royce waren ausgestiegen, aber eine kleine Gruppe der am Projekt beteiligten Fachleute glaubte nach wie vor an das Projekt und gründete die Firma Reaction Engines Ltd, die sich zum Ziel gesetzt hatte, HOTOL in modifizierter Form weiterzuentwickeln, unter einem neuen Namen: Skylon.
Eine zentrale Figur war dabei der Ingenieur Alan Bond, der offenbar neben seinen technischen Fähigkeiten auch ein ausgeprägtes Talent dafür hatte, insbesondere britischen Politikern Geld aus den Rippen zu leiern. Alan Bond ist ein etwas schillernder Typ. Beispielsweise ist er an führender Stelle beim “Projekt Daedalus” der British Interplanetary Society beteiligt. Nichts gegen visionäre Pläne, aber steht so ein Mann wirklich fest genug mit beiden Beinen auf der Erde, um ein konkretes, aber umfangreiches reales Projekt zum Erfolg zu führen? Bond ist seit 2017 nicht mehr bei Reaction Engines, da er sich mit 73 Jahren in den Ruhestand verabschiedete.
Auch Skylon basierte auf einem hybriden Triebwerk, teils luftatmend, teils Rakete. Sollten bei HOTOL jedoch noch die Triebwerke ganz hinten im Rumpf sitzen, würde sie Skylon außen an die Flügeln tragen. Da aber kein namhafter Triebwerksbauer mehr an Bord war, musste Reaction Engines dies auch noch selbst entwickeln. Das Triebwerk hieß nun SABRE, ein Akronym für “Synergetic Air Breathing Rocket Engine”.
Eine zentrale Funktionalität des Triebwerks war die Blitzkühlung der eintretenden Luft bei Fluggeschwindigkeiten von mehr als 5000 km/h (> 1400 m/s). Dieses Element war des Pudels Kern. Ohne Kühlung des Luftstroms, der im Einlass schlagartig von Hyperschall auf Unterschall abgebremst wird, gäbe es keinen Werkstoff, aus dem man den Kompressor und andere Triebwerkskomponenten hätte bauen können. Keine Kühlung, kein SABRE. Kein SABRE, kein Skylon.
Das SABRE-Triebwerk
Das Triebwerk trat mehr und mehr in den Vordergrund. Seine Entwicklung wurde zum Ziel der Firmenaktivitäten, wobei die Raumfähre Skylon zwangsläufig in den Hintergrund trat. Der Kühler für die Ansaugluft stellte zwar nicht das einzige schwierige technische Problem dar, aber wahrscheinlich das anspruchsvollste. Deswegen konzentrierte man sich erst einmal darauf.
Die Finanzen flossen aus verschiedenen Quellen. British Aerospace kaufte eine Minderheitsbeteiligung an Reaction Engines. Auch Rolls Royce Aero Engines investierte, ebenso Boeing, die britische Regierung, die ESA und Venture-Kapitalgeber. Die Mittel kamen aber keineswegs in dem Umfang, wie sie zum Meistern der gewaltigen technischen Herausforderungen erforderlich gewesen wären. 2024 war das Geld alle und es fand sich kein Geldgeber mehr. Da blieb nur noch die Insolvenz.
Das Problem von Reaction Engines war, dass sich das wirtschaftliche Umfeld verändert hatte. Ihr Produkt Skylon hätte heute nicht mehr in Konkurrenz zu öffentlich finanzierten Startsystemen wie dem Space Shuttle oder bestenfalls Arianespace gestanden. Die Falcon 9 von SpaceX ist auch wiederverwendbar – zwar nicht vollkommen, aber doch weitgehend. Die hat aber zudem auch noch den Vorteil, dass sie existiert und fliegt. Nicht nur auf Papier, das bekanntlich geduldig ist, sondern real, allein dieses Jahr schon mehr als 100 Mal.
Eine Laien-Frage:
Welche Möglichkeiten hätte man zur Kühlung des Luftstroms im Einlass?
Flüssiges Treibstoff-Gas oder Wärme-Abstrahlung?
—–
Ein kleiner Fehler:
“Für den Weiterflug ins Orbit würde das Triebwerk wie ein
herkömmliches Raketentriebwerk funktionieren und flüssigen
Wasserstoff aus einem Tank als Oxidator nutzen.”
Es ist natürlich flüssiger Sauerstoff.
Vielen Dank für das aufmerksame Lesen und die Korrektur des Fehlers, den ich berichtigt habe.
Was die Kühlung des Luftstroms angeht: die Temperaturdifferenz der Luft vor und nach dem Kühler war von +1000 auf -150 Grad, wie im Wikipedia-Artikel zu SABRE steht. Ich sehe nicht, wie das anders als mit flüssigem Wasserstoff hätte erreicht werden können
Flüssiges Helium war das Kühlmittel der Wahl. Gepumpt durch Kühlleitungen mit dem Innendurchmesser eines menschlichen Haares (oder so). Mein letzter Stand war, dass der Kühler fertig und funktionsfähig war.
R.I.P. Skylon
(Zitat) Bond .. sich mit 73 Jahren in den Ruhestand verabschiedete.
Bond im Ruhestand, ja das kann schon ein Problem für die Briten werden, wenn ihre besten Leute sich verabschieden und keine neuen nachrücken.
Doch die pre-cooling Technologie des SABRE-Triebwerks ist damit nicht gestorben, jedenfalls nicht vom Tisch, denn es gibt keine Alternative dazu, wenn man mit einem Jet-Triebwerk Mach 3 oder schneller unterwegs sein will.
Hermeus jedenfalls setzt die pre-cooling Technologie in ihrem Chimera Triebwerk ein (Chimera ist ein turbinenbasierter Kombimotor (TBCC) – was im Grunde bedeutet, dass es sich um einen Hybrid zwischen einem Turbojet und einem Ramjet handelt).
Chimera hat einen Vorkühler, der die Temperatur der Luft, die in den Turbojet einfliesst, reduziert. Dies ermöglicht es Hermeus, etwas mehr Leistung aus dem Turbojet herauszuholen, bevor er auf den Ramjet umsteigt. Die TBCC-Engine von Hermeus ist im Bereich der Hyperschalltechnik einzigartig. Die meisten Hyperschallplattformen werden von einem Raketentriebwerk angetrieben. Aber dieser Ansatz macht die Wiederverwendbarkeit viel schwieriger und von Natur aus gefährlicher für Passagierflüge.