Russische Mars-Sonde Phobos-Grunt sitzt im Erdorbit fest

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Update 14.11.2011, 17:45: Von offizieller russischer Seite aus immer noch eisiges (und eisernes) Schweigen. In einem ganz neuen Artikel auf Space Review von Michael Listner, übertitelt: Phobos-Grunt: A Legal Analysis of Potential Liability and Options for Mitigation, wird der aktuelle Wissenstand über den Zustand der Raumsonde wiedergegeben und die rechtliche Situation im Fall eines unkontrollierten Wiedereintritts beleuchtet. +++

Update 11.11.2011, 10:45: Emily Lakdawalla versucht in einem neuen Artikel auf ihrem Blog etwas Klarheit in den Wust von unbestätigter oder unvollständiger Information zu bringen. Richtig ist, dass gestern zwei ESA-Bodenstationen erfolglos versuchten, Telemetrie zu empfangen. Es wäre nn wichtig, zu wissen, ob die Solargeneratoren ausgefahren wurden und ob die Batterien aufgeladen werden oder zumindest teilweise aufgeladen wurden. Falls nicht, ist da oben wohl schon sehr bald Schicht im Schacht. +++

Update 10.11.2011, 14:00: Weitere Verwirrung herrscht wegen des Themas der Batterielebensdauer der Antriebseinheit (MDU) . Ich verstehe da eins nicht: Die MDU soll bis nach dem Einschuss in die Bahn um Mars – ich nehme an, gemeint ist hier eine Bahn, die der des Phobos ähnelt, an die eigentliche Sonde gekoppelt bleiben. Hieraus ergibt sich zweierlei: (1) Die MDU muss von der Sonde mit Strom versorgt werden können und (2) Die Solargeneratoren der Sonde müssen solide genug sein, um auch während der Schubphasen ausgefahren zu bleiben. (Sie sehen auch solide aus, siehe Abb. unten) In diesem Fall können die Solargeneratoren auch jetzt schon ausgefahren werden, sodass die Batterielebensdauer kein Thema mehr ist. Irgendein wesentliches Stück Information fehlt mir da. +++

Update 10.11.2011, 9:24: Die Bahndaten, deren Vorhersage und die aktuelle Position auf einer Weltkarte können online abgerufenn werden, beispielsweise hier. Die US Space Command ID von Phobos-Grunt ist 37872. +++

Update 9.11.2011, 17:30: Emily Lakdawalla fasst in einem neuen Artikel die Situation, soweit bekannt, zusammen. Hier wird wieder der verfügbare Zeitrahmen von zwei Wochen genannt. +++

Update 9.11.2011, 14:30: Laut diesem Artikel der Nachrichtenagentur RIA Novosti sagt Wladimir Popovkin, der Leiter der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos, dass die Batterien an Bord von Phobos-Grunt  erst in 2 Wochen erschöpft sein werden und dass deswegen so viel Zeit verbleibt, um das Problem zu lösen. Ob Popovkin korrekt zitiert wurde oder ob diese Aussage zutrifft, kann ich nicht beurteilen. Dass die Sonde mit einer solchen Batteriekapazität ausgestattet sein soll, erscheint mir allerdings zweifelhaft, zumal die Sonde im niedrigen Erdorbit periodisch in den Erdschatten eintritt und dann elektrische Leistung gebracht wird, um einzelnen Komponenten vor dem Auskühlen zu bewahren. An anderer Stelle wird eben dieser Herr Popvkin mit der Zahl “3 Tage” zitiert, was mir immer noch reichlich lang vorkommt. +++


Die russische Sonde Phobos-Grunt, die vom Marsmond Phobos Proben entnehmen und diese zur Erde zurückbringen soll, wurde gestern auf einer Zenit-2FG-Rakete in ein niedriges Erdorbit gestartet. Die beim Start 13 Tonnen schwere Sonde soll von dort aus mit ihrem eigenen Antrieb auf Basis der bewährten Fregat-Oberstufe in die hyperbolische Erdflucht und den Transfer zum Mars eingeschossen werden.

Dieser Einschuss sollte in zwei Teilen erfolgen, zunächst in ein hochexzentrisches elliptisches Orbit und dann in die Fluchtbahn. Offenbar hat jedoch keines dieser Manöver stattgefunden, sodass Phobos-Grunt noch im niedrigen Erdorbit (etwa 200 x 350 km) festsitzt.

Mehr dazu auf spaceflightnow.com, auf dem Blog von Emily Lakdawalla bei planetary.org und bei nasaspaceflight.com.

Es ist schwierig, an verlässliche Information zukommen, bzw. die harten Fakten von der Spekulation zu trennen. Was sich herauszuschälen scheint ist, dass es ein Problem beim Umschalten vom Sonnensensor auf Sternsensor (“Star Tracker”) gab. Ein Sonnensensor ist erstens nicht besonders exakt und misst zweitens nur die Ausrichtung des Raumfahrzeugs relativ zur Sonne. Damit weiß man aber noch nicht, wie die Sonde nun im Raum ausgerichtet ist.

Deswegen verwendet man in der Raumfahrttechnik Sternsensoren, im Prinzip nichts anderes als Teleskope mit einer Digitalkamera, die die in ihrem Blickfeld erkannten hellen Sterne mit einer Sternkarte im Speicher des angeschlossenen Computers vergleichen und so die Orientierung der Sonde in allen drei Achsen mit hoher Genauigkeit bestimmen können.

Ohne die Daten des Sternsensors fehlt dem Lageregelungssystem wesentlicher Input, ohne den es seine Aufgabe nicht erfüllen kann. Die Reaktion des Steuerungssystems auf das Fehlen dieses Inputs ist ein “Safe-Mode”: Die Sonde dreht sich automatisch so, dass die Energieversorgung über die Solargeneratoren gesichert ist und ein Überhitzen oder Unterkühlen vermieden wird.

Auch Phobos-Grunt ist nun in einem Safe-Mode. Meist bedeutet dies eine Orientierung zur Sonne und eine langsame Drehung um die Sonnenrichtung; ich kenne jedoch nicht die Details bei Phobos-Grunt. In einem Safe-Mode geht eines mit Sicherheit nicht: Die Ausführung großer Bahnmanöver.

Also muss jetzt erst einmal das Problem mit der Lageregelung gelöst und die Sonde aus dem Safe-Mode gebracht werden. Dann kann man daran denken, eine neue Erdfluchtsequenz zu planen. Dabei ist allerdings zu bedenken, dass die Bahn aufgrund der Verzögerung nicht mehr so orientiert ist, wie es nötig ist, um die Erdflucht in der richtigen Richtung zu erzielen. Also wird eine weitere Wartezeit erforderlich sein, die allerdings durch andere Faktoren begrenzt ist.

Ansonsten werden die Space-Debris-Leute schon bald eine Menge Arbeit bekommen, denn das 13-Tonnen-Trumm wird sich in seinem augenblicklichen niedrigen Orbit nicht mehr als einige Wochen halten.

Skizze vom Aufbau der Mars-Sonde Phobos-Grunt, Quelle: russianspaceweb.com

Skizze vom Aufbau der Sonde Phobos-Grunt, Quelle: russianspaceweb.com

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

4 Kommentare

  1. Die alte URL – und eine Frage

    Wie so oft verrät die ursprüngliche URL eines Blogpostings (“Phobos-Grunt gescheitert”) mehr über die finsteren Gedanken des Autors als die aktuelle Überschrift. Ich sage: Warten wir die Ereignisse der nächsten Stunden ab, wenn wieder Kontakt aufgenommen und evtl. sogar das Triebwerk getestet werden soll. (Worüber man dann vielleicht auch etwas zeitnäher aus erster Hand berichtet als letzte Nacht.)

    Was ich nicht verstehe: Tritt bei derartigen Notfällen nicht eine Art internationales Protokoll in Kraft, nach dem andere große Weltraumorganisationen (hier: NASA, ESA etc.) mit ihren Bodenstationen helfen, um länger Funkkontakt halten zu können? Es hat aber m.E. keinen entsprechenden Hilferuf von Roskosmos gegeben – merkwürdig …

    [Antwort: Meine ursprüngliche Überschrift war “Phobos-Grunt gescheitert?”, IMHO eine berechtigte Frage. Daraus wurde automatisch die URL erzeugt. Das Fragezeichen ist da wohl irgendwie verlorengegangen.

    Was die Unterstützung mit Bodenstationen betrifft, so besteht meines Wissens ohnehin zwischen ESA und Roskosmos eine Übereinkunft, dass die ESA für Phobos-Grunt solche Unterstützung leistet, nicht nur im Notfall.

    Aber das ist mit dem Helfen ja immer so ‘ne Sache. Dazu gehören zwei: einer, der Hilfe anbietet, und der andere, der die angebotene Hilfe auch annimmt. Sonst klappt das nämlich nicht. MK]

  2. Aktuelle Phobos-Grunt-Position Online

    Ich weise auf das Update vom heutigen Tag hin. Die bahndaten, deren Vorhersagefür die kommenden Tage und die Subspur können u.a. hier online abgerufen werden.

  3. Daraus wurde automatisch die URL erzeugt. Das Fragezeichen ist da wohl irgendwie verlorengegangen.

    Das ist richtig und muß auch so sein. Das “?” im URL ist ein reservierter Operator.

  4. Update

    Ich bitte um Beachtung des Updates von heute, 17:45 und des verlinkten Artikels auf “The Space Review” zur rechtlichen Situation im Falle eines unkontrollierten Wiedereintritts der Raumsonde.

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