Sind Parabelflüge schon Raumfahrt?

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Gerade in den letzten Jahren hat die “private Raumfahrt” beachtliche Fortschritte gemacht. Ist jedoch überall dort, wo Raumfahrt draufsteht, auch Raumfahrt drin? Kann man eine Grenze ziehen?

Gespann White Knight - Space Ship One, Quelle: Scaled Composites LLC Die einen legen die Messlatte auf 100 km Höhe und bezeichnen bereits jeden Flug, der darüber hinausgeht, als Raumfahrt. Der Aufwand, um diese Hürde zu überspringen, ist relativ klein; die damit verbundenen Anforderungen, sowohl beim Auf- wie auch beim Abstieg, sind niedrig. Eine kleine Rakete, die nicht effizient sein muss, wird in ein SpaceShipOne-Flugprofil, Quelle Scaled Compostes LLCFlugzeug eingebaut, das aufgrund der Art des Flugprofils beim Aufstieg hohe Geschwindigkeiten erst im Vertikalflug außerhalb der dichten Atmosphäre erzielt. Dieses Flugzeug taucht beim Abstieg mit geringer Geschwindigkeit in die Atmosphäre ein und wird eher sacht abgebremst – es bedarf dazu noch nicht einmal eines Hitzeschilds.

Ein verblüffend einfaches und elegantes Konzept. Damit hat das Team um Burt Rutan bekanntlich den X-Prize abgeräumt, der Einstieg in den kommerziellen Markt mit dem finanzstarken Partner Richard Branson steht bevor. Es gibt Konkurrenten, die sich angeblich mit ähnlichen Konzepten beschäftigen.

Was genau machen die denn? Im Grunde nichts als die kreative Anwendung des 100-km-Kriteriums, wie sie es interpretieren. Schaut man sich die erforderliche Energie an, wird das klar.

Hier klicken: Potenzielle und kinetische Energie im Erdorbit Um 100 km Höhe zu erreichen, wenn da das Fahrzeug schon zum Stillstand kommt, braucht man nur relativ wenig Energie. Das erste Diagramm (Vergrößern durch Klicken) illustriert dies. Gerade bei niedrigen Bahnen werden nur knapp 3% der erforderlichen Energie für die Erreichung der Höhe gebraucht, 97% dagegen für die Bahngeschwindigkeit, die man zwingend braucht, um das Orbit zu erreichen.

Ich setze durchaus auch eine 100 km-Grenze. Aber diese definiere ich als Minimalhöhe für das Perigäum, also den erdnächsten Punkt der Bahn. Und das ist etwas ganz anderes als nur über 100 km zu stippen und dann mangels Bewegungsenergie gleich wieder zurückzufallen. Es ist rund zwei Größenordnungen aufwändiger und bedarf ganz anderer technischer Lösungen, die natürlich mehr Geld kosten. Mehr Aufwand kostet immer mehr Geld, allemal in der Technik.

Anteil der potenziellen Energie Ich will die technische Leistung der privaten Unternehmen nicht schmälern. Es wurden dabei durchaus interessante und elegante technische Lösungswege beschritten. Allerdings warne ich vor überzogenen Erwartungen. Wenn man 97% des Problems einfach außen vorläßt, dann eröffnet das natürlich einige Handlungsspielräume. Hierbei handelt es sich aber nur um die kreative Ausgestaltung einer – allerdings für Ingenieure wie Marketingleute gleichermaßen komfortablen – Sackgasse.

Es wurden bereits Behauptungen laut, nach denen die jetzigen Parabelflieger sich über suborbitale Flüge weiterer Distanz schrittweise zu Gefährten hin entwickeln werden, die schlussendlich auch zu orbitalen Flügen – also zu wirklicher Raumfahrt – fähig sind. Schauen wir uns mal die Anforderungen an, die sich beispielsweise aus einem suborbitalen Transatlantikflug ergeben würden.

Für eine Strecke von 6000 km hat die optimale Trajektorie, bei der die atmosphärische Austritts- und Eintrittsgeschwindigkeit minimiert ist, eine Scheitelhöhe von 800 km und eine Freiflugdauer von rund 1200 s. In 100 km beträgt die Bahngeschwindigkeit 6.3 km/s (sowohl beim Aufstieg wie auch beim Wiedereintritt). Die Rakete muss also das Gefährt auf fast 23000 km/h beschleunigen. Dazu braucht man schon eine ordentliche Hochleistungsrakete, wahrscheinlich eine mehrstufige.

Mit der Geschwindigkeit von fast 23000 km/h erfolgt auch der atmosphärische Eintritt, der problematischerweise auch noch recht steil ist – also gar zu Belastungen führen kann, die höher sind als beim Wiedereintritt aus dem Orbit. Damit muss der Hitzeschild fertigwerden. Die Kenndaten sind gar nicht weit von denen orbitaler Gefährte entfernt. Natürlich sind das nur überschlägige Rechnungen, aber weitaus detailliertere hätten auch nur marginal bessere Ergebnisse (belastbare Gegenrechnungen sind willkommen).

Will man weiter fliegen als 6000 km, nähern sich die Kenndaten noch weiter denen des orbitalen Flugs an. Für eine wirkliche Reduzierung würde man sich auf sehr viel kürzere Strecken beschränken müssen. Das ergibt aber kommerziell gesehen keinen Sinn.

Ein suborbitaler Langstreckenflieger ist aber auch nicht sinnvoll. Wer würde viel Geld investieren, um etwas zu entwickeln, was nur geringfügig weniger kann als ein wirkliches orbitales Raumfahrzeug?

Fazit: Es gibt zwischen relativ einfach zu bewerkstelligenden Parabelfliegern und naturgemäß viel aufwändigeren Raumschiffen keine sinnvollen Zwischenschritte, also kann es auch keine schrittweise Entwicklung von den einen hin zu den anderen geben. Die gewählten technischen Lösungen bei Parabelfliegern, so elegant sie sein mögen, taugen aber auch nur dort, wo man 97% des Problems einfach gar nicht erst angeht, d.h., sie taugen nicht für Raumfahrt. Ergo ist dies eine Sackgasse, woran kein Marketing-Getöse etwas ändern kann.

Die privatfinanzierte Raumfahrt, bemannt wie unbemannt, wird sich weiterentwickeln, und ich zweifle nicht daran, dass in nicht allzu ferner Zukunft auch Privatreisen ins Orbit und vielleicht zum Mond oder zu Asteroiden abgeboten werden, möglicherweise auch verbunden mit einer Landung. Die dazu erforderliche Technik wird allerdings auf dem bis jetzt von der staatlich finanzierten Raumfahrt erworbenen Know-How basieren.

Weitere Informationen

Webseite der Firma Scaled Composites LLC 

Webseite der Firma Virgin Galactic

Artikel in space.com zur Vorstellung von Space Ship Two

EADS-Astrium Pressemitteilung mit Ankündigung des “Space Jet”

Webseite von Rocketplane Kistler Inc

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

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