Neuer Statusbericht zum Absturz der Ju 52 HB-HOT
Fast genau ein Jahr nach dem Absturz der schweizerischen Ju-52/3m g4e HB-HOT am Piz Segnas hat die zuständige Untersuchungsbehörde SUST am 2.8.2019 einen “Statusbericht” veröffentlicht.
Dieser folgt auf den Zwischenbericht vom November 2018 (siehe mein Blogbeitrag vom 1.12.2018). Der aktuelle Statusbericht enthält keine neuen Informationen oder Theorien zum Unfallhergang oder seinen Ursachen. Er informiert ausschließlich über den Fortgang der Untersuchung, in die viel Aufwand investiert wird. Am Ende des Statusberichts wird die als voraussichtliches Datum für die Veröffentlichung des Abschlussberichts das erste Quartal des kommenden Jahres genannt.
Der Statusbericht umfasst nur sechs Seiten. Zunächst wird ganz kurz der Unfallhergang, soweit bisher bekannt, umrissen. Hier steht nichts neues. Die Maschine ist demnach 40 Minuten nach dem Start in Locarno in nord-nord-östlicher Richtung in das Tal südwestlich des Piz Segnas eingeflogen. Zum Nordende des Tals hin setzte das Flugzeug zur Linkskurve an, aus der sich eine abwärtsgerichtete spiralförmige Flugbahn entwickelte. Sekunden später erfolgte der fast senkrechte Aufprall auf dem Talboden, wodurch die Maschine zerstört und alle Insassen getötet wurden.
All das ist bereits seit langem bekannt.
Dann wird – ebenfalls sehr knapp – beschrieben, wie die Leichen und Trümmerteile geborgen und die Unfallstelle vermessen und dokumentiert wurde.
Die Unfalluntersuchung wird dadurch sehr erschwert, dass die 1939 gebaute Ju 52, anders als moderne Passagierflugzeuge, keine elektronische Daten- oder Stimmenaufzeichungsgeräte mitführte. Die Untersuchungsbehörde musste also auf Informationen von anderen Quellen zurückgreifen:
- Filmaufnahmen des Unglücksflugs durch Augenzeugen am Boden, die das Material der Untersuchungsbehörde verfügbar machen
- Radardaten der Flugsicherung
- Bild-, Video- und Audiodaten von mehr als 40 am Absturzort geborgenen Mobiltelefonen und Digitalkameras der Flugzeuginsassen
Zudem hat die SUST auf mehrere Bitten an die Öffentlichkeit hin umfangreiches Bild- und Videomaterial, Flugbahnaufzeichnungen und Berichte von Passagieren erhalten, die bei vorherigen Flügen mit einer der drei Ju 52 des Betreibers Ju Air an Bord waren.
Radardaten sind für 218 Flüge der Ju Air verfügbar, die zwischen April und August 2018 durchgeführt wurden. Dies entspricht etwa der Hälfte der absolvierten Flüge in diesem Zeitraum. Mit den Radardaten können die Flugbahnen rekonstriert werden. Diese werden mit den verfügbaren Wetterdaten während der einzelnen Flüge korreliert.
Dies lässt Rückschlüsse darüber zu, wie die Flugentscheidungen der Piloten an die vorherrschenden Umgebungsbedingungen angepasst wurden. (Mein Kommentar hierzu: Ich meine, dies lässt jedoch nur bedingt Rückschlüsse auf die Situation während des letzten Flugs der HB-HOT zu)
Die geborgenen Wrackteile wurden eingehend untersucht. Flügel und Steuerflächen und Kabel wurden rekonstruiert und bezüglich ihrer Funktionsfähigkeit überprüft. Bei Teilen der Tragflächen fand auch eine metallurgische Analyse und Suche nach Korrosion statt. Auch die Wartungshistorie und die Arbeitsweise der damit betrauten Unternehmen wurde in die Untersuchung einbezogen.
Der Ju Air wurde bereits im März 2019 die Lizenz für kommerzielle Flüge entzogen. Den Wartungsbetrieben wurde im Mai die Zulassung entzogen. Da kein Stimmenaufzeichnugsgerät fest eingebaut war, ist auch die Beurteilung der Zusammenarbeit der beiden Flugzeugführer erschwert.
(Mein Kommentar hierzu: Auf Youtube sind auf vielen Videos von früheren Flügen Aufnahmen von den Flugzeugführern zu sehen. Offenbar war es nicht selten so, dass Passagiere aufstanden, um eine bessere Aufnahmeposition einnehmen zu können.
Sollte das am 4.8.2018 auch so gewesen sein, frage ich mich: was passiert mit den stehenden Menschen, wenn unerwartet eine Kurve und dann ein Sinkflug eingeleitet wird?
Vielleicht nicht ganz von ungefähr wurde kurz nach dem Absturz der Ju 52 HB-HOT, als Ju Air zunächst noch den Flugbetrieb wieder aufgenommen hatte, die Auflage erteilt, dass alle Passagiere während des Fluges auf ihren Sitzen bleiben müssen. Ich vermute, dies könnte mit der am Unglücksort vorgefundenen Situation zu tun haben.)
Zur Analyse der Daten von elektronischen Geräten der Passagiere an Bord der HB-HOT wird gesagt, dass aufgrund des Grads der Beschädigung der Geräte das Auslesen der Daten schwierig ist. Hierbei wurde die Hilfe der französischen Untersuchungsbehörde für Flugunfälle BEA in Anspruch genommen. Diese Arbeiten sind noch nicht abgeschlossen.
Die Topographie des Tals wurde per Laser-Scan in ein digitales Elevationsmodell umgesetzt. Damit kann einer Aufnahme von einem der geborgenen elektronischen Geräte der Aufnahmeort zugeordnet werden. Aber auch die Tonspuren der Aufnahmen enthalten wichtige technische Informationen wie die aktuelle Drehzahl der Motoren oder Hinweise auf ihren Zustand.
Zudem soll die meteorologische Situation im Tal, auch im kleinen Maßstab, durch Modellrechnungen nachgestellt werden, die mit tatsächlichen Messdaten einer Wetterstation und eines Lidar-Systems abgeglichen werden. Ob diese Berechnungen und Messungen aber wirklich hilfreich für die Aufklärung des Umstände beim Absturz der Ju 52 HB-HOT sein werden, hängt davon ab, ob während der Messkampagne im Mittsommer “vergleichbare” Wetterbedingungen vorliegen wie ie am Unfalltag.
(Mein Kommentar hierzu: Ich vermute, hiermit ist folgendes gemeint: Es könnte so gewesen sein, dass angesichts der lokalen meteorologischen Bedingungen die Leistungsreserven des Flugzeugs für das sichere Überqueren des Berggrats am Ende des Tals bereits grenzwertig waren, aber mit Glück noch ausgereicht hätten. Wenn nun aber ausgerechnet im ungünstigsten Moment eine kräftige Bö von hinten kommt, hätte es nicht mehr gereicht. Das ist aber nur meine Spekulation. Wir werden sehen, was nächstes Jahr im Abschlussbericht steht,)
Hm, das Flugzeug war in grob nördlicher Richtung unterwegs. Soweit ich mich erinnere, herrschte an dem Tag Wind aus nördlichen Richtungen. Das heißt, die Piloten hätten nicht so sehr Probleme mit Rückenwind gehabt, sondern mehr mit einem Fallwind, der über den nördlichen Berggrat in den Talkessel einfiel.
Aber grundsätzlich ist es auch meine Vermutung, dass die Piloten fliegerisch nicht mehr in einer sicheren Zone unterwegs waren und die Kombination aus Fallwind, hohen Temperaturen und ein ganz kleines bißchen zuwenig Sicherheitsmarge bei der Flughöhe sie nicht mehr über den Grat kommen ließen.
Es sei denn, es stellt sich bei der Untersuchung heraus, dass ein Motorendefekt ihnen die Steigfähigkeit genau zu dem Moment geraubt hat, als sie sie am dringendsten brauchten. Aber gut, warten wir den Bericht ab.
Wind aus nördlichen Richtungen gilt makroskopisch, aber im Statusbericht sprechen die explizit “small scale movements of the air masses in the valley” an. Mir kommt dieser Teil der Untersuchung wie eine Notmaßnahme mit geringer Erfolgsaussicht vor. Der Statusbericht benutzt auch vorsichtige Formulierungen. Wenn die da dieses Jahr nichts messen, was zum Unfall beigetragen haben könnte, kann man dann ausschließen, dass es im Extremsommer 2018 anders war? Oder wenn die was messen, kann man davon ausgehen, dass da vor einem Jahr auch so war?
Sollte es ein Motorendefekt gewesen sein (allerdings einer, der aus den Trümmerteilen nicht mehr ersichtlich ist), dann sollten das in der Tat die Tonspuren der von den Passagieren gemachten Videoaufnahmen belegen können. So wie der Bericht das darstellt, haben die mit dem DEM und den Videodaten die Möglichkeit, zumindest einen Teil der Daten zu bekommen, die ein Flugdatenschreiber geliefert hätte. Mit den Audiodateien haben mit Glück so etwas wie einen rudimentären CVR. Vielleicht hat jemand im Durchgang zum Cockpit gestanden und nach vorne durch die Cockpitfenster in Richtung des nahenden Felsgrats gefilmt. Der hätte dann auch die Gespräche der Piloten und die Anzeigen der Instrumente im Blickfeld mit aufgezeichnet.
Deine Anmerkung…
… ist aber möglicherweise trotzdem wichtig. Wenn sie nämlich im Talkessel versuchen zu wenden und eine sehr enge Kurve bei Gegenwind ansetzen, dann wäre vermutlich das Kurvensegment, in dem aus dem Gegenwind Rückenwind wird, der kritischste Moment, weil plötzlich weniger Fahrt und damit weniger Auftrieb zur Verfügung steht.
Falls sie die Wende noch vollenden konnten. Aber genau solche Fragen sollte die Auswertung der Videodaten ja beantworten können.
Unfälle wie der Absturz der JU 52 laufen immer wieder auf die gleiche Art ab. Aus diesem Grund ist ein entsprechendes Training Teil der Ausbildung für alle Piloten:
Spin Training Cessna 150
Aus dem oben verlinkten Artikel von austrianwings.info:
Es wäre auch interessant, wie es um die Gesundheit der beiden Piloten stand ? Bricht ein Pilot zusammen und fällt auf die Steuersäule dann ist es passiert !
@Karl Mistelberger
Die Meldung bei Austrian Wings ist allerdings mit Vorsicht zu genießen. Insbesondere dieser Satz…
… ist doch überhaupt nicht haltbar. An welcher Stelle will denn der Zwischenbericht technische Fehler ausgeschlossen haben? Allerhöchstens ist ihm zu entnehmen, dass die bis zur Abfassung des Berichtes entdeckten Vorschädigungen am Flugzeug nicht darauf hindeuten, dass sie den Absturz verursachten.
Auf Seite 29 im Zwischenbericht steht:
Und auf Seite 28:
Selbst das finde ich schon reichlich kategorisch, aber das Schlüsselwort ist immer noch “gefundenen”.
“Wir haben in diesem Stadium der Untersuchung noch keinen technischen Mangel gefunden, der als unfall(mit)verursachend angesehen werden kann” und “Technische Fehler können als Unfallursache ausgeschlossen werden”, das sind verschiedene Paar Schuhe, auch wenn es sich durchaus herausstellen kann, dass letzteres zutrifft.
Seitens der Ju Air gab es Neuigkeiten im Juli:
Die Gesellschaft schließt ihren Wartungsbetrieb und ändert ihre Organisation grundlegend. Sie wird sich von nun an nur noch auf Geschäftsbereich Flugbetrieb konzentrieren. Der bisherige Geschäftsführer Kurt Waldmeier (69) tritt ab. Die verbleibenden Maschinen werden grundüberholt und anstatt der originalen BMW-Sternmotoren mit noch zu beschaffenden Motoren von Pratt&Whitney ausgerüstet. Die Wartung von Zelle und Motoren wird von der Junkers Flugzeugwerke AG übernommen. Mit der Grundüberholung der Motoren wird ein Spezialbetrieb beauftragt werden. –> (Ju Air-Pressemitteilung vom 5.7.2019)
Anmerkung: Auch die Ju 52/3m D-AQUI, die bis zu ihrer Stillegung im August 2018 (aus der im Januar 2019 die permanente Stilegung wurde) von der Lufthansa für Rundflüge eingesetzt wurde, war seit 1975 mit Sternmotoren von Pratt&Whitney ausgerüstet.
Als Pilot kann ich die Situation sehr gut nachvollziehen: Die Maschine war vermutlich nicht im Sinkflug mit Geschwindikeitsüberschuss, wie man dies im Alpentraining für das Überqueren einer Krete kennenlernt, sondern ev im Steigflug , knapp über der Überziehgeschwindigkeit. Die Krete kommt näher und der Pilot sieht (ev etwas spät), dass seine Einschätzung bez seiner Höhenreserve zu deren Überquerung zu knapp ist, weil der heisse Tag das Steigvermögen der Maschine herabgesetzt hat. Wenn man in dieser Situation eine Kurve nicht feinfühlig sondern etwas abrupt fliegt (man ist zu tief in einen Kessel eigeflogen….), kann die Strömung fast ohne Vorwarnung abreissen, und zwar am langsameren Kurven-Innenflügel zuerst. Dies führt zu einem Spiralsturz, den man nur recoveren kann, wenn genügend Höhe vorhanden ist, was in einem Kessel auch nicht gegeben ist. Die Indizien zeigen sehr stark Richtung ‘Pilots Error’
Sie haben vollkommen Recht, das von Ihnen beschriebene Szenario ist plausibel und es weist vieles in diese Richtung. Allerdings gab es vor einem Jahr auch Berichte über die Aussage eines Augenzeugen, der behauptet, etwa 15 Minuten vor dem Absturz bereits ein ungewöhnliches Flugmanöver der Unglücksmaschine gesehen zu haben. Dies wurde in den Berichten der SUST nicht angesprochen. Ich weiß nicht, was es damit auf sich hat.
Ich finde es gut, dass eine so ausführliche Untersuchung durchgeführt wird. Ich muss auch sagen, dass ich die an der Untersuchung beteiligten Fachleute für Ihre Arbeit bewundere. Ich kann mir vorstellen, dass es sehr belastend sein muss, Film- und Tonaufnahmen aus den letzten Sekunden des Lebens der Menschen an Bord wieder und wieder abspielen zu müssen und darin nach Hinweisen auf den Unfallhergang zu suchen. Auch wenn das Profis sind und dies ein Teil ihres Jobs ist, so muss es doch oft schwer zu ertragen sein.
Hallo, ich habe Mitte der 1990 Jahre mit Ju-Air einen Rundflug von Samedan/Engadin gemacht. Die Maschine ist auf einen Gebirgssattel zugeflogen, aber unter der Sattelhöhe. Der Pilot meinte nur, da gibt es Aufwinde, die brauchen wir auch, sonst kommen wir nicht drüber
Alle wesentlichen Details zum Flug: http://www.avherald.com/h?article=4bbf2069&opt=0
Aus den Kommentaren:
1. Was trying, unsuccessfully, to out-climb box-canyon terrain and encountered a mountain wave with wind shear
2. Exceeded the critical angle of attack (airfoils stall higher at ISA +16)
3. Repeatedly, unintentionally lost directional control (the left turns are consistent with left turning tendencies in slow flight.)
4. Load factor increased in the turn (making stall speed even higher)
5. followed by an abrupt stall and spiral (the first observed by another military pilot on the ground earlier.)
Der Abschlussbericht der schweizerischen Untersuchungsbehörde für Flugunfälle zum Absturz der Ju 52/3m HB-HOT soll Ende Mai berechtigten Organisationen zur Begutachtung überreicht werden. Diese hätten zwei Monate Zeit zur Auswertung. Die Rückmeldungen müssen dann noch berücksichtigt und der Bericht überarbeitet werden. Mit einer Veröffentlichung des Schlussberichts “im Spätsommer oder Herbst 2020” ist zu rechnen. Zum Jahrestag des Unfalls (am 4. August) soll es einen erneuten Statusbericht geben. –> Siehe hier