Von großen und kleinen Summen
BLOG: Go for Launch
In letzter Zeit ist in den Medien oft von Summen die Rede, deren Größe jede Vorstellung sprengt. In aller Regel ist die damit verbundene Nachricht alles andere als erfreulich. Hier soll nun aber von einer Zahl die Rede sein, die zwar eigentlich auch groß, im Vergleich mit den sonst gehandelten Ziffern jedoch Peanuts ist – die Nachricht ist dafür umso erfreulicher!
Es handelt sich um das Raumfahrtbudget der US-Weltraumbehörde NASA: Dieses soll 2009 um satte 15% auf nunmehr über 20 Milliarden US-$ steigen. Erfreulich, dass trotz der sicherlich besorgniserregenden Finanzmarktkrise die US-Regierung nicht panisch reagiert und nun dort spart, wo einen das Sparen teuer zu stehen kommen kann. Wie man auch zu der aktuellen US-Politik stehen mag, diese Entscheidung ist begrüßenswert, denn hier wird jeder investierte Dollar auf jeden Fall eine positive Auswirkung haben, was bei Rettungspaketen nicht unbedingt so sein muss.
Sicher kann man – nicht zu Unrecht – unterstellen, dass hier auch wahlkampftaktische Erwägungen eine Rolle spielen: Von einer solchen Erhöhung des NASA-Budgets profitieren insbesondere “Swing-States”; die Entscheidung könnte den Republikaner in der Wählergunst Vorteile verschaffen.
Jede politische Entscheidung erfolgt aufgrund vielerlei Erwägungen. Andererseits zeigt sich in dieser Entscheidung auch eine verbreitete Anerkennung der Tatsache, dass Hochtechnologieforschung im Allgemeinen und darunter die Weltraumforschung im Besonderen nun einmal maßgeblich für das Weiterkommen einer Industrienation sind.
Diese Erkenntnis scheint es in Europa eher schwer zu haben. Obwohl die ESA-Mitgliedsstaaten über eine Einwohnerzahl und eine geballte Wirtschaftsmacht verfügen, die der der USA gleichkommt, muss sich die europäische Raumfahrtagentur mit einem Budget von etwa einem Sechstel des NASA-Budgets begnügen.
Die ESA-Parademission ExoMars, ein Rover, der auf dem Mars nach Spuren existierenden oder früheren Lebens suchen soll, steht vor großen Finanzierungsschwierigkeiten, die bei der Konferenz auf ministerieller Ebene Ende November dieses Jahres zu einer Verschiebung oder Schlimmerem führen können.
Auch das europäische Navigationssystem Galileo schieben wir schon seit Jahren vor uns her, nur weil uns ein solches Programm von wirklich fundamentaler Bedeutung für unsere Infrastruktur und Wirtschaft nun einmal Investitionen von einigen Milliarden Euro abverlangt, was offensichtlich zuviel ist – höhere Summen als diese stecken wir dagegen in die Rettung einer einzigen Mittelstandsbank, die hinterher für 100 Millionen an einen Investor vertickt wird: Das verursacht etwas Rauschen im Blätterwald, dann ist es abgehakt.
Dass es hierzulande zu einem Befreiungsschlag kommt und die Finanzkrise nicht als Anlass zu planlosem Sparen, sondern im Gegenteil, als Anstoß zu einer Kampagne zur Förderung der Wissenschaft und Technologie gesehen wird: Tja, lieber Leser, damit ist hier wohl eher nicht zu rechnen. So sind wir Europäer anscheinend nicht gestrickt.
Vielleicht sollten alle diejenigen, die meinen, die amerikanische Mentalität belächeln zu müssen, diese Umstände als Denkanstoß auffassen. Wir haben vor der eigenen europäischen Tür noch eine Menge Dreck zu kehren. Ich schlage vor, wir fangen bald mal damit an.
Herr Peter Hintze, MdB, CDU, seines Zeichens Luft- und Raumfahrtkoordinator der Bundesregierung (man mag sich nun fragen, was denn einen Theologen zu einer solchen Position qualifiziert, das wäre aber Stoff für eine ganz andere Diskussion), bezeichnet die Etaterhöhung der NASA als “Durchbruch für die europäische und deutsche Weltraumforschung”. Dies fasse ich optimistischerweise als Ankündigung einer ebenso offensiven deutschen Vorgehensweise in der Wissenschaftsförderung auf. Bleibt zu hoffen, dass dieser Optimismus gerechtfertigt ist.
Das freut den NASA-Freund
Klar freut es jeden Betroffenen, wenn sein Budget erhöht wird. Ob das für die Nation oder gar die Menschheit auch gut ist, bleibt allerdings zu prüfen. Die von Ihnen konstatierte „Tatsache, dass Hochtechnologieforschung im Allgemeinen und darunter die Weltraumforschung im Besonderen nun einmal maßgeblich für das Weiterkommen einer Industrienation sind“ und Ihr Argument „…denn hier wird jeder investierte Dollar auf jeden Fall eine positive Auswirkung haben“ scheinen mir die Entscheidung noch nicht hinreichend zu begründen. Die Ergebnisse der ehrgeizigen und teuren Mondprogramme der USA und der UdSSR der 60er Jahre müsste man unter diesem Aspekt noch einmal reflektieren.
Vergleicht man die 20 Milliarden US-Dollar für die NASA mit den 10 Milliarden Euro des deutschen Bildungsetats 2008, kann man sich vorstellen, was man mit Entscheidungen über einige Milliarden mehr oder weniger für das eine oder andere im Bereich der Wissensgenerierung und –vermittlung hinsichtlich der Entwicklung einer Industrienation anrichten kann.
Das sollte nicht nur NASA-Freunde freuen
Von Herrn Große wurden einige wichtige Punkte erwähnt. Diese stehen untereinander nicht im Zusammenhang, daher beantworte ich sie auch getrennt.
1.) Dass Hochtechnologieforschung maßgeblich für das Weiterkommen einen Industrienation ist, steht für mich außer Frage. Dass Raumfahrtforschung Hochtechnologieforschung ist und dass ihr deswegen eine Schlüsselfunktion zukommt – neben anderen Forschungsbereichen – halte ich auch für offenkundig. Es steht jedem frei, das anders zu sehen. Hoffentlich sind diejenigen, die meine Meinung nicht teilen, dann auch konsequent genug, die Nachteile in Kauf zu nehmen, die das Leben in einer Nation mit sich bringt, die wirtschaftlich und technologisch nicht mehr in der ersten Liga spielt.
2.) Die gesamtwirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der – im Übrigen damals wie heute gar nicht so dramatisch hohen – Kosten des Apollo-Programms sind natürlich vielfach reflektiert worden. Manche Abhandlungen heben auf wenig relevante Teilaspekte wie einzelne Produkte ab, aber darum sollte es gar nicht gehen. Natürlich ist eine genaue Bezifferung schwierig, aber: Die knapp 25 Milliarden damaliger Dollar, die das Apollo-Programm über rund 15 Jahre verteilt kostete (inflationsbereinigt heute etwa das Fünffache, also immer noch weniger als ein Drittel des *jährlichen* US-Verteidigungsbudgets) stellten – zu dem Schluss kommt noch jede Studie, die ich zum Thema gelesen habe – eine gewaltige Anschubfinanzierung in ein interdisziplinäres Forschungs- und Entwicklungsprogramm dar, deren Ertrag, in Form von Bildung, Schaffung neuer “enabling technologies” und spin-offs das Mehrfache der Investition betrug. Innerhalb weniger Jahre entwuchs die Raumfahrt ihren Kinderschuhen und wurde alltäglich, ein Prozess, der sonst das Mehrfache gedauert hätte. Damit gelangten Technologien wie weltumspannenden Kommunikation, Erdbeobachtung, satellitengestützte Meteorologie usw. plötzlich in den Bereich des Möglichen. Zugleich erfuhr die Computertechnik einen gewaltigen Schub. Das hätte sie sicher auch so, aber die gemachte Investition war ein warmer Regen. Hinzu kommt der Prestigegewinn und auch die Begeisterung der Jugend für Wissenschaft und Technik. Wesentliche Dinge, die aber schwer zu beziffern sind. Hier noch eine weitere Zahl: Zur Hoch-Zeit des Apollo-Programms betrugen die jährlichen Aufwendungen etwa 2.5 Milliarden $. Soviel wurde aber im etwa zeitgleichen Vietnamkrieg *pro Monat* aufgewendet, das aber ohne den Nutzen des Apollo-Programms und am Ende auch noch ohne Erfolg.
3.) Was der Vergleich des NASA-Budgets mit den im deutschen Bildungswesen fehlenden Mitteln aussagen soll, erschließt sich mir nicht. Mir ist nicht bekannt, dass dem US-Steuerzahler, der ja für das NASA-Budget aufkommt, irgendeine Verpflichtung für das deutsche Bildungswesen zukommt. Da sollte man eher die deutschen Aufwendungen für Raumfahrt als Maßstab nehmen, und die sind mit rund einer Milliarde im Jahr klein. Insofern ist dieser Vergleich sinnlos.
4.) Ich halte es für falsch, sich in eine Diskussion drängen zu lassen, ob ein Bereich der Forschung und Bildung dem anderen das Geld wegnimmt und damit an einer Misere Schuld sein soll. Das Problem liegt doch ganz woanders, nämlich da, dass dieses Land einfach nicht genug für Bildung, Forschung und Entwicklung ausgibt. Dir F&E-Aufwendungen mit mittlerweile knapp 3% des BSP (es waren auch schon weniger) liegen deutlich unter dem Anteil, den andere Nationen, mit denen wir im Wettbewerb stehen, einsetzen. Ebenso die deutschen Ausgaben für Bildung, die unter dem OECD-Durchschnitt liegen. Das liegt nicht daran, dass nun die Raumfahrt zu viel bekommt und für die anderen Bereiche nichts da ist. Es liegt vielmehr daran, dass wir einfach nicht bereit sind, zu akzeptieren, dass wir hierin ausreichend investieren müssen (nicht “sollen” oder “können”, sondern müssen), weil wir sonst nicht mehr Schritt halten können.
Das Geld ist da. Nur die Wissenschaft und die Bildung halten wir nicht für wichtig genug, um es ausreichend zu finanzieren. Stattdessen wird nun ausgerechnet hier herumgemault, was das angeblich alles kostet. Für Raumfahrt geben wir jährlich, umgerechnet auf jeden Bürger der ESA-Mitgliedsstaaten, nicht einmal 10 Euro aus, den Preis einer Kinokarte.
Offenbar ist das auch schon zuviel.
Nun, ich freue mich, dass zumindest die USA dieser Logik nicht mehr voll und ganz folgen und ich rufe die deutsche Regierung auf, es den USA in diesem Punkt gleichzutun. Die Finanzkrise wird überwunden werden, der Ingenieursmangel wird uns in den nächsten Jahren aber erhalten bleiben.
Natürlich wird es auch bezüglich der USA wieder Stimmen geben, die das für zu viel halten. Nun, diese sollten darlegen, wie die Zahlen das hergeben. Bei 20 Milliarden $ Ausgaben für zivile Weltraumforschung gegenüber einem Militärbudget von über 500 Milliarden $ pro Jahr, zuzüglich der diversen direkten und indirekten, offenen und versteckten Folgen aktueller militärischer Engagements, wird ihnen das eher schwer fallen.
Volle Unterstützung!
Lieber Herr Khan,
meine vollste Unterstützung für Ihr Plädoyer! Es ist beschämend, wenn man etwa in der Wikipedia liest, dass wir 2008 für die Finanzverwaltung mit 10,9 Milliarden Euro mehr ausgegeben haben als für Bildung und Forschung (9,4 Milliarden Euro)…
Beste Grüße,
Leonard Burtscher