Wo wären Literaten auf dem Mond gelandet?

BLOG: Go for Launch

Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

In seiner klassischen Kurzgeschichte “The Sentinel” (1948) beschreibt Altmeister Arthur C Clarke eine im Jahr 1996 angesiedelte Expedition zu Mare Crisium, bei der ein Artefakt weit fortschrittlicher Technologie und offensichtlich nichtmenschlichen Ursprungs gefunden wird.

Diese Expedition geht von der permanenten Basis im Mare Serenitatis aus, Clarke überschätzt also etwas die den technischen Stand gegen Ende des vergangenen Jahrtausends. Er sieht aber richtig voraus, dass innerhalb der nächsten 50 Jahre bereits Menschen diesen großen Sprung wagen und schaffen würden. Eine visionäre Vorstellung, allemal im grauen, kriegszerrütteten Europa des Jahres 1948. Aber Clarke war eben auch nicht irgendwer.

(Falls Ihnen diese Geschichte bekannt vorkommt: Ja, sie bildet den Ursprung für den späteren Roman “2001 – A Space Odyssey” und das gleichnamige, epochale Meisterwerk der Filmkunst. Dort wurden allerdings der Fundort des Artefakts in den Krater Tycho und der Standort der permanenten Basis in den Krater Clavius verlegt, beide auf der Südhalbkugel)

Sechs Jahre später, im Jahre 1954, erschien der Comic-Band “On a marché sur la lune” aus der Tintin-Serie des belgischen Zeichners Georges Rémi (“Hergé”), der auf Deutsch unter dem Titel “Schritte auf dem Mond” erschien. Sie wissen schon: Tim und Struppi, Kapitän Haddock, Schulze und Schultze, die große rot-weiße Rakete. Die Landung erfolgt hier im Krater Hipparchus, diese Unternehmung verlief aber natürlich ganz anders als 15 Jahre später die Mission Apollo XI. Hergés erdachte diese Reise 3 Jahre, bevor Menschen das erste Objekt in die Erdumlaufbahn gebracht hatten und 7 Jahre, bevor dem ersten Satelliten ein Mensch folgte.

Beide Werke sind, jedes auf seine Art, faszinierend. Sie sind unterhaltsam, sie regen zum Träumen an, sie sind aber auch lehrreich. Nach dem Lesen will man unbedingt mehr wissen. Heute ergoogelt man sich Bilder und Informationen, damals musste in der Leihbücherei (oder, wenn man konnte, in der Uni-Bilbliothek) alte Folianten mit handgemalten Mondkarten wälzen, was nicht unbedingt schlecht ist. Was man mit Mühe erworben hat, genießt automatisch eine höhere Wertschätzung, auch Wissen. Was man sich dagegen ratzfatz erklickt, ist auch ruckzuck wieder vergessen.

Ich habe beide Werke zum ersten Mal als Jugendlicher gelesen – und dann später noch einige Male, immer vor dem Hintergrund meiner zunehmenden praktischen Erfahrung in der Weltraumforschung, aber auch des Aufs und Abs der Betstrebungen zur Erforschung unseres Trabanten. Meine Zuneigung zu diesen Büchern hat nicht gelitten.

Topographic Moon view, seen from above Apollo XI landing site. Hipparchus, Apollo XI site in Tranquillitatis and Mare Crisium are marked. Source: MIchael KhanTopografische Ansicht des Mondes, gesehen von direkt über der Apollo XI-Landestelle im Mare Tranquillitatis.

Schon früh fiel mir aber eins auf: Das Mare Crisium und der Krater Hipparchus bilden eine Linie, die durch das Mare Tranquillitatis geht, und zwar fast genau durch den Landeort von Apollo XI, wobei der in etwa auf halbem Wege liegt.

Na, was sagen Sie dazu? Wie bitte? “Na und?”

Also, ich finde das schon bemerkenswert. Ebenso bemerkenswert finde ich das Mare Humboldtianum, weiter im Norden, das in dieser, etwa 23 Grad nach Osten gedrehten Ansicht des Mondes besser zu sehen ist als von der Erde aus, wo es wegen seiner Lage nur bei geeigneter Mondlibration beobachtet werden kann, und das auch nur schlecht. Vergleichbar dem ebenso interessanten Mare Orientale im Südwesten.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

7 Kommentare

  1. Nasa folgt Clarke und Hergé

    Das hat doch die Nasa toll hingekriegt. Die genaue Wahl des Landeorts passierte wohl nach Studium von Clarke und Hergé:
    “Schon früh fiel mir aber eins auf: Das Mare Crisium und der Krater Hipparchus bilden eine Linie, die durch das Mare Tranquillitatis geht, und zwar fast genau durch den Landeort von Apollo XI, wobei der in etwa auf halbem Wege liegt.”

  2. So ein Zufall! @Michael Khan

    Die große rot-weiße Rakete erinnerte mich daran, dass bei uns auch ein Buch mit so einem Titelbild im Regal steht. Vor vielen Jahren hatte ich für meinen Sohn mal einen Schwung Comic-Bände erstanden, weil er ganz vernarrt in die Geschichten von Tim und Struppi war. Einer der Bände war in französischer Sprache und mein Sohn konnte damit natürlich nichts anfangen. Ich wollte das Buch schon weggeben, aber keiner wollte es geschenkt haben. Zu wegschmeißen war es mir zu schade und weil es einen etwas festeren Einband hatte, als die anderen Ausgaben, sah ich mir das Erscheinungsdatum an und stellte stellt fest, dass es sich um eine Ausgabe aus dem Jahr 1953 handelte.

    “Objectif Lune” ist der erste Teil, der von Ihnen erwähnten Geschichte und hat ebenfalls eine rot-weiße Rakete auf dem Titelbild.
    Oben rechts im Bild sehen Sie den von mir erwähnten ersten Teil des Comics und im zweiten Absatz findet sich Ihrer im Original:
    http://www.free-tintin.net/albums3.htm

    Hier die deutsche Beschreibung der Geschichte auf Wikipedia:
    http://de.wikipedia.org/wiki/Reiseziel_Mond

  3. @Martin Holzherr

    Die Auswahl des Landeortes für die erste Mondlademission war ein sehr interessanter Vorgang. Am Anfang waren 30 Vorschläge, von denen aber nur drei in die Endausscheidung kamen. Tranquillity war Site 2 von diesen dreien.

    Es gab natürlich eine Menge Vorschläge von Wissenschaftlern. Manchmal kann ich allerdings nicht ganz umhin, mich zu fragen, was diese Sixties-Scientists so geraucht haben. Ich schaue mal in dieses Paper des bekannten Farouk El-Baz:
    Copernicus, Kraterrand von Tycho, Abulfeda, Schrötertal – das klingt dann doch eher nicht nach dem, wozu man bei der NASA nicken würde, wenn es um eine bemannte Mission geht.

  4. @Mona

    Ist der Band, den Sie haben, etwa aus der ersten Auflage? Das könnte durchaus sein, da die Erstauflage 1953 erschienen ist. Dann können Sie sich glücklich schätzen, dass ihn keine geschenkt haben wollte, denn das ist mittlerweile ein echtes Sammlerstück.

    Ich kann die Lektüre wirklich jedem empfehlen. Vorallem die des zweiten Bandes, “Schritte auf dem Mond”. Träumer werden sich auf diese Vision einlassen, wissenschaftlich penible Leute werden nach Fehlern sich, beispielsweise, dass Mondberge nicht schroff und zerklüftet wie von Hergé gezeichnet sind und dass die Erde vom Krater Hipparchus aus immer fast genau im Zenit stehen müsste (es bei Hergé aber nicht tut) oder dass die Erde komplett wolkenfrei dargestellt ist (wohlgemerkt, als Hergé das zeichnete, hatte noch nie ein Mensch ein Foto der Erde aus dem Weltraum gesehen.

    Man kann natürlich auch – so halte ich das – die Fehler als künstlerische Freiheit einstufen und das Buch so nehmen, wie es ist, eine gut geschriebene, amüsante und auch lehrreiche Vision.

    Ganz köstlich der Dialog mit den Dupondts zu den Clowns im “Ciqrque du Parc”, der es sogar in den französischen Wikipedia-Artikel zum Krater Hipparchus geschafft hat.

  5. @Michael Khan

    Ja, der Band “Objectif Lune” gehört zur ersten Auflage, die im Casterman-Verlag erschienen ist. Wahrscheinlich ist es jedoch nicht mehr dasselbe, wenn man diese Geschichten erst im Erwachsenenalter liest. Ich besaß als Kind keine Comics. Dafür las ich alle Bücher, die mir in die Hände gerieten. Mein Vater erzählte mir zudem viele Geschichten, er hatte auch diese wunderbare Gabe zu träumen, so wie Sie.

  6. @Mona

    Es ist mir ja unangenehm, hier eine Bemerkung zum schnöden Mammon anzubringen, aber ich mach’s mal trotzdem: Ich habe nur ganz kurz mit den Sichworten “prix première édition Tintin objectif lune 1953” gegoogelt und auf ein paar einschlägige Webseiten gestoßen, die übereinstimmend einen Preis von bis zu 300 Euronen nennen.

    Sie werden sich ja jetzt sicher nicht von diesem Buch trennen und es sich vielleicht sogar noch einmal unter dem Eindruck neuer Informationen zu Gemüte führen … aber immerhin, es tut einem ja auch nicht weh, zu wissen, dass man ausnahmsweise mal nicht etwas verschenkt oder weggeschmissen hat, was hinterher richtig wertvoll geworden wäre.

  7. @Michael Khan

    “Es ist mir ja unangenehm, hier eine Bemerkung zum schnöden Mammon anzubringen, aber ich mach’s mal trotzdem”

    Aber nicht doch! Mein Sohn und ich googelten vor ein paar Tagen ebenfalls nach dem Preis. Wir wollen das Buch zwar nicht verkaufen, es wird ja nicht weniger wert, wenn es noch einige Zeit herumliegt, aber zumindest weiß man in etwa was man hat. Wenn ich durch Sie nicht noch mal an das Buch erinnert worden wäre, dann hätte es mein Sohn vermutlich doch irgendwann mal weggeschmissen, weil er ja gar nicht wusste, dass es sich um eine Erstausgabe handelt. Als ich das Buch seinerzeit kaufte fing er nämlich gerade mit der Grundschule an.

    Leider kann ich mir das Buch nicht “unter dem Eindruck neuer Informationen zu Gemüte führen”, da ich der französischen Sprache nicht mächtig bin.

    “Tim und Struppi Reiseziel Mond” gibt es übrigens als Hörspielserie auf YouTube. Vielleicht kennen Sie ja einen kleinen Jungen, der sich das gerne anhören möchte.
    http://www.youtube.com/…;list=PL6C882D53CD2B5EB2

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