Lord Rosse und sein sechster Sohn

Lord Rosse, eigentlich William Parsons, 3rd Earl of Rosse (1800-1867), der bekannte irische Astronom, baute mehrere große Spiegelteleskope. Das größte war der Leviathan von Parsonstown mit einer Öffnung von 72 Zoll (1.83 Meter) und einer Brennweite von 16 Metern.

Lord Rosse investierte viel Geld in seine Leidenschaft, und er war niemand, der Angst hatte, sich die Hände schmutzig zu machen. Beim Bau seiner Teleskope, hämmerte, feilte, schliff und sägte er in seiner gut ausgestatteten Werkstatt Seite an Seite mit seinen Angestellten.

Charles Parsons, der Ingenieur

Sein sechster Sohn, Charles Parsons (1854-1931), war ihm in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Sein Interesse galt jedoch nicht der Astronomie, sondern den Dampfturbinen. Immer größere und stärkere Dampfantriebe waren damals die Schlüsseltechnologie.

Zu dieser Zeit entwickelte sich der Schiffbau zur Spitzenbranche der Industrie. In atemberaubenden Tempo wurden immer größere und schnellere dampfbetriebene Schiffe entwickelt und gebaut. Diese wurden noch durch Dampfmaschinen mit Hubkolbentechnik angetrieben. Diese Technik erreichte jedoch die Grenze ihrer Ausbaufähigkeit. In den Größenordnungen, die man für die neuen Schiffe gebraucht hätte, wären Hubkolben-Dampfmaschinen zu schwer und zu ineffizient. Die Grenze in der Weiterentwicklung der Dampfmaschinen begann, den Schiffbau auszubremsen. Ein Technologiesprung musste her.

Charles Parsons reichte Vorschläge für Dampfturbineneintriebe bei der Royal Navy und bei den Werften Großbritanniens ein, stieß aber auf wenig Interesse. Das lag zum Teil an Vorurteilen. Gerade in Branchen der Spitzentechnologie ist man oft sehr konservativ. Besonders dann, wenn viel Kapital in die existierende Technologie investiert wurde. Großadmiral Lord John Arbuthnot Fisher HöchstPerSönLich ließ Parsons wissen, dass die Verwendung von Dampfturbinen ams Schiffsantrieb in der Praxis nicht realisierbar sei.

Das traf für die bisher verfügbaren Dampfturbinen vielleicht sogar zu. Seine Lordschaft hatte jedoch nicht zur Kenntnis zu nehmen geruht, dass Parsons eine Erfindung gemacht hatte, mit der die Karten neu gemischt wurden.

Die “Turbinia”

Parsons wurde klar, dass es einer praktischen Demonstration bedurfte. Es begann mit der Konstruktion eines schnellen Schiffs, das um einen Dampfturbinenantrieb herum entwickelt wurde. Der Rumpf musste extrem widerstandsgünstig ausgelegt sein, um den Antrieb nicht auszubremsen. Heraus kam die “Turbinia”, ein extrem schnittiges Schiff von 30 Meter Länge, aber weniger als drei Meter Breite.

Der Turbinenantrieb wurde über eine Entwicklungsphase von vier Jahren immer weiter verfeinert. Das Ergebnis war ein dreistufiges System  mit Hochdruck- Mitteldruck und Niederdruckturbine und einer Eingangsleistung von mehr als 1500 kW. Von der Dampfleistung kam noch knapp die Hälfte, also 705 kW, an den drei Propellerwellen an.  Die Gesamtmasse des Schiffs konnte auf 44 Tonnen gedrückt werden.

Die beeindruckende Effizienz war allein der von Parsons erfundenen Turbinenbauart zu verdanken. Bei einer Parsons-Turbine sitzt eine Reihe von Rotoren mit sternförmig angeordneten Blättern auf einer Welle. der Dampf durchströmt zwischen zwei Rotoren jeweils immer einen Stator, der fest an der Außenwand sitzt und dessen Blätter die Strömung wieder in axiale Richtung lenken.

Geöffnete Parsons-Turbine, an der die Anordnung der axialen Rotoren und Statoren zu erkennen ist, Quelle: Wikipedia

Aber der beste Antrieb nutzt nichts, wenn seine Leistung nicht in Vortrieb umgesetzt werden kann. Parsons experimentierte mit verschiedenen Schiffsschrauben. Das Ergebnis seiner hartnäckigen Optimierung kann sich sehen lassen. In den vier Jahren der keineswegs geheimen, aber weithin unbeachteten Entwicklung konnte die Höchstgeschwindigkeit der “Turbinia” von 20 Knoten auf geradezu unglaubliche 34 Knoten (63 km/h) gesteigert werden.

Kurz gesagt: Das Ding ging ab wie Schmidts Katze. Im Juni 1897 waren Parsons und seine “Turbinia” bereit für die Demonstration.

Die Flottenparade in Spithead

Am 26. Juni 1897 fand vor dem Marinestützpunkt Portsmouth in der Meerenge Spithead eine riesige Flottenparade mit 165 Kampfschiffen zu Ehren des 60jährigen Thronjubiläums von Königin Victoria statt. Es hatten sich noch vielmehr kleine Schiffe und Boote von Privatleuten eingefunden, von denen aus die Parade beobachtet wurde. Unter diesen Schiffen befand sich – unangekündigt und unbemerkt – die “Turbinia”. Ihre Mannschaft befeuerte unter Deck eifrig den Kessel.

Die “Turbinia” in voller Fahrt, Quelle: Wikipedia

Das Ertönen der Nationalhymne war Parsons Zeichen. Er schoss mit der “Turbinia” aus der Gruppe der beigedrehten Kleinschiffe heraus und überholte mühelos alle an der Parade teilnehmenden Kriegsschiffe der Royal Navy. Vor dem Kessel hatte nur ein Mannschaftsmitglied Platz. Dieser schaufelte wie ein Verrückter Kohle ins Feuer, bis er erschöpft war und um Luft ringend an Deck ging, während ein anderer Mann unverzüglich weiter schaufelte. Das hatte man natürlich vorher geübt; es klappte reibungslos.

Die verärgerten Admirale signalisierten den schnellsten Patrouillenbooten der Navy, sie sollten gefälligst den Eindringling abfangen. Es gelang der “Turbinia” jedoch problemlos, die Verfolger abzuhängen.

Unter den Zuschauern waren nicht nur alle, der in Großbritannien Rang und Namen hatte, sondern auch ausländische Würdenträger wie Prinz Heinrich von Preußen, der Bruder von Kaiser Wilhelm II und Offizier der kaiserlichen Kriegsmarine. Dieser zeigte sich schwer beeindruckt von dern Demonstration und bat später Parsons, die “Turbinia” in Deutschland vorzuführen.

Spätestens da wurde der Führung der Royal Navy klar, dass sie Parsons’ bahnbrechende Erfindung endlich zur Kenntnis nehmen mussten. Parsons erhielt den Auftrag für zwei turbinengetriebene Zerstörer. Der Dampfturbinenantrieb und insbesondere die Parsons-Turbine traten ihren Siegeszug im Schiffbau an und machten Schiffe von einer Größe und Leistungsfähigkeit möglich, die man zuvor für ausgeschlossen gehalten hätte.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

10 Kommentare

  1. Ein schönes Beispiel , wie sich Technologie durchgesetzt hat. Übrigens hat man um die 60-Jahre in einen Renault eine Gasturbine eingebaut. Das System hat sich nicht bewährt, weil im Straßenverkehr der Antrieb große Lastwechsel vollführen muss, wozu eine Turbine nicht geeignet ist. nur im Zusammenspiel mit einem Elektromotor würde die Turbine ihre Vorteile ausspielen können. Warum gibt es das noch nicht ?

    Genauso hat sich der Sterling-Motor nicht durchsetzen können, weil er für große Lastwechsel nicht geeignet ist.

  2. Zum Aufbau der Turbine musste ich erst noch ein wenig googeln, denn aus dem obigen Bild alleine wurde ich nicht hundertprozentig schlau. Aber so langsam habe ich es begriffen, glaube ich.
    Wieder was gelernt. Danke! 🙂

  3. Sehr beeindruckend.
    Aber das die Hälfte der Dampfleistung bei den Schiffsschrauben ankommt, kann sich nicht ausgehen. Bei einer Dampfeintrittstemperatur von 300°C und einer Austrittstemp. von 10°C wäre das gleich dem Carnotwirkungsgrad. Mit großer Wahrscheinlichkeit war die Eintrittstemperatur niedriger und die Austrittstemperatur deutlich höher.
    Wikipedia schreibt von PSi. Ich verstehe auf die schnelle nicht ganz was das für eine Einheit ist, aber sie dürfte bereits nur noch den Teil die thermischen Leistung darstellen, die als “mechanische” Leistung auf den Kolben drückt.
    Wenn das so wäre, wäre die technische Effizienz der Turbine bei 50%.

    • Zur Dampfleistung habe ich verschiedenen Quellen unterschiedliche, aber doch ähnliche Werte entnommen. Ich nehme an, man geht da von Dampfdruck, -temperatur und -massenstrom am Kesselausgang aus und berechnet die Leistung, die eine ideale Maschine maximal umsetzen könnte. Wenn die Leistung an den Propellerwellen 705 kW betrug und die Dampfleistung über 1500 kW, läge der Gesamtwirkungsgrad der dreistufigen Turbine bei zwischen 40 und 50%. Ist das so unrealistisch?

  4. Die Earls of Rosse sind als Landlords im 17. Jahrhundert in Ireland eingesetzt worden. Die Bevölkerung wurde nicht gefragt und die Earls waren Mitglied des Oberhauses in London. Was auch verschwiegen wird, die große Hungersnot in Irland 1837, bei der 2 Millionen Iren verhungerten. Die Engländer verweigerten jede Hilfe.
    Wie der genannte Earl zu diesen Ungeheuerlichkeiten stand steht nirgends geschrieben. Bekannt ist nur sein Fernrohr geblieben.

    • Das dürfte jetzt das fünfte Pseudonym sein, unter dem Sie hier auftreten. Ich habe bereits unmissverständlich gesagt, was ich davon halte. Lange schaue ich mir das nicht mehr an.

      Das Feudalsystem mit all seinen Konsequenzen ist eine unerfreuliche historische Tatsache, aber es ist müßig, eine Person herauszugreifen, wenn doch der Feudalismus das gesamte Gesellschaftssystem Europas in dieser Zeit beschreibt.

      Der 3. Earl von Rosse ist nur eine Nebenfigur im Rahmen des Artikels. Ihre Behauptung, es stünde nirgends geschrieben, wie der 3. Earl von Rosse zur Hungersnot stand, ist unzutreffend. Gerade er setzte sich nicht nur für die eigenen Pächter ein, sondern er kritisierte die britische Administration Irlands und forderte staatliche Intervention aus London, um den Folgen der Hungersnot entgegenzuwirken.

      Welche Information man findet, hängt direkt davon ab, wie intensiv man recherchiert und wie geschickt man sich dabei anstellt. Besonders tief kann Ihre Recherche wohl nicht gewesen sein, wenn Sie noch nicht einmal die Chronologie der Hungersnot korrekt nennen können. Sie begann 1845, nicht 1837.

      Aber das hat mit dem Thema des Blog-Artikels nichts zu tun, denn dort geht es um Charles Parsons, der 1854 geboren wurde.

  5. MK
    Danke für die Information. Und ich freue mich darüber, als Irlandfan, dass der Earl of Rosse, die Interessen der Iren vertreten hat.
    Bei Ihrer Überschrift wird auch nicht klar, geht es um den Earl of Rosse, geht es um das Fernrohr, geht es um die anderen Verdienste von Charles Parsons? Es sollte Sie doch auch befriedigen , wenn sie Positives zu berichten haben.
    Stänkern war nicht meine Absicht aber ich wollte zur allgemeinen Information etwas beitragen.

  6. Die ersten Kriegsschiffe, die mit Parsons-Turbinen angetrieben wurden, waren HMS Viper und HMS Cobra, die beide bereits 1899 vom Stapel liefen, also nur zwei Jahre nach der erfolgreichen Demonstration der “Turbinia”.

    Das erste turbinengetriebene Passagierschiff war die RMS Victorian (Stapellauf 1904). Schon 1906 wurde mit der RMS Mauretania ein richtig großes Schiff mit Parsons-Turbinen angetrieben.

    Natürlich kamen Parsons-Turbinen auch in ausländischen Schiffen zum Einsatz. Die neue Technik setzte sich wegen seiner Vorteile sehr schnell durch und machte Riesenschiffe wie die Vaterland überhaupt erst möglich.

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