Kosmos 482 wird auf dem falschen Planeten landen

Kosmos 482 ist die nachträgliche Bezeichnung einer gescheiterten sowjetischen Venus-Mission aus dem Venera-Programm. Die UdSSR führte von 1961 bis 1983 ein anspruchsvolles Programm zur Erkundung der Venus durch – wenn man die VeGa-Missionen hinzurechnet, sogar bis 1985.

Im Jahr 1961 steckte die interplanetare Raumfahrt noch in den Kinderschuhen. Die erste halbwegs erfolgreiche Mondmission Luna 1 hatte nur zwei Jahre zuvor stattgefunden – diese verfehlte zwar den Mond, erreichte dafür aber erstmals eine heliozentrische Bahn. Auch die ersten sowjetischen Missionen zur Venus scheiterten, oft an elementaren Dingen. Venera 1, gestartet im Februar 1961, verlor zwar eine Woche nach der Erdflucht den Funkkontakt zur Erde, müsste aber die Venus 1im Abstand von 100000 km passiert haben.

Schon 1965 versuchte man mit Venera 3 eine Landemission. Die Landesonde versagte jedoch kurz nach dem Eintritt in die Venusatmosphäre am 1. März 1966. Sie war jedoch das erste menschengemachte Objekt, das die Oberfläche eines anderen Planeten erreichte. Bis dahin hatte es nur mehrere ungebremste Einschlagsmissionen auf dem Mond gegeben und einen einzige weiche Landung: Luna 9 am 31. Januar 1966.

Man muss sich immer vergegenwärtigen, welche Pionierarbeit in dieser Zeit geleistet wurde. Die Lernkurve war noch sehr steil. Praktisch alles, was man für solche Missionen brauchte, musste erst entwickelt oder gar erfunden werden.

Venera 7 schaffte es am 15. Dezember 1970 intakt zur Oberfläche und funktionierte dort noch weitere 23 Minuten. Die Datenübertragung zur Erde schlug jedoch fehl. Nur das Trägersignal konnte nach dem Aufsetzen empfangen werden. Zwei Jahre darauf, im August 1972, wurde Venera 8 gestartet. Die Landesonde funktionierte nach dem Aufsetzen noch eine Stunde und konnte diesmal ihre Daten zu Erde übertragen.

Und Kosmos 482?

Zu dieser Zeit war es gebräuchlich, Missionen im Doppelpack zu bauen und beide innerhalb desselben Fensters zu starten. Sowohl die Sowjets als auch die Amerikaner machten das so, und auch die dritte Nation, die Sonden in den interplanetaren Raum schickte, nämlich Deutschland mit der Sonnenmission Helios.

Das Pendant zu Venera 8 wurde am 31. März 1972 gestartet, vier Tage nach der erfolgreichen Schwester. Aufgrund des zu frühen Endes des Erdfluchtmanövers blieb die Sonde in einer exzentrischen Bahn um die Erde stecken. Zur Strafe durfte das Objekt nicht Venera 9 heißen; es erhielt den nichtssagenden Namen “Kosmos 482”.

Das Perigäum der Bahn lag bei nur 206 km, das Apogäum bei 9770 km. Die Bahnneigung lag wegen des Starts von Baikonur bei 51.7 Grad. Noch drei weitere Objekte erreichten bei diesem Start eine Erdbahn: die Oberstufe der Rakete in derselben Bahn wie die Nutzlast, die ausgebrannte Zweitstufe und eine kleine Zusatzrakete, mit der vor der Zündung der Oberstufe sichergestellt wurde, dass der Treibstoff nicht in den Tanks herumschwebte (sog. “ullage stage”) in niedrigen Bahnen. Diese drei weiteren Objekte sind aufgrund des Luftwiderstands beim Durchgang durch das niedrige Perigäum ihrer Bahnen schon lange nicht mehr im Orbit.

Die Nutzlast der Mission bestand aus der Landesonde in ihrer durch einen Hitzeschild geschützten Eintrittskapsel (notabene: es heißt “der Schild” (Plural: Schilde) und nicht “das Schild” (Plural: Schilder), wenn eine Verteidigungswaffe oder eine technische Vorrichtung zum Schutz eines empfindlichen Gegenstands gemeint ist), die an der Transfersonde für die Reise von der Erde zur Venus befestigt war.

Was genau ist von Kosmos 482 noch übrig?

Genau zu diesem Punkt herrschte lange Zeit Unsicherheit. Zwar ist bekannt, dass sich das Objekt in zwei Komponenten zerlegt hatte, von denen eine (die mit dem geringeren ballistischen Koeffizienten) schon 1981 in die Atmosphäre eintrat. 

Der bekannte niederländische Weltraumschrott-Experte Dr. Marco Langbroek konnte auf der Basis eigener Beobachtungen und durch Auswertung von Radardaten Berechnungen anstellen, die nahelegten, dass die Zerlegung etwa 80-85 Tage nach dem Start erfolgt sein muss. Laut Dr. Langbroek handelt es sich beim verbleibenden Objekt um die Landesonde in ihrer Eintrittskapsel, die sich sauber von der Transfersonde getrennt haben muss. Man muss dabei bedenken, dass eine solche Trennung auch technisch vorgesehen ist, wenn auch natürlich nicht ungewollt. Was genau diese Trennung hervorrief, ist nicht bekannt.

Laut Dr. Langbroek passt die Annahme eines annähernd kugelförmigen Objekts mit einem Durchmesser von einem Meter und einer Masse von 480 kg am besten zu den visuellen Beobachtungen und dem Bahnverlauf. Kosmos 482 hat seit 1972 eine sauberes Aerobraking hingelegt und dabei sein Apogäum von anfangs fast 10000 km auf mittlerweile nur noch einige Hundert km abgesenkt.

Der Absturz steht demnach unmittelbar bevor; Dr. Langbroek gibt als Absturzdatum den 10. Mai 2025 an. Die Unsicherheit liegt allerdings bei +/- 2.8 Tagen, sodass der wahrscheinliche Absturzort noch nicht eingegrenzt werden kann. Er könnte irgendwo zwischen 52 Grad Nord und 52 Grad Süd liegen (Der Kreml in Moskau liegt übrigens auf einer Breite von 55.75 Grad, Mar-a-Lago (Florida) dagegen bei 26.68 Grad).

Was ist nun Besonderes an diesem Wiedereintritt? Ein nur 480 kg schweres Objekt sollte dabei doch weitgehend verglühen? Nun ja, das gilt zwar allgemein, aber im Fall von Kosmos 482 handelt es sich um eine Landekapsel, die gebaut wurde, um den Eintritt in die Venusatmosphäre zu überstehen. Die Möglichkeit, dass sie auch den Flug durch die Erdatmosphäre überlebt, ist also nicht ganz von der Hand zu weisen. Der 10 Mai könnte also interessant werden.

Mehr dazu hier:

Artikel zu Kosmos 482 von Dr. Marco Langbroek in The Space Review vom 16. Mai 2022

Blog-Artikel zu bevorstehenden Absturz von Kosmos 482 von Dr. Marco Langbroek vom 30.4.2025


Artikel zu Kosmos 482 von Dr. Jonathan McDowell

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

8 Kommentare

  1. Kosmos 482 wird auf dem falschen Planeten landen

    “Landung” ist vermutlich im Sinne des alten Fliegerspruches gemeint, gemäß dem nach einer “good landing” man in der Lage ist, das Flugzeug auf den eigenen zwei Beinen zu verlassen und nach einer “great landing” das Flugzeug wiederbenutzt werden kann.

      • Es ist keinesfalls sicher, dass besagtes Objekt, wenn es sich tatsächlich um die abgetrennte EIntrittskapsel der fehlgeschlagenen Venera-Mission handelt, den Wiedereintritt intakt übersteht.

        Falls doch, dann hätten wir es nach den Berechnungen von Marco Langbroek mit einer Kugel mit einem Meter Durchmesser und knapp 500 kg Masse zu tun, die mit einer Terminalgeschwindigkeit von 65-70 m/s die Erdoberfläche erreicht.

        Vor 21 Jahren kam die Eintrittskapsel einer NASA-Mission namens Genesis hart runter. Wegen eines technischen Fehlers hatte sich ihr Fallschirm nicht geöffnet.

        Jene Kapsel hatte einen Durchmesser von 1.5 Meter und eine Masse von 225 kg. Sie war also knapp halb so schwer wie Kosmos 482, dafür aber größer.

        Das Ergebnis sehen Sie –> hier

        Jetzt kann man extrapolieren, dass der Krater, den das aktuelle Objekt maximal hinterlassen könnte, etwa um den Faktor größer ist, um den sich die kinetischen Energien unterscheiden.

  2. Immerhin wird es eine schöne Leuchtspur erzeugen, wenn es mit ca. 8 km/sec. in die Erdatmosphäre eintritt.

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