Kontakt zu Akatsuki abgerissen

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
Go for Launch

+++ Updates siehe unten +++ Die am 20. Mai gestartete japanische Venussonde Akatsuki ist an der Venus angekommen und sollte sich um 00:49 MEZ durch ein Triebwerksmanöver in eine elliptische Bahn um den Planeten mit einer Periode von 4 Tagen einschießen. Weitere Manöver in den kommenden Tagen sollen die Periode auf 30 Tage senken.

Kurz nach Beginn des Einfangmanövers verschwand Akatsuki planmäßig hinter der Venus, sodass der Kontakt zur Erde unterbrochen war. 22 Minuten später sollte die Sonde die Okkultationszone verlassen. Es ist der Bedienmannschaft jedoch zunächst nicht gelungen, den Kontakt zur Sonde wieder herzustellen.

Update 8.12.2010: Das Problem ist aufgetreten, bevor eine stabile Bahn um Venus erreicht werden konnte.  Damit scheinen sich die gestrigen Abschätzungen zu bestätigen, nach der nur ca. 50% des erforderlichen Geschwindigkeitsinkrements verabreicht wurden, und das reicht nicht für den Übergang vom hyperbolischen Anflug zur elliptischen Bahn. Akatsuki ist nach wie vor in einer – nun allerdings gegenüber dem Transfer von der Erde zur Venus veränderten – heliozentrischen Bahn.

Offenbar besteht in sechs Jahren eine weitere Möglichkeit zum Einschuss, weil Akatsuki dann der Venus wieder nahe kommt. Dies wird allerdings wahrscheinlich Triebwerksmanöver bedingen, schon auf dem Transfer und natürlich auch während des nächsten Einschussversuchs. Dazu muss genügend Treibstoff an Bord verblieben sein, und natürlich muss das Haupttriebwerk noch funktionstüchtig sein. Andernfalls ist die Mission nicht mehr zu retten.

Klar ist auf jeden Fall erst einmal eins: Mit der erhofften Chance zur zeitgleichen Durchführung von Venus-Wissenschaft gemeinsam mit der ESA-Sonde “Venus Express” ist es Essig. In sechs Jahren wird Venus Express wohl kaum noch in Betrieb sein.

Alle Raumfahrtenthusiasten denken nun zwangsläufig an die fehlgeschlagene japanische Marsmission Planet-B (Nozomi). Auch dort musste aufgrund eines Versagens während eines Manövers (allerdings schon beim Verlassen der Erdbahn) eine lange, gewundene Transferbahn zum Mars eingeschlagen werden, die Mission endete schließlich im Fehlschlag.

Update 9.12.2010: Wie auf dem gewöhnlich gut informierten Blog der Planetary Society berichtet, scheint ein Problem im Haupttriebwerk einen Safe Mode ausgelöst zu haben. Ein Safe Mode ist ein Status eines Raumfahrzeugs, der als Notmaßnahme eingenommen wird. Üblicherweise wird dort alles abgebrochen, was zu Problemen führen kann. Ein laufendes Triebwerksmanöver wird dann natürlich sofort beendet.

Das Steuerungssystem ist in der Regel so programmiert, dass die Raumsonde ihre Solargeneratoren starr ausrichtet, sich zur Sonne orientiert (damit die Solargeneratoren Strom produzieren) und langsam um die Richtung zur Sonne rotiert.

Genau dies scheint die Situation gewesen zu sein, in der die Bedienmannschaft ihre Raumsonde vorfand, nachdem sie aus der Okkultation durch den Planeten Venus auftauchte. Safe Modes werden oft als Reaktion auf ein unvorhergesehenes Ereignis eingenommen, auch wenn es gar kein Defekt einer Komponente aufgetreten ist, sondern beispielsweise nur Parameter außerhalb eines vorgegebenen Korridors liegen. Den Betreibern einer Raumsonde ist es in der Regel lieber, sie erleben einen Safe Mode zu viel als einen zu wenig.

Bei sehr kritischen Ereignissen wie einem Einschuss in die Zielbahn ist es jedoch so, dass der Großteil der Abfragen im System, die zu Safe Modes führen können, vorübergehend ausgeschaltet werden (“Safe Modes disabled”). Dies soll verhindern, dass aufgrund eines nicht unbedingt kritischen Fehlers ein missionskritisches Manöver abgebrochen wird. Es ist einem lieber, die Sonde ist in ihren Zielorbit, selbst wenn beispielsweise durch eine lokale Überhitzung eine Komponente beschädigt werden sollte, als dass die ganze Mission fehlschlägt. Außerdem kann ein Safe Mode auch leicht mal durch eine defekten Sensor ausgelöst werden, der einen Fehler anzeigt, wo keiner ist. Das will man natürlich vermeiden.

Ich nehme an, dass dies bei der Bedienung der Akatsuki-Sonde ähnlich gehandhabt wird. Wenn nun die Reaktion auf kleine Ausfälle abgeschaltet war, muss tatsächlich ein erhebliches Problem aufgetreten sein. Es weist alles darauf hin, dass dies mit dem Haupttriebwerk zu tun hatte. Dieses ist von einem neuen Typ. Es entzieht sich meiner Kenntnis, wie gründlich dies am Boden getestet wurde. Das Triebwerk an Bord von Akatsuki wurde beim Einschussmanöver zum ersten Mal nach dem Start über eine lange Brenndauer verwendet. Es war bereits probeweise auf dem Flug zur Venus gezündet worden, aber nur kurz.

Falls der Fehler mit dem Triebwerk behoben werden kann, hat man im Dezember 2016, bei der nächsten nahen Begegnung mit Venus, eine zweite Chance zum Einschuss. Wenn das Manöver durch einen Safe Mode beendet wurde, befindet sich ja noch fast aller Treibstoff in den Tanks, bis auf den Anteil, der zu Beginn des ersten Einschussversuchs verbraucht wurde. Damit hat man zumindest noch etwas in der Hand, um es in sechs Jahren erneut zu versuchen – falls die Sonde bis dahin durchhält. Die Chancen dafür stehen nicht ganz schlecht, obwohl  die Missionsdauer nun die eigentlich vorgesehene Lebensdauer der Sonde deutlich übersteigen wird. Wenn an einer Raumsonde etwas kaputtgeht, dann meistens entweder die Batterien oder die Schwungräder. Beide sind im heliozentrischen Orbit jedoch deutlich weniger belastet als in der operationellen Bahn um einen Planeten, denn es gibt dort stabile thermische Verhältnisse, konstante Energieversorgung und keinen Grund zu häufigen Lagemanövern, sodass die empfindlichen Komponenten geschont werden.

Weitere Information

Artikel zur Situation am 7.12.2010 auf spaceflightnow.com

JAXA-Webseite zur Akatsuki-Mission

Auch Emily Lakdawalla von der Planetary Society bloggt zu dem sich entwickelnden Drama, hier und hier und hier und hier.

Bericht in Mainichi Shinbun vom 9.12.2010

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

12 Kommentare

  1. Hm, heißt es in dem spaceflightnow-Artikel nicht, dass die Bedienmannschaft um 01:28 GMT wieder Signale von der sonde empfangen hat und jetzt die Position der Sonde festzustellen versucht? Ist der Kontakt nun völlig aberissen oder nicht? Bin kein Experte…

  2. @Jan: Gute Frage

    Kontakt zur Sonde bedeutet für mich Empfang von Telemetrie und Kommandozugriff. Mir ist noch nicht klar, was das besagte “Auffangen eines Signals” aussagt. Das ist erst einmal eine beliebig vage Aussage. Die offiziellen Webseiten helfen nicht weiter. Ich versuche, auf direktem Wege etwas zu erfahren.

  3. Signal empfangen?

    Die Aussage, das Signal von Akatsuki sei empfangen worden, bezieht sich wahrscheinlich auf diesen Tweet vom Twitter-Account der JAXA, der um 2:28 MEZ (10:28 japanischer Zeit) abgesetzt wurde.

    http://twitter.com/…AXA/status/11961969431019521

    Dort steht, dass “denpa (=elektromagnetische Wellen)” empfangen wurden und die Analyse der Situation im Gang ist. Das kann bedeuten, dass lediglich das Trägersignal empfangen wurde.

  4. Was man weiß und was nicht.

    Der Status Akatsukis wird inzwischen hier gut zusammengefasst: Safemode aus unbekanntem Grund, langsame Rotation, dabei intermittierender Kontakt über die LGA (alle 10 Minuten für 40 Sekunden).

    Was mich am meisten wundert(e) ist, dass man auch 20 Stunden nach dem VOI-Manöver nicht sagen kann, ob Akatsuki nun im Orbit – irgendeinem – ist oder an der Venus vorbei flog: Dazu sollte doch eigentlich die Beobachtung des Dopplereffekts auf den Funkträger ausreichen, hätte ich gedacht.

    Einer vom JPL hat mir aber gerade erzählt (via Twitter, wie man das heute macht), dass das Hauptproblem darin liegt, dass immer nur für 40 Sekunden Verbindung besteht: Das reiche nicht, um die Relativgeschwindigkeit des Senders zur Erde gut genug zu bestimmen. Korrekt?

  5. Nützlichkeit der Dopplermessung

    Bei der Bahnbestimmung ist ein nicht-kohärentes Dopplersignal (d.h., der Transponder stellt sich nicht selbsttätig auf Frequenz ein, die ein bekanntes Mehrfaches der Frequenz eines von der Erde empfangenen Signals ist), das darüberhinaus auch noch intermittierend ist, in der Tat nicht unbedingt ausreichend für die Bahnbestimmung.

    Insbesondere dann nicht, wenn die augenblickliche Bewegungsrichtung eine erhebliche Komponente senkrecht zur Blickrichtung zur Erde hat. Ob das hier der Fall ist, weiß ich nicht, da sie in eine polare Bahn einschießen wollten, könnte das aber sein.

    Da kann man in der Tat nicht unbedingt leicht zwischen einer leicht hyperbolischen und einer stark exzentrischen Bahn unterscheiden; die Beobachtung über einen längeren Bahnbogen ist erforderlich, um festzustellen, ob der absolvierte Anteil des VOI zum Einschuss in die Bahn um den Planeten ausgereicht hat oder nicht.

  6. Ziel verfehlt

    Auf Spiegel online wird geschrieben, die Sonde sei tatsächlich an der Venus vorbei geflogen:
    http://www.spiegel.de/…all/0,1518,733458,00.html
    Immerhin scheint es noch eine weitere Möglichkeit zu geben, später in einen Orbit zu schwenken.
    Leider wurden keine Quellen für diese Meldung genannt.

  7. @Kai Neuhaus: SPON-Artikel

    Dieser SPON-Artikel ist aber schwach: “nicht gezündete Turbinen”, du liebe Zeit ….

    Ich habe im Update von heute beschrieben, was die Situation ist. Wenn eine Raumsonde sich aus dem interplanetaren Transfer einem Planeten nähert, dann ist ihre Geschwindigkeit gegenüber dem Planeten so hoch, dass sie auf einer hyperbolischen Bahn bezüglich dem Planeten ist. Die Sonde kann den Planeten also nicht umlaufen, dazu ist die Bahnenergie zu hoch.

    Man zielt den Anflug so, dass die Sonde dem Planeten nahe kommt und zündet um den Punkt der größten Annäherung das Bordtriebwerk, und zwar so, dass es die Sonde, relativ zur Venus, abbremst.

    Genau dieses Abbremsen ging diesmal schief, das Bremsmanöver wurde aus einem noch unbekannten Grund abgebrochen, bevor die Relativgeschwindigkeit genügend verringert werden konnte, um von der hyperbolischen in die elliptische, also gebundene Bahn um die Venus überzugehen.

    Man kann das natürlich wie der SPON-Autor als “die Venus verfehlt” ausdrücken, das ist aber nicht wirklich richtig und zeigt nur, dass der, der das bei SPON schrieb, gar nichts über die Materie wusste. Es ist nicht so, dass die Raumsonde schlecht gezielt war oder etwas in der Art.

  8. Es lang an der Treibstoff-Zufuhr

    Inzwischen scheint fest zu stehen, dass das Manöver am raschen Versiegen der Treibstoffzufuhr gescheitert ist, wofür wiederum das Heliumdrucksystem verantwortlich gewesen zu sein scheint. Nach etwa 2 1/2 Minuten geriet Akatsuki dadurch in eine instabile räumliche Lage, gegen die die Sonde zunächst noch ankämpfte (die Details verstehe ich anhang der bisherigen Berichte nicht so ganz), bis der Bordcomputer aufgab und den Safemode einleitete. Auch nicht klar geworden ist mir, warum eine simple Unterversorgung des Triebwerks zu einem größeren Schaden an dessen Düse geführt haben soll – der manche Experten in Japan nun offenbar daran zweifeln lässt, ob sich ein 2. Versuch überhaupt noch lohnt.

  9. Mischungsverhältnis im Blowdown-Mode

    Emily Lakdawalla schreibt auch wieder etwas dazu, inklusive der Timeline der sich anbahnenden Katastrophe …

    http://www.planetary.org/blog/article/00002821/

    Das mit dem Druck in den Treibstoff- und Oxidatortanks ist immer eine heikle Sache. Satellitentriebwerke funktionieren mit druckbeaufschlagten Tanks, nicht mit Turbopumpen wie die meisten Triebwerke in Unterstufen von Raketen, die viel höheren Schub liefern. Oberstufentriebwerke von Raketen sind dagegen auch manchmal druckgespeist.

    Wenn die Tanks unter Druck gesetzt wurden, wird das Triebwerk im richtigen (meist nicht stöchiometrischen) Mischungverhältnis mit Treibstoff und Oxidator versorgt. Selbst wenn dann die Verbindung zum Druckgastank unterbrochen wird oder das Treibgas ausgeht, funktoniert das Triebwerk noch eine Zeitlang im “Blowdown-Mode” weiter, solange, wie noch ausreichend Druck in den Brennstoff- und Oxidatortanks herrscht.

    Das geht aber nur eine Zeit lang gut, aber wenn der Druck nachlässt, dann nicht unbedingt gleichmäßig in den getrennten Tanks für Brennstoff und Oxidator.

    Dann kann sich das Mischungsverhältnis von dem Wert weg bewegen, den das Triebwerk mag, worauf es zu Verbrennungsinstabilitäten oder zu Überhitzung oder anderen unschönen Effekten kommen kann. Im schlimmsten Fall zu einer Explosion. Wenn die Brennkammer oder Düsenwand durchbrennt, dann gibt das zu allermindest ein starkes Drehmoment.

    Ich will nicht behaupten, dass das hier unbedingt so gekommen sein muss, aber zumindest sind die Exkursionen der Lage und die offensichtliche Überforderung des Lageregelungssystems konsistent mit dem, was man in so einem Versagensfall erwarten könnte. Schon die erhebliche Lageoszillation um einige Grad etwa 50 Sekunden nach Manöverbeginn deutet darauf hin, dass da etwas gar nicht gut läuft.

    Wenn Akatsuki so etwas passiert ist, dann können die die weitere Verwendung des Haupttriebwerks knicken und sollten sich lieber überlegen, ob es nicht als Plan B eine alternative Verwendung für die Sonde in einer heliozentrischen Bahn gibt.

  10. Dumm gelaufen …

    Das “Krankheitsbild” von Akatsuki führt praktisch zielgenau auf eine Diagnose, die sich jetzt zu bewahrheiten scheint.

    Ich wünschte, es wäre nicht so, denn wie es aussieht, hat das Akatsuki-Team mit dem irreparablen Defekt des Haupttriebwerks die berühmte Karte mit dem A vorne gezogen (nein, ich meine nicht das As).

    Die nochmalige Verwendung des Haupttriebwerks steht, wenn die vermutung bestätigt wird, wohl außer Frage. Damit können etwaige weitere Änderungen der Bahn nur noch mit den kleinen Triebwerken des “Reaction Control System” (RCS) durchgeführt werden. Das RCS dient normalerweise nur zur Lageregelung und für kleine Manöver zur Navigation.

    Seine kleinen Triebwerke verwenden nicht, wie das Haupttriebwerk, einen Brennstoff (Hydrazin) und einen Oxidator (Distickstofftetroxid), sondern nur Hydrazin, das katalytisch zersetzt wird und dabei Heißdampf erzeugt. Diese Triebwerke produzieren nur schwachen Schub und haben eine geringe Ausströmgeschwindigkeit, d.h., sie sind nicht effizient und damit nicht geeignet für große Bahnmanöver, schon gar nicht für den Einschuss in die Bahn um die Venus.

    Also ist man gleich mehrfach gekniffen: Schwacher Schub, geringerer Effektivität, die auch nur noch die Hälfte des verbleibenden Treibstoffvorrats nutzen können: das Hydrazin, nicht den Oxidator. Da verbleibt nicht mehr sehr viel Delta-v-Kapazität.

    Da nun schon wieder Aerocapture oder Aerobraking ins Spiel gebracht werden: Das kann man leider vergessen.

    Aerocapture, den Einfang in die Bahn um einen Planeten per tiefem Eintauchen in die Atmosphäre (wenn man erst einmal hingekommen ist), ist sowieso keine Option für Akatsuki. Da man viel Bahnenergie loswerden muss, um von einer hyperbolischen in eine elliptischen Bahn zu wechseln, müsste man richtig tief in die Atmosphäre hinein, denn nur so kann in den wenigen Minuten des Eintauchens genügend Bahnenergie durch Reibung abgegeben werden. Genau das wird aber zum Problem, denn die
    erhebliche kinetische Überschussenergie würde in thermische Energie (Hitze) umgewandelt, und Akatsuki ist nicht dafür gebaut, so etwas zu überstehen.

    Aerobraking ist etwas ganz Anderes, nämlich das vielfache flache Eintauchen in die Hochatmosphäre. Dadurch kann man graduell Bahnenergie abgeben, ohne dass es zu heiß wird. Aber Aerobraking taugt nur, um aus einer hochextrentrischen Bahn eine niedrigere zu machen. Das heißt, um Aerobraking durchzuführen, müsste Akatsuki erst einmal den Bahneinschuss absolviert haben, und eben das ist mit nur den kleinen RCS-Triebwerken fast unmöglich, aus den zuvor genannten Gründen.

    Mal sehen, was die JAXA-Leute jetzt machen, mir fällt spontan nicht mehr so viel ein.

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