Eine Nation entdeckt den Mond
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Eine Nation entdeckt den Mond – oder besser gesagt: Sie etabliert eine Beziehung zu unserem Trabanten, der ihr vorher eher egal war. Diese Nation ist Japan. Wäre dies die Bild-Zeitung, so müsste die Überschrift lauten: “Der Mond wird japanisch!”.
(Alle Bilder können angeklickt werden) Das Vehikel, das die Japaner gewissermaßen auf den Mond befördert hat und ihnen dort einen Logenplatz gewährt, ist die japanische Raumsonde Selene, auch bekannt als Kaguya. Nicht die erste japanische Mondsonde und schon gar nicht die erste Mondsonde überhaupt, aber eben doch etwas Besonderes.
Kaguya, eine Raumsonde mit einer Startmasse von 2.9 Tonnen, wurde am 14.9.2007 mit einer japanischen H2-A-Rakete von Tanegashima, einem der japanischen Weltraumbahnhöfe, aus gestartet, zunächst in eine elliptische Bahn, wie sie auch für Starts von geostationären Satelliten verwendet wird. Von dort hob Kaguya ihre Bahn in einer Serie von Manövern an, bis am 2.10.2007 der Mond erreicht wurde. Nach dem Einschuss in die Bahn um den Mond erfolgte ein schrittweises Absenken bis hin zu einer mittleren Höhe von 100 km über der Mondoberfläche.
Kaguya ist die größte und schwerste Mondsonde seit den Apollo-Missionen, worauf die japanische Raumfahrtbehörde JAXA mit nicht geringem Stolz hinweist. Sie ist reich bestückt mit wissenschaftlichen Instrumenten, und auch das technische Profil der Mission ist anspruchsvoll, sodass die Ingenieure ordentlich zu tun haben.
Aber darum geht es mir hier nicht, obwohl die wissenschaftlichen und technologischen Ziele dieser Mission durchaus erwähnenswert wären.
Kaguya führt noch etwas anderes mit, und zwar eine digitale HDTV-Kamera, die keinen wissenschaftlichen Zweck verfolgt, sondern der Allgemeinheit nahebringt, wie es wäre, selbst über dem Mond zu schweben. Die JAXA ist eine Medienpartnerschaft mit der öffentlich-rechtlichen japanischen Fernsehanstalt NHK eingegangen, damit die zeitnahe Ausstrahlung des gewonnenen Fernsehmaterials gewährleistet ist.
Dieser professionelle Ansatz trug Früchte: Bereits mehrere kurze, aber denkwürdige Filmsequenzen wurden zur besten Sendezeit nicht nur im japanischen Fernsehen, sondern weltweit ausgestrahlt, auch bei uns in Deutschland.
Die Folge ist, dass jeder in Japan Kaguya kennt, obwohl das Interesse an Wissenschaft und Technik dort ansonsten nicht allzu stark ausgeprägt ist. Und die Leute kennen nicht nur Kaguya, sie sind auch stolz darauf – ich wurde dauernd darauf angesprochen, was ich dort so noch nie erlebt hatte. Die unmittelbare Konsequenz des Publikumsinteresses ist ein erheblicher Prestigegewinn für die japanische Raumfahrt. In den zu Jahresende üblichen Rückblicksendungen, in denen man die Bilder des Jahres Revue passieren lässt, kamen die Aufnahmen von Kaguya vielfach an prominenter Stelle vor.
In der NHK-Fernseh-Silvestergala “Rot-Weiß“, in der so ziemlich jeder auftritt, der in der japanischen Unterhaltungsmusik Rang und Namen hat, erschien die Filmsequenz des “Erduntergangs” am Mondsüdpol (natürlich nur eine scheinbare Bewegung der Erde, bewirkt durch den Flug der Sonde auf ihrer Bahn um den Mond) am Ende der Sendung in voller Schönheit, kurz vor der Live-Übertragung des traditionellen Läutens der Tempelglocken – also dann, wenn wirklich jeder hinschaut. Dies stellt sozusagen den Public-Relations-Ritterschlag dar – wer in dieser Sendung zum Star wird, der ist wirklich wer.
Die Mitnahme der HDTV-Ausrüstung kostet nicht nur Masse und Geld. Die Übertragung der Daten für jede Minute Film dauert etwa 20 Minuten, da müssen die anderen wissenschaftlichen Daten warten. Dennoch hat es sich gelohnt, solche Prioritäten zu setzen.
Kaguya ist momentan der unbestrittene Star unter den Mondsonden, sie stiehlt der ebenfalls im Mondorbit befindlichen chinesischen Sonde Chang’E-1 mühelos die Schau. Die politische Signalwirkung ist gewollt: Das deutliche Signal an die Welt ist, dass in punkto Spitzentechnologie der Hammer immer noch in Japan hängt und nicht etwa in China.
Und auch der Werbeeffekt für die japanische Elektronikindustrie dürfte erheblich sein – Wer sich jetzt irgendwo in der Welt ein Gerät der Unterhaltungselektronik zulegte, den wird diese Demonstration japanischer Leistungsfähigkeit nicht unbeeindruckt gelassen haben. Dies gilt weltweit, dafür sorgte die Medienpartnerschaft.
Egal, was das Ganze kostete, allein die Werbewirksamkeit war schon jeden Yen wert. Aber jede Wette, dass es in der Zukunft auch eine BluRay-Disc mit Kaguyas gesammelten Mondimpressionen geben wird, unterlegt mit klassischer Musik, wie schon bei einigen der Fernsehausstrahlungen. Jeder alte und neugewonnene Mondfan weltweit wird sich eine zulegen, ich selbst mit Sicherheit auch.
Jenseits vom schnöden Mammon ist der vielleicht wichtigste positive Aspekt die Motivierung und Begeisterung der Jugend für die Naturwissenschaft und Technik. Ohne Ingenieure und Naturwissenschaftler wird es keiner Nation gelingen, auch in der Zukunft den Spitzenplatz zu behaupten, das gilt für Japan genauso wie für uns. Von nichts kommt nichts.
Glückwunsch an die japanischen Stellen, die haben dies genau erkannt und professionell umgesetzt. Bleibt zu hoffen, dass dank Kaguya mehr und mehr junge Japaner den Blick zum Himmel richten. Dann wird sich vielleicht auch an der in Japan grassierenden Lichtverschmutzung etwas tun. Wollen wir es hoffen.
Auf jeden Fall: akemashite omedetou gozaimasu! (Frohes neues Jahr)
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