ispace meint Ursache für Hakuto-Absturz gefunden zu haben

Maßstabsgetreue Darstellung des Bahnverlaufs bei Abstieg und Landung aus einer 100 km hohen Parkbahn um den Mond, Quelle: Michael Khan

In einer Pressemitteilung vom 26.5.2023 behauptet die japanische Firma ispace, die wahrscheinliche Ursache für den Hakuto-Absturz am 25. April gefunden zu haben. Mir erscheint diese Begründung allerdings nicht sehr plausibel. Dazu gleich mehr, schauen wir erst einmal, was ispace sagt:

Was sagt ispace?

Laut ispace begann die Landesequenz gegen 00:40 japanischer Zeit (15:40 GMT, 17:40 MESZ). Das stimmt mit der Darstellung in meinem Blog-Artikel vom 28.4. überein. Das erste Manöver der Landesequenz ist das Absenkmanöver, das aus der kreisförmigen Parkbahn eine exzentrische Bahn mit einer Periseleniumshöhe um 15 km macht. Die Landung sollte etwa eine Stunde später erfolgen, laut ispace um 01:43 japanischer Zeit (16:43 GMT, 18:43 MESZ). 

Angeblich überflog die Mondlandesonde während des Abstiegs einen steilen Kraterrand, sodass die Radarmessung der Bahnhöhe binnen kurzer Zeit eine erhebliche Änderung erfuhr. Die Steuerungssoftware ermittelte eine starke Diskrepanz zwischen dem Radar-Messwert und dem Erwartungswert, der auf Basis  der bis dahin erhaltenen Messwerte vorausberechnet worden war. 

Die Software war offenbar so programmiert, dass sie bei einer solchen Diskrepanz davon ausging, dass das Radar fehlerhaft funktionierte und dessen Werte zu ignorieren waren. Sie führte das Abbremsmanöver weiter, bis die (vermutlich von der Trägheitsplattform ermittelte) Sinkgeschwindigkeit auf etwa 1 m/s abgenommen hatte und hielt dann diese Sinkgeschwindigkeit so lange bei, bis der Treibstoff alle war und die Sonde im freien Fall abstürzte. 

Das Halten einer so geringen Sinkgeschwindigkeit entspricht in etwa dem Schwebezustand. Laut ispace soll die Sonde dabei noch in einer Höhe von etwa 5 km über dem Boden gewesen sein. Eigentlich sollte dieser Notfallmodus aber nur das einigermaßen sichere Landen nach Ausfall des Radars gewährleisten, d.h., es sollte nur aktiv werden, wenn die Höhe bereits gering ist und das Aufsetzen unmittelbar bevorsteht.  

Wie verträgt sich diese Theorie mit den AMSAT-Beobachtungen?

Die Amateurfunkerorganisation AMSAT hat mit ihrer 20m-Antenne in Bochum ein Funktionieren des Triebwerks bis 16:43:41 UTC festgestellt. Danach begann der freie Fall. Das Signal riss um 16:45:09 UTC ab, vermutlich beim Aufschlag von Hakuto auf der Mondoberfläche. 

Ein 88 Sekunden dauernder freier Fall bedeutet allerdings, dass der freie Fall aus einer Höhe von mindestens 6.3 km, nicht 5 km einsetzte. Abgesehen davon stehen die Beobachtungen von AMSAT nicht in Widerspruch zur neuen Pressemitteilung von ispace

Ist die Theorie von ispace plausibel?

Wie bereits gesagt, sollte ein Notfallmodus unter Ignorieren der Radarmessdaten erst dann eintreten, wenn die Landung unmittelbar bevorsteht. Da frage ich mich allerdings schon, wie es sein kann, dass der Hakuto-Absturz aus einer Höhe von 5 km (laut ispace) einsetzte – oder sogar noch höher, wie man aus den AMSAT-Beobachtungen schließen kann. 

Meine bereits in früheren Artikeln geäußerte Vermutung bleibt bestehen: Das erste Absenkmanöver etwa eine Stunde vor der Landung wurde falsch berechnet oder es ging bei der Ausführung etwas schief, sodass das Periselenium der exzentrischen Bahn deutlich zu hoch ausfiel. Ausgehend von dieser falschen Bahn wäre eine sichere Landung nicht möglich gewesen, egal ob das Radar funktioniert oder nicht.

Selbst wenn die Steuerungssoftware nun fälschlich meinte, die Daten des Radars ignorieren zu müssen: Wenn wenigstens die Manöver bis zu diesem Punkt korrekt ausgeführt worden wären, hätte Hakuto dann schon bei einer niedrigen Bahnhöhe sein müssen. Ansonsten wäre der gesamte Notfallmodus, so wie er ausgeführt wurde, sinnlos. 

Ein Hakuto-Absturz aus einer Höhe von 5 km oder mehr ist auf diese Weise jedoch nicht plausibel zu erklären. Ich meine nach wie vor, man sollte sich genau anschauen, was bei dem ersten Manöver um 16:40 UTC schiefgelaufen ist. Das Unglück muss von diesem Punkt aus seinen Lauf genommen haben. Anders ist nicht zu erklären, wie die Sonde bei einigen km Höhe “strandete”.

Ein robustes Missionskonzept sollte mindestens einen kompletten Umlauf auf der exzentrischen Bahn vorsehen. So könnte man die exakte Ausführung dieses missionskritischen Manövers problemlos verifizieren und hätte noch eine Möglichkeit für eine Korrektur, bevor es zu spät ist. 

An dieser Stelle möchte ich auch noch eine alte “Raumfahrerweisheit” weiterreichen. Als ich noch neu im Beruf war, was schon viele Jahre her ist, hatte ich jede Menge Ideen, wie man eine Steuerung schlauer machen könnte, um allen möglichen Fehlern zu begegnen. Ein alter Hase, der damals schon Jahrzehnte in der Branche auf dem Buckel hatte, sagt mir dazu aber “Young man, hardware is more reliable than software!”. 

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

1 Kommentar

  1. Ein robustes Missionskonzept sollte mindestens einen kompletten Umlauf auf der exzentrischen Bahn vorsehen.

    Wohl wahr!

    “Ich gehe davon aus, dass …” erläuterten mir so oft die Arbeitskollegen nach dem sie auf Nase gefallen waren und in ihrer Ratlosigkeit mich um Rat fragten.

    Des Rätsels Lösung lag immer in den Annahmen, wo sonst. Ähnlich scheint es bei Hakuto-R M1 gewesen zu sein.

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