Seit vier Tagen ist Galileo offline

Das europäische Satellitennavigationssystem Galileo ist seit dem 11.7.2019 außer Betrieb.

Für Galileo ist die EU verantwortlich, die zum Aufbau und Betrieb des Systems eine eigene Agentur namens GSA (European Global Navigation Satellite Systems Agency) gegründet hat. Die GSA gab schon am 11.7. (Donnerstag) eine NAGU (Notice Advisory to Galileo Users) heraus:

Screenshot der NAGU 2019025 vom 11.7.2019, Quelle: GSA
Screenshot der NAGU 2019025 vom 11.7.2019, Quelle: GSA

Demnach sind die Dienste des Satellitennavigationssystems schon seit Donnerstag nur eingeschränkt und auf eigenes Risiko nutzbar. Das heißt, es ist effektiv nicht nutzbar.

Am Samstag, dem 13.7.2019 wurde dann die NAGU 2019026 nachgeschoben. Diese gab den Komplettausfall des Systems bekannt.

Screenshot der NAGU 2019025 vom 13.7.2019, Quelle: GSA
Screenshot der NAGU 2019026 vom 13.7.2019, Quelle: GSA

Der aktuelle Status ist mir zwar nicht bekannt, ich habe aber soeben auf der dafür vorgesehenen Webseite den Status der Satellitenkonstellation abgefragt und folgendes Ergebnis bekommen > (PDF). Demnach ist das System immer noch außer Betrieb. Allerdings hat die Status-Seite ihr letztes Update gestern erfahren.

Laut einer Pressemitteilung vom 14.7.2019 liegt die Ursache des Ausfalls im Bodensegment. Der Ausfall betrifft die Navigations- und die Zeitsignaldienste, aber nicht die SAR-Dienste (Search and Rescue=Suche und Rettung). Galileo ist seit 2016 in der Initialphase und hat noch nicht den vollen operationellen Status erreicht.

Auf das Problem im Bodensegment geht die Pressemittelung nicht weiter ein. Ein Bericht der Online-Fachzeitschrift InsideGNSS vom 13.7.2019 bezieht sich auf eine nicht benannte Quelle, die vage als Fehlerursache ein “Problem mit der Precise Timing Facility in Italien” nennt. Damit ist die Gruppe von Wasserstoff-Maser-Uhren in Fucino gemeint.

Die anonyme Quelle geht davon aus, dass das Problem spätestens im Verlauf des Wochenendes behoben wäre. Diese Vorhersage scheint sich jedoch schon einmal nicht bewahrheitet zu haben.

Aber warum ist Galileo offline?

  1. Wenn ich das richtig verstanden habe, ist die Aufgabe der Precise Timing Facility (PTF) das kontinierliche Update des Zeitsignals, also die Bereitstellung der Referenzzeit, um die Atomuhren an Bord der Satelliten regelmäßig zu korrigieren. Aber dann sollte doch der Ausfall der PTF nicht zum Komplettausfall des Systems führen, sondern allenfalls zu einer langsam ansteigenden Verschlechterung der erzielbaren Positionsgenauigkeit bei den Endnutzern. Wieso ist denn aber jetzt ganz Galileo offline? Es sei denn, das Problem in der PTF ist nicht erst am 11.7. aufgetreten, sondern bereits vorher – aber wie kann es in diesem Fall sein, dass es dann immer noch nicht behoben ist?
  2. Im kommenden Jahr soll die Initialphase beendet sein und das System in den operationellen Betrieb mit garantierter Verfügbarkeit gehen. Ohne garantierte Verfügbarkeit kann man die vorgesehenen Anwendungen wie autonomes Fahren oder Steuerung von Verkehrsflugzeugen vergessen. In einem ausfallsicheren System aber darf kein Single Point of Failure zugelassen werden. Bei Galileo auch nicht – es gibt meines Wissen zusätzlich zur PTF in Fucino eine weitere in Oberpfaffenhofen. Warum ist denn dann aber jetzt Galileo offline, und das schon seit Tagen? Warum übernimmt beim Ausfall der PTF in Fucino nicht einfach nahtlos das Backup-System, und der Gesamtbetrieb geht weiter?

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

7 Kommentare

  1. Sehr geehrter Herr Khan,

    wie immer ein auch für den Laien nachvollziehbaren Artikel mit fundiertem Wissen und Beleg durch Quellen. Ich lese Ihre Beiträge schon seit Anbeginn der Newsreader & Newsforen, aber auf Ihre Fragen habe ich leider keine Antworten. 😉 😀
    Es wird nur eines helfen, abwarten und Tee trinken. Vermutlich wird irgendwo wieder menschliches Versagen oder an der falschen Stelle gespartes Geld als Ursache erkannt werden. 🙁

  2. The Verge schreibt diese Einschätzung: ganz am Schluss eines Artikels über den Ausfall seit Freitag (übersetzt von deepL): Ein Ausfall dieser Größenordnung und Länge ist jedoch peinlich, zumal die EU versucht, ihre Abhängigkeit von ausländischen Satellitennavigationssystemen zu verringern.

    The Independent (britische News) schreibt ganz am Schluss ihres Artikels über den Ausfall (übersetzt von deepL): Es ist unklar, ob das Vereinigte Königreich die 1,2 Milliarden Pfund, die es in Galileo versenkt hat, zurückerhalten wird.
    Stattdessen strebt sie den Bau eines eigenen globalen Navigationssatellitensystems an, dessen Kosten von unabhängigen Experten auf 3 bis 5 Milliarden Pfund geschätzt werden.

    Forbes schreibt als letzte Sätze (übersetzt von deepL): “Bis jetzt”, sagt die GSA in ihrer Werbung, “mussten sich die GNSS-Nutzer auf nicht-zivile amerikanische GPS- oder russische GLONASS-Signale verlassen”, was “eine neue, zuverlässige Alternative verspricht, die im Gegensatz zu diesen anderen Programmen unter ziviler Kontrolle bleibt und Europa einen Platz auf dem schnell wachsenden globalen GNSS-Tisch verschafft”.

    Allerdings noch nicht ganz. “Da der Einsatz satellitengestützter Navigationssysteme weiter zunimmt”, warnt die GSA, “werden die Auswirkungen eines möglichen Signalausfalls noch größer”.

    Das tun sie in der Tat.

    Techspot schreibt als letzten Satz: Eine aktuelle Studie ergab, dass ein Ausfall von US-GPS-Diensten täglich mehr als 1 Milliarde US-Dollar an Navigationsfehlern und verspäteten Sendungen kosten könnte. Während die Galileo-Systeme derzeit weniger kritisch sind, arbeiten die Ingenieure daran, das Problem so schnell wie möglich zu beheben.

    Fazit: Die von mir gecheckten Online-News-Sites, die über den Ausfall des Galileo-Systems schreiben, nehmen den Ausfall als schlechtes Zeichen für die zukünftige Zuverlässigkeit von Galileo überhaupt. Vielleicht ist das etwas voreilig, doch die Reaktion scheint mir naheliegend.

  3. Es ist richtig, dass die Welt in zunehmendem Maße von der Verfügbarkeit der Dienste von Satellitennavigationssystemen abhängt. Was viele nicht wissen: dies betrifft nicht nur Navigationsdienste für die Transportbranche und den Individualverkehr. SatNav-Netzwerke liefern auch hochgenaue Zeitsignale, die beispielsweise für die weltweiten Finanztransaktionen notwendig sind.

    Wenn nun auch der Flugverkehr auf Satellitennavigation umsteigt und selbstfahrende bzw. fliegende Autos, Flugtaxis oder Lieferdrohnen eingesetzt werden, steigt die Abhängigkeit von den Satellitenkonstellationen weiter.

    Insofern ist es von Verteil, wenn es zahlreiche, konkurrierende und voneinander unabhängige Systeme wie GPS, Galileo, GLONASS, Beidou oder weitere gibt, denn das schafft Redundanz.

    Das aktuelle Problem mit Galileo ist mir aber nach wie vor nicht einsichtig. Wieso ist das Backup-System für die ausgefallene Precise Timing Facility in Fucino nicht sofort und nahtlos eingesprungen? Wieso ist das redundante System auch Tage später immer noch nicht verfügbar? Das ist in meinen Augen die zentrale Frage.

    Nachgeordnet, aber auch nicht unwichtig: Wie kann es sein, dass das gravierende Problem in Fucino immer noch nicht behoben ist?

  4. +++ UPDATE am 17.7.2019 (Mittwoch) +++
    Heute erschien einer Mitteilung auf der Webseite der GSA, in der eigentlich nicht mehr steht als “Es geht immer noch nicht, aber wir arbeiten dran”. Ein voraussichtlicher Termin zur Wiederaufnahme des Betriebs wird nicht genannt.

    Die vorher von einer ungenannten Quelle gemachte Aussage, dass ein Problem in der Precise Timing Facility in Fucino zum Systemausfall führte, wird weder bestritten noch bestätigt. Es wird auch keine Aussage zur kolportierten Behauptung gebracht, dass das Problem infolge eines Upgrades in der PTF auftrat.

    Ebensowenig wird darauf eingegangen, wieso das Problem nicht durch eine funktionierende Systemredundanz aufgefangen wurde, anstatt zum Systemausfall zu führen.

  5. Offenbar ist die komplette Redundanz erst mit dem Upgrade auf das Galileo System Build 1.5.1 geplant, was seit Februar läuft. Ich habe leider nichts über den Zeitplan und Status dieses Upgrades herausfinden können.
    Aber falls es noch nicht fertig ist, könnte das eine Erklärung sein:

    “This therefore marks a major step, but migration to the upgraded system should in principle be entirely transparent to Galileo users. We achieve this by taking advantage of the redundant elements of the Galileo system, taking them offline to update them while their operational counterparts continue to run.”

    https://galileognss.eu/galileo-set-to-growth-with-global-system-upgrade/

    Und sie schreiben noch was:
    “Based on the results of the troubleshooting activities, several elements of the ground infrastructure were re-initiated.”
    https://galileognss.eu/galileo-initial-service-recovery-actions-underway/

    Klingt so, als wenn dort gerade einige Rechner neu installiert werden… 😉

  6. Galileo ist wieder online, siehe hier und hier

    Jetzt wird man sich den Verlauf der Sache sehr genau anschauen und daraus Lehren für die Zukunft ziehen – und hoffentlich auch erfahren, wieso im gegebenen Fall effektiv keine funktionierende Redundanz gegeben war.

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