Falcon 9-Fehlstart: Überdruck im Oxidator-Tank der Zweitstufe

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Raumfahrt aus der Froschperspektive
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Der Fehlstart des ISS-Versorgungsflugs mit einer SpaceX-Falcon 9 am Sonntag, dem 28.6.2015 geht laut einem Tweet des SpaceX-Chefs Elon Musk auf einen unerwarteten Überdruck im Oxidatortank der Zweitstufe zurück.

Zeitlupensequenz der Phase unmittelbar von und nach der Explosion, Quelle: Astronomy Now via Youtube

Laut Musk sei dies Ereignis “counter-intuitive”, also nicht unmittelbar einleuchtend. In der Tat. Wie obige Zeitlupensequenz zeigt, tritt offenbar weiter oben an der Rakete eine große Menge Flüssigkeit aus, die sogleich zu einer weißen Wolke zerstäubt wird. Die Rakete mit ihren nach wie vor laufenden neun Triebwerken der Unterstufe tritt in diese Wolke ein. Dann kommt es in der Wolke zur Explosion, die das gesamte Vehikel in kleine Trümmer zerreißt.

Da stellt sich mir die Frage, was einen solchen Überdruck in einem Tank der Oberstufe, offensichtlich bis hin zur Beschädigung des Tanks oder der Rohrleitungen mit massivem Austritt des darin enthaltenen Oxidators (flüssigem Sauerstoff) hervorrufen kann, bevor diese Stufe überhaupt gezündet worden ist. Einen heftigen Druckstoß in der Zuleitung aufgrund eines plötzlichen Blockierens der Turbopumpe fände ich plausibel, aber die Turbopumpe der Zweitstufe kann doch noch gar nicht hochlaufen, wenn die Stufen nicht getrennt sind.

Was also dann? Pogo in der Unterstufe? Das wäre auch eine plausible Erklärung. Das sollte allerdings eindeutig aus der Telemetrie hervorgehen, in Form von kurzperiodischen Schwankungen des Schubs eines oder mehrerer Erststufentriebwerke. Die SpaceX-Leute müsste das in diesem Fall eigentlich jetzt schon wissen.

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Nachtrag (1.7.2015): Wie ich jetzt Diskussionen im Web entnehme, wird der LOX-Tank der Zweitstufe mit Helium unter Druck gesetzt, weil der Gasdruck des verdampfenden Sauerstoffs nicht ausreicht. Ein Versagen des Druckregulators mit anschließendem Überdruck im Tank wäre also auch ein denkbares Szenario.

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Ich bin Luft- und Raumfahrtingenieur und arbeite bei einer Raumfahrtagentur als Missionsanalytiker. Alle in meinen Artikeln geäußerten Meinungen sind aber meine eigenen und geben nicht notwendigerweise die Sichtweise meines Arbeitgebers wieder.

8 Kommentare

  1. Die Explosion beim Start zur ISS wirft SpaceX wohl um viele Monate zurück. Ich kann mir nicht vorstellen, dass SpaceX nach diesem Fehlschlag schon im Jahr 2017 die ISS Crew befördert

    Die Beschreibung des Vorfalls als “Counter Intuitive” – also unerklärlich – bessert die Aussichten nicht. Immerhin liegt kein offensichtlicher Anfängerfehler vor, sondern nur eine Unberechenbarkeit – die allerdings nicht toleriert werden kann, wenn solch eine Rakete Menschen zum Orbit transportieren soll.

    • “Counter-intuitive” als “unerklärlich” zu interpretieren, halte ich für eindeutig übertrieben. Das war zudem auch nur eien Formulierung aus einem Tweet.

      Aber es kann durchaus sein, dass bemannte Ambitionen von SpaceX vorläufig einen Rückschlag hinnehmen müssen. Schließlich geht es ja schlussendlich um ein human-rating des Systems.

      Was heißt aber human-rating? Das ist ein Begriff, der an den Rändern etwas unscharf ist. Im Prinzip geht es darum, dass eine Katastrophe, wenn sie eintritt, immer noch die Möglichkeit bieten soll, die Leute heil ‘rauszuholen.

      Das heißt, das sich anbahnende Versagen muss rechtzeitig detektierbar sein, und es muss noch genug Zeit geben, damit das Rettungssystem aktiviert und die Kapsel mit der Besatzung in sichere Entfernung gebracht werden kann.

      Die Frage ist jetzt natürlich, was da genau passiert ist und wie schnell das vonstatten ging. Falls es so war, dass die Unterstufe massive Längsschwingungen (Pogo) aufbaut und damit auch noch die Oberstufe kaputtmacht, dann wäre das gar nicht gut und könnte der Entwickungsabteilung bei SpaceX ein paar Überstunden bescheren.

      Aber wir wissen ja noch gar nicht, was war. Mir fällt gerade kein anderes Szenario mit den beobachteten Folgen ein, aber ich bin auch kein Insider.

  2. Hallo!

    Die Feststellung “Dann kommt es in der Wolke zur Explosion,….” würde ich nach dem Video, in dem anteilig der Gasaustritt ziemlich lang und umfangreich erkennbar ist, nicht so als gegeben hinnehmen. Aus den Sensordaten der Rakete muss ziemlich klar gewesen sein, dass hier schon vor der Explosion ein größerer unkontrollierbarer Schaden entstanden ist.

    Der Sauerstoffaustritt führt dazu, dass der unverbrannte Treibstoff der ersten Stufe (meines Wissens wird nicht alles verbrannt, um das Triebwerk zu kühlen) hinter der Rakete nachbrennen kann. In der Zeitlupe scheint das auch “längere” Zeit so abzulaufen.

    Wenn wir hier die Ursache schon bis zum Detail einer Turbopumpe aufrollen: Diese Verbrennung der Abgase kann nicht die Ursache der Explosion sein, denn sie ist hinter der Rakete. Die Rakete flog zu diesem Zeitpunkt mit mindestens 1km/s, wie im Originalvideo kommentiert wird. Eine Verbrennung hinter der Rakete ist also für die Rakete selbst irrelevant, weil weit weg.

    Tritt aus der folgenden Stufe wegen eines Lecks Sauerstoff aus, kann dies allein also selbst nicht zur Explosion führen.Bei der hohen Geschwindigkeit ist es, wie im Video zu sehen, eine der Rakete “folgenden” Verbrennung des Resttreibstoffes. Die Zündtemperatur kann bei dieser Geschwindigkeit erst recht nicht zur nächsten Stufe übergreifen, wenn diese gezündet und die erste Stufe abgetrennt wird. (Möglicherweise war diese Operation der Trennung der ersten Stufe in diesem Bereich der Flugbahn vorgesehen.)

    Die Explosion der Rakete halte ich deshalb nicht für eine unkontrollierte Folge des Defekts.

    Ist es nicht so, dass die Zerstörung der Rakete absichtlich oder automatisch herbeigefügt wird, um den Schaden am Boden zu begrenzen? Wenn dem so ist, hat die Explosion erstmal nichts mit der Ursache zu tun. Dann wäre der Defekt zwar elementar für die weitere Flugbahn gewesen, aber durch ihn ist nichts explodiert. Die Explosion wäre demnach die Folge der endgültigen “Aufgabe” der Rakete nach dem Defekt durch die Systeme oder die Bodenstation.

    Für den Beobachter sieht es zwar aus, wie zu Silvester, aus fachlicher Sicht würde ich aber strikt zwischen dem Fehler, der Wirkung und der Maßnahme zum Flugabruch unterscheiden wollen.

    — ich hab den Kommentar unter der aktuellen Firefox-Version nicht abgesendet bekommen–

    • Die Mission war spätestens in dem Moment verloren, als der Oxidatortank der Oberstufe aufbrach und große Mengen seines Inhalts verlor. Die wichtigste Frage für die Betreiber der Rakete ist also, wie es zu diesem Schaden kam.

      Der Hergang der nachfolgenden Explosion ist da zweitrangig, denn diese betraf eine ohnehin schon havarierte Rakete.

    • Ist mir nicht bekannt – aber ich kann mich da irren – dass bei der Falcon 9 die Tanks isoliert sind. Bei LOX ist das nicht so wichtig. Einige Leitungen im Inneren sind isoliert, damit sie nicht unterkühlen. Aber LOX-Tanks werden bis kurz vor deem Start befüllt und eine gewissen Schwund durch Verdampfen während des kurzen Flugs akzeptiert man.

      Bei der Sojus, deren Booster, Zentralstufe und Zweitstufe auch mit LOX/Kerosin betreieben werden, ist meines Wissens auch keine Isolation außen um die LOX-Tanks vorhanden.

    • Danke für den Hinweis, ich hatte es auch gerade auf spaceflightnow.com gelesen. So ganz stellt mich die Aussage aber nicht zufrieden, dass die Unfallursache das Versagen der Haltestrebe fürden Heliumtank gewesen sei. Immerhin ist die ja bei nur 3.2 g konstanter Beschleunigung während des Betriebs der Erststufe gebrochen, was deutlich unter der maximalen Beschleunigung im normalen Betrieb liegen dürfte und auch weniger kritisch als kurzperiodische Belastungen ist. Das konnte ein so lebenswichtiges Bauteil nicht ab? da steht, dass es für eine fünf Mal höhere Belastung zertifiziert war als die, bei der der das versagen auftrat. Wenn ein Bauteil für eine gewisse Belastung zertifiziert ist, dann verträgt es real noch einmal wesentlich mehr.

      Mir stellt sich die Frage, ob der genannte Wert für die G-Load der tatsächlich aufgetretene und gemessene Wert zum Zeitpunkt des Versagens war oder nur der erwartete Steady-State Wert, der sich aus dem nominalen Schubprofil und der Masse der Rakete ergibt. Falls nur letzteres, könnten die tatsächlich aufgetretenen, vielleicht auch noch zyklischen Belastungen deutlich höher gwesen sein und sich, da zyklisch (Pogo!) viel schwer wiegender ausgewirkt haben.

      Ich würde sagen, entweder Pogo oder sonst ein Effekt mit Schubinstabilität in der Erststufe, oder ein schwer wiegendes Qualitätsproblem bei einem lebenswichtigen Bauteil, das laut SpaceX von einem Zulieferer kommt. Dass es ein Qualitätsproblem gibt, und dass dies zum Unfall beigetragen haben kann, darauf weisen die weiteren Ausführungen Musks hin, denn nach seiner Aussage wurde diese Komponenten weiteren Tests unterzogen, wobei festgestellt wurde, dass auch noch andere bei deutlich weniger als iher Auslegungsbelastung versagten. Aber bei nur 20% der Auslegungsbelastung? Es kann sehr wohl ein Zusammenwirken unterschiedlicher Effekte gegeben haben. Eine Strebe mit einem Fabrikationsfehler wird verbaut und zudem entwickelt eines der Hauptttriebwerke Oszillationen. Beides zusammen führt zum Crash. Nun gut, wir werden es schon bald erfahren.

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